Protokoll der Sitzung vom 23.02.2023

Bei anderen Bleiberechtsregelungen, wie insbesondere bei der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung, ist es indessen richtigerweise so, dass der Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis nur möglich ist, wenn die geduldete Person zuvor alles ihr Mögliche und Zumutbare zur

Identitätsklärung getan hat. Das zeigt, dass mit dem neuen Chancen-Aufenthaltsrecht ein aufenthaltsrechtlicher Präzedenzfall geschaffen wird.

Nun ist es Aufgabe von Ländern und Kommunen, das in Kraft getretene Gesetz zu voll- ziehen. Dabei sind insbesondere die Ausländerbehörden gefordert, die über Anträge auf ein Chancen-Aufenthaltsrecht zu entscheiden haben.

Inhaber eines Chancen-Aufenthaltsrechts haben einen Anspruch auf Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II, daher geht mit der Titelerteilung auch ein Rechtskreiswechsel einher. Wenn die Voraussetzungen für einen Wechsel in einen Anschlussaufenthaltstitel nicht vorliegen, fallen Betroffene nach 18 Monaten wieder in den Duldungsstatus zurück. Damit ist ein erneuter Rechtskreiswechsel und die Ausstellung neuer aufenthaltsrechtlicher Dokumente verbunden. Damit werden die Leistungsbehörden und die Ausländerbehörden, die ohnehin schon stark gefordert sind, die Hauptlast des Gesetzesvollzugs zu tragen haben.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen mitteilen, dass die Ausländerbehörden in Sachsen-Anhalt im Monat Januar dieses Jahres 301 Anträge auf Erteilung einer Chancen-Aufenthaltserlaubnis entgegengenommen haben.

Danke, Frau Ministerin. Ich sehe keine Fragen. - Deswegen können wir in die Dreiminutendebatte der Fraktionen eintreten. Für die AfDFraktion spricht Herr Kirchner. - Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Zunächst muss ich - wir reden hier über den Antrag und über die Beschlussempfehlung - zu dem Antrag sagen: Wo immer migrationspolitisch eine Schweinerei ausgeheckt wird, sind die Roten mit dabei. Das muss man klar feststellen.

Zur Zeit der illegalen Zuwanderung sind sie eben die Völkerwanderungskomplizen. In der Coronapandemie waren sie die Coronakomplizen der Regierung. Bei der Kriegstreiberei sind sie die Kriegstreiberkomplizen. Ich muss ganz ehrlich sagen, selbst Bertolt Brecht würde diesen Antrag ablehnen, weil er Unrecht zu Recht beugt.

Man muss ehrlich sagen, wenn man sich diese Beschlussempfehlung anschaut, dann stellt man fest, sie ist rechtlich unsauber formuliert. Darin ist zu lesen:

„Der Landtag spricht sich dafür aus, denjenigen Menschen, die nicht straffällig geworden sind und die z. B. durch Spracherwerb, Arbeitsaufnahme und gesellschaftliches Engagement ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind, eine sichere Bleibeperspektive in Sachsen-Anhalt zu geben.“

Es stellt sich die Frage zum Spracherwerb: Welchen Spracherwerb meinen Sie - A1, A2, B1, B2, C1, C2? Das kann man daraus nicht erkennen? Arbeitsaufnahme. - Welche Arbeitsaufnahme meinen Sie - sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder geringfügige Beschäftigung? Was fällt für Sie unter die Formulierung „nicht straffällig geworden“? Welche Strafmaße sind dafür entscheidend? Das kann man hierin nicht erkennen.

Weiterhin ist zu lesen:

„Die Landesregierung wird gebeten, mitzuteilen: wie sie vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung mit Blick auf den Fachkräftebedarf sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Chancen von Schutzsuchenden, die jetzt in Deutschland leben, als künftige Fachkräfte, differenziert nach ihrem Aufenthaltsstatus, einschätzt.“

Dazu stellt sich auch die Frage: Wie genau wird differenziert? Zählen Geduldete oder auch abgelehnte Asylbewerber dazu? - Fragen über Fragen. Alles in allem ist das für mich mit der heißen Nadel gestrickt.

Deswegen bleibe ich angesichts des Zustands hier in Deutschland dabei. Wir haben 900 000 Migranten im Hartz-IV-Bezug, wir haben 300 000 Migranten, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, und wir haben jetzt noch mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge dazubekommen. Das sind mehr als zwei Millionen Menschen, die wir irgendwie finanzieren müssen. Diese Finanzierung bricht diesem Land irgendwann das Genick. Diese Beschlussempfehlung und auch der Antrag sind für mich auch ein ausgewiesener Schleuserweg zur illegalen Einreise. Den muss man schließen.

