Protokoll der Sitzung vom 31.01.2019

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Aha!)

Wir sind der Ansicht, dass für eine umfassende Kriminalitätslageeinschätzung auch Dunkelfelddaten aus anderen Deliktbereichen ergründet werden müssen. Daher sollte in Sachsen-Anhalt eine Dunkelfeldstudie durchgeführt werden, die vergleichbar ist mit denen, die in anderen Bundesländern wie Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein schon durchgeführt wurden bzw. dort regelmäßig durchgeführt werden. Diese Studien betrachten nicht nur das Dunkelfeld der Sexualdelikte, sondern auch Deliktbereiche wie Betrug, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Raub und weitere mehr.

Aber es geht nicht nur um das Anzeigeverhalten und daraus abgeleitet um die Hochrechnung von Fallzahlen, sondern es geht beispielsweise auch darum, wie Bürger die Arbeit der Polizei bewerten, zum Beispiel wie zufrieden die Bürger mit der polizeilichen Arbeit sind bzw. ob und wie Polizeipräsenz wahrgenommen wird. Zudem lässt sich im Ergebnis ein Stand zur subjektiv empfundenen Sicherheit, zum Beispiel zur Kriminalitätsfurcht, zum raumbezogenen Sicherheitsgefühl und zu Schutz- und Vermeidungsverhalten, feststellen.

All das sind Daten und Informationen, die sich nicht aus der PKS ablesen lassen, die aber sehr wohl wichtig und hilfreich sind, um sich ein möglichst realitätsnahes Bild von der Sicherheits- und Kriminalitätslage im Land zu verschaffen und daraus geeignete zielführende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

(Zustimmung bei der AfD)

Daher halten wir eine Dunkelfeldstudie, die nicht nur Sexualdelikte, sondern auch weitere Deliktbereiche beleuchtet sowie die Frage nach der Arbeit der Polizei und dem subjektiven Sicherheitsgefühl beantwortet, für sinnvoll, notwendig und im Grunde genommen für längst überfällig.

(Beifall bei der AfD)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Kohl für die Einbringung des Antrags. - Für die Debatte ist eine Redezeit von drei Minuten je

Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Minister Herr Stahlknecht. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zutreffend, dass eine polizeiliche Kriminalstatistik nie vollumfänglich die tatsächlich in einem Land begangenen Straftaten erfasst. Das hat unterschiedliche Gründe.

Das können Änderungen im Anzeigeverhalten sein. Das können deliktspezifische täter- bzw. opferbezogene Aspekte sein. Das kann auch eine Änderung in der statistischen Erfassung sein. Das haben wir vor vier, fünf Jahren bei der politisch motivierten Kriminalität gehabt.

Es gibt Änderungen des Strafrechts. Dort hat es jetzt eine Veränderung in Bezug auf die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegeben. Dadurch hat die Anzahl der Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung automatisch zugenommen. Und es gibt auch immer eine Veränderung der Kriminalitätsphänomene.

Insofern ist eine polizeiliche Kriminalstatistik niemals - ich betone: niemals - eine getreue Abbildung der tatsächlichen Realität, weil eben auch nicht jede Straftat erfasst werden kann und auch niemals erfasst werden wird.

Hinsichtlich der objektiven Sicherheitslage und des subjektiven Sicherheitsgefühls, Herr Kohl, sage ich: Ich habe lange in der Justiz als Staatsanwalt und vorher, auch in der Ausbildung, in anderen Bereichen gearbeitet. Es ist schon immer so gewesen, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger immer etwas schlechter ist als die objektive Sicherheitslage.

Ich pflege immer zu sagen, das ist wie die Wettervorhersage - das passt bei diesem Wetter - wenn der Nachrichtensprecher sagt, es sind 2° C plus, angesichts des Nordostwindes aber gefühlt minus 3° C.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

So ähnlich ist das auch mit der subjektiven Sicherheitslage, die immer schlechter ist. Die subjektive Sicherheitslage, dieses Gefühl, wird durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, auch dadurch, wie ich Politik gestalte - nicht ich, Sie gestalten. Wenn ich ständig versuche, den Leuten zu suggerieren, dass dieses Land schlimmer geworden ist, dass jeder, der zu uns gekommen ist, ein Messer trägt, dass jeder, der zu uns gekommen ist, eine Frau vergewaltigt, und immer diesen Resonanzboden bediene,

(Zuruf von André Poggenburg, fraktionslos)

dann muss ich mich nicht wundern, wenn irgendwann der Wind, den Sie sähen, am Ende zum Sturm wird.

(Oliver Kirchner, AfD: Das ist auch Quatsch!)

Wir wollen das gleichwohl objektivieren. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr eine Dunkelfeldstudie, eine Untersuchung in Auftrag geben, die den Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrifft. Wir haben dafür einen Zeitraum von drei Jahren vorgesehen.

Weiterhin werden wir ein Gutachten zur Kriminalitätsentwicklung in Sachsen-Anhalt in Auftrag geben, weil diese Untersuchungen eben nicht nur kriminologisch, sondern auch soziologisch zu führen sind, weil dies unterschiedliche Gründe haben kann. Dabei geht es um Kriminalitätsbelastung in den kreisfreien Städten, um die Ursachen für diese Kriminalitätsbelastung, auch um die Identifizierung wesentlicher Faktoren, die für eine Erhöhung der Kriminalitätsbelastung ursächlich sind.

