Protokoll der Sitzung vom 19.05.2022

Sehr geehrte Damen und Herren! DIE LINKE hat in ihrem Antrag viele zahlenmäßige Vorschläge gemacht, um wie viel Euro oder Prozent die einzelnen Sozialleistungen ansteigen müssten, um Armut zu bekämpfen. Nicht eine Forderung dieses Antrags beinhaltet Ideen, wie wir Menschen in die Lage versetzen können, ihre Talente und Begabungen im Sinne der Ermutigung und Unterstützung ihrer Einkommensverhältnisse zu verbessern. Doch gerade das ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und der Schlüssel für Freiheit.

(Beifall bei der FDP)

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. Wir stimmen der Ausschussüberweisung zu. - Vielen Dank.

Warten Sie einmal, Herr Pott. Es gibt eine Frage von Frau von Angern. Möchten Sie diese beantworten?

Sehr gern.

Dann können Sie sie stellen. Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Pott, ich hatte vor einigen Jahren mit Ihrer Parteikollegin Frau Suding zu tun. Frau Suding hat bei mir einen gänzlich anderen Eindruck hinterlassen als Sie mit Ihren heutigen Ausführungen. Sie setzte sich für das sogenannte Kinderchancengeld ein. Sie sagte ganz klar, wenn Eltern überfordert sind, Leistungen in Anspruch zu nehmen, dann muss der Staat dafür sorgen, dass das Geld bei den Kindern ankommt. Sie wollte verschiedene Leistungen bündeln, ähnlich wie bei der Kindergrundsicherung, zusammengefasst unter: #Kindergeld2.0. An dem Namen halte ich mich jetzt nicht fest.

Alles das, was Sie heute gesagt haben, ist bei mir so angekommen, dass Kinder sich selbst ihrer Verantwortung bewusst werden müssen und sich selbst aus der Armut befreien müssen.

(Zuruf von der FDP)

Bei den Erwachsenen war mir das im Zusammenhang mit der FDP klar; bei den Kindern ist das für mich ein ganz neuer Weg. Mich würde interessieren, wie Sie sich das konkret mit der Selbstverantwortung von Kindern, aus der Armut herauszukommen, vorstellen.

Ein nächster Punkt. Sagen Sie doch bitte einmal ganz konkret: Was ist an unserem Antrag abenteuerlich?

(Zuruf von der AfD: Der Antragsteller!)

Sie haben das Wort, Herr Pott.

Der erste Punkt. Ich glaube, ich habe zum Thema Kindergrundsicherung auch in meiner Rede darauf aufmerksam gemacht, dass wir natürlich evaluieren und schauen wollen, wie wir bestimmte Dinge bündeln, entbürokratisieren und leichter zugänglich machen können. Ich glaube, dazu habe ich etwas gesagt.

Der zweite Punkt. Es geht darum, dass wir Kindern und Jugendlichen die Chance geben, sich aus dieser Armut zu befreien, und dass sie versuchen, sich unabhängig von staatlichen Förderungen zu machen. Denn es geht doch darum, dass - -

(Eva von Angern, DIE LINKE: Es geht um Kin- der, Herr Pott! Kinder von null bis 14!)

- Lassen Sie mich doch erst einmal ausreden. - Es geht doch darum, dass Kinder und Jugend- liche auch erfahren, was es heißt, sich selbst etwas aufzubauen, was es heißt, Erfolg zu haben, und was es heißt, Anerkennung zu bekommen. Das gelingt uns nicht, wenn wir immer nur sagen: immer nur mehr Geld, immer nur mehr Geld. Dass bestimmte staatliche Unterstützungen, darunter auch finanzielle Unterstützungen, notwendig sind, habe ich gar nicht bezweifelt. Es ist doch die Frage, ob wir jetzt einfach nur sagen, wir packen überall mehr Geld drauf. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

Vielmehr müssen wir dahin kommen, dass junge Menschen motiviert werden, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und sich selbst etwas aufzubauen. Darum geht es.