Wir brauchen eine effektive Abschiebeoffensive in Sachsen-Anhalt. Wir brauchen Sach- statt Geldleistungen und die Kopplung der Entwicklungshilfe an die Rücknahmebereitschaft. Das sind Sachen, die wir hier durchsetzen müssen. Die desaströsen Zustände in Deutschland können wir eben nur verhindern, wenn wir irgendwann einmal die Grenzen schließen und nur die Menschen hereinlassen, die sich auch ausweisen können. Wir dürfen hier nicht irgendwen hereinlassen, der keinen Pass dabei hat.

Mir sind die Zustände hier nicht gut genug, um diese Beschlussempfehlung oder diesen Antrag anzunehmen. Deswegen werden wir diesen Antrag so wie die Beschlussempfehlung ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Herr Erben. - Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kirchner, nach dem legendären Auftritt Ihres Vorgängers in Dresden wissen wir, dass auch in Ihren Kreisen Aschermittwochsreden gehalten werden. Das war sicherlich in Ansätzen jetzt eine. Lustig war sie nicht.

Es wird Sie nicht verwundern, dass ich das Chancen-Aufenthaltsrecht für die SPD-Fraktion deutlich positiver sehe, als es hier eben die Ministerin getan hat, weil das Chancen-Aufenthaltsrecht die gesellschaftliche Realität in unserem Lande anerkennt. Deswegen hat die Ampel in Berlin es geschaffen, weil wir damit mit der Realität der Jahre 2022 und 2023 in Deutschland umgehen.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Nicht umsonst steht der Begriff „Chance“ darin. Wer es nämlich nutzen will, muss diese Chance nutzen und sich dafür auch anstrengen. Das ist der rote Faden, der sich durch dieses ChancenAufenthaltsrecht zieht.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt schreibt in dem Sinne jetzt nur noch Geschichte nach.

Denn ich will daran erinnern: In dem eigentlichen Antrag der Fraktion DIE LINKE ging es durchaus um etwas anderes, nämlich um einen Vorgriff auf ein Chancen-Aufenthaltsrecht. Deswegen ist das hier tatsächlich nur noch Vergangenheitsbewältigung, wenn man es auf den eigentlichen Antrag zurückbringt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Weil Sie das ver- schleppt haben, Herr Kollege!)

- Herr Kollege Striegel! Soweit ich weiß, haben wir das Chancen-Aufenthaltsrecht in Berlin gemeinsam aufs Gleis gesetzt. Wenn wir dort gemeinsam vielleicht etwas schneller gewesen wären, dann hätten wir auch hier nicht über Vorgriffsregelungen diskutieren müssen und sie auch nicht vertagen müssen. - Herzlichen Dank.

Ich sehe keine Fragen. Es spricht Herr Striegel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. - Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Chancen-Aufenthaltsrecht bietet vielen Menschen in Deutschland eine echte Bleibeperspektive. Dass es ein Erfolg ist, darin bin ich mir mit dem Kollegen Erben nun wirklich einig. Das Bundesgesetz trat zum Jahreswechsel in Kraft. Als sich letztes Jahr abzeichnete, dass das Gesetz kommen würde und dann im Juni ein Referentenentwurf vor- lag, haben viele andere Bundesländer eine Vorgriffsregelung beschlossen, mit der sie von Abschiebungen von Personen, die ab diesem Jahr vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren könnten, absahen. Das war ein zutiefst

humaner Schritt, es war nach meiner Überzeugung menschlich geboten und es hätte eben auch im Interesse des Landes Sachsen-Anhalt selbst gelegen.

Der Bundesgesetzgeber hat mit dem ChancenAufenthaltsrecht gesetzliche Beschränkungen aufgehoben und Menschen weitere Rechte zuerkannt. Dass Sie bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes an der Abschiebepraxis festgehalten haben, hatte endgültige und fatale Konsequenzen für doch einige Betroffene. Es ist mir unverständlich, wie Sie diese Entscheidung verantworten konnten. Im Interesse unseres Landes war dieses Verhalten jedenfalls nicht. Denn auch aus Sachsen-Anhalt sind Menschen tatsächlich abgeschoben worden. Sie haben, werte Kolleginnen und Kollegen der CDU, damit auch Ihren Koalitionspartnern von der SPD und der FDP einiges zugemutet und eine wirkliche Chance für das Land vertan.

Bei der Einbringung des Antrages waren wir uns weitgehend einig. Wir sprachen uns für den Antrag der Linksfraktion aus. Herrn Erben und Frau Dr. Richter-Airijoki von der SPD sprach der Antrag - ich zitiere - aus dem Herzen. Auch Herr Kosmehl war sich sicher, dass etwas passieren sollte und auch etwas passieren würde. Passiert ist dann in Sachsen-Anhalt aber nichts; gar nichts. Ich kann mich an keine eingehende inhaltliche Debatte im Innenausschuss zu diesem Antrag erinnern. Er wurde mehrmals von der Tagesordnung abgesetzt und die Behandlung verschoben. Als das Bundesgesetz in Kraft trat und damit der Antrag obsolet geworden war, brachten die Koalitionsfraktionen schließlich die uns heute vorliegende Beschlussempfehlung ein. Ihr Inhalt ist die bloße Aufforderung, sich an Bundesrecht zu halten. Nun ja, ehrlich gesagt, bin ich davon ausgegangen, dass eine Landesregierung sich gesetzeskonform verhält.

