Protokoll der Sitzung vom 30.03.2020

Sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 98. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Zu den Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Herr Staats- und Kulturminister Rainer Robra ist am heutigen Tag aufgrund der Teilnahme an der turnusmäßigen Staatssekretärskonferenz sowie der täglich um 12 Uhr stattfindenden Telefonschaltkonferenz des Chefs des Bundeskanzleramts mit den Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder verhindert.

Zur Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 98. Sitzung liegt Ihnen vor. Gibt es Ihrerseits Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Also können wir nach der vorliegenden Tagesordnung verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich in die Tagesordnung einsteige, gestatten Sie mir, ein paar persönliche Worte an Sie sowie an unsere Bürgerinnen und Bürger zu richten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger am Livestream! Wir erleben in Deutschland, in Europa, ja, in der ganzen Welt eine der größten und wahrscheinlich die größte Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir befinden uns aber in keinem Kriegszustand.

Unsere Bedrohung, unsere Herausforderung ist mit bloßen Augen nicht sichtbar. Es ist auch kein Feind. Dennoch hat dieses winzige Stück Natur bereits überall unübersehbare katastrophale Folgen herbeigeführt und es ist sicherlich noch nicht zu Ende.

Meine Damen und Herren! Es ist eine Zeit der harten Einschränkungen. Es ist eine Zeit der ausgeprägten Unsicherheit. Es ist eine Zeit großer Sorgen. Und es ist eine Zeit der zum Teil unbändigen Angst.

Wir fühlen mit den Chinesen, Südkoreanern, Italienern und Spaniern, die geliebte Menschen verloren haben und in manchen Regionen nicht mehr ein noch aus wissen. Ich hoffe sehr, dass die Europäer und auch wir Deutsche bereit sein werden, jenen Regionen zu helfen, die es besonders hart getroffen hat. Wir sind reich. Wir sollten jetzt solidarisch teilen. Wozu sonst ist Europa gegen die nationalen Egoismen vereint worden?

Zeiten wie diese kehren das Innerste unserer Persönlichkeiten nach außen. In unserer Gesellschaft des oft so kühlen, egoistischen Pragmatismus bringt die Pandemie zahllose Beispiele echter Nächstenliebe, zwischenmenschlichen Respekts und beispielloser Solidarität hervor. Darauf bin ich sehr stolz.

Natürlich nehmen wir auch diejenigen wahr, denen es aus Angst oder aus Eigennutz nur um sich selbst zu gehen scheint. Das Hamstern vieler Pakete Toilettenpapier ist zum traurigen Symbol dieses ungehemmten Egoismus geworden. Halten Sie bitte inne! Nehmen Sie sich etwas zurück! Es muss und wird für alle reichen.

Meine Damen und Herren! Unser aller Leben ist aus der Balance geraten. Nach allem, was wir wissen, musste es durch unseren Staat, durch seine Verantwortungsträger hart und entschlossen aus der Balance gebracht werden, um Leben zu retten und um Menschen zu schützen. Mit diesen Maßnahmen gehen für uns alle unbekannte Risiken einher. Wir können nichts anderes tun, als zu vertrauen und beieinanderzubleiben.

Auch wir Mitglieder des Hohen Hauses nehmen unsere Verantwortung voller persönlicher Sorgen und auch Ängste wahr. Wir sind uns bewusst, dass wir als einziges direkt durch die Bürgerinnen und Bürger legitimiertes Verfassungsorgan im Zentrum unseres demokratischen Staates stehen.

Dies überträgt uns gerade in Krisen wie dieser eine besondere Verantwortung, die Exekutive das Notwendige tun zu lassen, aber nicht, ohne zu fragen, was insbesondere der zivilisatorische, der freiheitliche Preis ist, um zu entscheiden, ob wir es verantworten wollen, ihn zu zahlen.

Dazu aber müssen wir selbst in allen Krisenzeiten handlungsfähig bleiben. Im Moment ist dies der Fall. Wir müssen uns wappnen, damit dieser Zustand endlich sein kann. Regelungen hierfür haben wir leider nicht. Wir müssen sie finden, bevor es nottut, und darüber unbedingt im Gespräch bleiben und bald entscheiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zum Schluss möchte ich auch in Ihrer aller Namen allen Frauen und Männern danken, die den Laden überall dort am Laufen halten, wo er unbedingt laufen muss. Ich denke an die Universitätskliniken, an die Krankenhäuser, an Pflegeheime, an Arztpraxen, an Supermärkte, an Einsatzkräfte, an die Krisenstäbe und an die Kommunen. All diesen mutigen, zum Teil selbstlos schuftenden Männern und Frauen sagen wir aufrichtig Danke.