Die dritte Frage habe ich jetzt vergessen. Wenn Sie diese noch einmal ganz kurz - -

(Kathrin Tarricone, FDP: Abenteuerlich!)

- Abenteuerlich. - Ich glaube, dazu habe ich auch gerade ein bisschen ausgeführt. Alles muss auch finanziert werden. Ich glaube, es ist nicht der richtige Weg, wenn wir gerade diejenigen Generationen, die wir unterstützen wollen, finanziell einschränken, indem sie nämlich in Zukunft mit dem Landeshaushalt selbst nicht mehr die Möglichkeit haben, Dinge zu gestalten. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg, sondern es gehört auch dazu, dass wir eine generationengerechte Finanzpolitik betreiben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Nun können wir fortfahren in der Debatte der Fraktionen. Für die Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Sziborra-Seidlitz. - Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Fraktion DIE LINKE! Ja, Armut ist hierzulande seit Langem ein drängendes Problem - angesichts der aktuellen Preisentwicklung so drängend wie lange nicht mehr. Erst in der vorigen Woche war ein eindringlicher Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen, der die Situation einer fünfköpfigen Familie schildert. Das möchte ich hier einmal wiedergeben.

Der Vater bezieht eine niedrige Erwerbsminderungsrente aufgrund eines Herzleidens. Die Mutter arbeitet in Teilzeit in der Pflege; gesundheitlich schafft sie nicht mehr. Zwei der jugendlichen Kinder gehen noch zur Schule. Das dritte Kind befindet sich in der Ausbildung. Die Familie bezieht aufstockend Hartz IV. Unter welchen

Bedingungen lebt diese Familie aktuell? - Das Geld reicht nicht einmal mehr für ausreichendes Essen bis zum Monatsende. In Discountern werden nur noch die reduzierten Lebensmittel gekauft. Dennoch ist am Ende des Geldes noch ein bisschen Monat übrig. Daher ist mittlerweile am Monatsende häufig der Gang zur „Tafel“ notwendig. Auch wenn der Vater von seiner eigenen Scham spricht, dorthin zu gehen, so sollte nicht er sich schämen, sondern - wenn überhaupt - der deutsche Sozialstaat.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Die Hartz-IV-Regelsätze sind insbesondere für Heranwachsende seit Langem deutlich zu niedrig. Angesichts der Inflation reichen sie jetzt hinten und vorn nicht.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Aber die neue Bundesregierung handelt. Von Armut betroffene Kinder und Jugendliche erhalten ab Juli einen monatlichen Sofortzuschlag in Höhe von 20 €. Auch punktuelle Einmalhilfen erfolgen. Erwachsene, die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme bekommen - die Ministerin hat es vorhin erwähnt -, erhalten eine Einmalzahlung in Höhe von 200 €. Darüber hinaus erhalten alle Beziehenden von Arbeitslosengeld eine Einmalzahlung in Höhe von 100 €. Für jedes Kind erhalten Familien einen Einmalbonus in Höhe von 100 €. Die im Zeitungsartikel erwähnte Familie erhält also Einmalzahlungen in Höhe von 600 € und ab Juli mehr Leistungen in Höhe von 40 € für ihre beiden jüngsten Kinder.

Das ist eine Sozialpolitik, die ihren Namen verdient. Dafür braucht es eben auch GRÜNE in der Bundesregierung. Der Partei BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN ist z. B. auch zu verdanken, dass das Sanktionsmoratorium im Bereich des SGB II bis Mitte 2023 verlängert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das mussten sich meine Parteifreunde auf der Bundesebene gegen die SPD und die FDP erkämpfen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hat. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie die Lage aussähe, hätten wir weiterhin eine CDU-Bundesregierung, möglicherweise noch ohne grüne Beteiligung.