Mir bleibt entsprechend zum Schluss nur übrig zu sagen: Alle hier - jedenfalls die demokratischen Fraktionen - beklagen unterschiedslos in jeder Fachdebatte den Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Ihnen ist bewusst, dass wir Einwanderung brauchen. Es ist nicht lange her, da hat der Landtag von Sachsen-Anhalt festgestellt, dass Sachsen-Anhalt ein Einwanderungsland ist. Wir benötigen aber keine Lippenbekenntnisse. Die Entscheidung von Menschen, sich dauerhaft in Sachsen-Anhalt niederzulassen, hängt elementar von dem Gefühl ab, hier auch willkommen zu sein. Das erreichen wir nicht, wenn die Landesregierung sich dafür feiert, wie viele Abschiebungen ihr im letzten Jahr auf den letzten Drücker noch gelungen sind. Das erreichen wir nur durch konkrete Verbesserungen der Lebensbedingungen. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Hen- riette Quade, DIE LINKE)

Herr Borgwardt steht schon in den Startlöchern, weil er der nächste Redner für die CDU-Fraktion ist. Er hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorredner gingen schon darauf ein: Zum 1. Januar, so habe ich es zumindest gelesen, trat dieses Gesetz des Bundes in Kraft. Geduldete, die zum Stichtag 1. Oktober 2022 fünf Jahre oder länger in Deutschland lebten, sollen gemeinsam mit ihren Angehörigen eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe bekommen. Innerhalb von 18 Monaten können Sie versuchen, die Voraussetzungen für ein

dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Dazu gehört, dass sie überwiegend selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, ausreichend Deutschkenntnisse haben und ihre Identität geklärt ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, meine Damen und Herren, dann soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Im Land Sachsen-Anhalt haben die Ausländerbehörden zum Stichtag Januar 2023 bereits 301 Anträge entgegengenommen.

Ich möchte Sie, nachdem ich einen sehr interessanten Artikel in der „Cicero“-Ausgabe für März 2023 gelesen habe, gern daran teil- haben lassen, indem ich auszugsweise Herrn Prof. Ruud Koopmans zitiere. Er ist Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Insbesondere angesichts der Diskussion heute Morgen, meine Damen und Herren, glaube ich, dass das auch eine Auffassung ist, der zumindest wir uns als CDU-Fraktion anschließen können. Ich zitiere:

Wir müssen weg von dem Prinzip, dass jeder, der einen Fuß auf europäischen Boden setzt und das Wort Asyl ausspricht, de facto auch ein Recht bekommt, zu bleiben. Man muss an dem Anspruch festhalten, dass jeder ein Recht auf ein Asylverfahren hat.

Dazu steht die CDU-Fraktion ausnahmslos auch.

Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass es ein Recht auf ein Asylverfahren in der Europäischen Union gibt.

Also, die Lösung wäre, nach Prof. Koopmans, dass man Abkommen mit Drittstaaten schließt, die wirklich helfen - nicht die, die wir zurzeit haben -, und die sich dazu bereit erklären, die Asylverfahren bei sich durchzuführen.

Das würde in der Praxis bedeuten - ich zitiere weiter -, dass jemand, der über das Mittelmeer kommt oder gerettet wird auf hoher See, einen Anspruch auf ein Asylverfahren hat, aber dieses Asylverfahren würde er etwa in Tunesien durchlaufen und nicht in Köln oder Berlin. Dann kann man - das zeigt das Beispiel der Erfahrungen aus Australien und mehreren anderen Ländern - davon ausgehen, dass sich dann auch nur noch sehr wenige Menschen oder weniger auf den Weg Richtung Europa machen würden.

Wir würden damit übrigens auch den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, weil die dann - ich zitiere weiter Herrn Prof. Koopmans - wissen, wenn sie nicht anerkannt werden, landen sie auch nicht in Deutschland, sondern bleiben in Tunesien.

So weit der Ansatz von Prof. Koopmans. Meine Damen und Herren! Das Bundesbundesgesetz gilt nun. Wir sind - meine Vorredner gingen darauf ein - selbstverständlich in der Frage durchaus gesetzeskonform, sehr geehrter Herr Striegel.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist beruhi- gend, dass die CDU gesetzestreu bleiben will!)

- Ja, ja. - Wir erinnern uns auch an einmal getroffene Zusagen. Das erkläre ich dann nachher gern noch einmal.

Herr Borgwardt! Ja, das können Sie erklären, aber nachher und nicht mehr jetzt.

Bei mir steht - -

Ihre Redezeit ist um.

Okay. Dann habe ich zumindest das Wesentliche ausgeführt.