Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 82. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der siebenten Wahlperiode und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Anlass dieser außerordentlichen Sitzung mit der Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff ist das Geschehen am 9. Oktober 2019. Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der schrecklichen Bilder des Angriffs auf die Synagoge und den Döner-Imbiss in Halle.

An diesem Tage sind wir Zeugen eines brutalen Anschlags geworden, der uns alle betroffen gemacht hat und auch immer noch betroffen macht und sehr berührt. Eine religiöse Feierlichkeit sollte friedlich begangen werden und endete mit Toten und Verletzten.

Ich würde Sie jetzt bitten, sich zu einer Schweigeminute von Ihren Plätzen zu erheben.

(Das Mobiltelefon von Guido Heuer, CDU, klingelt)

- Bevor ich fortfahre, würde ich Sie bitten, daran zu denken, dass Sie nach der Sitzung Ihre Handys wieder einschalten dürfen.

Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen mir wie folgt vor: Herr Minister Robra ist heute ganztägig aufgrund der Teilnahme an der Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder sowie an der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs auf Schloss Elmau in Bayern entschuldigt.

Bevor ich zur Tagesordnung komme, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, recht herzlich die Vertreter des jüdischen Lebens in Sachsen-Anhalt aus Magdeburg und Halle hier bei uns zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Weiterhin begrüße ich den Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus recht herzlich. Seien Sie auch recht herzlich bei uns willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Zur Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 39. Sitzungsperiode mit der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Herrn Dr. Reiner Haseloff liegt Ihnen allen vor.

Im Ältestenrat haben wir vereinbart, Anträge der Fraktionen zum Thema der Regierungserklärung auf die Tagesordnung zu nehmen, die bis zum gestrigen Tage, 18 Uhr, übermittelt wurden. Hierzu liegen uns ein Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 7/5121 und ein Antrag der Fraktionen CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 7/5122 vor. Die entsprechend geänderte Tagesordnung wurde herausgegeben.

Wir behandeln die Anträge vereinbarungsgemäß in verbundener Debatte. Eine besondere Einbringung findet demnach nicht statt.

Jetzt schau ich in die Runde. Gibt es Ihrerseits Anträge oder Änderungswünsche? - Das sehe ich nicht. Dann können wir in Bezug auf die Tagesordnung so verfahren.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 1

a) Regierungserklärung des Ministerpräsiden

ten Herrn Dr. Haseloff zum Thema: „Freiheit. Sicherheit. Verantwortung. Solidarität mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt.“

b) Aussprache zur Regierungserklärung

c) Beratung

Entschließung in Reaktion auf den antisemitischen und rassistischen Terrorakt vom 9. Oktober 2019 in Halle

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5121

d) Beratung

Halle mahnt. Rechten Terrorismus stoppen. Antisemitismus, Rassismus und der Verbreitung von Hassideologien mit allen Mitteln des Rechtsstaates entgegentreten

Antrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/5122

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abgabe der Regierungserklärung erteile ich das Wort dem Ministerpräsidenten Herrn Dr. Haseloff. Herr Ministerpräsident, Sie haben jetzt das Wort.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Mitglieder des Landtages! Meine Damen und Herren! Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse von Halle. Nach Halle können wir nicht zur Tagesordnung übergehen.

Unsere Gedanken sind bei den Opfern. Zwei Menschen wurden kaltblütig ermordet, andere

wurden verletzt, viele sind traumatisiert. Ihnen und ihren Angehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Terroranschlag von Halle, ein versuchter Massenmord an unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, war ein Angriff auf uns alle. Er war ein Angriff auf die Menschenwürde und unsere freiheitliche Demokratie.

Der Antisemitismus geht stets mit der Verneinung von Freiheit und Demokratie einher. Er ist ein Gradmesser für den Stellenwert der Freiheit in einer Gesellschaft.

Antisemitismus ist eine Gefahr für die grundlegenden Werte unserer Demokratie. Demokratie ist mehr als eine Staats- oder Herrschaftsform. Sie ist vor allem eine Lebensform. Und was heißt Demokratie als Lebensform? - Dem Menschen, gleich wer er sei und woher er komme, als Mensch zu begegnen. So hat es der erste Bundespräsident Theodor Heuss formuliert.

