Protokoll der Sitzung vom 30.01.2004

Am 22. Dezember ist darüber beraten worden bei einer Sondersitzung des Parlaments. Diese Sondersitzung des Parlaments ist keine Sondersitzung gewesen, die ganz kurz gewesen ist, da kann ich mich dunkel entsinnen. Dementsprechend ist da viel zur Sprache gekommen.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch mal ganz deutlich, Sie können drumherumreden, was Sie wollen von der SPD-Fraktion, es ist Ihre Absicht, dieses zu einem Wahlkampfthema zu machen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das freut uns aber.)

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. B. Wolf, CDU: In Ermangelung anderer...)

Ob es eine böswillige Unterstellung ist, es ist eine Feststellung

(Beifall bei der CDU)

und an dieser Feststellung brauche ich nichts zurückzunehmen, denn Sie wissen ganz genau,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Eigentlich müssten Sie selber die Fragen an den Minis- ter stellen.)

dass in der noch zur Verfügung stehenden Zeit der Legislatur schwerlich ein Bericht des Untersuchungsausschusses zu leisten ist.

Sehr verehrter Herr Höhn, um dieses noch mal deutlich zu machen, dass es Ihnen eigentlich nicht um die Sache geht, sondern dass es Ihnen hier um Populismus geht: Ich sagte, am 22. Dezember haben wir intensiv darüber gesprochen und in dem heutigen Plenum hat Herr Kollege Hahnemann eine Mündliche Anfrage gestellt. Teile dieser Mündlichen Anfrage sind fast wortgleich mit dem, was Sie als Grund für Ihren Untersuchungsausschuss nehmen. Aber ich habe bei der SPD gesteigerte Langeweile erlebt,

als Herr Hahnemann diese Anfrage gestellt hat. Es geht Ihnen nicht um die Beantwortung von Fragen, sondern es geht Ihnen lediglich um das Mittel des Untersuchungsausschusses, um hier Honig aus diesem Untersuchungsausschuss im Wahlkampf zu ziehen. Versuchen Sie es, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion. Ich habe gesagt, wir werden dem nicht widersprechen. Wir halten uns selbstverständlich an die Verfassung des Freistaats Thüringen. Danke sehr.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Hahnemann, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, man hat schon seine Not, hier nicht vorzugehen und zu sagen, ich schließe mich meinem Vorredner an.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Da legen wir keinen Wert drauf.)

(Heiterkeit und Unruhe bei der CDU)

Deswegen mache ich es auch nicht, Herr Kretschmer. Ich gebe mir also Mühe, jetzt noch zu retten, was zu retten ist, denn der Untersuchungsausschuss, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es nicht retten.

Was hat der Thüringer Innenminister tatsächlich gewusst, als er am 10. Dezember des letzten Jahres den Innenausschuss und die Öffentlichkeit falsch informierte? Glauben Sie ernsthaft, dass der Untersuchungsausschuss diese Frage beantworten wird? Außerdem soll sich der Untersuchungsausschuss mit den Fragen nach dem Ablauf der Überwachungsmaßnahme am Rennsteigtunnel befassen und den Umgang mit der Anlage und den erfassten Daten klären. Ein Untersuchungsausschuss soll das klären? Glauben Sie ernsthaft daran?

Eine andere Frage ist auch nicht neu und sie befindet sich versteckt in Ihren Fragen und da wird es eigentlich schon interessanter: Was ist eigentlich los im Thüringer Innenministerium? Wer agiert gerade ohne wen oder gegen wen und warum? Glauben Sie, dass dieser Untersuchungsausschuss diese Frage klären wird? Keiner weiß das so richtig. Nur eines, meine Damen und Herren, wissen wir heute schon, der Untersuchungsausschuss wird diese Fragen wohl gar nicht beantworten können. Das nun wissen auch die Antragsteller. Der vorliegende Antrag ist nicht der Hoffnung geschuldet, mit dem Untersuchungsausschuss das Wirrwarr von Informationen und Interes

sen im Ministerium aufzulösen oder die Frage nach der Rolle des Hausherrn und seinem Verständnis des Parlaments zu beantworten. Nein, der Antrag ist nicht richtig ernst zu nehmen, er ist recht eigentlich ein Kind der Wahlkampfzeiten.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Wir wissen gar nicht was Wahlkampf ist.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, von Ihnen sind ausreichend viele lange genug in diesem Parlament, um zu wissen, schon wegen der Kürze der verbleibenden Zeit wird dieser Untersuchungsausschuss die gestellten Fragen nicht beantworten und schon gar nicht zum Kern des Problems vorstoßen. Er wird wohl diese Frage, diese Frage steht nicht, Frau Pelke,

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Doch, die steht.)

denn die Alternative heißt nicht, etwas so lassen oder einen Untersuchungsausschuss einsetzen, von dem man weiß, dass er kein Ergebnis bringen wird.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Das ist noch nicht wahr.)

