Roland Hahnemann

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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, würdevoll und selbstbestimmt, so wünschen sich Menschen ihre Beisetzung. Die Ehrfurcht vor den Toten, die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der persönlichen Rechte, in diesem Dreiecksverhältnis sollte ein modernes Bestat
tungsgesetz aufgehoben sein. Das vorliegende Gesetz wird diesem Anspruch nicht gerecht. Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat nicht nur lange auf sich warten lassen, die Autoren des Gesetzes haben es sich auch sehr leicht gemacht. Obwohl zahlreiche Interessenverbände und Einzelpersonen im Vorfeld ihre Bereitschaft zur Mitarbeit bekundet hatten, fußt der vorgelegte Gesetzentwurf eben nicht auf einer Analyse der in Thüringen praktizierten und gewünschten Bestattungs- und Trauerkultur. Nein, der Gesetzentwurf kopiert große Passagen aus dem Brandenburger Gesetz und ist angereichert mit ideologischen Versatzstücken der Thüringer Mehrheitsfraktion.
Damit ignorieren die Gesetzesschreiber die bundesweite Diskussion um zeitgemäße rechtliche Ausgestaltung des Bestattungs- und Trauerrechts in Deutschland, wie sie in anderen Bundesländern, zum Beispiel in MecklenburgVorpommern, im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen, geführt wurde. Schon die Kabinettsanhörung, meine Damen und Herren, muss nach unseren Informationen sehr dürftig gewesen sein. Lediglich die Steinmetzinnung fand neben den drei großen Kirchen und den Spitzenverbänden Gehör. Diese Ignoranz fand dann ihren letzten traurigen Höhepunkt im Innenausschuss. Die Vertreter der Mehrheitsfraktion lehnten nicht nur eine mündliche öffentliche Anhörung ab, sämtlichen Vorschlägen der Opposition zur schriftlichen Anhörung verweigerten sie die Zustimmung. Darunter waren Organisationen der Krankenkassen und der Ärzteschaft, Hebammen, Juristen, Vertreter nicht religiöser Bestattungskultur und weitere. Gerade so, als würde das Gesetz tatsächlich nur, wie es ein nicht ganz unmaßgebliches Mitglied des Ausschusses formulierte, die Frage behandeln, wie man unter die Erde kommt, so nämlich wurde das Vorgehen im Ausschuss tatsächlich begründet. Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur ein undemokratisches, sondern auch ein unsachgemäßes Vorgehen im Umgang mit dem Gesetzentwurf, denn es geht nicht nur darum, wie man unter die Erde kommt, sondern auch um allgemeine und weltanschauliche Fragen und auch um fachliche Komponenten, wie etwa das Leichenwesen zum Beispiel und ganz speziell die Leichenschau. Von den 13 durch die CDU vorgeschlagenen Anzuhörenden waren etwa die Hälfte Vertreter christlicher Religionen. Der Anteil der christlich-konfessionell orientierten Thüringer liegt etwa bei einem Viertel der Landeseinwohner. Ein Großteil der Menschen in diesem Bundesland ist nicht Mitglied einer Kirche. Nach Aussagen von Bestattungsunternehmern wünscht auch der überwiegende Teil eine weltliche Beisetzung. Ein zeitgemäßes Bestattungsgesetz, meine Damen und Herren, müsste also dem Wunsch entsprechen, Inhalt und Form der Beisetzung unter Achtung der Toten- und Menschenwürde selbst bestimmen zu können und nicht ideologisch oder administrativ bevormundet zu werden.
Dem trägt der Gesetzentwurf nicht Rechnung. Im Gegensatz dazu beginnt der Gesetzestext mit einem Thüringer Alleingang. Die Bestattung wird nicht nur nicht in die Verantwortung eines mündigen Bürgers gelegt, sondern als öffentliche Aufgabe definiert. Nicht die Wahrung des Gedenkens an die Toten und die Menschenwürde sind Ausgangspunkt der Rechtsregelungen, die Festschreibung eines vermeintlichen gesamtgesellschaftlichen sittlichen Empfindens bildet die Grundlage. Diese Setzung widerspricht nicht nur dem Grundverständnis der Bundesrepublik Deutschland als plurale Gesellschaft, nein, auch der Alltagsverstand sagt einem, dass Werte und Gebräuche sowohl von Mensch zu Mensch als auch von Zeit zu Zeit Veränderungen unterzogen sind, und das ist gut so. Wir schlagen deshalb die Streichung dieser Formulierung vor, weil sie zu allem Übel auch noch unangenehm an das "gesunde Volksempfinden" erinnert. Unsere Vorschläge richten sich am universellen Rechtsgut der Menschenwürde aus, denn die Würde des Menschen, auch der Toten, kann und muss alleiniger Maßstab zur Bestimmung der allgemeinen Rahmenbedingungen der Bestattungs- und Trauerkultur sein. Unter dem Dach der Menschenwürde kann in einem zeitgemäßen und liberalen Bestattungsrecht Raum sein für unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Vorstellungen zur eigenen Beisetzung oder der von Angehörigen. Aber solchen Gestaltungsraum, diese Möglichkeiten zur Sicherung der Persönlichkeitsrechte über den Tod hinaus, will eine parlamentarische Mehrheit der Bevölkerungsmehrheit nicht zugestehen.
Meine Damen und Herren, die Trauer- und Bestattungskultur hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer mehr Menschen äußern in letzten Verfügungen oder als Hinterbliebene den Wunsch, der Zeit zwischen dem Tod und der Beisetzung einen individuellen Charakter zu geben. Da sind sehr naturverbundene Menschen, die gern am Stamm eines Baumes beigesetzt werden möchten. Es gibt Angehörige, die gern die Urne des geliebten Verstorbenen nicht unter die Erde bringen, sondern zu Hause würdevoll aufbewahren möchten, ganz abgesehen von jenen, die nach ihrem Ableben ins All geschossen werden möchten. Egal ob Friedwald oder Kolumbarium, beides ist mit dem vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen. Die von uns vorgeschlagene Erweiterung der Definition von Bestattungseinrichtungen und weitere Änderungen sollen solche Bestattungsformen in Zukunft auch in Thüringen möglich machen. Obwohl das Gesetz an zentraler Stelle die Wahrung des religiösen Empfindens zum Grundsatz erhebt, ist in vielen Einzelfragen den religiösen Vorstellungen nicht christlicher Religionen in keiner Weise Rechnung getragen. Ganz konkret kann man das am Sargzwang beim Transport von Leichen oder bei der Beerdigung oder an den komplizierten und bürgerfernen Regelungen zur Gewährung von Ausnahmen hinsichtlich der Bestattungsfrist erkennen. Es wäre Ausdruck von Weltoffenheit gewesen, den Vorstellungen religiöser Minderheiten Rechnung zu tragen. Solche Bekenntnisse klebt man sich in diesem Bundesland
zwar gern auf den Kofferraum des PKW, aber in der herrschenden Politik und in der Gesetzgebung des Landes findet sie sich nicht. Auch mit dem Datenschutz hatten Landesregierung und Ausschussmehrheit bei diesem Gesetzentwurf wieder einmal ihre liebe Not. Die Vorschläge der Datenschutzbeauftragten fanden bei der abschließenden Beratung im Innenausschuss nur in einem einzigen Punkt Aufnahme. Das ist nicht nur aus Sicht des Datenschutzes bedauerlich, sondern bescherte den Ausschussmitgliedern das einmalige Erlebnis eines heftigen Disputs mit Vertretern des Innenministeriums. Die von den Ausschüssen abgewiesenen Änderungswünsche der Datenschutzbeauftragten stellen wir heute hier zur endgültigen Abstimmung.
Meine Damen und Herren, die Fachdebatte selbst will und kann ich hier nicht wiederholen, aber auf ein grundlegendes Manko des Gesetzes sei abschließend hingewiesen.
Entschuldigung, meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, mir wird im Moment schlecht, ich kann den Vortrag nicht fortsetzen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs zur Aufhebung des Thüringer Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter zog nach meiner Erinnerung nicht der Staatssekretär, sondern Minister Gasser zum Beleg für die Notwendigkeit, dass das Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz vorübergehend fortgilt, ein Argument aus der Tasche, das scheinbar unwiderlegbar ist. Anders als wir vermuteten, gibt es den konkreten Anwendungsfall - ein Gefangener mit dem Entlassungsdatum 9. März 2004. Für ihn sei die Unterbringung nach dem Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz beim Landgericht Gera bereits beantragt. Minister Gasser stellte die Frage, ob ich oder ob die PDS-Fraktion es verantworten könnten, dass jemand, der nach den Prognosen nach wie vor hochgefährlich sei, auf freien Fuß käme und vielleicht schon am nächsten Tag ein Kind missbrauche oder einen Mord begehe. Die Frage konnte ich natürlich nicht beantworten und ich kann es heute auch noch nicht, weil ich weder den Gefangenen kenne noch die Prognosen bezüglich seiner Gefährlichkeit. Geschweige denn kann ich irgendetwas über die Höhe der Wahrscheinlichkeit aussagen, mit der das Gericht dem Antrag der Justizvollzugsanstalt entsprechen wird. Die Frage des Ministers war im Übrigen eine hypothetische und theoretische. Ich behaupte, eine so gestellte Frage, die auf tatsächliche oder konstruierte Einzelfälle verweist, um eine vermeintliche Sicherheitslücke zu offenbaren, ist eine Suggestivfrage, die von den eigentlichen rechtlichen und kriminalpolitischen Problemen der nachträglichen nicht vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ablenkt.
Sie hilft uns daher auch nicht bei der Einschätzung, ob das Gesetz sofort oder später aufzuheben ist. Ich will diese Frage also auch generell beantworten.
Die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Strafgesetzbuch, im Jahre 1933 als Maßregel der Sicherung und Besserung in das deutsche Strafrecht eingeführt, gilt...
Entschuldigung, das habe ich nicht gemacht, Herr Pietzsch, aber gut, regen Sie sich auf.
Die Sicherungsverwahrung gilt als die letzte, allerletzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik und als die fragwürdigste aller strafrechtlichen Sanktionen. Genau genommen handelt es sich bei ihr
um den schärfsten Eingriff sicherheitsstaatlicher Kontrollinstanzen in die Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern. Weil sie den Verurteilten über seine Tatschuld hinaus doppelt sanktioniert, ist sie seit langem erheblichen verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt.
