Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Als zweiter Gesichtspunkt wird zur Begründung des PDS-Gesetzentwurfs angeführt, die nachträgliche Sicherungsverwahrung verstoße gegen das Rückwirkungs- und Doppelbestrafungsverbot und sei in der Sache kontraproduktiv. Beides ist schlicht falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 ausdrücklich entschieden und mit ausführlicher Begründung ausgeführt, dass die Sicherungsverwahrung nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot und die Aufhebung ihrer Höchstdauer, nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kann jedoch unter dem Aspekt des Rückwirkungsverbots nichts anderes gelten als für die Aufhebung ihrer Höchstdauer. Auch die Übergangsregelung aus dem Urteil zeigt, dass das Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich billigt, anderenfalls gäbe es dem Bund die Gelegenheit zum Erlass eines verfassungswidrigen Gesetzes.

In beiden Urteilen finden sich Ausführungen des Gerichts, aus denen sich die grundsätzliche Zulässigkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung ableiten lässt. Aus den Urteilen ergeben sich auch die verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung zu beachten hat. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist auch nicht kontraproduktiv, wie die PDS meint. Es gibt nun mal eben eine zwar sehr kleine, aber auch sehr gefährliche Gruppe von Straftätern, die nicht gebessert werden können und vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinen beiden Urteilen aus dem Februar ausdrücklich anerkannt und dies wird im Übrigen auch durch die den Entscheidungen zugrunde liegenden schwer kriminellen Lebensläufe der Straftäter mit beklemmender Eindrücklichkeit belegt.

Schließlich der dritte und letzte Gesichtspunkt der Gesetzesbegründung der PDS, nämlich die Behauptung, es gebe bessere Möglichkeiten der Gefahrenabwehr. Die gibt es eben für diesen sehr kleinen, aber sehr gefährlichen Personenkreis nicht. Wie sollen bessere Therapieangebote bei demjenigen etwas nützen, der sich einer Therapie verweigert? Wie soll mehr und besser geschultes Personal bei der Führungsaufsicht einen notorischen Schwerverbrecher von einer erneuten Vergewaltigung, von einem erneuten

Mord abhalten? Es gibt keine Führungsaufsicht rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, und es kann sie auch nicht geben. Die notwendige Sicherung des Täters gibt es eben nur in der Sicherungsverwahrung. Und das letzte Argument der PDS-Fraktion, die Verbesserung der Opferhilfe und Behandlung sei ebenfalls eine Möglichkeit effektiver Gefahrenabwehr bei rückfallgefährdeten Straftätern, könnte man als zynisch bezeichnen, ich verzichte hierauf und sehe es als Ausdruck von Naivität an.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich bitte zusammenfassen: Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 folgt keineswegs die Pflicht zur sofortigen Aufhebung des Thüringer Straftäterunterbringungsgesetzes. Es hängt vom weiteren Handeln des Bundes ab, ob und wann dieses Gesetz aufzuheben ist. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, ob durch Bundes- oder Landesgesetz, ist ein sinnvolles, notwendiges und rechtsstaatlich zulässiges Instrument. Letzteres wurde gerade durch die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2004 bestätigt. Die PDS zeigt mit ihrem Gesetzesantrag zur sofortigen Aufhebung des Thüringer Straftäterunterbringungsgesetzes, dass sie den Schutz der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Straftätern nicht ernst nimmt.

(Beifall bei der CDU)

Opferschutz geht vor Täterschutz, wobei

(Beifall bei der CDU)

eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu treffen ist. Ich fordere die Bundesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine nachträgliche Sicherungsverwahrung vorsieht. Die Frau Bundesjustizministerin hat am 12.02.2004 im Bundestag gesagt, es werde in den nächsten Tagen ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Heute schreiben wir den 4. März 2004 und ich habe bisher keinen Gesetzentwurf gesehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion rufe ich den Abgeordneten Schemmel auf.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte erst mal Herrn Minister Dr. Gasser danken, dass er auch in seine Ausführungen einbezogen hat die spezielle Thüringer Anwendung, den Anwendungsfall dieses Gesetzes, denn unter diesem Gesichtspunkt muss man natürlich seine Betrachtungsweise etwas ändern. Wir als SPD und ich als deren justizpolitischer Sprecher, waren aus einer

anderen rechtspolitischen Meinung gegen dieses Thüringer Landesgesetz, nicht aus diesem Kompetenzstreit heraus, das haben wir alle falsch gesehen zu der damaligen Zeit. Wir haben es falsch gesehen, indem wir die Kompetenz alle dem Land zugetraut hatten, das Land hat ja auch von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht, sondern wir waren eigentlich gegen das Prinzip der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf diese Art und Weise, weil es ja auch schon eine Bundeslösung gibt, wo durch das erkennende Gericht eine nachträgliche Verwahrung durchgeführt werden kann.

