Protokoll der Sitzung vom 22.11.2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, Vertreter der Landesregierung, Besucher und Gäste auf der Besuchertribüne. Ich darf unsere 75. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 22. November 2002 eröffnen. Ich begrüße Sie dazu alle sehr herzlich.

Als Schriftführer haben neben mir Frau Abgeordnete Wackernagel und Frau Abgeordnete Dr. Wildauer Platz genommen. Frau Abgeordnete Dr. Wildauer wird die Rednerliste führen. Es haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Abgeordneter Dr. Koch, Herr Abgeordneter Dr. Pidde, Herr Abgeordneter Pohl, Frau Abgeordnete Dr. Stangner und Herr Abgeordneter Nothnagel.

Ich darf einem Geburtstagskind heute gratulieren - heute steht es richtig im Plan -, nämlich unserem Minister Herrn Dr. Krapp. Alles Gute zu Ihrem Geburtstag, Gesundheit, viel Kraft für die Führung Ihres Amtes und weiter gute Zusammenarbeit in diesem Hause!

(Beifall im Hause)

Dann steigen wir jetzt unmittelbar in die Tagesordnung ein, so wie wir es gestern Morgen festgelegt haben, und wir beginnen mit dem Aufruf des Tagesordnungspunkts 2

Dritter Bericht der Landesregierung zu Extremismus und Radikalismus im Freistaat Thüringen

Herr Ministerpräsident Dr. Vogel, ich darf Sie bitten, diesen Bericht zu geben.

Sehr verehrte Frau Landtagspräsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, der Anschlag auf die Erfurter Synagoge am 20. April 2000 war der Anlass dafür, dass die Landesregierung sich verpflichtet hat, jährlich einen Bericht zu Radikalismus und Extremismus im Freistaat vorzulegen. Wir wollten das, weil wir dem Vergessen und weil wir dem Verdrängen vorbeugen wollten und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Problematik von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit erreichen wollten. Wenn ich nun heute den dritten Bericht abgebe, dann stütze ich mich wie in den beiden zurückliegenden Jahren auf die Ergebnisse einer von uns in Auftrag gegebenen Studie, die von Wissenschaftlern der Universität Jena erarbeitet worden ist. Die Autoren werden sie heute Mittag hier im Landtag der Öffentlichkeit vorstellen. Dieser Studie liegt eine repräsentative Befragung von 1.000 wahlberechtigten Thüringerinnen und Thüringern zugrunde, die im August durch das

Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap durchgeführt wurde, und ich danke den Professoren Schmitt und Dicke sowie Herrn Dr. Edinger und Herrn Dr. Hallermann für die Arbeit, die sie für uns geleistet haben.

Ziel der Studie, meine Damen und Herren, ist es, nicht nur Fragen zum Extremismus, zum Radikalismus und zur politischen Kultur im Freistaat zu diskutieren, Ziel ist es auch, die Gesellschaftsstrukturen, die Vorstellungen in unserem Lande besser zu kennen. Die Studie des letzten Jahres war der Situation der Jugend in Thüringen gewidmet und es war erkennbar geworden, dass die Familie bei den Jugendlichen einen sehr hohen Stellenwert einnimmt und bei der Mehrzahl der Jugendlichen der Wunsch nach Gründung einer eigenen Familie vorhanden ist.

(Beifall Abg. Zitzmann, CDU)

