Protokoll der Sitzung vom 26.01.2023

Wir hatten ja versucht, im Bildungsausschuss darüber zu sprechen. Dort sind wir zurück- gewiesen worden mit dem Hinweis, man wolle der Kommission nicht vorgreifen. Das habe ich akzeptiert. Jetzt macht es die CDU aber gerade. Wozu brauchen wir dann diese Expertenkommission, wenn wir ihre Arbeit, jedenfalls aus meiner Sicht, nicht ernst nehmen?

Die zweite Frage ist: In dem Prozess der Meinungsbildung bei der CDU und bei Ihnen im Hause: Werden Sie etwas auf den Tisch legen, das mit den Erfahrungen aus den sechs Jahren - ich meine, zwischen 2007 und 2013 - zu tun hat, in denen wir bereits eine verbindliche Schullaufbahnempfehlung hatten, und

etwas zu den Gründen, weshalb sie damals abgeschafft worden ist? Es ist ja nicht neu; es ist ein Rollback einer alten Geschichte. Ich frage mich echt, wozu.

Die Expertenkommission hat ja nicht nur den einen Auftrag, sich mit den Übergängen zwischen den Schulformen auseinanderzusetzen. Man kann im Koalitionsvertrag nachlesen, welche Aufgaben wir der Expertenkommission übertragen haben. Das ist ein Punkt. Natürlich wird auch die Meinung der Expertenkommission hierbei mit einfließen. Aber ich gestehe jeder einzelnen Fraktion im Landtag zu, dass sie auch eine eigene Meinung hat. Die kann man sicherlich auch diskutieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Darüber hinaus werden wir natürlich versuchen, das irgendwie zu einen; davon gehe ich jetzt einmal aus.

Zur zweiten Frage. Sie sprachen an, dass wir schon einmal eine verbindliche Schullaufbahnempfehlung in den Schuljahrgängen von 2007/ 2008 bis 2013/2014 hatten. Das ist richtig. Sie sprachen auch an - ich habe Ihre Pressemitteilung neulich aufmerksam gelesen -, dass wir damals sogar eine höhere Übergangsquote gehabt hätten. Herr Lippmann, da widersprechen Sie sich jetzt total. Sie kritisieren uns ständig, dass unsere Abiturquote zu niedrig ist. Wenn Sie diese für zu niedrig halten, müssten Sie jetzt absolut für die verbindliche Schullaufbahnempfehlung sein, weil da die Abiturquote höher war. Das passt irgendwie nicht zusammen. Sie sagen, eigentlich bringt die verbindliche Schullaufbahnempfehlung nichts, und auf der anderen Seite sagen Sie, aber als wir sie hatten, waren die Übergänge sogar noch höher.

Versuchen Sie einmal, Ihr Bild in sich etwas zu schärfen, weil an der Stelle, glaube ich, ein großer Widerspruch in sich besteht.

Danke. - Als Nächste Frau Lüddemann, bitte.

Danke, Herr Präsident. - Frau Feußner, seit gefühlt Jahrzehnten reden wir über die Schullaufbahnempfehlung. Soll sie verbindlich sein? Soll sie nicht verbindlich sein? Welches Argument ist höher zu gewichten, das der Eltern, das der Lehrer? Sie kennen die Debatte noch länger als ich. Wäre es aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, dass man in diesem Land längeres gemeinsames Lernen zum Standard macht,

(Zurufe von der CDU und von der AfD)

sodass man nicht schon nach der 4. Klasse selektiert und diese Diskussion führt, sondern die Kinder länger gemeinsam zu einem für alle höheren Bildungsabschluss führt?

Frau Lüddemann, hierbei sollten wir über den Tellerrand schauen. Wir haben innerhalb der Bundesrepublik unterschiedliche Modelle, wir haben innerhalb Europas und in der ganzen Welt unterschiedliche Modelle. Das sollte man sich alles genau anschauen. Aber ich bleibe einmal in Deutschland: Wir haben Systeme, in denen länger gemeinsam gelernt wird. Dort ist die Erfolgsquote aber nicht wesentlich höher als bei uns. Das heißt, wir müssen uns genau anschauen, was wir im Ergebnis haben wollen.

Ich war gestern bei einer Veranstaltung. Dort sagte man mir, Frau Feußner, schaffen Sie doch den unsäglichen gemeinsamen Unterricht ab. Das ist nicht mehr leistbar. Wir können die Schüler nicht in ausreichendem Maße fördern. Das hängt natürlich teilweise mit dem Personal zusammen, und teilweise ist das eine sehr hohe Herausforderung für die Lehrkräfte.