In der Vergangenheit wurde immer wieder ihre Abschaffung gefordert, nachdem der Gesetzgeber der Bundesrepublik zunächst die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der Sicherheitsverwahrung verschärfte, so dass sie zuletzt nur noch sehr selten angeordnet wurde, kam dann 1998 eine Trendwende. In einer medial aufgeheizten Vorwahlkampfphase weitete eine große sicherheitspolitische Koalition den Anwendungsbereich des § 66 erheblich aus und verschärfte die Auswirkungen der Sicherheitsverwahrung extrem. Seitdem kann gegen einen Beschuldigten bereits aus Anlass zwei schwerer Straftaten neben einer langjährigen Freiheitsstrafe zusätzlich die unbefristete Sicherheitsverwahrung angeordnet werden. Unter der Devise des Bundeskanzlers Schröder "wegschließen, und zwar für immer" kam es dann in der Vorwahlkampfphase 2001/2002 erneut zu einer großen sicherheitspolitischen Koalition, die uns die nachträgliche vorbehaltene Sicherungsverwahrung bescherte. Eine weitere Stufe dieser Eskalation stellten dann die Straftäterunterbringungsgesetze der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dar, die die nachträgliche nicht vorbehaltene Sicherungsverwahrung mit Rückwirkung hinsichtlich bereits verurteilter Täter vorsehen. Jetzt steht uns die nächste Windung der Spirale ins Haus, die nachträgliche nicht vorbehaltene Sicherungsverwahrung im Strafrecht des Bundes sowohl bei Erwachsenen als auch bei Heranwachsenden und mit Rückwirkung gegenüber bereits zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes Verurteilten. Was spricht dafür, die wegen fehlender Kompetenz des Landesgesetzgebers verfassungswidrige Thüringer Regelung sofort aufzuheben und nicht erst nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung? Vor allem wegen der Ausführungen von Minister Gasser in der ersten Beratung möchte ich hierauf noch einmal prinzipiell eingehen.
Die Landesregelung ist, weil kompetenzwidrig, mit einem grundlegenden Mangel versehen. Für die Freiheitsentziehung auf der Grundlage dieses Gesetzes fehlt es dem Gesetz an der demokratischen Legitimation. Schon das spricht für die sofortige Aufhebung.
Das Thüringer Straftäterunterbringunsgesetz verstößt ebenso wie die Gesetze der anderen Bundesländer gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des Verbots der Mehrfachbestrafung. Minister
Gasser hat nach unserer Auffassung nicht Recht, wenn er meint, aufgrund des ersten der beiden im Februar diesen Jahres ergangenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung müsse von der Verfassungsmäßigkeit der Thüringer Regelung ausgegangen werden. In der ersten der beiden Entscheidungen, dem Urteil vom 5. Januar 2004, handelt es sich um eine so genannte unechte Rückwirkung ohne den generellen Vorrang des Vertrauensschutzes. Es ging hier um die Frage nach der Aufhebung der Höchstdauer. Ganz anders ist der Sachverhalt bei der nachträglichen Unterbringung nach Landesrecht. Hier wird die Sicherungsverwahrung nicht auf eine Entscheidung vor der Verkündung des Gesetzes gestützt. Es handelt sich um eine echte Rückwirkung, weil sie nachträglich ändernd in bereits abgewickelte Tatbestände eingreift, indem sie die an die Anlasstat anknüpfende Rechtsfolge nachträglich ändert. Aufgrund der im Zeitpunkt seiner Verurteilung bestehenden Rechtslage und der nicht vorbehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung kann der Verurteilte darauf vertrauen, dass nach Verbüßung seiner Strafe wieder die Freiheit erlangt werden kann. Dieses Vertrauen ist nach rechtsstaatlichen Prinzipien grundsätzlich geschützt.
Unzutreffend ist nach unserer Auffassung auch die Ansicht Minister Gassers, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.02. spreche gegen die Annahme eines Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung aber mit dem Doppelbestrafungsverbot gar nicht befasst, sondern ausschließlich mit der Frage eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot.
Nach allgemeiner Meinung bewirkt das Doppelbestrafungsverbot, dass nach der rechtskräftigen Verurteilung eintretende neue Umstände nicht dazu führen dürfen, dass nicht mehr dieselbe Tat angenommen wird. Da sich die bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung anzustellenden Prognosen im Wesentlichen aber auf die Anlasstat stützen, handelt es sich hier bei natürlicher Betrachtung nicht um zwei verschiedene Vorgänge, somit nicht um zwei verschiedene Taten, die dem Urteil und der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zugrunde liegen. Hier liegt vielmehr ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, somit eine Tat, die zweimal sanktioniert werden soll.
Schließlich ist auch die Auffassung von Minister Gasser nicht zu teilen, die nachträgliche Sicherungsverwahrung entfalte keine kontraproduktive Wirkung. Sowohl die vorbehaltene als auch die nicht vorbehaltene nachträgliche Sicherungsverwahrung führen zwangsläufig zu scheinangepasstem Verhalten und zu erzwungener Inanspruchnahme ohnehin knapper Therapieangebote durch Gefangene, die in Wirklichkeit therapieunwillig sind und ihre Therapiewilligkeit lediglich zur Vermeidung der Sanktion einer Sicherungsverwahrung vortäuschen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung birgt also die Gefahr, aufgrund dieser Wirkung gar nicht zu mehr Sicherheit,
sondern im Gegenteil zu mehr Unsicherheit zu führen, weil sie das Risiko erhöht, dass die Gefährlichkeit von wirklich gefährlichen Gefangenen durch scheinangepasstes Verhalten überdeckt wird.
Das Argument der Sicherheitslücke, die geschlossen werden müsse, ist letztlich ein Scheinargument. Bei den in Betracht kommenden Gefangenen müsste es sich um solche handeln, die nach voller Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe der Führungsaufsicht unterliegen, während dieser Zeit aber bereits kurz nach der Entlassung erneut schwer wiegende Delikte begehen und es müsste sich um solche Gefangene handeln, bei denen eine Unterbringung nach dem Psychischkrankengesetz nicht in Betracht kommt, da sie weder krank noch therapiefähig wären.
Empirische Studien zu dem danach in Betracht kommenden Personenkreis und ihrer Rückfallgefährdung gibt es nicht. Dennoch meint die große sicherheitspolitische Koalition aus CDU und SPD/Grüne, die Sicherungsverwahrung, die fragwürdigste und schärfste aller strafrechtlichen Sanktionen, weiter verschärfen zu müssen ohne Rücksicht auf elementare Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafrechts.
Natürlich, meine Damen und Herren, wird es immer Einzelfälle geben. Absolute Sicherheit aber ist auch in einem Rechtsstaat nicht möglich. Gewiss, das ist ein platter Satz. Ich stelle ihn aber einem Satz entgegen, der viel schlimmer ist und einer Presseerklärung vom vergangenen Dienstag entstammt und der Autor der Äußerung ist Herr Dr. Pietzsch. Er sagt, es sei ihm lieber
ein Schwerverbrecher werde wegen einer Fehleinschätzung seiner Therapierbarkeit zu Unrecht auf Dauer weggeschlossen, als dass auch nur ein Kind sexuell missbraucht werde und möglicherweise ermordet.
Dieser Satz, Herr Dr. Pietzsch, zerschneidet in der Konsequenz dessen, was er bedeutet, ebenso das Band, das unsere zivilisierte Gesellschaft zusammenhält, das Band der Menschenwürde, wie jene unselige Bemerkung Dr. Birkmanns
von den "tickenden Zeitbomben". Meine Damen und Herren, alles spricht für die sofortige Aufhebung des Gesetzes. Es ist eine uralte Erfahrung, dass Gesetze, die lediglich wegen eines Einzelfalls verabschiedet werden, selten gute Gesetze sind.
Aber auch die nicht Nichtaufhebung eines Gesetzes,
das im Übrigen zwingend aufgehoben werden müsste, lediglich wegen eines Einzelfalles jedoch nicht aufgehoben wird, ist nur selten eine kluge Entscheidung des Gesetzgebers. Hier kann hingegen treffend behauptet werden, die Nichtaufhebung des Thüringer Sicherheitsunterbringungsgesetzes, für dessen Verabschiedung der Thüringer Landtag nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht demokratisch legitimiert war, ist in jedem Falle ein schlechtes Beispiel für den Rechtsstaat.
Ja, bitte.
Was die erste Frage angeht, erste Antwort: Ich glaube, Sie unterschätzen junge Menschen.
Zweiter Teil dieser Antwort: Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen unterschätzen.
Drittens, Ihre erste Frage war vermutlich - und das müsste ich dann vielleicht auch mir zuschreiben - der Beleg dafür, dass die Rede nicht nur schwer verständlich war, für Sie scheint sie unverständlich gewesen zu sein.
Das Zweite, Herr Wunderlich, will ich Ihnen nicht unmittelbar antworten, sondern mit etwas, was mich neben den furchtbaren Geschehnissen, die immer in den Medien berichtet werden, ebenso berührt und bewegt. Das ist der Umstand, dass man mit der jetzt eingeschlagenen Denkund Regelungsrichtung einen Grundsatz des deutschen Rechtsstaats Schritt für Schritt aufgegeben hat, der mir diesen Rechtsstaat so sympathisch gemacht hat. Es ist nämlich der Grundsatz, wie ich den Rechtsstaat kennen gelernt habe, dass man lieber die Straffreiheit eines Täters in Kauf nimmt, als eine unberechtigte Strafe auszusprechen. Dieses Paradigma wird jetzt umgedreht. Das ist die Mahnung, von der ich geredet habe. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bin hin und wieder unsicher, ob die Beratungen, die wir uns hier selbst und der Öffentlichkeit zumuten, eigentlich etwas zu tun haben mit den Vorlagen, die diesen Beratungen zu Grunde liegen. Steffen Dittes, ein guter Mensch, der er nun einmal ist, hat zu Ihren Gunsten unterstellt, dass die Landtagsverwaltung vielleicht eine falsche Vorlage verteilt haben könnte, denn ihm ist natürlich aufgefallen, und darauf war auch seine Nachfrage vorhin gerichtet, dass vieles, was über die Vorlagen behauptet wird, offensichtlich mit dem Inhalt der Vorlagen nichts zu tun hat. Dieses Urteil, das Sie z.B., Herr Kollege Fiedler, gefällt haben, indem Sie versucht haben darzustellen, was Sie im Unterschied zu uns machen, nämlich sorgfältig auswerten und prüfen und dann Konsequenzen ziehen, ist genau die Intention unseres Antrags: Sorgfältig überprüfen und dem Landtag Konsequenzen vorschlagen.
Aber auch der Kollege Pohl scheint unseren Antrag nicht oder nicht sonderlich gründlich gelesen zu haben, denn wenn er glaubt, dass Ihr Gesetzentwurf den Bearbeitungsrahmen, der in unserem Antrag eine Rolle spielt, tatsächlich mit erfasst, dann kann er tatsächlich unseren Antrag nicht gründlich gelesen haben. Dass Sie Ihren Gesetzentwurf nicht gründlich gelesen haben, will ich Ihnen nicht unterstellen.
