Protokoll der Sitzung vom 15.12.2022

Zweitens. Die Passersatzbeschaffung für Indien, für Benin, für Guinea-Bissau für Burkina-Faso, für den Irak und für Niger, um nur die zahlen- mäßig besonders wichtigen Herkunftsländer für

Sachsen-Anhalt zu nennen, führt zentralisiert der Bund durch. Die Länder sind hierfür nicht zuständig.

Das Ergebnis der Passbeschaffung durch den Bund für diese vorgenannten Herkunftsländer mit zusammen mehr als 2 450 Ausreisepflichtigen allein in Sachsen-Anhalt ist null. Es wurde im Jahr 2022 bislang kein einziges Passersatz- papier durch den Bund erlangt, sodass keine Abschiebungen in diese Staaten möglich waren.

Drittens. Gestern habe ich darauf hingewiesen, dass Dublin-Rücküberstellungen in bestimmte EU-Mitgliedstaaten wie insbesondere Griechenland, Ungarn, Bulgarien und Italien unter anderem wegen bürokratischer Hindernisse nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich sind. Gestern hat uns das Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr darüber informiert, dass Italien seit dem 6. Dezember Dublin-Überstellungen auf unbestimmte Zeit aussetzt. Damit sind DublinÜberstellungen nach Italien bis auf Weiteres unmöglich.

Für Dublin-Verfahren ist der Bund zuständig. Die Länder leisten lediglich Vollzugshilfe. Das ist die Realität. Deshalb fordert Sachsen-Anhalt vom Bund, die Rückkehrkooperation der Herkunftsländer und in der Europäischen Union deutlich zu verbessern. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Frau Zieschang. - Für die SPD spricht Frau Richter-Airijoki.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Niemand will sie haben.

(Zuruf)

So kommentierte der „Völkische Beobachter“ im Juli 1938 hämisch das Resultat der interna- tionalen Flüchtlingskonferenz von Évian, bei der es um die Aufnahme einiger Hunderttausend Jüdinnen und Juden ging.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Zuruf von der AfD)

Das Asylrecht ist in unserem Grundgesetz verankert.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch überhaupt nicht zum Thema!)

Also: Das Asylrecht ist in unserem Grundgesetz verankert!

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Unruhe bei der AfD)

Darin schlug sich die entsetzliche Erkenntnis nieder, wie fatal es sich auswirkt, wenn verfolgte Menschen keinen Aufnahmeort finden. Die Befürchtung, Geflüchtete könnten zu Fürsorgeempfängern werden, war damals in Évian für viele Staaten einer der wichtigsten Gründe, ihnen die Aufnahme zu verweigern.

Hinzu kamen mehr oder weniger subtile Ressentiments und die damals florierende Eugenik mit Vorstellungen über angeborene Eigenschaften und besondere Gefährlichkeit bestimmter Menschengruppen, die heute teilweise wieder ein Revival feiern. Der australische Delegierte sagte damals mit frappierender Offenheit: „Man wird zweifellos verstehen, dass wir, die wir kein wirkliches Rassenproblem haben, auch nicht wünschen, ein solches bei uns einzuführen.“

(Christian Hecht, AfD: Dann sollen sie doch alle nach Australien!)

Verschlossene Grenzen, herumirrende Flüchtlingsschiffe, Schulterzucken - diese Reaktion reichte viel weiter. Aber in Évian kam sie am konzentriertesten zum Ausdruck. Gleichzeitig stimmt natürlich auch, was Herr Kosmehl gestern sagte. Viele Überlebende der Verfolgung verdanken ihr Leben der Tatsache, dass sie Aufnahme in freien Ländern gefunden haben. Auch die aufnehmenden Länder verdanken ihnen viel.

(Lachen bei der AfD)

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben vorausgesehen, dass das Asylrecht eine starke Verankerung braucht. Menschliche Reflexe wie die Sorge, materielle Güter teilen zu müssen, und Vorbehalte gegenüber Menschen aus anderen Kulturen können sehr durchschlagend sein, wenn nicht bewusst ethische und rechtliche Grundlagen der Hilfsbereitschaft und des wohlverstandenen Eigeninteresses gestärkt werden.