Der Täter von Halle hat diese Lebensform und ihre Werte verachtet. Bewusst wollte er seinen perfiden Anschlag am höchsten jüdischen Feiertag verüben. Über seine Motive und seine Ziele hat er uns nicht im Unklaren gelassen. Er wollte möglichst viele Menschen in der Synagoge töten, Menschen einer Gemeinde, die in Halle eine 327-jährige Tradition hat. Sein perfider Plan scheiterte zwar, aber dieser feige Anschlag vom 9. Oktober war eine gewaltige Zäsur.

Im Jahr 2019 feiern Juden in Deutschland an Jom Kippur in ihrer Synagoge und sie müssen um ihr Leben fürchten, 75 Jahre nach der Schoah. Dafür schäme ich mich.

Auch dem Letzten muss nun klar geworden sein: Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rechtsextremismusproblem.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In unserer Gesellschaft gibt es einen Nährboden für antisemitische Ressentiments. Wir haben es mit einer Verfestigung und Radikalisierung gewaltbereiter Milieus zu tun. Auch eine Enthemmung der Äußerungen in Wort und Tat ist zu beobachten. Das alles sind keine Randerscheinungen. Die Zeichen sind überdeutlich. Und ich nehme den importierten Antisemitismus nicht davon aus.

Antisemitismus zeigt sich in extremen Handlungen wie dem Verbrennen der israelischen Flagge oder den Übergriffen auf einen Kippaträger in Berlin. Er äußert sich aber auch weniger laut und weniger brutal. Antisemitische Stereotype finden sich auch im öffentlichen und im privaten Diskurs.

Davon sind keine Personen- und Berufsgruppen ausgenommen.

Die sozialen Medien werden als Echoräume zur Verbreitung von kruden Verschwörungstheorien, Diffamierungen und falschen Behauptungen über Religionen und ethische Gruppen genutzt.

Unwahrheiten, Verfälschungen von Zitaten und Gerüchte verbreiten sich in Zeiten des Internets rasant schnell. Das Internet wird zum Alternativmedium. Längst sind die Grenzen des Sagbaren verschoben.

Die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel wies kürzlich darauf hin - Zitat -, in welchem Ausmaß und in welcher Wucht sich im Netz der alte Vernichtungswille zeigt. Dabei gebe es keinen signifikanten Unterschied zwischen rechtem, linkem oder muslimischem Antisemitismus. Wir dürfen das nicht länger ignorieren, sondern müssen entschieden solchen gefährlichen und abstrusen Gedankengängen widersprechen, und der Rechtsstaat muss sich mit allen ihm zur Verfügungen stehenden Mitteln dagegen wehren.

Wenn wir wegschauen, wird die Akzeptanz gegenüber solchen Einstellungen weiter ansteigen, und wie schnell können aus Worten Taten werden. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt, wie Kant zu Recht schrieb.

Ich sage das gerade auch mit Blick auf das Netz und die sozialen Medien. Deshalb befürworte ich, § 46 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches um das Tatbestandsmerkmal „antisemitisch“ bei der Strafzumessung zu ergänzen. Das gilt auch für den als Israelkritik verbrämten Antisemitismus.

Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Mai dieses Jahres wird auf Initiative des Ansprechpartners für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus hin eine Problembeschreibung „Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“ erstellt, und zwar mit Unterstützung des Bundesverbandes „Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus“ und des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration.

Es wurden Interviews mit den Gemeinden, Gedenkstätten, Kultureinrichtungen, der Polizei und weiteren Experten geführt, und daraus soll nun ein Gesamtbild entstehen. Es soll die Sicht der Betroffenen wiedergegeben werden.

Die Arbeiten laufen noch. Ergebnisse werden bis Jahresende erwartet. Der Ansprechpartner wird daraus Handlungsvorschläge ableiten und diese in die Politik und in die Öffentlichkeit tragen.

Es geht um ein genaues und kontinuierliches Hinschauen, aber auch um Hilfsangebote für Betrof

fene und um konkrete Vorschläge, was im Hinblick auf Prävention und Bekämpfung getan werden kann.