Aber, meine Damen und Herren, was läuft denn politisch momentan ab? Vor dem Hintergrund dessen müssen wir doch die Diskussionen bewerten, die momentan stattfinden. Die Wange mancher Obrigkeitsfanatiker ist von der letzten Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts immer noch gerötet, da denken diese trotzdem schon wieder darüber nach, welche Grund- und Bürgerrechte als Nächste beschnitten oder abgeschafft werden sollen. Es sind nur die Anlässe, die sich in den letzten 20 Jahren geändert haben, die Methode ist immer dieselbe geblieben. Grund- und Bürgerrechte werden einfach von Sicherheitsgarantien zu Sicherheitsrisiken umdefiniert. Angesichts der unterschiedlichen Szenarien, angefangen von der Mafia über den vermeintlichen Sturm der Flüchtlinge auf Europa bis hin zu Al-Kaida wird darauf vertraut, dass der Protest stimmlos bleibt und die Bevölkerung ihre schutzwürdigen Interessen auf dem Altar
der Sicherheitsverehrung schon opfern wird. An herausgehobener Stelle in der Reihe der Eingriffe in Verfassung und Rechtsstaat stehen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aus dem damaligen Artikel 16 und der Griff nach Artikel 13 - der Unverletzlichkeit der Wohnung. Beide Angriffe auf die Verfassung waren von massiven Protesten begleitet. So unterzeichnete eine Mehrheit, meine Damen und Herren, eine Mehrheit der Datenschutzbeauftragten einen Appell gegen den großen Lauschangriff. Trotz dieses Protests, trotz der Warnungen kritischer Juristen, trotz der Warnungen von Bürgerrechtlern und Standesorganisationen und auch anderer, erreichte die Grundgesetzänderung im Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit. Der große Lauschangriff hielt Einzug in die Strafprozessordnung. Seitdem haben nach Angaben der Behörden 120 große Lauschangriffe stattgefunden und diese meist mit geringem Erfolg und, wie sich am 3. März dieses Jahres herausstellte, auch verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Grundsatzurteil fest, dass die Abhörklauseln gegen eine ganze Reihe von Grundrechten und Rechtsstaatsprinzipien verstoßen. Doch nicht genug, Herr Dittes hat es schon gesagt, zwei Verfassungsrichterinnen halten die Änderung selbst für verfassungsrechtlich bedenklich. Denn, sehr geehrter Herr Kollege Pohl, es ist eben keine Frage, ob die Zahl der großen Lauschangriffe in Thüringen gen null geht oder nicht, sondern es ist...
Entschuldigung, Herr Pohl, Herr Fiedler.
Das bedaure ich sehr, aber das ist nichts Neues, dass Sie Herrn Fiedler bestätigen und umgekehrt. Das Ganze ist keine quantitative Frage, meine Herren. Das Ganze ist eine qualitative Frage und als solche muss man sie auch betrachten. Das Karlsruher Gericht stellt fest, die akustische Wohnraumüberwachung verletzt das oberste und tragende Verfassungsprinzip: Artikel 1 des Grundgesetzes - die Menschenwürde - und Artikel 2 - das persönliche Freiheitsrecht. So betont das Gericht in seinem Spruch, Zitat: "Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen, gesichert sein, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen." Außerdem erkannte das Gericht eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör und auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Karlsruher Gericht hat dem Bundesgesetzgeber eine Revision der Strafprozessordnung bis Mitte nächsten Jahres auferlegt.
Auch das Thüringer Polizeiaufgabengesetz und das Verfassungsschutzgesetz erteilen in den §§ 35 bzw. 7 die Lizenz für Richtmikrofone auf oder Wanzen in Wohnungen. Diese Regelungen sind ebenfalls nicht verfassungskonform. Sie gehen sogar über die vom Bundesverfassungsgericht angegriffene Ermächtigung in der Strafprozessordnung noch hinaus. Die beiden Thüringer Gesetze kennen keinerlei Erhebungsverbote, auch nicht bei Gesprächen mit Berufsgeheimnisträgern. Es gibt keine Vorkehrung, dass die Überwachung abgebrochen und die Ergebnisse nicht verwertet werden, wenn eine Situation belauscht wird, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist. Das Polizeiaufgabengesetz geht in seiner Ermächtigung sogar noch weit über die entsprechenden Regelungen der Strafprozessordnung hinaus, wo in Thüringen das große Lauschen auch dann erlaubt war und ist, wenn Rechtsgüter von nicht gerade überragender Bedeutung gefährdet sein sollen. Ich erzähle Ihnen allen nichts Neues. Es reicht z.B. die Prognose einer Gefahr - und nun hören Sie zu - für Sachen oder Tiere, deren Erhalt dem öffentlichen Interesse geboten erscheint, die staatlichen Ohren bis ins Schlafzimmer zu strecken. Damit verstoßen das Thüringer Verfassungsschutzgesetz und das Polizeiaufgabengesetz gegen die Landesverfassung und gegen das Grundgesetz. Und es wäre Aufgabe der Landesregierung gewesen, dies nach dem 3. März schleunigst einzuräumen und entsprechende Änderungsgesetze vorzubereiten und einzubringen. Aber wie bei der Videoüberwachung in Weimar und der Kennzeichenerfassung am Rennsteigtunnel klebt die Landesregierung an grundrechtswidrigen Instrumentarien. Sie ist unwillig, den Rechtsbruch einzugestehen und sie behält die Befugnisse selbst dann noch im Rechtskorpus, wenn klar ist, dass diese nicht genutzt werden dürfen. Also, meine Damen und Herren, vertreten wir die Auffassung, der Landtag ist aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und festzustellen, dass die Ermächtigung zum großen Lauschangriff im Thüringer Verfassungsschutzgesetz und in dem Polizeiaufgabengesetz verfassungswidrig sind. Wir beantragen zu diesem Punkt namentliche Abstimmung.
Mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet man die bürgerrechtliche Kritik, meine Damen und Herren, an der Thüringer Sicherheitsgesetzgebung bestätigt. Wir fordern daher den Landtag auf, das Polizeiaufgabengesetz, das Verfassungsschutzgesetz - Herr Pohl, deswegen meine Behauptung, unser Antrag geht in einer niederen Ebene wesentlich weiter als Ihr Gesetzentwurf - und das Sicherheitsüberprüfungsgesetz hinsichtlich ihrer Verfassungskonformität und Rechtsstaatlichkeit gründlich zu überprüfen. Diese Gesetze sind nämlich so etwas wie ein Roll-back zu Lasten der Verfassungsrechte. Wir verlangen aber eine Rückkehr zu den Prinzipien des Rechtsstaats zugunsten der Grund- und Bürgerrechte. Diesem Denken wollen wir parlamentarischen Ausdruck geben. Denn wer meint, Grundrechtsschutz sei inzwischen unpopulär, wer sich der Grundrechte und Rechtsstaatsprinzipien nur dann erinnert, wenn Karlsruhe die Rechtsetzungsampel auf Rot schaltet, wer ansonsten aber munter
weiter aufs Gaspedal des Verfassungsbruchs tritt,
der, meine Damen und Herren, muss sich den Vorwurf der politischen Heuchelei gefallen lassen. Denn der Kahlschlag bei den Bürgerrechten ist nicht nur Sache der Herren Trautvetter, Beckstein, Schönbohm und wie die schwarz colorierten law-and-order-Protagonisten alle heißen.
Auf den Prüfstand gehört auch der rot gefärbte OttoVersand Berlin mit seinen diversen Sicherheitspaketen. Die rotgrüne Bundesregierung hat...
Die rotgrüne Bundesregierung, Herr Kollege Pohl, hat Sicherheitsbestimmungen in ca. 100 Gesetzen geändert. Davon hätte ein Innenminister wie Kamerad Kanther nur geträumt, Herr Pohl.
Das geht so munter weiter. Was jetzt im Zuwanderungsgesetz Einzug halten soll, wird ein Abschied vom Rechtsstaat, wenn willkürliche Ausweisungen oder Abschiebungen bei Verdacht und ohne juristische Überprüfung geplant sind. Bevor die Herren Trautvetter und Schily auch nur den Versuch gestartet hätten nachzuweisen, inwieweit die Rasterfahndung in den Bundesländern belastbare Ergebnisse zur Terrorbekämpfung gebracht hat, soll sie bereits europaweit eingeführt werden. Doch gerade Thüringen hat belegt, Herr Pohl, und insofern ist es nicht richtig, Rasterfahndungen produzieren lediglich Berge von Datenmüll über weitestgehend unverdächtige Bürger. Wir haben das Beispiel doch gehabt. Die Trefferquote ging, ich zitiere Herrn Kollegen Fiedler "stark gegen null".
Herr Pohl, Sie können mir gern am Ende eine Frage stellen. Damit ist diese Maßnahme rechtsstaatlich nicht zu vertreten. Aber den Menschen wird eingeredet, diese und andere Maßnahmen würden die Sicherheit stärken. Das alles hat offensichtlich aber eins zum Ziel,
den Effekt und vermutlich auch die Folge, dass in fünf oder sechs Jahren die rechtsstaatlichen Schranken für diese Art der Sicherheitsgesetzgebung und -handhabung auch in Karlsruhe fallen. Es ist und bleibt aber originäre Verantwortung der Politik und der Bürgerschaft, die Verfassung zu schützen. Wenn Sie, Herr Fiedler, uns vorwerfen, dass wir den Verfassungsschutz abschaffen wollten,
dann kann ich das nur bestätigen. Aber ich bestätige Ihnen gegen Ihren Willen auch, Sie sind derzeit diejenigen, die die Verfassung attackieren und die Grundrechte in der Verfassung demolieren und am Ende
die grundgesetzliche Ordnung und den Rechtsstaat abschaffen. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.
Doch das Bewusstsein, Herr Fiedler, und da sind Sie wirklich lebender Beweis dafür, da sind Sie lebender Beweis dafür, das Bewusstsein für die Geschichte und den Wert des Grundgesetzes, das scheint in der politischen Klasse ganz stark geschwächt zu sein. Es ist doch beschämend, wenn das oberste deutsche Gericht der herrschenden Politik ständig rechtsstaatliche Zügel anlegen muss. Dieser Weg des eingeschlichenen "rückwirkenden Grundrechtsschutzes" darf nicht weiter beschritten werden. Unser Antrag versteht sich als ein Plädoyer für so etwas wie eine Generalrevision der Thüringer Sicherheitsgesetzgebung, auch jenseits des akuten Änderungsbedarfs, den Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD, erfasst haben hinsichtlich der akustischen Wohnraumüberwachung durch Polizei und Verfassungsschutz. So verletzt nämlich nach Auffassung von Verfassungsexperten auch die Regelung zur präventiven Telekommunikationsüberwachung im Polizeiaufgabengesetz das Fernmeldegeheimnis des Artikel 10 Grundgesetz, das Abhören von Kontakt- und Begleitpersonen sowie die fast schon ebenerdige Eingriffsschwelle verletzen zudem die Persönlichkeitsrechte und das Verhältnismäßigkeitsprizinp.