Es wird wohl am Ende schon aus zeitlichen Gründen nichts weiter geben als die Einsetzung des Untersuchungsausschusses, die Wahl der Verantwortlichen, dann wird die Streiterei beginnen über die Beweisanträge und dann ist der Wahltag da und dann geht die ganze Sache den Bach herunter, d.h. unterliegt der Diskontinuität. Das war Ihnen, meine Damen und Herren, beim Einreichen des Antrags doch klar.

Und ein Weiteres ist wohl heute gewiss, die CDU-Vertreter im Ausschuss werden genau so, Herr Dr. Pietzsch, wie sie die Verfassungsrechte zu achten wissen, ihre Möglichkeiten in der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu nutzen wissen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Schauen Sie sich die Geschäftsordnung an.)

Die Opposition hat das im Untersuchungsausschuss 3/3 mit der Ablehnung von Beweisanträgen und der Abänderung des Abschlussberichts nicht zum ersten Mal erfahren dürfen.

(Zwischenruf Abg. Carius, CDU: Die waren auch alle unzulässig.)

Vor diesem Hintergrund sind wir mehr als skeptisch, dass mit dem Untersuchungsausschuss Fragen tatsächlich beantwortet werden können. Am Schluss, das prophezeie ich hier, wird es wieder heißen: Genaues weiß man nicht.

Die Erfahrungen lehren, und da widerspreche ich Ihnen, Frau Kollegin Pelke, nur Parlamentstheoretiker halten einen Untersuchungsausschuss für "das schärfste Schwert des Parlaments". Die Wirklichkeit ist, dieses Schwert glänzt klar blank in der Mediensonne, ist aber stumpf wie eine Theaterrequisite.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Deswegen haben Sie schon zwei beantragt.)

Sie werden nicht ausschließen können, dass die Erfahrungen, die ich habe, unter Umständen auch auf selbst beantragten Untersuchungsausschüssen fußen.

(Beifall bei der PDS)

Untersuchungsausschüsse erinnern mich immer an ein Excalibur der Styroporklasse aus den hinlänglich bekannten Artusfilmen.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Die wirklich interessanten Fragen, meine Damen und Herren, die werden ja auch eigentlich gar nicht gestellt. Eigentlich stünde eine politische Auseinandersetzung mit der Überwachungsmanie des Innenministers und seiner Amtskollegen auf der Tagesordnung.

(Beifall bei der PDS)

Das ist die Antwort auf Ihre Frage, Frau Pelke, was eine Alternative zum Untersuchungsausschuss wäre. Die Sondersitzung zum Thema hat doch eindrucksvoll mehreres belegt: Das Projekt der automatischen Kennzeichenerfassung ist nach Meinung des Innenministers einfach nur unglücklich gelaufen. Gegen geltendes Recht hat man eigentlich nicht verstoßen und den Sinn dieser Maßnahme zog Herr Minister Trautvetter nie in Zweifel. Man konnte sogar in der Parlamentsdiskussion ein leises Bedauern hören, dass neben den Kennzeichen nicht auch noch gleich die Gesichtsbiometrie der Autofahrer erfasst wurde. Das ist nicht nur technisch möglich, die Anlage hätte es nach unseren Informationen auch geleistet. Hier in Thüringen, aber eben nicht nur hier in Thüringen, herrscht nun einmal der Grundsatz: Was möglich ist, das wird auch gemacht. Das hat zu Weimar geführt und das hat zum Rennsteigtunnel geführt. Aber das kann nach unserer Auffassung nicht der Maßstab der Beurteilung eines polizeilichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den Staat sein. Diese ablehnende Position erwächst nicht etwa aus einer uns nachgesagten Antistaatlichkeit. Selbst ein Kommentar des Leib- und Magenblatts des deutschen Konservatismus "Die Welt" vertritt in Bezug auf die automatische Kennzeichenerfassung die Ansicht - Zitat: "Dass etwas reibungslos funktioniert, ist noch kein Beweis dafür, dass es sinnvoll ist. Der Bürger nämlich hat Recht auf einen Staat, der sich immer dort heraushält, wo er mehr schadet als er nutzen kann."

