Protokoll der Sitzung vom 28.02.2020

Wir kommen nun zu

Tagesordnungspunkt 20

Beratung

Schulnoten sind Nachweis für Leistungen im Schulsystem - Defizite transparent machen und planmäßig abbauen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5742

Einbringer ist der Abg. Herr Lippmann. Herr Lippmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt schließt fast nahtlos an die Debatte von vorhin an.

Vor drei Wochen gab es in unseren Schulen die Halbjahreszeugnisse. Leider haben diese inzwischen etliche Lücken und diese Lücken werden immer größer. Wir müssen im Moment davon ausgehen, dass es für mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler nicht in allen Fächern die erhofften Halbjahresnoten auf den Zeugnissen gab, sondern mindestens einmal die Bemerkung „nicht erteilt“.

Nun kann es immer einmal vorkommen, dass ein bestimmter Fachlehrer für ein halbes oder auch ein ganzes Schuljahr nicht zu bekommen ist. In Musik beispielsweise haben wir schon seit Jahrzehnten einen Mangel. Man findet dann im Kollegium auch meist niemanden, der diesen Unterricht fachfremd übernehmen könnte. Das sind aber unter normalen Umständen die absoluten Ausnahmen. Wenn die Unterrichtsversorgung insgesamt ausreichend ist, betrifft das nur einzelne Mangelfächer und auch nur ganz wenige Schulen.

Heute allerdings hat sich das komplett geändert. Der Lehrermangel hat solche Ausmaße angenommen, dass er inzwischen gravierende Auswirkungen auf die Erteilung von Zeugnisnoten hat.

Nach unserem Eindruck sind aktuell Hunderte Schulen und Tausende Schülerinnen und Schüler von dem Komplettausfall des Unterrichts betroffen. Dabei geht es auch längst nicht mehr nur um die typischen Mangelfächer, sondern der Totalausfall kann praktisch in jedem Fach auftreten.

Unser Bildungsminister weigert sich bisher hartnäckig, sich mit dieser Entwicklung auch nur zu beschäftigen und zumindest auf Nachfrage die Zahl der Fälle von nicht erteilten Zeugnisnoten zu erfassen und die Dimension offenzulegen. Dennoch ist eine Prognose dazu nicht schwer zu treffen. Ich war wirklich irritiert, wie oft in den letzten Wochen im privaten Umfeld von nicht erteilten Zeugnisnoten berichtet wurde. Und das war nicht nur in Musik, sondern auch in Sport, in Physik, in Englisch oder in anderen Fächern.

Es war natürlich zu erwarten, dass der wachsende Lehrermangel irgendwann solche Konsequenzen haben würde.

Mit dem Sinkflug in der Unterrichtsversorgung gelingt es den Schulbehörden immer weniger, den Mangel zumindest gerecht zu verteilen.

Es gibt inzwischen beängstigende Unterschiede zwischen den Schulformen und erst recht zwischen einzelnen Schulen. Mit der jährlichen Statistik zur Unterrichtsversorgung hatten sich bereits die Hinweise verdichtet, dass es vielen Schulen nicht mehr gelingen wird, in allen Klassen und Fächern den Unterricht so anzubieten, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern eine Halbjahresnote erteilen können.

Landesweit lag die Unterrichtsversorgung zum Schuljahresbeginn offiziell bei 96,2 %. Das ist eine Zahl, die uns am Beginn der Legislaturperiode noch in helle Aufregung versetzt hätte, die wir aber heute nur noch resigniert zur Kenntnis nehmen. Und ohne die bedarfsmindernden Maßnahmen der letzten Jahre und die viele Mehrarbeit der Kolleginnen und Kollegen liegt die Unterrichtsversorgung real sogar schon bei unter 90 % und im Laufe des Schuljahres sinkt sie erfahrungsgemäß noch weiter.

Betroffen sind alle weiterführenden Schulen mit Ausnahme der Gymnasien - bis jetzt. Bei den Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen und auch bei den Förderschulen sind inzwischen die Schulen die Ausnahme, die ihr Unterrichtsangebot noch vollständig absichern können. Von den knapp 250 weiterführenden Schulen liegt die Unterrichtsversorgung bereits in 79 Schulen bei unter 90 % und bei zehn dieser Schulen sogar bei unter 80 %. Aber auch 46 Grundschulen haben eine Unterrichtsversorgung von unter 90 %. Es sind also offiziell 125 Schulen, die weniger als 90 % Unterrichtsversorgung haben. Und auch diese Bilanz ist noch geschönt.