(Die Mitglieder des Landtags und die der Landesregierung halten Plakate mit der Aufschrift „Danke“ hoch)

- Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich denke, das ist ein wichtiges Signal, damit auch die Menschen draußen wissen, dass wir stets bei ihnen sind und dass wir immer ihre Interessen vertreten werden.

Wir steigen nun in die vorliegende Tagesordnung ein, und zwar haben wir zwei Tagesordnungspunkte auf unserer Tagesordnung. Der erste Tagesordnungspunkt untergliedert sich in die Unterpunkte a) und b).

Wir beginnen mit

Tagesordnungspunkt 1

a) Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020/2021 (Nachtrags- haushaltsgesetz 2020/2021)

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 7/5920

Entschließungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5936

Entschließungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5937

Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5928

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid

Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5929

Entwurf eines Gesetzes zur Verschiebung der Personalratswahlen 2020, zur Änderung des Gesetzes über die Verkündung von Verordnungen und zur Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes SachsenAnhalt

Gesetzentwurf Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/5933

b) Beratung

Klare Regelungen für den Arbeitsschutz und Arbeitnehmer*innenrechte

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5932

Im Ältestenrat wurde vereinbart, die genannten Initiativen in verbundener Debatte zu behandeln, wobei keine gesonderte Einbringung erfolgt. Die

Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Auch die Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten Herrn Dr. Haseloff, wird eine Redezeit von 15 Minuten erhalten.

Für die Landesregierung hat jetzt der Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff das Wort. Sie haben das Wort, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Landtages! Wir befinden uns in einer der schwersten Krisen der jüngeren Zeit. Das Coronavirus breitet sich in Deutschland rasant aus. Die Lage ist sehr ernst. In Sachsen-Anhalt sind von derzeit 635 Fällen 53 hospitalisiert, aber 137 Personen sind allem Anschein nach wieder gesund.

In Jessen hat sich seit Donnerstag die Lage dramatisch zugespitzt. Die Ortsteile Schweinitz und Jessen wurden unter Quarantäne gestellt. Nichts ist mehr so, wie es einmal war.

Deutschland befindet sich in einem existenziellen Ausnahmezustand. Das öffentliche Leben ist sehr stark eingeschränkt. Die Pandemie wirkt sich auf die Bewegungsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes aus. Die erlassenen Restriktionen stellen viele Menschen vor große Herausforderungen, aber klare Regeln sind in dieser Lage unumgänglich.

Es geht um unser aller Gesundheit und um unser aller Leben. Daher appelliere ich nochmals an alle Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt: Halten sie Abstand! Schränken Sie Ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum ein! Und bleiben Sie zu Hause! Mehr denn je gilt: Meine Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit des anderen beginnt.

Krisensituationen erfordern besondere Verhaltensregeln. Deshalb hat die Landesregierung in enger Abstimmung mit dem Bund und den Kommunen im Land umfangreiche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen. Ich beschränke mich hier auf die Nennung der wichtigsten.

Bis einschließlich Sonntag, den 19. April, soll das öffentliche Leben in Sachsen-Anhalt weitgehend ruhen. Schulen und Kindertagesstätten bleiben bis dahin geschlossen. Gaststätten sind für den Publikumsverkehr zu schließen und das Öffnen von Ladengeschäften jeder Art ist verboten.

Zum Schutz besonders gefährdeter Gruppen sind die Besuchsregelungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen verschärft worden. Vor dem 19. April wird es keine Veränderung geben. Gegebenenfalls müssen wir diese Maßnahmen verlängern.

Des Weiteren haben wir Kontakteinschränkungen verordnet. Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur allein, mit einer weiteren nicht im Haushalt

lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes gestattet. Der Weg zu zwingend notwendiger Tätigkeit ist aber möglich.

Diese vorübergehenden Kontaktbeschränkungen treten mit Ablauf des 5. April 2020 außer Kraft. In dieser Woche werden wir aufgrund fachlicher Expertisen über eine Verlängerung der Kontaktsperre entscheiden.

Eines bleibt unbestritten: Die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahmen hängt von uns allen ab. Die angeordneten Maßnahmen werden wir, wenn es erforderlich ist, auch polizeilich durchsetzen, zumal erste Effekte erkennbar, aber noch nicht ausreichend sind.

Zur Bewältigung der Krise und deren weitreichenden Folgen bringt die Landesregierung heute einen Nachtragshaushalt ein. Er hat ein Volumen von 500 Millionen €. Diese setzen sich wie folgt zusammen:

Erstens. 141 Millionen € entstammen dem Restbetrag der Steuerschwankungsreserve.