Auch der einstige SPD-Innenminister von Niedersachsen findet einen gar drastischen Vergleich, wenn er das Vorhaben einer automatischen Kennzeichenerfassung kritisiert - Zitat: "Das läuft auf eine Qualität der Bürgerkontrolle hinaus, die sich Orwell in seinen schlimmsten Albträumen nicht ausgemalt hat."

Neben bürgerrechtlicher Kritik gibt es aber auch eine, die aus der Frage nach dem Sinn der Maßnahme folgt. Sollte es sich wirklich, Herr Minister, wie behauptet, um ein technisches Hilfsmittel bei der Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen oder Flüchtigen handeln, dann muss doch die Frage erlaubt sein, wen die Polizei mit dem Scannen der Kennzeichen glaubt fassen zu können. Doch nur Autodiebe, die so blöd sind, mit gesuchten Autokennzeichen an geklauten Fahrzeugen weiter in der Weltgeschichte herumzugondeln und dann noch auf der Autobahn und ausgerechnet noch durch den Rennsteigtunnel. Dort werden sie dann gefasst und ergriffen, denn es ist ja nun bekanntlich das vordringliche Ziel eines jeden Autodiebes, fotografiert und gestellt zu werden. Und wenn jetzt wieder jemand die organisierte Kriminalität oder den internationalen Terrorismus bemühen möchte, dann sei ihm geantwortet: Würde denn diese oder jene Mafia sich massenhaft zum Skifahren in Oberhof einchecken oder Al KaidaSpione sich an den Loipen der Biathlon-Weltmeisterschaft tummeln wollen? Wie schon die Videoüberwachung öffentlicher Plätze entpuppt sich auch die automatische Kennzeichenerfassung als "Trojanisches Pferd". So jedenfalls bezeichnet der Strafrechtler Professor Roland Hefendehl die Observation der Innenstädte durch Videokameras. Hinter dem vorgeblichen Interesse der Sicherheitsbehörden, Kriminalität zu verfolgen, ginge es bei der Überwachung der Innenstädte im Kern um die Kontrolle so genannter "sozial auffälliger Menschen" und um ihre Vertreibung aus den Einkaufsmeilen. Zitat: "Unerwünschte Gruppen haben zu verschwinden, sie schaden dem Konsum." Auch bei der automatischen Kennzeichenerfassung werden noch ganz andere Begehrlichkeiten bedient als nur der Wunsch, Autodiebe zu fassen, die wegen extremer Dummheit in eine solche Falle tappen. Nein, meine Damen und Herren, die CSU in Bayern hat unvorsichtigerweise Klartext geredet. Sie äußert die Hoffnung, mit dieser Überwachungstechnik könnten z.B. auch "bekannte Störer" vor Demonstrationen herausgefiltert werden. Und da wird deutlich, wo die Datensammelwut am Ende hinführt.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Das war jetzt die Krönung.)

Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, warnt davor, dass man leicht ein Bewegungsprofil jedes Autofahrers erstellen könne, wenn man die Vielzahl der Videoüberwachungsanlagen am Ende einfach vernetzen würde.

Und eines noch in die Richtung der Kolleginnen und Kollegen der SPD: Ich kann Ihre Kritik an der Thüringer Innenpolitik nur ein kleines Stück weit ernst nehmen. In

Berlin bricht die rotgrüne Bundesregierung Monat für Monat weitere Teile aus dem Fundament der Grund- und Bürgerrechte und hier in Thüringen werden über Datenschutzrechtsverletzungen wahre Krokodilstränen vergossen. Die Kritik am unrechtmäßigen Horten von Daten auf Vorrat bei der automatischen Kennzeichenerfassung trifft genau so zu für das neue Telekommunikationsgesetz, mit dem die Möglichkeiten der Telefonüberwachung ausgeweitet und perfektioniert werden sollen. Diese Gesetzesvorlage ist ein Präsent aus dem Hause des SPD-Innenministers Otto Schily.

Sehr geehrte Damen und Herren, nicht nur die Sorgen sind begründet und berechtigt, nein, die Kritik darf sich nicht nur auf das Thüringer Vorgehen beim Probebetrieb am Rennsteigtunnel erstrecken, das Vorhaben der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz ist im Ganzen abzulehnen. Nicht nur die konkreten Umsetzungen hier und anderswo, in Bayern oder in Hessen z.B., sondern das Vorhaben selbst verstößt gegen Datenschutz, verletzt Bürgerrechte, hat wenig kriminalpolitischen Nutzen, aber kostet eine Menge Geld.

(Beifall bei der PDS)