Nun muss man nicht viel über die Bedeutung von Zeugnisnoten sagen; denn viele halten die ohnehin für das Wichtigste in der Schule. Aber selbst wenn man nicht zu denen gehört, die Noten für so wichtig halten, geben diese vielen Lücken auf den Zeugnissen eine dramatische Entwicklung wieder.

Mit den Zeugnisnoten soll ja dokumentiert werden, was die Schülerinnen und Schüler im zurückliegenden Halbjahr gelernt haben. Und wenn dort nichts hingeschrieben werden kann, dann haben sie eben auch nichts gelernt. Tausende Schülerinnen und Schüler haben im letzten Halbjahr mindestens in einem Fach nichts gelernt und in aller Regel können sie das später auch nicht wieder aufholen. Gegen diese Entwicklung müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber dafür muss man erst einmal die Fakten kennen. Vermutlich wird das Ergebnis der Datenerhebung schockierend sein. Und vermutlich ist das auch der Grund dafür, weshalb es der Bildungsminister gar nicht erst wissen will. Statt zu reagieren, steckt er den Kopf in den Sand und verschließt die Augen vor der Realität. Auf eine entsprechende Kleine Anfrage zu den fehlenden Noten auf den letzten Schuljahresendzeugnissen hat er im November die Antwort komplett verweigert. Er habe die Daten nicht und er lasse sie auch nicht erheben, weil das für die Schulen zu aufwendig sei.

Es geht dabei um eine Frage, die in fast allen Schulen in fünf Minuten beantwortet werden kann. Selbst dort, wo es vielleicht etwas länger dauern sollte, schafft es die Schulleitung in der Mittagspause. Die Verweigerung der Beantwortung ist also absolut willkürlich und fast schon beleidigend.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb streiten wir jetzt vor dem Landesverfassungsgericht, ob die Gründe des Ministers ausreichend sind, um uns bzw. mir die Antwort zu verweigern. Denn das, was der Bildungsminister als Begründung für seine Verweigerung angeboten hat, ist absurd und hanebüchen. Es dauert länger, sich so einen Unsinn auszudenken, als die Antwort zu verfassen.

(Guido Henke, DIE LINKE, lacht)

Denn angeblich müssten alle 194 000 Schülerakten angefasst und händisch ausgewertet werden. Der Minister brüstet sich ja gern damit, dass er Ahnung von Schule und Verwaltung hat, aber daran muss man angesichts dieser Begründung wirklich ernsthaft zweifeln.

(Beifall bei der LINKEN - Hendrik Lange, DIE LINKE: Nicht nur da!)

Wir können als Abgeordnete nicht hinnehmen, dass uns von der Landesregierung selbst einfachste Datenerhebungen verweigert werden und wir uns vor dem Landesverfassungsgericht unser Auskunftsrecht erstreiten müssen. Deshalb ist es notwendig, dass wir unserem Bildungsminister

mit diesem Antrag einen Eintrag in sein Hausaufgabenheft erteilen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht aber auch darum, dass sich der zuständige Ausschuss für Bildung und Kultur systematisch mit der weiteren Entwicklung bei den Zeugnisnoten beschäftigen muss und mit dem Ministerium geeignete Gegenmaßnahmen diskutiert. Es reicht also nicht aus, die Daten über ständige Kleine Anfragen zu erfassen. Das Ministerium muss verpflichtet werden, die Daten von sich aus regelmäßig und zeitnah zu erheben und dem Ausschuss eine Auswertung dazu vorzulegen.

Wenn der Bildungsminister nicht so uneinsichtig wäre und von sich aus die Fakten auf den Tisch legen würde, bräuchte man weder diesen Antrag noch die Klage vor dem Landesverfassungsgericht. Dazu fordere ich Sie, Herr Minister, hier noch einmal auf. Ersparen Sie sich die Blamage, erst durch das Parlament oder das Verfassungsgericht auf Ihre Auskunftspflicht hingewiesen zu werden, und suchen Sie den Dialog im zuständigen Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Lippmann für die Einbringung des Antrages. - In der Debatte ist eine Redezeit von drei Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Minister Herr Tullner. Herr Tullner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE LINKE hat mich mit ihrem Landtagsantrag zu nicht vergebenen Zeugnisnoten aufgrund von Unterrichtsausfall schon überrascht; das muss ich zugeben. Überrascht deshalb, weil es hierzu eine Vorgeschichte gibt, auf die ich nachfolgend eingehe.

Im Oktober des vergangenen Jahres stellte der Abg. Lippmann - er ist schon kurz darauf eingegangen - eine Kleine Anfrage zum Thema „Fehlende Zeugnisnoten aufgrund nicht erteilten Unterrichts im Schuljahr 2018/2019“ in der Drs. 7/3091. In der Antwort der Landesregierung wurde darauf hingewiesen, dass eine Antwort zu bestimmten erfragten Daten in der gewünschten Untersetzung, nämlich Schulform, Fächer, Anzahl der betroffenen Schülerinnen und Schüler, nicht möglich sei, weil statistisch nicht erfasst.

