Protokoll der Sitzung vom 23.03.2023

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Aber Herr Kirch- ner hat das gefordert!)

Und ich sehe dort oben auf den Rängen oder dort hinten auch keine Blaugardisten mit Pistole im Holster. - Sie anscheinend schon. Deshalb rate ich Ihnen: Suchen Sie sich professionelle Hilfe für ihre Wahrnehmungsstörungen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD - Olaf Meister, GRÜNE: Das Niveau ist ja unglaublich! - Un- ruhe)

Herr Tillschneider, ich versuche es noch einmal. Das Parlament ist die Herzkammer der Aus- einandersetzung in einer parlamentarischen Demokratie. Hier wollen wir diskutieren, hier sitzen durch Wahlen legitimierte Abgeordnete.

Was ich am Anfang gesagt habe - das würde ich auch jederzeit wiederholen - ist: Wenn Sie sich

die Protokolle der Reichstagssitzungen in den Jahren 1932 und 1933 anschauen und sie vergleichen mit Ihrem Agieren während der Parlamentsdebatten,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der AfD: Mit dem von Herrn Striegel! - Das geht an Herrn Striegel!)

dann merken Sie, dass Sie, Herr Büttner, in gleicher Weise den Parlamentsbetrieb stören, weil Sie kein Interesse an einer Parlaments- debatte haben,

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

weil Sie glauben - -

(Daniel Roi, AfD: Herr Kosmehl, das ist eine Frechheit! Hören Sie auf und setzen Sie sich hin, verdammt noch mal! Das ist doch nicht mehr normal, was Sie hier erzählen! - Sebas- tian Striegel, GRÜNE: Quod erat demonst- randum! - Zuruf von der AfD: Das verstehen Sie doch gar nicht! - Daniel Roi, AfD: Ich stehe auch dazu, weil es eine Frechheit ist, was Sie machen!)

- Herr Roi, versuchen Sie doch, sich inhaltlich mit mir auseinanderzusetzen, statt immer zu pöbeln. Das wäre schon mal ein großer Fortschritt.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber noch einmal: Ich habe das für mich festgestellt. Mir war das nicht bewusst. Wenn man die ganze Debatte liest, auch die Redebeiträge von der Zentrumspartei und anderen und sieht, wie oft sie unterbrochen wurden, dann stellt man eben fest, dass es offensichtlich Kräfte gibt - damals waren es die der NSDAP, heute ist es eben

eine andere Gruppierung -, die an einer Debatte kein Interesse haben.

(Lothar Waehler, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Und ich rede hier als Abgeordneter, der an parlamentarischen Auseinandersetzungen ein Interesse hat und nicht am gegenseitigen Niederbrüllen. - Vielen Dank.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch nicht nor- mal! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Mit wel- chem Recht geht der wieder ans Mikrofon?)

Der kann doch noch.

Nein! Nein, das stimmt nicht. Wir haben hier höchstes Interesse an Debatten. Wir haben noch nie auf Debattenbeiträge verzichtet.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

Sie verzichten ständig. Wir stellen uns der Auseinandersetzung.

(Beifall bei der AfD)

Und was Sie nicht verstehen: Wir pflegen einen lebendigen Debattenstil. Aber das ist Ausdruck lebendiger Demokratie. Sie können nicht vergleichen, wie die AfD heute spricht und wie die NSDAP damals im Reichstag gesprochen hat.

(Dr. Falko Grube, SPD, und Holger Hövel- mann, SPD: Doch!)

Zum einen hinkt der Vergleich, weil wir heute ganz anders sprechen. Zum anderen machen Sie

einen Fehler. Sie machen einen Fehler, einen Historikerfehler. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Sie müssen vergleichen, wie die NSDAP damals gesprochen hat und wie die Kommunisten und die Sozialdemokraten damals gesprochen haben. Der Debattenstil damals war ein ganz anderer. Sie können nicht über die Zeiten springen und das, was heute geschieht, mit dem von damals vergleichen. Das ergibt Nonsens. Das kann ich Ihnen gern einmal ausführlich erklären.

Man sagt, Björn Höcke spricht wie Goebbels oder wie Hitler. Das ist etwas, das oft gesagt wird. Das geht in die gleiche Richtung. Haben Sie sich schon einmal eine Kurt-Schumacher-Rede im Bundestag Ende der 1940er-Jahre/Anfang der 1950er-Jahre angehört? - Die hört sich genauso an wie eine Hitlerrede, weil das damals die deutsche Rhetorik war.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Also, wirklich!)