Nunmehr aber hat das Bundesverfassungsgericht gesprochen und hat dieses Prinzip der nachträglichen Sicherungsverwahrung gebilligt. Mithin müssen wir aus diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts natürlich auch unsere Konsequenzen ziehen und natürlich müssen auch wir jetzt erwarten, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht,

(Beifall bei der SPD; Abg. Wetzel, CDU)

entweder eine Länderöffnung herbeiführt oder selbst ein Bundesgesetz gestaltet. Mithin stellt sich natürlich formal das Verhalten mit dem PDS-Antrag genauso hin, wie es der Minister dargestellt hat. Das war mir heute früh auch noch nicht klar, weil ich nichts von dem Thüringer Anwendungsfall wusste. Es ist also jetzt zu diesem Zeitpunkt nicht geboten, das Thüringer Landesgesetz aufzuheben, sondern es gilt ja eh nur für einen bestimmten Zeitraum noch, ich glaube, bis September hat das Verfassungsgericht gesagt, dann ist es aufzuheben an dieser Stelle. Es ist bis zu dieser Zeit natürlich noch wirksam. Auch ein Einzelfall in diese Richtung, der dadurch geregelt werden kann, verdient es, dass das Gesetz bis zum September angewandt wird. Wir müssen dann sehen, ob und wie eine Bundesregelung ausfällt.

(Beifall Abg. Wetzel, CDU)

Deswegen ist es nicht richtig, dem Antrag der PDS heute zu folgen, sondern die PDS sollte sich gedulden bis zu diesem September, wo nach Spruch des Verfassungsgerichts dieses Gesetz ja höchstwahrscheinlich, wenn es eine Bundesregelung gibt, außer Kraft treten wird, dies quasi automatisch. Danke schön.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Hahnemann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich will versuchen auf einige der Argumente, die hier genannt worden sind, einzugehen, ohne mich im größeren Maß auf auch

meines Erachtens beabsichtigte Fehlinterpretationen einzulassen. Eines möchte ich allerdings

(Beifall bei der PDS)

von mir und von meiner Fraktion weisen, nämlich die infame Unterstellung, Herr Minister Gasser, dass die PDS-Fraktion den Opferschutz nicht ernst nehme.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Ge- troffene Hunde bellen!)

(Unruhe bei der CDU)

Also auf diesem Niveau, Herr Kretschmer, möchte ich das Thema keinesfalls abhandeln,

(Beifall bei der PDS)

aber ich komme noch zu dieser Niveaustufe, sie hat nämlich im Zuge der Erarbeitung des Thüringer Gesetzes durchaus eine Rolle gespielt. Herr Minister Gasser, wenn Sie sagen, die PDS-Fraktion nimmt den Schutz der Bevölkerung nicht ernst, dann ist das tatsächlich - und ich bedaure das - nichts weiter als die Fortsetzung der Birkmann'schen Politik mit Gasser'schen Mitteln.

(Heiterkeit bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Beleidi- gung!)

Erinnern wir uns, bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes zur nachträglichen Sicherungsverwahrung versuchte der damalige Justizminister Dr. Birkmann mit der reißerischen Gleichsetzung von Gefangenen mit "tickenden Zeitbomben" ein dramatisches Sicherheitsdefizit zu suggerieren. Natürlich - er hatte ein maßgebliches Vorbild, den SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der dazu nichts weiter zu sagen hatte als "wegsperren".

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Da hat er sogar Recht.)