Mit Schreiben an die verehrte Landtagspräsidentin vom 18. November 2019 kritisierte der Abg. Lippmann die Antwort der Landesregierung. Er vertrat die Auffassung, dass erstens die erbete

nen Sachverhalte im Zuge einer Schulabfrage ohne großen Aufwand im Rahmen der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit von einem Monat vom Bildungsministerium zu ermitteln wären, zweitens der Aufwand für die Schulen zumutbar sei und drittens die Antwort des Ministeriums für Bildung die Rechte nach Artikel 53 Abs. 2 der Landesverfassung sowie nach § 43 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Landtages verletzen würde.

In meinem Antwortschreiben an die verehrte Frau Landtagspräsidentin habe ich darauf verwiesen, dass auch dann, wenn nur die Schuljahresendnoten betrachtet würden, an 871 öffentlichen und freien Schulen insgesamt 195 925 Schülerakten händisch ausgewertet werden müssten. Die nachträgliche Erhebung in allen Klassen und Lerngruppen aller Schulformen wäre im laufenden Schulbetrieb mit einem unverhältnismäßig hohen Personalaufwand verbunden. Mit Bezug auf die angespannte Situation in der Unterrichtsversorgung und die damit verbundene hohe Arbeitsbelastung der Lehrkräfte und Schulleitungen sowie des Landesschulamtes habe ich deshalb von einer schulscharfen Abfrage abgesehen.

In meiner Entscheidung hatte ich auch den Beschluss des Landtages vom 28. Februar 2019 mit dem Titel „Eingriffe in Unterrichtsversorgung und Ausbildung zurücknehmen“ im Blick. Unter Nr. 1 dieses Beschlusses des Hohen Hauses wird die Landesregierung aufgefordert, den bürokratischen Aufwand für die Lehrkräfte und Schulleitungen zu reduzieren und Maßnahmen zur Entlastung einzuleiten.

Hierzu hatte ich eine Arbeitsgruppe unter Leitung meiner Staatssekretärin und unter Einbeziehung unter anderem der GEW, des Schulleiterverbandes und des Philologenverbandes eingesetzt, die im Ergebnis ihrer Arbeit dem Bildungsausschuss einen Tätigkeitsbericht vorlegen konnte.

Herr Lippmann sah diesen Verwaltungsaufwand nicht und legte Klage beim Landesverfassungsgericht ein.

Meine Damen und Herren! Das ist die Vorgeschichte zu diesem Landtagsantrag. Im nun vorliegenden Landtagsantrag geht es nicht um die Erfassung bereits erteilter bzw. nicht erteilter Noten, sondern um die künftige Erfassung einschließlich Berichterstattung gegenüber dem Bildungsausschuss. Er knüpft damit nahtlos an die Kleine Anfrage an.

Was im Kern wollen Sie, Kollege Lippmann? - Sie wollen eine zusätzliche Datenerfassung durch die Schulen auf parlamentarischem Wege erzwingen, weil Sie glauben, hier eine Lücke im Datensystem identifiziert zu haben. Das ist aber nicht so.

Wir haben im Landesschulamt und im Ministerium für Bildung Statistiken zur Unterrichtsversorgung, die unter anderem auch Auskunft über die Situation jeder einzelnen Schule geben. Damit können wir genau die - Zitat - Schwachstellen identifizieren und, soweit möglich, auch beseitigen.

Was Sie wollen, ist eine zusätzliche Belastung der Schulen, was angesichts der angespannten personellen Situation in den Schulen nicht vermittelbar wäre.

Der Aufwand in den Schulen, zweimal im Jahr diese händische Erfassung vornehmen zu müssen, und gleichzeitig eine Neuprogrammierung des bestehenden Unterrichtsversorgungssystems in Auftrag zu geben, die zusätzliche, bisher nicht eingeplante Kosten verursacht, ist mit den von mir eingeleiteten Maßnahmen zur Entlastung von Schulleitungen und Lehrkräften nicht vereinbar.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Aus den genannten Gründen stelle ich mich vor meine Schulen, die mehr Respekt vor ihrer täglichen Arbeitsbelastung verdient haben. Ich brauche diese Beschäftigten für den Unterricht, nicht aber für das Bewältigen von neuem Verwaltungsaufwand.

Aus den genannten Gründen bin ich den drei Fraktionen sehr dankbar, dass dieser Antrag abgelehnt wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)