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

- Sie können sich gern melden, Herr Lange. - In manchen Klassen müssen sie sechs, sieben, acht unterschiedliche Vorbereitungen machen, sechs, sieben, acht unterschiedliche Klassen- arbeiten.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist ein so erheblicher Aufwand für die Lehrkräfte, und wir reden immer von Entlastung. Für die, die mir das gestern vorgetragen haben, wäre das zumindest ein gewisser Teil, weil sie sagen - jetzt geht es um die Schülerinnen und Schüler -, wir können uns nicht intensiv genug mit den Schülern auseinandersetzen und sie nicht in aus- reichendem Maße fördern, und das tut uns weh.

Es gibt also ganz unterschiedliche Modelle. Ich bin bereit, über alles zu diskutieren, aber ich will noch auf eine weitere Hürde hin- weisen, auf die Schulentwicklungsplanung. Hier haben wir sowieso immer unterschiedliche Tendenzen, auch in den Regionen. Jede Schule soll erhalten bleiben. Wir müssten ein vollkommen neues System aufbauen, weil nicht alle Sekundarschüler in die Gymnasien passen und umgekehrt. Wir haben nicht die Schulgebäude. Das heißt, wenn man ein solches Konstrukt tatsächlich andenkt, müssten so viele Veränderungen - -

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Wenn alles Gemeinschaftsschulen sind?)

Wenn Sie mir einmal den klaren Unterschied einer Gemeinschaftsschule zu einer Sekundarschule darlegen würden - das müssen Sie heute hier nicht machen -, da gibt es keine wesentlichen Unterschiede.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Es ist der Name, mehr ist es nicht.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Was?!)

Das ist genau das Problem. Wir können der Schulform gerne einen anderen Namen geben, aber damit haben wir das Problem nicht gelöst, Frau Lüddemann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gemeinschaftsschule heißt von Klasse 5 bis 10 bzw. auch bis 12 oder 13, sofern sie eine eigenständige gymnasiale Oberstufe entwickeln kann. Wir haben zurzeit keine einzige Gemeinschaftsschule, die aufgrund der Schülerzahlen eine eigenständige gymnasiale Oberstufe anbieten kann, weil sie nicht genügend Schüler haben.

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Die Schüler sind nicht da, und da haben wir schon ein großes Problem. Wir haben eine Schule in Halle, die das vielleicht erreichen wird, die bis zur gymnasialen Oberstufe kommt, die anderen haben so wenige Schülerinnen und Schüler, dass wir dort keine eigenständige gymnasiale Oberstufe installieren können.

Wenn man das will, müssen wir über viele Dinge reden, aber es muss auch Erfolg versprechend sein

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und nicht nur, weil es ein anderer Name ist und man ideologisch damit mehr verbindet. Ich möchte, dass unsere Schülerinnen und Schüler mehr Erfolg haben, ich möchte, dass sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss verringert, und daran müssen wir zwingend arbeiten. Ob das eine andere Schulform hergibt, daran habe ich eher meine Zweifel.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste Frage kommt von Frau Dr. Pähle.

Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich erinnere mich, dass auch die Gemeinschaftsschule in Wolmirstedt eine eigene Abiturstufe hatte und als Schule des Jahres ausgezeichnet wurde. Aber das sei dahingestellt.

Ich habe in der Diskussion, auch aus Ihren Argumenten, herausgehört, Abitur sollen nur die machen, die dazu in der Lage sind, die die Leistungen bringen, auch unter dem Aspekt, dass wir eigentlich Schülerinnen und Schüler brauchen, die die Sekundarschule besuchen, weil der Bedarf gerade im Handwerk und der Industrie für die duale Berufsausbildung so hoch ist.

Die Bertelsmann Stiftung hat vor einigen Tagen eine Studie herausgebracht, in der aufgelistet wird, was Abiturienten mit ihrem Abitur tun. Bundesweit ist es so, dass - so zumindest die Zahlen der Bertelsmann Stiftung - 47 % der Abiturienten in eine duale Ausbildung

münden. Deshalb meine Frage: Kann das Haus bitte einmal grundsätzlich darstellen, wie das für Sachsen-Anhalt aussieht, dem Land mit der geringsten Abiturientenquote bundesweit? Was passiert mit den Abiturienten in SachsenAnhalt? Wie bewerten Sie die Ergebnisse, wenn das Abitur nicht alle ins Studium zwingt, sondern auch den Raum für eine qualifizierte und gute duale Ausbildung ermöglicht?

Ich habe noch eine zweite Frage, Herr Präsident. Darf ich die gleich stellen?

Na klar.