Im Übrigen funktioniert auch die Kontrolle durch die Judikative nicht. Der Richtervorbehalt als besondere Form des Grundrechtsschutzes für die Betroffenen versagt kläglich. Eine Studie der Universität Bielefeld stellt fest, den mit Anträgen auf Telefonüberwachung befassten Richtern fehlt jede Sensibilität dafür, dass es sich um Grundrechtseingriffe handelt. Stattdessen wird den Anträgen der Staatsanwaltschaften generell, ungeprüft und teilweise auch noch rechtsfehlerhaft entsprochen. Eine ausdrückliche Benachrichtigung der Beschuldigten erfolgt nach dieser Unter
suchung in lediglich 3 Prozent der Fälle. All diejenigen, die von überwachten Anschlüssen aus telefonieren oder dort anrufen, werden wohl nie erfahren, dass ihre Gespräche belauscht worden sind. Das betrifft jährlich, und das geht nun spätestens nicht gegen null, Herr Pohl, etwa 1,5 Mio. Bundesbürger. Sie geben ungewollt ihr Privatleben am Hörer preis.
Wir haben danach gefragt, da ist, glaube ich, ein Fall
von Wohnraumüberwachung. Selbst da ist nicht ganz klar, ob es der große oder der kleine Lauschangriff ist.
Das ist keine Frage der Quantität, Herr Pohl. Hier handelt es sich um eine andere Angelegenheit und es handelt sich um eine ganz andere quantitative Größe. Unter den Maßgaben des Urteils von Karlsruhe und angesichts der zunehmenden Zahl von überwachten Anschlüssen und Gesprächen, insbesondere des wachsenden Anteils abgehörter Kontaktpersonen, sind die entsprechenden Vorschriften im Polizeiaufgabengesetz dringendst auf Grundrechtsverstöße und den Anspruch auf rechtsstaatliche Prinzipien zu überprüfen. Aber auch - und das haben Sie meiner Erinnerung nach, Herr Pohl, nicht erwähnt - die polizeilichen V-Leute, die verdeckten Ermittler und die nicht offen ermittelnden Beamten entziehen sich sowohl ihrer parlamentarischen wie auch jeder juristischen Kontrolle. Diese Schnüffler sind anscheinend so geheim, Herr Minister, dass ausgerechnet Sie
sich jetzt hier so ereifern. Ich darf Sie daran erinnern, Sie behandeln...
Herr Minister, wenn ich mich jedes Mal, wenn ich von Ihnen die Beantwortung einer Kleinen oder Mündlichen Anfrage abgelehnt bekomme, so aufregen würde wie Sie eben jetzt, dann stünde ich wahrscheinlich schon lange nicht mehr hier.
Aber diese von mir eben erwähnten Schnüffler, Herr Minister, sind ganz offensichtlich so geheim, dass nicht einmal ihre Anzahl in einer Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage von mir preisgegeben wird.
Am Ende, bitte.
Hier stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit diese Ermittler ihren Fuß in den Kernbereich privater Lebensgestaltung setzen, nein, es kann auch angezweifelt werden, dass Betroffene diese ungewollten Bekanntschaften rechtlich überprüfen lassen können. Denn § 34 Abs. 7 des Polizeiaufgabengesetzes lässt den Behörden gleich mehrere Hintertüren, eine Benachrichtigung zu unterlassen. Da brauchen Sie auf parlamentarische Gremien, Herr Minister, gar nicht hinzuweisen. Damit ist den Leuten nicht geholfen. Revisionsbedarf sehen wir auch hinsichtlich der Schleierfahndung. Unsere Kolleginnen und Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus finden sie in einer Vierparteienkoalition für die Abschaffung verdachtsunabhängiger Kontrollen. Auf dieses Instrument sei auch deshalb zu verzichten, weil es sich als untauglich zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität erwiesen hätte. Auch die Regelungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel im Thüringer Verfassungsschutzgesetz gehören auf den Prüfstand. Sie liegen genauso neben den Verfassungsnormen wie die entsprechenden polizeilichen Möglichkeiten. Nicht zuletzt, ich wiederhole es noch mal, muss das Sicherheitsüberprüfungsgesetz kritisch hinterfragt werden. Mindestens die Einbeziehung des engsten Lebensumfelds
und die unzureichenden Auskunfts- und Überprüfungsansprüche gehören aus unserer Sicht auf den Prüfstand. Meine Damen und Herren, unser Antrag fordert die Landesregierung auf, dem Landtag bis Ende Mai einen Bericht über das Ergebnis einer solchen Prüfung vorzulegen. Ob und welche Gesetzesänderungen vorgenommen werden müssen, könnte dann in der Entscheidung des nächsten Landtags liegen.
Am Ende noch eine kurze Bemerkung zum SPD-Änderungsgesetz. Mit dem Entwurf wird dem Antrag des Bundesverfassungsgerichts entsprochen. Die in der Praxis hoffentlich schon abgeschalteten Wanzen und Mikrophone würden damit einer Beerdigung durch die Legislative zugeführt. Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, steht die Rolle des Reparaturteams übrigens auch besonders gut. Schließlich waren es nicht wenige SPDAbgeordnete, die im Bundestag den Weg für den großen Lauschangriff frei gemacht haben.
Den Schaden beheben, Herr Pohl, für den man selbst mit verantwortlich ist, das ist eine Rolle, der Sie sich öfter stellen sollten.
Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben wir es ja dann auch noch, dass Sozialdemokraten die Reste des Sozialstaats, den sie derzeit demontieren, wieder zusammenfügen.
Wir werden Ihrem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht verwehren. Es ist sicher eine der seltenen Gelegenheiten, die SPD dabei zu unterstützen, dass sie ihre eigene Politik korrigiert. Politik, meine Damen und Herren, und damit komme ich auf die Frage, die Sie gestellt haben, Herr Pohl, was soll man denn machen, wie soll man denn umgehen mit diesen Angelegenheiten, insbesondere Innen- und Sicherheitspolitik. Man sollte darüber nachdenken,
Herr Döring, Innen- und Sicherheitspolitik muss ehrlich und realistisch sein. Natürlich kann man den Weg so genannter innerer Sicherheit weitergehen. Gesetze lassen sich ändern, selbst das Grundgesetz. Meinungen und Mehrheiten dafür würden sich finden. Man kann über Panzer vor dem Bundestag nachdenken, die Folter androhen, den Verfassungsschutz zentralisieren, die Bürger vermessen und einscannen, den Verdacht zum ausreichenden Tatbestand
erheben oder die Schutzhaft einführen. Alles das ist vielleicht möglich, nur eines nicht, meine Damen und Herren, Terroranschläge werden damit nicht verhindert. Nein, den Bürgern wird nur mehr Sicherheit vorgegaukelt. Die Regierenden entledigen sich so elegant der Verantwortung, über politische Antworten auf den internationalen Terrorismus nachzudenken. Verlieren können wir in diesem Prozess alles das, was uns von denen...
Herr Pohl, wenn Ihnen nicht gefällt, was ich hier rede, können Sie doch rausgehen. Wir können in diesem Prozess
alles das verlieren, was uns von denen unterscheidet, die das Leben und die Demokratie verachten und mit Füßen treten und mit Bomben bedrohen. Das gleiche Denken, das meint, der Terrorismus dürfe keine Wahlen gewinnen, wirft demselben Terrorismus die demokratischen Errungenschaften des Grundgesetzes zum Fraße vor. Am Ende sind es die Sicherheitsapologeten, die den Ausverkauf der demokratischen Zivilgesellschaft betreiben. Aber der Preis, meine Damen und Herren, für die vermeintliche so genannte innere Sicherheit ist hoch. Es sind der Rechtsstaat, die liberalen Grundwerte, die Freiheitsrechte, oder, historisch betrachtet, das Erbe der zweihundert Jahre zwischen 1789 und 1989.
Lassen Sie mich, Herr Fiedler, die Frage, was die PKK angeht, beantworten und zwar mit drei Gründen. Erstens ist es sehr wohl politisch konsequent, wenn man die Abschaffung des Verfassungsschutzes, die Abschaffung aller Geheimdienste fordert, und das mit der Begründung, dass sie eben auch nach der Erfahrung nicht kontrollierbar sind,
dann ist es politisch konsequent, wenn man sagt, wir gehen
in die Parlamentarische Kontrollkommission nicht hinein. Zweitens
habe nicht nur ich, sondern auch die anderen Kolleginnen und Kollegen der Fraktion schon mehrere Berichte der Parlamentarischen Kontrollkommission hier im Landtag gehört, und die haben eindrucksvoll bewiesen, dass man den Verfassungsschutz nicht kontrollieren kann. Drittens haben wir mit dieser Einrichtung so viel erlebt, Herr Fiedler, dass ich denjenigen nicht mehr verstehen kann, der glaubt, ein Geheimdienst ließe sich kontrollieren.
Ausbildung von Polizeihunden unter Anwendung von Elektroschocks
Im März 2003 haben Polizeibeamte bei der Ausbildung von Diensthunden mittels eines Kurbelinduktors und einer Drahtmatte Stromstöße eingesetzt. Ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wurde wegen nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Ich frage die Landesregierung:
1. Zu welchen Ergebnissen sind "Interne Ermittlungen" gekommen?
2. Gibt es inzwischen Rechtsgrundlagen für die Diensthundeausbildung?
3. Sind in den Rechtsgrundlagen Ausbildungsmethoden mittels Stromstößen untersagt?
Wer würde diese Entscheidung treffen?
Umgang mit Volksbegehrensdaten
Im Nachgang zum Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" erhebt sich die Frage nach dem Umgang der Behörden mit den im Rahmen des Volksbegehrens angefallenen Daten, die von datenschutzrechtlichem Interesse sind, zumal § 30 alte Fassung bzw. § 5 neue Fassung des Thüringer Gesetzes über das Verfahren bei Bürger
antrag, Volksbegehren und Volksentscheid (ThürBVVG) Löschungsvorschriften enthalten.
Ich frage die Landesregierung:
1. Sind bei den Behörden, die mit der Durchführung des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Thüringen" befasst waren, alle vorhandenen personenbezogenen Daten, die bei der Durchführung des Volksbegehrens erhoben, verarbeitet oder genutzt wurden, inzwischen gelöscht worden und wann ist das geschehen?
2. Erfolgte beim Thüringer Landesamt für Statistik eine Verarbeitung oder Nutzung solcher Volksbegehrensdaten und wie ist das Amt mit diesen Daten weiter verfahren?