Die geplanten strukturellen und damit nachhaltigen Verbesserungen im Bund haben Sie, verehrte LINKE, dankenswerterweise bereits ebenfalls genannt: Kindergrundsicherung, Bürgergeld, Mindestlohnerhöhung. Das ist unser Dreiklang für wirklich gerechte Sozialpolitik, die mit der Armutsbekämpfung endlich ernst macht, die Teilhabe garantiert und das stigmatisierende Hartz-IV-System überwindet. Das alles wurde vereinbart und wird auch kommen.

Ja, Sie nennen in Ihrem Antrag noch viele weitere Forderungen. Neben direkter finanzieller Unterstützung nennen Sie auch sogenannte ökologische, pädagogische und sozialpolitische Interventionen wie Housing First, Beratungsangebote für junge Menschen und Familien und noch vieles mehr. Dieser Antrag ist wirklich eine Fleißarbeit; Respekt dafür. Aber ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was Sie sich davon gerade parlamentarisch versprechen. Denn ich frage mich, ehrlich gesagt, wie wir im zuständigen Ausschuss mit diesem umfangreichen Paket umgehen sollen. Ein Fachgespräch ergibt dabei im Grunde gar keinen Sinn; es würde den inhalt- lichen Rahmen absolut sprechen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Wir können ja mehr machen!)

Das wäre wirklich schade; denn etwa das Konzept Housing First finde ich sehr relevant und sehr spannend. Hierzu würde ich gern in den fachlichen Austausch treten und z. B. Kommunen wie Magdeburg anhören, die sich diesbezüglich bereits auf den Weg gemacht haben. Doch dieses und andere Themen würden mög-

licherweise hinten herunterfallen, wenn wir den gesamten Antrag behandeln.

Ich habe etwas Hoffnung, dass wir in den Ausschüssen eine Reihe von Fachgesprächen ansetzen, um der Themenbreite gerecht zu werden. Ähnlich verfahren wir gerade im Bildungsausschuss mit einem vergleichbar breit gefassten und umfangreichen Antrag. Mal sehen, ob uns das auch im Sozialausschuss so gelingt. Denn bei diesem Antrag würde ich mir das wirklich wünschen.

Bei diesem Antrag würde ich allerdings auch die Floskel der regierungstragenden Fraktionen absolut gelten lassen, die es bei der Verschiebung von Tagesordnungspunkten immer gibt: Wir haben noch Beratungsbedarf. Insofern lassen Sie uns möglichst zeitnah einen Plan machen, wie wir diesen Beratungsbedarf, möglicherweise gestückelt, abdecken können.

Aber ich lasse mich natürlich gern überraschen. Lassen Sie uns konstruktiv beraten. Vielleicht gelingt uns ja eine gewinnbringende Ausschussbefassung. An uns soll es an dieser Stelle nicht scheitern. Ich bin gespannt. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke. - Ich sehe auch hierzu keine Fragen. Deswegen können wir fortfahren. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Gensecke. - Bitte sehr. Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Fraktion DIE LINKE richtet den Blick auf Armut, auf Kinderarmut. Ja, das ist eine Situation, die auch meine Partei nicht länger hinnehmen will.

(Zuruf von der AfD: Oh!)

Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz sozialdemokratisch geführt wird. Denn nun werden längst notwendige Reformen umgesetzt.

(Beifall bei der SPD - Markus Kurze, CDU: Was?)

Ja, es gibt Kinderarmut im Land. Armut bedeutet wenig Geld. Wenig Geld bedeutet oft: kein Sportverein, keine Musikschule, aber auch kein familiärer Ausflug. Armut heißt, sich einzuschränken und immer zu überlegen, was geht und was nicht geht. Armut heißt, zwischen dem Kauf von neuen Schuhen oder dem Bezahlen der überfälligen Stromrechnung abzuwägen. Das Budget ist eng, sodass unerwartete Ausgaben, z. B. wenn eine Waschmaschine kaputt geht, nicht aus Rücklagen geleistet werden können. Eltern dürfen aber wegen ihrer Kinder nicht arm werden. Denn jedes Kind muss in unserem Land gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten erhalten. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und schon gar keine kleinen Arbeitslosen.