Der Thüringen-Monitor dieses Jahres richtet nun sein besonderes Augenmerk auf die Lage der Familie im Land. Die Familie ist der Mittelpunkt jeder Gesellschaft, sie ist ihr Fundament und in der Erziehung innerhalb der Familie wird der Grundstock für ein gedeihliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft gelegt, für das Umgehen miteinander ohne Gewalt und ohne Vorurteile gegenüber Fremden. In der Familie entscheidet sich früh, ob der Weg eines jungen Menschen in die Mitte der Gesellschaft oder an ihre extremen Ränder führt, ob er zu Toleranz und Mitmenschlichkeit oder zu Gewalt und Radikalismus eingeschlagen wird. Der Anschlag auf die Erfurter Synagoge und eine große Zahl weiterer Anschläge in ganz Deutschland haben uns eindringlich vor Augen geführt, wie Gewalt, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit unsere Ordnung gefährden können. Das Nachdenken darüber, wie es zu solchen rechtsextremistischen Taten kommen konnte und was geschehen muss, damit sich solche Taten nicht wiederholen, darf nicht aufhören und nicht durch andere Ereignisse überdeckt werden. Die Priorität, die wir dieser Frage eingeräumt haben, gilt nur fort, wenn wir auch weiter dieses Thema wichtig nehmen und es nicht wieder vergessen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, jede extremistische Tat ist Grund zur Sorge, dennoch kann ich heute erfreut feststellen, dass in den ersten drei Quartalen dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr die rechtsradikale Kriminalität fast um die Hälfte zurückgegangen ist. In meinem zweiten Bericht vor einem Jahr musste ich noch einen Anstieg der rechtsextremistischen Straftaten vermelden. Aber unsere Wachsamkeit darf nicht nachlassen. Auch in den vergangenen zwölf Monaten sind erneut von verblendeten Rechtsradikalen verbrecherische Taten begangen worden.

Ich nenne dafür nur ein paar Beispiele: Im Januar wurden zwei irakische Asylbewerber in Gera von 17 Jugendlichen beschimpft und angegriffen. Ebenfalls im Januar wurde ein chinesischer Gastdozent der Universität Jena

von Unbekannten zusammengeschlagen und erheblich verletzt. Im Juni hat ein Schüler der neunten Klasse einer Regelschule ein Schriftstück mit volksverhetzendem und antisemitischem Inhalt an die Wand eines Klassenraums geheftet; der Inhalt dieses Textes ist erschreckend. Im August wurde ein türkischer Staatsangehöriger in Königsee mehrfach mit Faustschlägen verletzt und mit nazistischen Parolen verhöhnt. Und in den letzten Tagen und leider auch heute Nacht haben wieder Unbekannte in Sömmerda und in Leinefelde antisemitische und nazistische Parolen an Gebäude gesprüht.

Diese Taten, meine Damen und Herren, sind ernst zu nehmen. Aber dass die Zahl der politisch motivierten Gewaltdelikte von 59 Taten in den ersten drei Quartalen im Vorjahr auf 30 Taten im gleichen Zeitraum in diesem Jahr gesunken ist, ist ein positives Ergebnis. Erfreulich ist auch, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die rechtsextremistische Straftaten im Freistaat begangen haben, ebenfalls zurückgegangen ist.

Aber es gibt neben diesen erfreulichen Tendenzen bedauerlicherweise auch beunruhigende Entwicklungen. Besorgnis erregend ist, dass der prozentuale Anteil von fremdenfeindlichen Straftaten an der Gesamtzahl extremistischer Straftaten leicht gestiegen ist. Im Vorjahr lag der Anteil der fremdenfeindlichen Delikte bei 8,9 Prozent, in den ersten drei Quartalen dieses Jahres waren es 10,3 Prozent. Es ist ebenfalls beunruhigend, dass der Anteil der Straftaten mit antisemitischem Hintergrund auch leicht gestiegen ist. Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund - auch antisemitische Straftaten - sind selbstverständlich kein Thüringer Phänomen. Der rückläufige Trend, den wir bei uns zu verzeichnen haben, ist im ganzen Bundesgebiet festzustellen. Dennoch ist es auch in den alten Ländern erneut zu widerwärtigen rechtsextremen Taten gekommen.

Auch dafür ein paar Beispiele: Im März wurde in Schorndorf in Baden-Württemberg ein 38-Jähriger von einem Skinhead zusammengeschlagen. Ebenfalls im März wurde in Linz in Rheinland-Pfalz ein türkischer Staatsbürger von einem Angehörigen der rechtsextremen Szene niedergeschossen und lebensbedrohlich verletzt. Im gleichen Monat wurde in Erpholzheim, auch in Rheinland-Pfalz, eine private linksalternative Begegnungsstätte mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Anfang dieses Monats wurde in Bochum die Gedenktafel zur Erinnerung an den Standort der ehemaligen Synagoge geschändet.

Aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2000 und 2001 ergibt sich leider auch ein ungünstiges Bild für die jungen Länder. An der Tatsache, dass im Jahr 2000 in den jungen Ländern ein Schwerpunkt von Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund zu verzeichnen war, hat sich auch 2001 bedauerlicherweise nur wenig geändert. Es ist der höhere Anteil der Gewalttaten in den jungen Ländern natürlich beunruhigend.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser Entwicklung stehe ich auch heute dazu, es war richtig, dass wir beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD beantragt haben.

(Beifall bei der CDU)

Wir verfolgen aufmerksam den weiteren Fortgang des Verbotsverfahrens. Am 8. Oktober 2002 hat vor dem 2. Senat ein Erörterungstermin stattgefunden. Es sollte vor allem geklärt werden, ob Verfassungsschutzbehörden durch ihre Vertrauensleute prägenden Einfluss auf das Gesamtbild der NPD genommen haben oder nehmen. Ich meine, die NPD muss verboten werden, auch wenn wir wissen, dass damit allein extremistisches Gedankengut nicht aus den Köpfen verbannt werden kann. Die NPD muss verboten werden, auch wenn wir wissen, dass damit allein das Problem natürlich nicht gelöst wird. Es macht Hoffnung, dass nach der großen Shell-Jugendstudie eine Mehrheit der jungen Leute das Verbot der NPD befürwortet. Aber es darf beim Verbotsverfahren allein nicht bleiben, es muss mehr geschehen. Radikales Gedankengut muss nach wie vor auf allen Ebenen bekämpft werden. Derzeit fordern vor allem Aufmärsche oder Veranstaltungen gewaltbereiter Gruppierungen an bestimmten Daten und an bestimmten Orten zur Gegenwehr aller staatlichen Behörden, aber auch aller Mitglieder der Gesellschaft auf. Wir dürfen uns diese Aufmärsche nicht gefallen lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich nenne als Beispiel den Aufzug von NPD-Anhängern am 9. November 2002 in Weimar. Zwar blieb die große Demonstration, die angekündigt war, aus, mit etwa 150 Anhängern versammelten sich wesentlich weniger als zunächst angekündigt; trotzdem bleibt es für mich eine unerträgliche Provokation, wenn Neonazis ausgerechnet am Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 aufmarschieren und zu demonstrieren versuchen.

(Beifall im Hause)

Umso ermutigender ist das große Engagement von etwa 1.500 Weimarer Bürgern, die mit ihren friedlichen Aktionen ein nachahmenswertes Beispiel wehrhafter Demokratie gesetzt haben. Weimar - herzlichen Dank dafür!

(Beifall im Hause)

Es beweist sich, wie auch das Ergebnis der letzten Bundestagswahl zeigt, der organisierte politische Extremismus hat bei den Thüringerinnen und Thüringern und hat Gott sei Dank in ganz Deutschland keine Chance. Die Mitgliederzahlen extremistischer Parteien sind rückläufig und ihre Organisationsstruktur zersplittert. Aber, meine Damen und Herren, wir wissen sehr wohl, dass die Versammlungsfreiheit zum Kernbestand unserer friedlichen Ordnung und zum Kernbestand unserer Grundrechte gehört.

Deswegen ist es gut, dass die Gerichte - allem voran das Bundesverfassungsgericht - über die Einhaltung des Artikels 8 des Grundgesetzes wachen. Aber der Bundesgesetzgeber ist meines Erachtens nicht daran gehindert, das Verbot von Demonstrationen an besonders sensiblen Orten und an bestimmten Tagen zu erleichtern. Wer die Opfer des Nationalsozialismus an den Stätten ihrer Leiden verhöhnen will, der darf nicht auch noch den Schutz durch den Rechtsstaat für diese Tat in Anspruch nehmen.