3. Wie sind die Behörden mit nicht personenbezogenen Daten umgegangen, die bei ihnen im Zuge des Volksbegehrens angefallen sind?
4. In welcher Weise haben die Behörden die Landesbeauftragte für den Datenschutz in die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen beim Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" einbezogen?
Leistung von Unterstützerunterschriften bei Kommunalwahlen nach § 14 Abs. 5 Thüringer Kommunalwahlgesetz (ThürKWG)
Am 27. Juni 2004 finden in Thüringen Kommunalwahlen statt. Nach § 14 Abs. 5 ThürKWG müssen Wahlvorschläge von Parteien und Wählergruppen, die nicht aufgrund eines eigenen Wahlvorschlags seit der letzten Wahl ununterbrochen im Bundestag, im Landtag, im Kreistag oder im Gemeinderat vertreten sind, unbeschadet der nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ThürKWG erforderlichen Unterschriften zusätzlich von viermal so vielen Wahlberechtigten unterstützt werden, wie Gemeinderatsmitglieder zu wählen sind.
Die Wahlberechtigten haben sich dazu persönlich nach der Einreichung des Wahlvorschlags in eine vom Gemeindewahlleiter bei der Gemeinde bis zum 34. Tag vor der Wahl ausgelegten Liste unter Angabe des Vor- und Nachnamens, ihrer Anschrift und ihres Geburtsdatums einzutragen.
Nach § 27 Abs. 3 ThürKWG gilt diese Regelung analog für die Kreistagswahlen. Weitere Regelungen zu den Unterstützungsunterschriften finden sich in § 20 der Thüringer Kommunalwahlordnung (ThürKWO).
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie wird begründet, dass die Unterstützerunterschriften für Gemeinderatswahlvorschläge der Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft nach § 14 Abs. 5 ThürKWG nur in den Diensträumen der Verwaltungsgemeinschaft geleistet werden können?
2. Welche Gründe sprechen dagegen, dass diese Unterstützerunterschriften nach § 14 Abs. 5 ThürKWG auch in den Diensträumen des ehrenamtlichen Bürgermeisters der jeweiligen Gemeinde geleistet werden können, zumal die gesetzliche Regelung auf den Rechtsbegriff der Gemeinde verweist?
3. Inwieweit ist die Verwaltungsgemeinschaft berechtigt, für die Leistung der Unterstützerunterschriften nach § 14 Abs. 5 ThürKWG gegebenenfalls Räumlichkeiten in den Mitgliedsgemeinden auszuweisen und zu nutzen?
4. In welchen Räumlichkeiten und Dienstgebäuden können die Unterstützungsunterschriften für die Kreistagswahl nach § 14 Abs. 5 in Verbindung mit § 27 Abs. 3 ThürKWG geleistet werden, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Landkreisverwaltungen häu
fig an mehreren Standorten Dienstgebäude und Räumlichkeiten unterhalten?
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich will versuchen auf einige der Argumente, die hier genannt worden sind, einzugehen, ohne mich im größeren Maß auf auch
meines Erachtens beabsichtigte Fehlinterpretationen einzulassen. Eines möchte ich allerdings
von mir und von meiner Fraktion weisen, nämlich die infame Unterstellung, Herr Minister Gasser, dass die PDS-Fraktion den Opferschutz nicht ernst nehme.
Also auf diesem Niveau, Herr Kretschmer, möchte ich das Thema keinesfalls abhandeln,
aber ich komme noch zu dieser Niveaustufe, sie hat nämlich im Zuge der Erarbeitung des Thüringer Gesetzes durchaus eine Rolle gespielt. Herr Minister Gasser, wenn Sie sagen, die PDS-Fraktion nimmt den Schutz der Bevölkerung nicht ernst, dann ist das tatsächlich - und ich bedaure das - nichts weiter als die Fortsetzung der Birkmann'schen Politik mit Gasser'schen Mitteln.
Erinnern wir uns, bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes zur nachträglichen Sicherungsverwahrung versuchte der damalige Justizminister Dr. Birkmann mit der reißerischen Gleichsetzung von Gefangenen mit "tickenden Zeitbomben" ein dramatisches Sicherheitsdefizit zu suggerieren. Natürlich - er hatte ein maßgebliches Vorbild, den SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der dazu nichts weiter zu sagen hatte als "wegsperren".
Auf andere dieser Effekthaschereien will ich nicht eingehen. Mit Effekthascherei, Frau Vopel, auf Bild-Zeitungs-Niveau wird man aber weder den Problemen noch den Leiden der Opfer oder den Schmerzen der Angehörigen der Opfer gerecht werden können. Der Gipfel der grobschlächtigen Polemik war erreicht, als Minister Dr. Birkmann die Ausführungen von Herrn Dr. Koch mit der Bemerkung kommentierte, sie lägen neben dem Thema, weil dieser in seinem Redebeitrag in der ersten Lesung anstelle des Begriffs "Unterbringung" mehrmals den Begriff "Sicherheitsverwahrung" gebrauchte. All dies aber zeigt, dass der Amtsvorgänger von Herrn Dr. Gasser nicht nur auf die von den Medien angestachelten Emotionen, sondern eben vor allem auch auf die Uninformiertheit der Öffentlichkeit setzte. Wäre es dem damaligen Justizmi
nister um eine sachliche Aufklärung gegangen, hätte er dagegen einige Dinge nicht unerwähnt lassen dürfen.
Gemach, gemach, Herr Dr. Pietzsch, ich lasse mir dafür so viel Zeit, wie ich brauche bzw. wie mir die Präsidentin gibt.
Sie werden mein Tempo des zur Sache Kommens nicht beeinflussen.
1. Die Kriminalstatistik hätte nicht unerwähnt bleiben dürfen. Die Kriminalstatistik belegt nämlich, dass die Zahl der Sexualmorde sowohl insgesamt als auch bei den an Kindern verübten in den letzten 30 bis 40 Jahren ständig und merklich rückläufig war. Das Gleiche gilt für die Fallzahlen bei sexuellem Missbrauch von Kindern. Und dies, meine Damen und Herren, festzustellen, hat nichts mit Zynismus zu tun, hat nichts mit Naivität zu tun, sondern es ist das Bemühen um Sachlichkeit im Zusammenhang mit Fällen, die durchaus zutiefst bitter sind.
Aber es darf der Politik nämlich nicht darum gehen, populistische Stammtischbetrachtungen zu bedienen, sondern Politik hat die Aufgabe, Probleme konstruktiv zu lösen.
2. Was zu erwähnen gewesen wäre, ist die allgemein in der Psychologie vorhandene Erkenntnis über die erhebliche Fehlerhaftigkeit psychologischer Gutachten, die eine ebenso erhebliche Rückfallgefährdung von Straftätern prognostizieren.
3. hätte auch nicht verschwiegen werden dürfen, dass die im Strafurteil vorgenommene Begrenzung der Freiheitsentziehung, aufgrund derer der Straftäter darauf vertrauen kann, nach Strafverbüßung und Erledigung einer freiheitsentziehenden Maßregel wieder ein Leben in Freiheit führen zu können, unverzichtbarer Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafrechts ist.
Eine nachträglich nach Verbüßen der Freiheitsstrafe angeordnete und nicht im Urteil vorbehaltene Freiheitsentziehung würde dem Urteil seine Verlässlichkeit entziehen und der Willkür die Türen öffnen.
Minister Dr. Gasser hat bedauerlicherweise den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg fortgesetzt. Er verteidigte zwar bislang nicht das Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz mit der gleichen Grobschlächtigkeit, die Dr. Birk
mann auszeichnete, dennoch ist der von ihm auch in der zweiten Lesung mit Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit von Prognoseentscheidungen ausgesprochene Satz irreführend, ein verbleibendes Prognoserisiko sei von den Tätern und nicht von den Opfern zu tragen.
Der mögliche Opferschutz durch die Sicherungsverwahrung rechtfertigt keineswegs die nach Strafverbüßung fortdauernde Freiheitsentziehung von Straftätern, die einen Verbleib hinter Gittern nicht verdient haben. Das würde man dabei wohl in Kauf nehmen, erst recht dann nicht, wenn diese aufgrund der Entscheidung, die sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilte, hiermit nicht rechnen mussten. Nunmehr liegt das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den bayerischen und sachsenanhaltinischen Gesetzen vor, die mit der Thüringer Regelung im Wesentlichen übereinstimmen. Die Entscheidung besteht aus zwei Teilen.
Im ersten, von sämtlichen Richtern einstimmig getragenen Teil werden die Landesgesetze wegen fehlender Kompetenz des Landesgesetzgebers als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Wer sich mit der Materie näher befasst hat, Herr Wolf, und das haben wir, der wird sich von diesem Ergebnis nicht sonderlich überrascht sehen, weil es entgegen der Darstellung des Justizministeriums im Gesetzgebungsverfahren der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur eben entspricht. Die von den Abgeordneten Dr. Koch und Steffen Dittes während der ersten und zweiten Lesung des Gesetzentwurfs gemachten Ausführungen zur fehlenden Landeskompetenz finden sich in den Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts ganz genau so wieder. Überraschend hingegen ist der zweite Teil der Entscheidung, in dem das Gericht mit einer Mehrheit 5:3 Stimmen anordnete, dass die Gesetze nach Maßgabe der Gründe bis zum 30. September dieses Jahres vorläufig anwendbar bleiben. Die Entscheidung ist insofern außergewöhnlich, als das Gericht hier, abweichend von bisherigen Fällen der Anordnung der befristeten Fortgeltung eines verfassungswidrigen Gesetzes, erstmalig bei einem wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrigen Gesetzes die Fortgeltung angeordnet hat.
Diese Entscheidung der Senatsmehrheit wird in einer sehr lesenswerten abweichenden Meinung der drei dissentierenden Richter scharf kritisiert. Auf die Einzelheiten der abweichenden Meinungen will ich hier nicht eingehen. Bemerkenswert ist allerdings die Feststellung der drei Richter, dass die in den Landesgesetzen vorgesehene nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Rückwirkungsverbots zu vereinbaren sei. Dies müsse der Bundesgesetzgeber beachten, wenn er eine Regelung anstrebe, die die weitere Unterbringung der auf der Grundlage der Landesgesetze Inhaftierten vorsehe.
Sie, Herr Minister Gasser, haben bisher immer die Zuversicht kundgetan, dass die beiden Gesetze von Bayern und Sachsen-Anhalt der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten könnten. Nunmehr, nach Vorliegen der Entscheidung, gibt das Thüringer Justizministerium interessanterweise bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht die Thüringer Rechtsauffassung bestätigt habe. Das überrascht, sowohl Sie, Herr Dr. Gasser, als auch Ihr Amtsvorgänger hatten bisher stets behauptet, dass eine Kompetenz des Landesgesetzgebers bestehe und hatten die Auffassung unserer Fraktion für unzutreffend erklärt, dass diese Kompetenz nicht besteht. Die Richtigkeit der vonseiten des Bundesjustizministeriums geäußerten Meinung, die Länder seien zuständig, wurde vom Thüringer Justizministerium nie in Zweifel gezogen. Es muss daher bereits auf den ersten Blick sehr überraschen, dass sich das Thüringer Justizministerium nunmehr durch das Verfassungsgericht als bestätigt betrachtet.