Also bitte ich Sie: Bleiben Sie sachlich

(Olaf Meister, GRÜNE: Also, das ist ja - - Schumacher und Hitler! Geht‘s denn noch? Und da soll man sachlich bleiben!)

und vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von der AfD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Er hält sich an die Geschäftsordnung, der Herr Kosmehl! - Weitere Zurufe von der AfD - Sebastian Strie- gel, GRÜNE: Tillschneider war gar nicht mehr dran! - Unruhe)

Pst! - Danke. Wir setzen fort. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Eva von Angern.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Bitte versuchen Sie, die Abgeordneten ausreden zu

lassen. Wenn Sie eine Meinung haben, dann melden Sie sich danach oder machen Sie eine Kurzintervention.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Dr. Tillschneider, Ihr Satz „wir sprechen heute anders“ macht mir Angst.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Lachen bei der AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 endete die parlamentarische Demokratie

binnen weniger Wochen.

Bereits mit der Reichstagsbrandverordnung im Februar 1933 verloren Gegnerinnen und Gegner des Regimes jeden rechtlichen Schutz.

(Lothar Waehler, AfD: Ja!)

Kommunistinnen und Kommunisten, Sozial- demokratinnen und Sozialdemokraten wurden in sogenannte Schutzhaft genommen. Die kommunistischen Abgeordneten konnten nicht mehr ihre Hand gegen das Ermächtigungsgesetz erheben. Sie waren bereits alle verhaftet.

Der Begriff der Schutzhaft war ein zynischer Euphemismus. Es handelte sich tatsächlich um eine willkürliche Haft, die ein Richter weder angeordnet noch überprüft hatte. Diejenigen, die in Hinterzimmern von Kneipen und von Kellern, den ersten wilden Lagern, von der SA gefoltert wurden, hätten vor denen geschützt werden müssen, die sie einsperrten.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Olaf Meister, GRÜNE)

Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, also der Beschluss in der Reichstagssitzung vor genau 90 Jahren, sicherte den Nazis den absoluten Durchgriff. Es hebelte die Gewaltenteilung, die Verwaltung der Länder und die Oppositionsrechte aus. Nicht einmal acht Wochen nach dem Machtantritt wurde aus der Weimarer Republik das Einparteienregime der NSDAP.

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

Die neuen Machthaber waren entschlossen, gewalttätig und skrupellos. Bereits am 1. April 1933 folgte der erste landesweite Boykott von Geschäften jüdischer Inhaber. Mit Verkündung vom 7. April 1933 verloren die jüdischen Beamtinnen und Beamten ihre Stellen im öffentlichen Dienst. Bereits vorher waren viele demokratisch gesinnte Beamte aus der Verwaltung und der Polizei entlassen worden. Ab Juli 1933 begann die zwangsweise Sterilisation und Ermordung von Menschen mit Behinderung. Lange vor Auschwitz griff das Deutsche Reich mit enormer Konsequenz in das Leben von Hunderttausenden Verzweifelten ein.

Meine Damen und Herren! Heute, in der Rückschau, sind wir uns alle einig, zumindest der übergroße Teil hier im Haus, wie verbrecherisch die Zeit des Nationalsozialismus war. 90 Jahre nach Auschwitz, nach den Verbrechen in Bernburg, in der Lichtenburg, in Isenschnibbe gibt es kaum jemanden, der keine Abscheu zeigt. Schwerer ist die Frage, wie das alles möglich war, und damit, wie es künftig zu verhindern ist. Allerdings verlief die Suche nach Antworten gar nicht so entschlossen, wie heute Nachgeborene meinen könnten.

Beide deutsche Teilgesellschaften mussten nach 1945 einen Aufbruch gestalten, der durch Menschheitsverbrechen belastet war. Beide deutsche Staaten haben dies trotz großer Unterschiede gelöst, indem die schuldbeladene

Vergangenheit eingefroren, abgewehrt und nur stückweise zugelassen wurde. Die sichere Grundlage, auf der heute die bundesdeutschen Gerichte ehemalige Helfer der Vernichtungs- und Konzentrationslager verurteilen, gibt es noch gar nicht so lange. Erst nachdem 99 % der Beteiligten nicht mehr lebten, hatte die Justiz die Kraft gefunden, die letzten der 99-jährigen Täterinnen zu verurteilen.