(Beifall im Hause)

Ich meine, das gelte nicht nur für Orte des Leidens, sondern das gelte auch für Daten, wie etwa den 27. Januar, den 20. April oder den 9. November. Der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und der Jahrestag der Pogromnacht von 1938 dürfen nicht für extremistische Aufmärsche missbraucht werden. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür, solches Treiben für die Zukunft zu unterbinden, müssen meiner Überzeugung nach endlich geschaffen werden. Die Landesregierung und die unionsgeführten Länder sind in dieser Angelegenheit seit dem Jahre 2000 in vielfacher Hinsicht aktiv geworden. Aber Versammlungsrecht ist Bundesrecht und bisher haben unsere Vorschläge im Bund keine Mehrheit gefunden. Ich fordere den Bundesinnenminister auf, seine Ankündigung vom Juni dieses Jahres jetzt in die Tat umzusetzen und bald einen Gesetzentwurf zur Änderung des Versammlungsrechts in Deutschland vorzulegen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ein Bündel von Maßnahmen gegen jede Art von Extremismus und auch Gewalt beschlossen. Die Maßnahmen haben sich bewährt. Die von uns im März 2000 verabschiedete Extremismuskonzeption, mit der der Verfolgungsdruck auf die rechtsextreme Szene durch konkrete Maßnahmen gestärkt wurde, ist erfolgreich. Die Thüringer Polizeibeamten verfügen über einen umfassenden Aufgaben- und Maßnahmenkatalog, der konkrete Leitlinien und Handlungsweisen für Polizeieinsätze gegen Extremisten enthält. Die Beobachtung rechtsextremistischer Organisationen hat für den Thüringer Verfassungsschutz natürlich unverändert Priorität. Gute Arbeit leistet die beim Innenministerium angesiedelte Koordinierungsstelle Gewaltprävention. Sie regt Aktivitäten zur Vorbeugung von Gewalt auf allen Ebenen an, koordiniert und unterstützt sie, angefangen von der Buchlesung an Thüringer Schulen, über Veranstaltungen in Gedenkstätten, bis zum Aufbau eines Netzwerks von Gewaltprävention, z.B. zurzeit im Ilmkreis.

Außerdem unterstützen wir die Initiative der Ministerpräsidentenkonferenz, ein übergreifendes Programm zur Ächtung von Gewalt und zur Stärkung der Erziehungskraft von Schule und Familie auf Länderebene und auf Bundesebene zu erarbeiten und umzusetzen.

Einen wesentlichen Beitrag zur Vermittlung der Werte unserer Ordnung leistet der rechtskundliche Unterricht an unseren Schulen. Ich danke den Lehrern und den Rechtskundigen, die diesen Unterricht erteilen, ausdrücklich für ihre Tätigkeit.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben, wie Sie ja alle wissen, hier in diesem Haus auf die Terroranschläge vom 11. September mit einem Programm für mehr Sicherheit in Thüringen reagiert. Es versetzt u.a. durch zusätzliches Personal und durch eine bessere technische Ausstattung die Sicherheitsbehörden in die Lage, der neuen Bedrohung wirkungsvoll entgegenzutreten. Ich danke ausdrücklich noch einmal dem bisherigen Innenminister Köckert, der an dieser Initiative großen Anteil gehabt hat.

(Beifall bei der CDU)

Das Sicherheitspaket ist nötig, wie die wohl authentischen Drohungen Osama Bin Ladens und die jüngste Warnung des Bundesnachrichtendienstes vor Anschlägen in Deutschland zeigen. Deswegen haben wir in Erfurt bei dem Entwurf des Doppelhaushalts an diesen Ansätzen auch nichts geändert. Auch hier möchte ich rechtzeitig sagen: Es ist nicht unsere Aufgabe Angst zu verbreiten, ganz im Gegenteil, aber es ist auch unsere Pflicht darauf hinzuweisen, dass die Warnung des Bundesnachrichtendienstes vor Anschlägen ernst zu nehmen ist, meine Damen und Herren.

Natürlich ist es nach dem Terroranschlag, aber auch zum Schutz vor rechtsextremen Gewalttaten notwendig, dass Kriminalitätsschwerpunkte durch die Polizei überwacht werden und dass besonders gefährdete Objekte durch die Verhängung von Platzverweisen geschützt werden können. Aus diesem Grund hat der Landtag auf unsere Initiative hin u.a. das Polizeiaufgabengesetz novelliert. Eine zuverlässige Politik für die Sicherheit der Bürger darf nicht bis zum nächsten rechtsextremistischen oder terroristischen Angriff warten. Wer jetzt, Monate nach seiner Verabschiedung, dieses Polizeiaufgabengesetz kritisiert, aber aufgeregt zum entschlossenen Handeln aufruft, wenn wieder etwas passiert ist, meine Damen und Herren, der handelt unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU)