In einer Pressemitteilung behauptet das Justizministerium, der zuständige Senat habe in seiner Urteilsbegründung keine Bedenken gegen die angegriffenen landesrechtlichen Regelungen erhoben. Das ist allerdings nicht zutreffend. Die Senatsmehrheit bezeichnet die äußerliche Beschränkung der Prognosebasis auf das Verhalten im Vollzug als einen misslungenen Kunstgriff des Gesetzgebers. Es hält die Gesetze in der Zeit der befristeten Fortgeltung nur bei entsprechender verfassungskonformer Auslegung für zulässig und nennt verschiedene Maßgaben, die hierbei zu berücksichtigen seien.
Der Senat hat schließlich auch nicht die für die inhaltliche Zulässigkeit der landesrechtlichen Regelungen maßgebliche Frage der Rückwirkung der angegriffenen Gesetze erörtert, weil es für ihn wegen der Kompetenzwidrigkeit der Gesetze hierzu gar keinen Anlass gab. In dem von der Senatsmehrheit getragenen Teil der Begründung heißt es, Zitat: "Das Bundesverfassungsgericht hat vorliegend nicht darüber zu befinden, ob der von den Ländern gewählte Weg inhaltlich und verfahrensrechtlich mit den materiellen Vorgaben der Verfassung übereinstimmt. Jedenfalls steht aber ein vom zuständigen Gesetzgeber entwickeltes Konzept nachträglicher Anordnung einer präventiven Verwahrung noch inhaftierter Straftäter bei entsprechend enger Fassung nicht von vornherein unter dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit." Die Senatsmehrheit lässt somit die Frage ausschließlich offen, ob eine nachträglich angeordnete, im Urteil nicht vorbehaltene Sicherungsverwahrung, wie sie die Straftäterunterbringungsgesetze der Länder vorsehen, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es ist daher nicht korrekt zu behaupten, der zweite Senat habe in seiner Urteilsbegründung inhaltlich keine Bedenken gegen die angegriffenen landesrechtlichen Regelungen erhoben.
Schließlich wurde vom Thüringer Justizministerium behauptet, das Bundesverfassungsgericht habe die Thüringer Rechtsauffassung, wonach der Bund zum Handeln bei nachträglicher Sicherungsverwahrung aufgerufen sei, bestätigt. Auch das ist unzutreffend. Die Senatsmehrheit hat
in dem von ihr getragenen Teil der Entscheidungsgründe eine Pflicht des Bundesgesetzgebers, die derzeitige Rechtslage bei der Sicherungsverwahrung zu ändern, gar nicht behauptet. Stattdessen hat sie lediglich ausgeführt, dass dem Bundesgesetzgeber die Gelegenheit zur Prüfung eines eventuellen Gesetzgebungsverfahrens zu geben sei, weil er irrtümlich von einer Gesetzgebungskompetenz der Länder ausgegangen ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, meine Damen und Herren, ist somit keine Bestätigung, sondern eher eine Korrektur der Auffassung des Thüringer Justizministeriums.
Es erhebt sich die Frage: Wie ist nunmehr mit dem Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz zu verfahren? Nach unserer Auffassung - abweichend von der Ihren, Herr Minister - gibt es drei Möglichkeiten. Das Gesetz wird nicht aufgehoben, weil das Thüringer Gesetz nicht Gegenstand der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren war, hätte aber die Fortgeltung des Gesetzes über den 30. September 2004 hinaus zur Folge. Dem könnte eine Folgenbeseitigungspflicht des Thüringer Gesetzgebers entgegenstehen. Allerdings wird eine Pflicht zur Aufhebung eines parallelen Gesetzes, das mit dem kassierten Gesetz identisch ist, dann verneint, wenn der Gesetzgeber des kassierten Gesetzes nicht daran gehindert ist, die für verfassungswidrig erklärte Norm erneut zu verabschieden. Hier fehlten jedoch den vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Straftäterunterbringungsgesetzen der Länder Bayern und Sachsen-Anhalt wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz jede demokratische Legitimation, so dass der Gesetzgeber dieser Länder auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt die Gesetze erneut erlassen dürfte. Im Ergebnis ist der Gesetzgeber in Ländern, die identische Gesetze erlassen haben, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren, verpflichtet, ihre Gesetze aufzuheben.
Aber auch dann, wenn man aus § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Pflicht des Thüringer Gesetzgebers zur Aufhebung des Thüringer Straftäterunterbringungsgesetzes nicht ableiten würde, wäre eine Nichtaufhebung widersinnig. Da das Thüringer Gesetz nicht Prüfungs- und Entscheidungsgegenstand der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Verfassungsbeschwerde war, würde das Gesetz, anders als dies in einer Pressemitteilung des Justizministeriums behauptet wird, nicht am 1. Oktober seine Geltung verlieren. Die Justizvollzugsanstalten müssten demnach auch nach dem 30. September 2004 die Unterbringung beantragen, wenn ihnen die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände bekannt wären. Die zuständige Strafvollstreckungskammer würde dann allerdings wegen der Unvereinbarkeit des Thüringer Gesetzes mit dem Grundgesetz die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen, welches die Nichtigkeit der Thüringer Regelung feststellen würde. Die Aufhebung des Gesetzes wäre somit auch bei Verneinung einer Rechtspflicht des Gesetzgebers zur Aufhebung eine notwendige Bereinigung des Thüringer Rechts.
Die zweite Möglichkeit bestünde darin, das verfassungswidrige Gesetz mit Wirkung vom 1. Oktober 2004 aufzuheben. Diese Lösung würde jedoch ebenso wenig überzeugen, wie eine gänzliche Unterlassung der Aufhebung. Die Erwägung, die das Bundesverfassungsgericht seiner Anordnung der befristeten Fortgeltung der Gesetze in Bayern und Sachsen-Anhalt zugrunde legte, treffen in Thüringen nicht zu. Die Senatsmehrheit begründete die Anordnung der Fortgeltung damit, dass bei einer sofortigen Entlassung der untergebrachten Straftäter dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit unwiderruflich genommen würde, Zitat: "... aufgrund seiner nunmehr festgestellten Kompetenz über die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zum Schutz vor weiteren Straftaten dieser Betroffenen zu entscheiden und die etwa für notwendig gehaltenen Regelungen zu erlassen." Im Übrigen würde - so die Meinung der Senatsmehrheit - bei einer sofortigen Entlassung der Betroffenen aufgrund einer sofortigen Nichtigkeit der Landesgesetze den Ländern die Gelegenheit entzogen, rechtzeitig alternative Schutzmaßnahmen zu entwickeln und zu koordinieren.
Alle diese aus Sicht der Senatsmehrheit für die befristete Fortgeltung maßgeblichen Erwägungen sind in Thüringen nicht einschlägig, weil in Thüringen bisher - das haben Sie selbst auch festgestellt - in keinem einzigen Fall die Unterbringung aufgrund der Landesregelung angeordnet wurde, so dass bei deren Aufhebung mit sofortiger Wirkung auch kein untergebrachter Straftäter mit sofortiger Wirkung würde entlassen werden müssen. Im Ergebnis ist daher diese letzte Variante, nämlich die Aufhebung mit sofortiger Wirkung, die allein überzeugende und das ist der Grund, weshalb wir den Gesetzentwurf eingebracht haben. Ich beantrage die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Justizausschuss. Danke schön.
Jenseits all der Dinge, die Sie gesagt haben, meine Frage: Wie können Sie nicht verstehen bei den vielen Plädoyers für Vernunft und für Rechtsstaatlichkeit, dass wir kein Verständnis dafür haben, dass, wenn eine Bundesministerin Sie zum Bruch der Regelungen des Grundgesetzes auffordert, Sie sich dann dieser Aufforderung des Bruchs der grundgesetzlichen Regelungen annehmen, Herr Minister?
Kfz-Kennzeichenerfassung am Rennsteigtunnel
Nach der Ablehnung des Innenausschusses, verbliebene Fragen zur Videoüberwachung am Rennsteigtunnel zu beraten, stellen sich einige Fragen zum Ablauf des Testverfahrens.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wo befanden sich die Rechner mit der Software, bei denen die am Rennsteigtunnel erfassten Daten aufliefen?
2. Wer hatte Zugang zu Hard- und Software und den gespeicherten Daten?
3. Wo befand sich die gesamte Anlage nach der Deinstallierung und wie lange?
4. Wie hoch beziffert sich der Finanzaufwand öffentlicher Haushalte für das inzwischen beendete Überwachungsprojekt und welche Einzelposten umfasst er?
Thüringer Gefahren-Hundeverordnung und zugehörige Verwaltungsvorschrift
Es häufen sich die Anfragen von Hundehaltern hinsichtlich einer im September 2003 vorgenommenen Veränderung der Gefahren-Hundeverordnung und der dazugehörigen Verwaltungsvorschrift. Hundehalter beklagen, dass mit den Änderungen eine Verschärfung des Rechts zur Hundehaltung vorgenommen wurde, die der Intention der Gefahren-Hundeverordnung aus dem Jahre 2001 widerspricht.
Ich frage die Landesregierung:
1. Welche Ereignisse haben die Landesregierung veranlasst, die Änderung der Rechtsgrundlagen vorzunehmen?
2. Entspricht es den Tatsachen, dass die derzeitige Rechtslage indirekt Hunderassen als a priori gefährliche betrachtet?
3. Gibt es aus Gerichtsurteilen Hinweise darauf, dass die Unterstellung der Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen rechtswidrig ist?
4. Liegen derzeit Unklarheiten oder Widersprüchlichkeiten in den Rechtsgrundlagen der Hundehaltung in Thüringen vor?
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, man hat schon seine Not, hier nicht vorzugehen und zu sagen, ich schließe mich meinem Vorredner an.
Deswegen mache ich es auch nicht, Herr Kretschmer. Ich gebe mir also Mühe, jetzt noch zu retten, was zu retten ist, denn der Untersuchungsausschuss, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es nicht retten.
Was hat der Thüringer Innenminister tatsächlich gewusst, als er am 10. Dezember des letzten Jahres den Innenausschuss und die Öffentlichkeit falsch informierte? Glauben Sie ernsthaft, dass der Untersuchungsausschuss diese Frage beantworten wird? Außerdem soll sich der Untersuchungsausschuss mit den Fragen nach dem Ablauf der Überwachungsmaßnahme am Rennsteigtunnel befassen und den Umgang mit der Anlage und den erfassten Daten klären. Ein Untersuchungsausschuss soll das klären? Glauben Sie ernsthaft daran?