Vielen Dank. - Wir haben das Denkmodell, wir wählen die Kinder besonders aus, um sie aufs Gymnasium zu schicken, auch unter dem Aspekt, dass sie das Abitur schaffen. Was bedeutet das für die Schulentwicklung an den Gymnasien? Welche Abiturienten- und Schülerzahl bedeutet es, und was bedeutet es für die Schulstruktur? Denn auch im letzten Jahr haben wir Diskussionen z. B. über das Gymnasium in Osterwieck geführt, auch über andere, die die Mindestschülerzahl nicht mehr aufrechterhalten können. Wenn wir jetzt den Zugang zu den Gymnasien noch weiter beschränken, wie entwickelt sich das vor dem Hintergrund, dass die Geburtenzahlen, soweit ich weiß, von Jahr zu Jahr weiter zurückgehen? - Vielen Dank.

Frau Pähle, ich glaube, hier sind unterschiedliche Denkansätze vorhanden. Eine verbindliche Schullaufbahnempfehlung soll Schülerin-

nen und Schüler nicht davon abhalten, zum Gymnasium zu gehen,

(Dr. Katja Pähle, SPD: Das ist ja ein neuer An- satz! - Zurufe von der SPD, von der LINKEN und von den GRÜNEN)

sondern sie soll die Erfolgsquote erhöhen. Das ist, glaube ich, eine andere Vorgehens- oder Denkweise. Es geht darum, dass wir als Land Sachsen-Anhalt, insbesondere meine Person, das heißt, das Ministerium oder die Bildungspolitik im Allgemeinen, kritisiert wurden, dass wir doch relativ hohe Übergangsquoten zum Gymnasium haben, aber die Abiturquote in Bezug auf die Übergangsquote relativ gering ist. Das haben Sie eben richtig beschrieben. Wir haben eine relativ niedrige Abiturquote. Man muss, glaube ich, einmal näher beleuchten, warum das so ist.

Vielleicht - das sage ich ganz bewusst - sind auch Schülerinnen und Schüler dabei, die die kognitiven Fähigkeiten hätten, auf ein Gymnasium zu gehen, dies aber aus irgendwelchen Gründen nicht tun. Wenn es Eltern nicht wünschen - wir haben den Elternwillen -, kann man nichts dagegen machen, aber wenn wir eine bessere und objektiver bewertbare Übergangsmodalität finden würden, würde sich vielleicht das eine oder andere Elternteil entscheiden, das Kind zum Gymnasium zu schicken, oder sich das eine oder andere Elternteil, wenn die Erfolgsaussichten sehr gering sind, anders entscheiden. Es geht nicht darum, wie sich Schüler nach dem Abitur entscheiden.

Im Übrigen muss ich sagen, es war in der letzten Legislaturperiode eine sehr intensive Debatte, aber auch bis heute, dass wir Berufsorientierung zwingend auch am Gymnasium machen sollen. Dann muss man sich nicht

wundern, wenn sich ein Abiturient für eine Berufsausbildung entscheidet. Die Kammern freuen sich immer - ich schaue einmal, aber Herr Thomas Keindorf ist nicht da -, wenn sie Abiturienten für eine duale Berufsausbildung gewinnen können.

(Dr. Katja Pähle, SPD: Das ist ja auch okay!)

- Ja, das ist auch okay. - Aber wenn wir höhere Zugangsquoten zu den Universitäten und Hochschulen wollen, dann müssen wir eine andere Strategie fahren, weil wir vor Kurzem eingeführt haben, dass auch die Abiturienten dahin gehend beraten werden sollen, was im Bereich der beruflichen Bildung statt- findet, und nicht nur im Bereich der Hochschulbildung. Das verknüpft sich miteinander, dass der eine oder andere Abiturient sagt, ich will nur eine duale Ausbildung machen, weil es gerade einen Arbeitskräftemangel gibt und ich vielleicht gute Perspektiven im Handwerk und der Industrie habe, um dort meine Karriere zu machen.

Auf ein Letztes möchte ich auch noch aufmerksam machen, auf die Durchlässigkeit. Jede Schülerin, jeder Schüler hat die Möglichkeit, von der Sekundarschule an das Gymnasium zu wechseln und umgekehrt. Leider ist die Prozentzahl der umgekehrten Richtung wesentlich höher, dass viele Schülerinnen und Schüler gerade in der Einführungsphase wechseln und den Sekundarschulabschluss machen wollen. Es sind zwar nicht viele, aber es gibt sogar Schülerinnen und Schüler, die nicht einmal mehr den Hauptschulabschluss schaffen, weil sie durch die Entwicklung am Gymnasium, durch ständige Versagensängste, Schulbummelei und was alles hinzukommt, den Anschluss an Schule in Gänze verloren haben.