Letzteres, das wohlverstandene Eigeninteresse, schlägt sich nieder in der seit dem Jahr 2020 bestehenden, an klar definierte Bedingungen geknüpften Möglichkeit zum „Spurwechsel“ zwischen Geflüchtetenstatus und Arbeitsmigration sowie in dem neuen Chancen-Aufenthaltsrecht. Gerade auch bei uns in Sachsen-Anhalt mit unseren demografischen Problemen und dem besonders ausgeprägten Arbeitskräftemangel ist das eine wichtige Chance.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Der vorliegende Antrag kommt mir vor wie mit dem Wasser von Évian getauft.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Oh! bei der AfD)

Die Begriffe „alimentieren“ und „kulturfremd“ sowie der Vergleich mit Einbrechern greifen genau dieselben Bilder auf,

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das ist eine Tatsachenbeschreibung!)

diese von der damaligen Eugenik geprägten Bilder.

Der schriftliche Antrag erwähnt auch wieder Japan als vermeintliches Vorbild beim Thema Migration. Das hören wir nicht zum ersten Mal von der AfD. Ja, es ist bekannt: Seit Jahren geht Japan hart gegen Flüchtlinge vor. Man kann lernen, wie man es nicht machen soll.

(Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das ist ein demo- kratisches Land!)

Die grausamen Zustände in Abschiebegefängnissen fordern immer wieder Menschenleben. Gleichzeitig wurde die Abschottung jetzt aufgegeben.

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Denn man braucht einfach aufgrund der veränderten Altersstruktur die Arbeitskräfte in Japan. Man führt geradezu eine Charmeoffensive durch, um sie anzuwerben.

(Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das ist auch Un- fug! - Zuruf von der AfD: Sie haben überhaupt keine Ahnung!)

Kein Zweifel: Das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, UNHCR, leistet sehr wichtige Arbeit. Ich kenne sie unter anderem aus Kenia, aus den dortigen Flüchtlingslagern. Denn die weitaus meisten Geflüchteten weltweit werden von Nachbarländern aufgenommen. Das UNHCR unterstützt auch bei Resettlement, Integration und freiwilliger Rückkehr. Schon jetzt ist das Bundesentwicklungs- ministerium, BMZ, einer seiner wichtigsten Partner.

Sie rennen natürlich offene Türen bei mir ein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, wenn Sie sich für mehr Entwicklungshilfe einsetzen. Ja, gut so, aber bitte nicht als Feigenblatt für einen offensiven Abschiebeüberbietungswettbewerb,

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Doch, der ist nötig!)

der allzu oft gerade auch gut integrierte Menschen trifft.

Danke. - Ich glaube, das war ein gutes Schlusswort.

Der Schutz der Außengrenzen ist Gegenstand gemeinsamer

(Tobias Rausch, AfD: Redezeitüberschrei- tung!)

menschenrechtsorientierter EU-Politik. - Ich bitte um Ablehnung des Antrages.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Frau Richter-Airijoki, Herr Tillschneider möchte Ihnen eine Frage stellen.

Ich habe eine Frage. Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, dass das Asylrecht natürlich vor dem

Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus verstanden werden muss. Dazu bekennen wir uns auch ohne Abstriche, klar.

(Oh! bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Das Asylrecht ist für solche politischen Aktivisten gemacht wie diejenigen, die im Widerstand waren, die den Nationalsozialismus bekämpft haben. Sie hatten ihre Ideen, für die sie gekämpft haben. Sie mussten Deutschland verlassen und haben dann Aufnahme gefunden; alles gut. Das ist die Grundlage, auf der wir stehen.

Aber was haben diese Fälle gemeinsam mit den Söhnen afrikanischer Familien, die mitbekommen haben, dass es sich in Europa besser leben lässt, und die sich dann auf den Weg machen, um hier ein besseres Leben zu genießen? Was hat das miteinander gemeinsam? - Gar nichts mehr. Dann muss man wirklich die Gesetzes- anwendung überdenken.

(Beifall bei der AfD - Guido Kosmehl, FDP: Der stellt auch keinen erfolgreichen Asylantrag! - Unruhe bei der AfD)

Herr Dr. Tillschneider, Sie können mir glauben, dass ich die Verhältnisse in afrikanischen und asiatischen Ländern, in Herkunftsländern von Flüchtlingen wirklich gut kenne, aus eigener Erfahrung. Ich kenne die Gründe, die dazu führen, dass Flüchtlinge herkommen, etwa wegen politischer Verfolgung. Das sind einfach ganz andere Kategorien, als wir sie hier kennen.