Eine andere Frage ist auch nicht neu und sie befindet sich versteckt in Ihren Fragen und da wird es eigentlich schon interessanter: Was ist eigentlich los im Thüringer Innenministerium? Wer agiert gerade ohne wen oder gegen wen und warum? Glauben Sie, dass dieser Untersuchungsausschuss diese Frage klären wird? Keiner weiß das so richtig. Nur eines, meine Damen und Herren, wissen wir heute schon, der Untersuchungsausschuss wird diese Fragen wohl gar nicht beantworten können. Das nun wissen auch die Antragsteller. Der vorliegende Antrag ist nicht der Hoffnung geschuldet, mit dem Untersuchungsausschuss das Wirrwarr von Informationen und Interes
sen im Ministerium aufzulösen oder die Frage nach der Rolle des Hausherrn und seinem Verständnis des Parlaments zu beantworten. Nein, der Antrag ist nicht richtig ernst zu nehmen, er ist recht eigentlich ein Kind der Wahlkampfzeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, von Ihnen sind ausreichend viele lange genug in diesem Parlament, um zu wissen, schon wegen der Kürze der verbleibenden Zeit wird dieser Untersuchungsausschuss die gestellten Fragen nicht beantworten und schon gar nicht zum Kern des Problems vorstoßen. Er wird wohl diese Frage, diese Frage steht nicht, Frau Pelke,
denn die Alternative heißt nicht, etwas so lassen oder einen Untersuchungsausschuss einsetzen, von dem man weiß, dass er kein Ergebnis bringen wird.
Es wird wohl am Ende schon aus zeitlichen Gründen nichts weiter geben als die Einsetzung des Untersuchungsausschusses, die Wahl der Verantwortlichen, dann wird die Streiterei beginnen über die Beweisanträge und dann ist der Wahltag da und dann geht die ganze Sache den Bach herunter, d.h. unterliegt der Diskontinuität. Das war Ihnen, meine Damen und Herren, beim Einreichen des Antrags doch klar.
Und ein Weiteres ist wohl heute gewiss, die CDU-Vertreter im Ausschuss werden genau so, Herr Dr. Pietzsch, wie sie die Verfassungsrechte zu achten wissen, ihre Möglichkeiten in der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu nutzen wissen.
Die Opposition hat das im Untersuchungsausschuss 3/3 mit der Ablehnung von Beweisanträgen und der Abänderung des Abschlussberichts nicht zum ersten Mal erfahren dürfen.
Vor diesem Hintergrund sind wir mehr als skeptisch, dass mit dem Untersuchungsausschuss Fragen tatsächlich beantwortet werden können. Am Schluss, das prophezeie ich hier, wird es wieder heißen: Genaues weiß man nicht.
Die Erfahrungen lehren, und da widerspreche ich Ihnen, Frau Kollegin Pelke, nur Parlamentstheoretiker halten einen Untersuchungsausschuss für "das schärfste Schwert des Parlaments". Die Wirklichkeit ist, dieses Schwert glänzt klar blank in der Mediensonne, ist aber stumpf wie eine Theaterrequisite.
Sie werden nicht ausschließen können, dass die Erfahrungen, die ich habe, unter Umständen auch auf selbst beantragten Untersuchungsausschüssen fußen.
Untersuchungsausschüsse erinnern mich immer an ein Excalibur der Styroporklasse aus den hinlänglich bekannten Artusfilmen.
Die wirklich interessanten Fragen, meine Damen und Herren, die werden ja auch eigentlich gar nicht gestellt. Eigentlich stünde eine politische Auseinandersetzung mit der Überwachungsmanie des Innenministers und seiner Amtskollegen auf der Tagesordnung.
Das ist die Antwort auf Ihre Frage, Frau Pelke, was eine Alternative zum Untersuchungsausschuss wäre. Die Sondersitzung zum Thema hat doch eindrucksvoll mehreres belegt: Das Projekt der automatischen Kennzeichenerfassung ist nach Meinung des Innenministers einfach nur unglücklich gelaufen. Gegen geltendes Recht hat man eigentlich nicht verstoßen und den Sinn dieser Maßnahme zog Herr Minister Trautvetter nie in Zweifel. Man konnte sogar in der Parlamentsdiskussion ein leises Bedauern hören, dass neben den Kennzeichen nicht auch noch gleich die Gesichtsbiometrie der Autofahrer erfasst wurde. Das ist nicht nur technisch möglich, die Anlage hätte es nach unseren Informationen auch geleistet. Hier in Thüringen, aber eben nicht nur hier in Thüringen, herrscht nun einmal der Grundsatz: Was möglich ist, das wird auch gemacht. Das hat zu Weimar geführt und das hat zum Rennsteigtunnel geführt. Aber das kann nach unserer Auffassung nicht der Maßstab der Beurteilung eines polizeilichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den Staat sein. Diese ablehnende Position erwächst nicht etwa aus einer uns nachgesagten Antistaatlichkeit. Selbst ein Kommentar des Leib- und Magenblatts des deutschen Konservatismus "Die Welt" vertritt in Bezug auf die automatische Kennzeichenerfassung die Ansicht - Zitat: "Dass etwas reibungslos funktioniert, ist noch kein Beweis dafür, dass es sinnvoll ist. Der Bürger nämlich hat Recht auf einen Staat, der sich immer dort heraushält, wo er mehr schadet als er nutzen kann."
Auch der einstige SPD-Innenminister von Niedersachsen findet einen gar drastischen Vergleich, wenn er das Vorhaben einer automatischen Kennzeichenerfassung kritisiert - Zitat: "Das läuft auf eine Qualität der Bürgerkontrolle hinaus, die sich Orwell in seinen schlimmsten Albträumen nicht ausgemalt hat."
Neben bürgerrechtlicher Kritik gibt es aber auch eine, die aus der Frage nach dem Sinn der Maßnahme folgt. Sollte es sich wirklich, Herr Minister, wie behauptet, um ein technisches Hilfsmittel bei der Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen oder Flüchtigen handeln, dann muss doch die Frage erlaubt sein, wen die Polizei mit dem Scannen der Kennzeichen glaubt fassen zu können. Doch nur Autodiebe, die so blöd sind, mit gesuchten Autokennzeichen an geklauten Fahrzeugen weiter in der Weltgeschichte herumzugondeln und dann noch auf der Autobahn und ausgerechnet noch durch den Rennsteigtunnel. Dort werden sie dann gefasst und ergriffen, denn es ist ja nun bekanntlich das vordringliche Ziel eines jeden Autodiebes, fotografiert und gestellt zu werden. Und wenn jetzt wieder jemand die organisierte Kriminalität oder den internationalen Terrorismus bemühen möchte, dann sei ihm geantwortet: Würde denn diese oder jene Mafia sich massenhaft zum Skifahren in Oberhof einchecken oder Al KaidaSpione sich an den Loipen der Biathlon-Weltmeisterschaft tummeln wollen? Wie schon die Videoüberwachung öffentlicher Plätze entpuppt sich auch die automatische Kennzeichenerfassung als "Trojanisches Pferd". So jedenfalls bezeichnet der Strafrechtler Professor Roland Hefendehl die Observation der Innenstädte durch Videokameras. Hinter dem vorgeblichen Interesse der Sicherheitsbehörden, Kriminalität zu verfolgen, ginge es bei der Überwachung der Innenstädte im Kern um die Kontrolle so genannter "sozial auffälliger Menschen" und um ihre Vertreibung aus den Einkaufsmeilen. Zitat: "Unerwünschte Gruppen haben zu verschwinden, sie schaden dem Konsum." Auch bei der automatischen Kennzeichenerfassung werden noch ganz andere Begehrlichkeiten bedient als nur der Wunsch, Autodiebe zu fassen, die wegen extremer Dummheit in eine solche Falle tappen. Nein, meine Damen und Herren, die CSU in Bayern hat unvorsichtigerweise Klartext geredet. Sie äußert die Hoffnung, mit dieser Überwachungstechnik könnten z.B. auch "bekannte Störer" vor Demonstrationen herausgefiltert werden. Und da wird deutlich, wo die Datensammelwut am Ende hinführt.
Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, warnt davor, dass man leicht ein Bewegungsprofil jedes Autofahrers erstellen könne, wenn man die Vielzahl der Videoüberwachungsanlagen am Ende einfach vernetzen würde.
Und eines noch in die Richtung der Kolleginnen und Kollegen der SPD: Ich kann Ihre Kritik an der Thüringer Innenpolitik nur ein kleines Stück weit ernst nehmen. In
Berlin bricht die rotgrüne Bundesregierung Monat für Monat weitere Teile aus dem Fundament der Grund- und Bürgerrechte und hier in Thüringen werden über Datenschutzrechtsverletzungen wahre Krokodilstränen vergossen. Die Kritik am unrechtmäßigen Horten von Daten auf Vorrat bei der automatischen Kennzeichenerfassung trifft genau so zu für das neue Telekommunikationsgesetz, mit dem die Möglichkeiten der Telefonüberwachung ausgeweitet und perfektioniert werden sollen. Diese Gesetzesvorlage ist ein Präsent aus dem Hause des SPD-Innenministers Otto Schily.
Sehr geehrte Damen und Herren, nicht nur die Sorgen sind begründet und berechtigt, nein, die Kritik darf sich nicht nur auf das Thüringer Vorgehen beim Probebetrieb am Rennsteigtunnel erstrecken, das Vorhaben der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz ist im Ganzen abzulehnen. Nicht nur die konkreten Umsetzungen hier und anderswo, in Bayern oder in Hessen z.B., sondern das Vorhaben selbst verstößt gegen Datenschutz, verletzt Bürgerrechte, hat wenig kriminalpolitischen Nutzen, aber kostet eine Menge Geld.
Sie, Herr Minister, haben vorhin die Kostenrechnung aufgemacht, und Sie hatten Not, wenigstens einen Teil der Kosten als nicht ganz zum Fenster hinausgeworfen darzustellen.
Herr Minister, ich hoffe, dass das Protokoll das, was Sie jetzt eben gesagt haben, nicht vernommen hat, denn es ist unverantwortlich, eine solche Einschätzung der Zahlenaufstellung vorzunehmen, die Sie vorhin gegeben haben.