Auf andere dieser Effekthaschereien will ich nicht eingehen. Mit Effekthascherei, Frau Vopel, auf Bild-Zeitungs-Niveau wird man aber weder den Problemen noch den Leiden der Opfer oder den Schmerzen der Angehörigen der Opfer gerecht werden können. Der Gipfel der grobschlächtigen Polemik war erreicht, als Minister Dr. Birkmann die Ausführungen von Herrn Dr. Koch mit der Bemerkung kommentierte, sie lägen neben dem Thema, weil dieser in seinem Redebeitrag in der ersten Lesung anstelle des Begriffs "Unterbringung" mehrmals den Begriff "Sicherheitsverwahrung" gebrauchte. All dies aber zeigt, dass der Amtsvorgänger von Herrn Dr. Gasser nicht nur auf die von den Medien angestachelten Emotionen, sondern eben vor allem auch auf die Uninformiertheit der Öffentlichkeit setzte. Wäre es dem damaligen Justizmi

nister um eine sachliche Aufklärung gegangen, hätte er dagegen einige Dinge nicht unerwähnt lassen dürfen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Kommen Sie zur Sache.)

Gemach, gemach, Herr Dr. Pietzsch, ich lasse mir dafür so viel Zeit, wie ich brauche bzw. wie mir die Präsidentin gibt.

(Beifall bei der PDS)

Sie werden mein Tempo des zur Sache Kommens nicht beeinflussen.

1. Die Kriminalstatistik hätte nicht unerwähnt bleiben dürfen. Die Kriminalstatistik belegt nämlich, dass die Zahl der Sexualmorde sowohl insgesamt als auch bei den an Kindern verübten in den letzten 30 bis 40 Jahren ständig und merklich rückläufig war. Das Gleiche gilt für die Fallzahlen bei sexuellem Missbrauch von Kindern. Und dies, meine Damen und Herren, festzustellen, hat nichts mit Zynismus zu tun, hat nichts mit Naivität zu tun, sondern es ist das Bemühen um Sachlichkeit im Zusammenhang mit Fällen, die durchaus zutiefst bitter sind.

(Zwischenruf Abg. Dr. Pietzsch, CDU: Wenn es Ihnen passt, dann argumentieren Sie wieder andersherum.)

Aber es darf der Politik nämlich nicht darum gehen, populistische Stammtischbetrachtungen zu bedienen, sondern Politik hat die Aufgabe, Probleme konstruktiv zu lösen.

(Beifall bei der PDS)

2. Was zu erwähnen gewesen wäre, ist die allgemein in der Psychologie vorhandene Erkenntnis über die erhebliche Fehlerhaftigkeit psychologischer Gutachten, die eine ebenso erhebliche Rückfallgefährdung von Straftätern prognostizieren.

3. hätte auch nicht verschwiegen werden dürfen, dass die im Strafurteil vorgenommene Begrenzung der Freiheitsentziehung, aufgrund derer der Straftäter darauf vertrauen kann, nach Strafverbüßung und Erledigung einer freiheitsentziehenden Maßregel wieder ein Leben in Freiheit führen zu können, unverzichtbarer Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafrechts ist.

Eine nachträglich nach Verbüßen der Freiheitsstrafe angeordnete und nicht im Urteil vorbehaltene Freiheitsentziehung würde dem Urteil seine Verlässlichkeit entziehen und der Willkür die Türen öffnen.

Minister Dr. Gasser hat bedauerlicherweise den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg fortgesetzt. Er verteidigte zwar bislang nicht das Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz mit der gleichen Grobschlächtigkeit, die Dr. Birk

mann auszeichnete, dennoch ist der von ihm auch in der zweiten Lesung mit Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit von Prognoseentscheidungen ausgesprochene Satz irreführend, ein verbleibendes Prognoserisiko sei von den Tätern und nicht von den Opfern zu tragen.

(Zwischenruf Dr. Gasser, Justizminister: Das habe ich gar nicht gesagt.)

Der mögliche Opferschutz durch die Sicherungsverwahrung rechtfertigt keineswegs die nach Strafverbüßung fortdauernde Freiheitsentziehung von Straftätern, die einen Verbleib hinter Gittern nicht verdient haben. Das würde man dabei wohl in Kauf nehmen, erst recht dann nicht, wenn diese aufgrund der Entscheidung, die sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilte, hiermit nicht rechnen mussten. Nunmehr liegt das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den bayerischen und sachsenanhaltinischen Gesetzen vor, die mit der Thüringer Regelung im Wesentlichen übereinstimmen. Die Entscheidung besteht aus zwei Teilen.