Die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten ist die eine Seite, die andere Seite ist, extremistisches Gedankengut in seinen Anfängen zu verhindern. Weil wir den Boden kennen müssen, aus dem extremistisches Gedankengut erwächst, fragen wir auch in diesem Jahr danach, wie es um die politische Kultur in Thüringen eigentlich bestellt ist. Wie bereits in den beiden zurückliegenden Jahren untermauert die aktuelle Studie auch in diesem Jahr, dass wir in einer gefestigten Demokratie leben. Die überwältigende Mehrheit der Thüringer verabscheut Gewalt und lehnt ra

dikale und extremistische Gruppen und ihre Ideologien, lehnt Hass, Gewalt und Intoleranz ab. Das ist eine höchst erfreuliche Feststellung.

(Beifall bei der CDU)

Die Autoren belegen dieses erfreuliche Ergebnis mit der Feststellung, dass der demokratische Verfassungsstaat und das Vertrauen in seine Institutionen in Thüringen fest verankert sei, so wörtlich die Studie. Aber dieses positive Signal darf unsere Wachsamkeit nicht nachlässig werden lassen, denn, meine Damen und Herren, es sind auch bedenkliche Entwicklungen erkennbar. Was die Einstellung zu den Parteien und zu den staatlichen Institutionen betrifft, sind die Ergebnisse ambivalent. Während ein stabil hohes Zutrauen in die staatlichen Institutionen zu verzeichnen ist, meinen 82 Prozent der Befragten, es gehe in der Politik nicht um die Sache, sondern es gehe in der Politik um die Macht. Das ist keine gute Nachricht, meine Damen und Herren, weil noch dazu der Eindruck zugenommen hat, den Parteien ginge es nur um die Stimmen der Wähler und drei Viertel der Befragten sind nicht zur Mitarbeit in einer Partei bereit. Allerdings sind 61 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer bereit in einer Bürgerinitiative mitzuarbeiten.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Jawohl.)

Die Grundbereitschaft zur Initiative und zum Mitmachen besteht, aber sie besteht nicht zum Mitmachen in den Parteien.

Meine Damen und Herren, gerade in einem Jahr, in dem der Bundestag neu gewählt wurde und in dem deshalb das Interesse an der Politik besonders hoch ist, müssen solche Ergebnisse nachdenklich stimmen. Drei Erkenntnisse aus der Studie sind dabei besonders beunruhigend. Erstens hat im Jahr 2002 das Ansehen der Politik unter den Jugendlichen, unter den 18- bis 24-Jährigen, deutlich gelitten. Das steht in einem starken Kontrast zu den Ergebnissen der Jahre 2000 und 2001. Zweitens geht die Demokratiezufriedenheit zurück. Im Vorjahr stimmten noch 82,7 Prozent der Aussage voll oder überwiegend zu, dass die Demokratie die beste aller Staatsideen sei, 2002 waren es nur noch 79,5 Prozent. Drittens ist bedenklich, dass 2001 48 Prozent aller Befragten sehr oder immerhin eher zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie in der Praxis waren und im Jahr 2002 nur noch 40 Prozent. Das demokratische Fundament bekommt feine Risse, ist das Fazit der Autoren der Studie. Meine Damen und Herren, diese Risse dürfen wir nicht zulassen und alle Thüringer Parteien, die Regierung, die Mehrheit und die Minderheit müssen sich gleichermaßen herausgefordert fühlen. Risse, die für mich auch in einem Zusammenhang damit stehen, wie wir und wie wir in diesem Hause miteinander umgehen. Nach dem Verbrechen am Erfurter Gymnasium habe ich gesagt, dass ich mir wünschte, dass wir mit mehr Respekt, vielleicht sogar in Hochachtung miteinander umgingen. Der Umgang der letzten Wochen und Monate hat

dem nicht entsprochen. Unbewiesene Behauptungen, Gerüchte, Unterstellungen, unangemessene Kampagnen sind kein Beitrag zu mehr Demokratiezufriedenheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)