Die Kosten für diese Überwachung lassen sich - ich halte Herrn Innenminister Trautvetter für dreist genug, dass er das selbst noch mal sagen wird - aber eben nicht nur in Tausenden Euro berechnen, die für solchen Unfug z.B. hier in Thüringen bereits ausgegeben wurden. Nein, es sind auch die Kosten zu bedenken, die der Staat dem Bürger dadurch auflädt, dass er ihn unter einen Generalverdacht stellt. Das staatsbürgerschaftliche Verständnis und die Identifikation mit dem Gemeinwesen werden verletzt und nur dadurch wird am Ende eine generelle Überwachung gerechtfertigt. Genau das aber, das Anlegen von Datensammlungen ohne konkreten Anlass, ist vom Bundesverfassungsgericht strikt untersagt worden. Aber die Gier nach mehr Daten ist auch bei den Innenministern doch größer als die Bereitschaft, die Verfassung, die Gesetze, die Instanzen und die Bürgerschaft zu achten. Sie betreiben eine entfesselte Sicherheitspolitik auf Kosten der Bürgerrechte ohne jedes Augenmaß und jenseits einer vernünftigen Kosten-Nutzen-Relation und jenseits akzeptabler Verhältnismäßigkeitserwägungen.
Das lässt sich nicht nur aus sich heraus erklären, nein, meine Damen und Herren, dahinter steht ein generelles politisches Prinzip, das problematisch ist. Mit dem Abschied von seiner sozialen Verantwortung nimmt der Staat bewusst
hören Sie zu, Frau Groß, hören Sie gut zu - zunehmende Armut, Chancenungleichheit und die Zerstörung der solidarischen Sicherungssysteme in Kauf. Was kommt, ist eine Individualisierung des Elends, eine Entsolidarisierung
ja, meine Damen und Herren, verschließen Sie nicht die Augen vor Prozessen, gegen die Sie anschließend polizeiliche Maßnahmen ergreifen.
Was folgt, ist eine Entsolidarisierung von Arm und Reich, von Gesund und Krank, von Jung und Alt. Ein Anstieg von Kriminalität ist damit zwangsläufig die sich durchsetzende Politikfolge. Mit unsozialer Politik nach innen und aggressiver Politik nach außen werden Probleme erzeugt, die man dann anschließend mit Restriktion und Repression versucht, im Zaume zu halten. Statt Probleme einer Lösung zuzuführen, rüstet der Staat gegen selbst erzeugte neue soziale Konflikte auf.
Meine Damen und Herren, das eigentliche Problem ist also gar nicht die Frage: Hat der Innenminister Thüringens gewusst oder hat er nicht gewusst? War die Beobachtung am Rennsteigtunnel rechtens oder nicht rechtens? Das eigentliche Problem ist eine sozial ungerechte Politik, gepaart mit der Datengier der herrschenden Sicherheitsapologeten.
Meine Damen und Herren, sowohl von der CDU-Fraktion als auch von der SPD-Fraktion, Sie kennen nun unsere Zweifel gegenüber dem vorliegenden Antrag und gegenüber dem beabsichtigten Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss wird eingesetzt werden, die Voraussetzungen der Verfassung, des entsprechenden Gesetzes und der Geschäftsordnung sind gegeben. Wir werden seine Arbeit nach besten Kräften unterstützen, sofern es überhaupt noch dazu kommt, aber unserer Zustimmung zu diesem Antrag bedarf es nicht. Danke schön.
Nein, entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist einfach wirklich gar zu lustig.
Herr Gentzel, Sie sind von Anfang an dabei und Sie reden hier wider jede Wirklichkeit und gegen jede Erfahrung.
In wie vielen Untersuchungsausschüssen haben Sie denn schon gesessen, Herr Gentzel?
Gut, dann weiß ich allerdings nicht, womit Sie sich befasst haben, als Sie dort in fast allen Untersuchungsausschüssen gesessen haben. Ich halte es für durchaus politisch lauter, wenn man den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fünf Monate vor dem Wahltermin kritisiert. Das halte ich für durchaus möglich. Aber wenn Sie, Herr Gentzel, sich jetzt hier hinstellen und versuchen den Eindruck zu erwecken, als hätte sich die
SPD bei der Nacharbeitung der diversen Videoüberwachungen des Innenministers nun unbedingt mit parlamentarischem Ruhm bekleckert, dann kann ich einfach nur lachen, Herr Gentzel. Wer hat denn die Sondersitzung für den 22.12. vergangenen Jahres beantragt? Wer hat denn die Mündlichen Anfragen gestellt, um das Rätsel wenigstens so weit knacken zu können, als es sich knacken lässt?
Entschuldigen Sie bitte, Herr Gentzel, Sie können sich doch vor dem Hintergrund Ihrer eigenen parlamentarischen Erfahrung jetzt nicht hinsetzen und glauben, dass man, wenn man jetzt sagt, ein Untersuchungsausschuss bringt nichts mehr, dass man sich dann anlügen ließe?
Ich muss, um festzustellen, ob ich angelogen worden bin, doch die Antwort erst mal anhören.
Also bitte, Herr Gentzel, Sie mögen sich sehr gern, Herr Gentzel, hier aufregen und echauffieren, das ist Ihr gutes Recht, aber Sie können, das, was Sie jetzt unternommen haben, nicht auf diese Weise mit Sinn erfüllen. Das hätte auf eine ganz andere Art geschehen müssen.
Ich bin nicht sicher, dass ich in dem Streit, von dem ich nur weiß, dass er ca. seit Mitte der 90er-Jahre...
Siehe da. Mit dem Zunehmen an Jahren wird es eher peinlicher, deswegen meine Frage: Wie glaubt denn Politik, sprich z.B. die Rechtsaufsichtsbehörde, darauf Einfluss nehmen zu können, dass es zu einer Lösung kommt, die nicht nur rechtlichen Vorgaben, sondern auch, sagen wir mal, sozialen Vorstellungen des Umgangs mit den Interessen der Beteiligten entsprechen kann?
Löschung der am Rennsteigtunnel erfassten Daten
Nach Presseberichten vom 3. Januar 2004 teilte das Thüringer Innenministerium mit, dass die 658 Datensätze, die bei der KFZ-Kennzeichen-Erfassung am Rennsteigtunnel gespeichert worden waren, "kurz vor dem Jahreswechsel" gelöscht wurden.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wann und durch wen wurde die Löschung vorgenommen?
2. Wie viele Bürger haben einen Antrag auf Auskunft über ihre am Rennsteigtunnel erfassten Daten gestellt, und wann wurden die jeweiligen Anträge eingereicht?
3. Wie viele Bürger haben dahin gehend Strafanzeige erstattet, und wann wurden die jeweiligen Anzeigen erstattet?
4. Wurden durch die Löschung schutzwürdige Interessen Betroffener beeinträchtigt oder Beweismittel in laufenden Verfahren vernichtet?
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kollege Fiedler, eine eindrucksvollere Demonstration Ihres Freiheitsbegriffs als die, die Sie eben gegeben haben, konnten Sie nicht geben.
Meine Damen und Herren, wir beraten heute voraussichtlich zum letzten Male - zumindest aber für diese Legislatur - die Frage, ob wir eine Bannmeile um den Thüringer Landtag brauchen, ob wir sie haben sollten oder nicht. Sie wird zwar beschönigend "befriedeter Raum" genannt, aber die Bannmeile ist und bleibt im politischen, im geistigen und im moralischen Widerspruch auch, Herr Fiedler, zum funktionalen, genauso aber auch zum baulichen Charakter dessen, was sie - ich apostrophiere - "umfrieden" soll. Schon der Terminus "befriedeter Raum" verrät doch auf verheerende Weise Demokratieauffassungen, die mit den Freiheitsauffassungen, Herr Fiedler, die Sie eben hier demonstriert haben, korrespondieren. Denn wenn man einen Bereich "befriedeten Raum" nennt, weil in ihm am Tage von Sitzungen des Parlaments keine Versammlungen unter freiem Himmel abgehalten werden können, dann bedeutet das, dass man diese Veranstaltungen unter freiem Himmel als Angelegenheiten des Unfriedens, als unfriedliche Angelegenheiten betrachtet, und das würde bedeuten, dass man ein verfassungsrechtlich fixiertes demokratisches Grundrecht auf Versammlungs- und auf Meinungsfreiheit mit dem Etikett des Unfriedlichen versieht. Da steckt eine Demokratieauffassung dahinter, die sich nach meiner Ansicht mit einem demokratisch gewählten Parlament nicht verträgt. Was daran aber deutlich wird, das ist der Doppelcharakter, ja, meine Damen und Herren, die Doppelgesichtigkeit der Mehrheit dieses Parlaments. Am Tag, an dem die Neuregelungen zu den Plebisziten beschlossen wurden, lehnten Sie es ab, über das Bannmeilengesetz zu reden, gegen jede politische Erfahrung im Thüringer Landtag und um den Thüringer Landtag herum, gegen alle politischen Erfahrungen der letzten 14 Jahre. Meine Damen und Herren, dies der Peinlichkeit nicht genug: Sie schmücken sich mit einer Adresse unter Benutzung des Namens von Jürgen Fuchs, aber nehmen eben diese Straße voll in die Bannmeile hinein. Damit ignorieren Sie die historisch-demokratische Tradi
tion, für die dieser Name steht und Sie ignorieren damit das politische Bekenntnis, das mit diesem Namen verbunden ist.
Man kann die Argumente der vergangenen Beratungen noch einmal ganz kurz wiederholen. Traditionsreiche Parlamente Europas und der Welt kommen gut ohne Bannmeilen aus. Thüringen ist das einzige neue Bundesland mit einer Bannmeile um das Landesparlament und auch in den alten Bundesländern geht der Trend eher weg davon. Versammlungsrecht, Hausrecht und Strafrecht reichen aus, um die Sicherheit der Abgeordneten und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten. Schade wäre es, wenn Sie mit Ihrer Mehrheit die Gesetzentwürfe heute einfach erledigen würden. Schade, meine Damen und Herren, wäre es, wenn diese Gelegenheit vertan würde, etwas gegen die um sich greifende Politikverdrossenheit zu tun und gegen die größer werdenden "Risse im Fundament der Demokratie", von denen der Thüringen-Monitor eindrucksvoll spricht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Bannmeile. Die Bannmeile schadet der Demokratie und ganz offensichtlich auch nachhaltig dem Demokratieverständnis und dem Freiheitsbegriff der Abgeordneten im Thüringer Landtag. Die Bannmeile ist ein Ausdruck des Misstrauens der politischen Klasse gegenüber dem Volk und dieses Misstrauen sollte sich die politische Klasse nicht leisten. Deswegen beantrage ich nochmals die Überweisung der beiden Gesetzentwürfe an die Ausschüsse, an den Innenausschuss federführend und an den Justizausschuss mitberatend. Danke.
Frau Groß, ich wollte nur kurz nachfragen: Schließen Sie eine mündliche Anhörung im Innenausschuss aus, weil Sie ausdrücklich gesagt haben eine schriftliche?
Bitte, das ist nicht meine Frage.