Die Ursachen liegen nicht immer nur allein im kriminologischen Bereich. Es geht um folgende Fragen: Wie funktioniert Erziehung? Wie funktioniert Vorbild? Wie funktionieren soziologische Zusammenhänge? Hängt das mit Arbeitslosigkeit zusammen? Hängt das mit Strukturwandel zusammen? - Es ist ein bunter Strauß, den wir untersuchen wollen.

Wir werden auch soziodemografische Daten untersuchen. Wir werden Deliktsbereiche untersuchen. Wir werden uns mit Intensivtätern und der Massenkriminalität beschäftigen und eben mit der Tätermobilität, die bei Durchziehenden eine Rolle spielt. Wie ist die infrastrukturelle Lage? - Auch eine sogenannte Tourismuskriminalität spielt eine Rolle.

Insofern wird dieses Gutachten wissenschaftlich erarbeitet werden. Haushaltsvorsorge dafür ist getroffen worden. Der Forschungsauftrag soll bis Mitte des Jahres 2019 erfolgen. Ergebnisse werden uns im Jahr 2021 zur Verfügung stehen. - Vielen Dank.

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Minister Stahlknecht für die Stellungnahme der Landesregierung. - Für die Fraktion der SPD spricht der Abg. Herr Erben. Herr Erben, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kohl, Sie hören zu? - Das mache

ich jetzt zum ersten Mal: Ich muss Ihren Antrag loben.

(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)

Vieles von dem, was Sie hier aufschreiben, ist vernünftig

(Oliver Kirchner, AfD: Ist es auch!)

und entspricht auch meiner Einschätzung.

(Zustimmung bei der AfD - Jens Kolze, CDU: Aber!)

An der einen oder anderen Stelle frage ich mich natürlich, weswegen Sie die Dunkelfeldstudie in Auftrag geben wollen, wenn Sie eigentlich schon alles wissen;

(Minister Holger Stahlknecht lacht)

denn Sie haben - nicht in Ihrer schriftlichen Begründung, aber in Ihrer Rede - an der einen oder anderen Stelle gesagt: Das ist deswegen. Daher frage ich mich natürlich, weswegen Sie die Studie brauchen.

(Oliver Kirchner, AfD: Fallbeispiele sind das!)

- Das sind wie die Fallbeispiele von Herrn Lehmann beim Waffenrecht.

(Oliver Kirchner, AfD: Nein, nein!)

Zum Thema Dunkelfeld. Natürlich gibt es - je nachdem, in welchem Phänomenbereich wir uns ein bewegen - ein erheblich größeres Dunkelfeld als das Hellfeld. Das ist doch überhaupt keine Frage. Sie haben mit Ihrer These für bestimmte Deliktsbereiche zweifelsohne recht: gibt es weniger Polizei, gibt es auch weniger Straftaten, zumindest in der PKS. Das ist ganz klar. Deswegen sind Dunkelfeldstudien auch aus meiner Sicht sehr vernünftig.

Wir haben in diesem Lande aber noch einen zweiten Effekt zu verzeichnen, nämlich dass wir nach der Statistik, also im Hellfeld, insbesondere in unseren Oberzentren eine Kriminalitätsbelastung haben, die deutlich höher als in vergleichbaren anderen ostdeutschen Großstädten ist. Diesbezüglich baue ich auf das Gutachten. Wir müssen doch einmal herausbekommen, warum das so ist.

(Zuruf: Häufigkeit!)

Wenn ich nach Erfurt blicke, dann kann ich irgendwie keinen Unterschied zu Magdeburg erkennen. Ich sehe nicht, was dort so wahnsinnig ungefährlicher sein soll als bei uns. Wir müssen doch einmal herausbekommen, woran das liegt. Wir wissen es nicht und deswegen baue ich insbesondere auf dieses Gutachten.

Es wird aber immer so sein, dass nicht alles auf einmal erledigt werden kann. Herr Minister hat

das Thema bereits angesprochen, was die Dunkelfeldstudie im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrifft. Er hat das Gutachten zur Kriminalitätsentwicklung und deren Ursachen angesprochen. Ich will auch daran erinnern, dass es vom Dezember 2017 einen Beschluss der Innenministerkonferenz gibt, der sinngemäß besagt, dass das Bundeskriminalamt eine sogenannte Dunkelfeldstudie für Deutschland insgesamt zu erstellen hat.

Ich glaube, aus allen drei Untersuchungen werden wir wichtige Erkenntnisse gewinnen. Ich wage die Prognose, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt auch in Sachsen-Anhalt nach dem Beispiel von Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern zu der Erkenntnis kommen, dass wir zu deutlich mehr Deliktsbereichen als zu dem Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Dunkelfeldstudien in Auftrag geben werden.

In diesem Sinne werbe ich für unseren Alternativantrag, der das berücksichtigt. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Erben für den Redebeitrag. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Quade. Frau Quade, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Es sind richtige Ausführungen zum Vorhandensein von Dunkelfeldern in verschiedenen Bereichen gemacht worden. Das ist völlig richtig. Das ist auch unbestritten.

Dennoch ist es notwendig, angesichts dieses Antrages auch noch einmal deutlich zu sagen, dass die Behauptung, die eigentliche Kriminalität liege weitaus höher, als die offizielle Zahlen es darstellen, und die Behörden würden das sozusagen im Auftrag der Regierung bewusst verschleiern, eben eine ist, die eine politische Erzählung ist und die zum Standardrepertoire der AfD gehört.