Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

Vielleicht weil es eine ganze Reihe von Ansätzen sowohl in der Begründung bzw. in der Berichterstattung durch den Minister als auch in den anderen Ausführungen hier gegeben hat, die insbesondere die Frage Rechts/Links und Rechtsextremismus/Linksextremismus berührt haben, möchte ich mich darauf schon konzentrieren, möchte aber vorab eine Bemerkung machen.

Man hat immer den Eindruck, wenn hier über Demonstrationen geredet wird, wenn der Minister darüber berichtet, dass es eine Demonstration gegen Rechts gegeben hat, dann ist von vornherein bei ihm im Kopf, die, die an einer Demonstration gegen Rechts teilgenommen haben, müssen dann automatisch dem linken Lager zuzuordnen sein. Es kommt ihm offensichtlich gar nicht in den Kopf, dass es außerhalb der Rechts/Links-Schemata in der Bundesrepublik Deutschland einen sehr großen Teil von Menschen gibt, die sich politisch verantwortlich dafür fühlen, dass Rechtsextremismus, dass Neofaschismus, dass Rassismus und Antisemitismus in Deutschland keine Zukunft haben

(Beifall bei der PDS)

und die ihr politisches Recht wahrnehmen und ebenfalls an Demonstrationen teilnehmen. Ich halte diese Klassifizierung, von vornherein nur in diesen Schemata zu denken, für völlig daneben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Und ich würde Sie auch bitten, Herr Köckert, ich glaube, es ist nicht gut für die politische Kultur des Landes Thüringen, wenn Sie sich in einen Wettbewerb begeben um die Nachfolge der Kanther-Rolle in der CDU. Ich glaube, da gibt es mit Schönbohm, Beckstein und anderen schon prädestinierte Leute. Sie könnten sich anders profilieren, indem Sie nämlich etwas dafür tun, dass

Thüringen tatsächlich ein Land wird, in dem Toleranz gepflegt wird, in dem Menschen ermutigt werden, sich gegen jede Form von Diskriminierung anders denkender, anders aussehender, anders lebender und anders liebender Menschen einzusetzen. Da würde ich Sie ermuntern, das zu tun und sich nicht auf eine andere Rolle hier selbst festlegen zu wollen.

Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Demonstrationen der NPD in Gera und in Erfurt und auch in der heutigen Debatte immer wieder beschworen wurde, dass es um den Kampf gegen den Extremismus im Allgemeinen und im Besonderen ginge. Allein in der Pressemitteilung des Innenministeriums, in der das vorgebliche Konzept zur Bekämpfung "extremistischer Gewalt" vorgestellt wird, beschwört der Innenminister sechsmal die Gefahren, die vom Extremismus ausgingen und betreibt die Gleichsetzung von Linksund Rechtsextremismus, und das, obwohl der Anlass für das Konzept und für die Pressekonferenz, die er gegeben hat, ganz klar die Zurschaustellung und zum Teil Duldung des Auftritts des rechten Mobs gewesen ist. Diese Argumentation greift offensichtlich auf eine Theorie zurück, die in der Altbundesrepublik seit den 50er Jahren vor sich hinsiechte, in den letzten Jahren im politischen Alltag und auch in der wissenschaftlichen Debatte nun wieder belebt worden ist, die Totalitarismusdiskussion. Ich möchte deshalb etwas näher auf dieses Thema eingehen, da wir z.B. auch in Thüringen an der Auseinandersetzung um die Totalitarismusstiftung merken, mit welchen Unsicherheiten und auch mit welchen verqueren Positionen diese Debatte geführt wird. Ich möchte zuvor darauf hinweisen, dass es verschiedene Ansätze zu dieser Totalitarismusdebatte gibt. Die ersten Forschungen gehen auf die 20er Jahre zurück, auf die Entstehung des italienischen Faschismus und ich sage hier auch deutlich, auch die PDS verweigert sich nicht einer Debatte über totalitäre Herrschaftsformen. Wir wenden uns aber gegen die Verabsolutierung und die politische Instrumentalisierung, die sich auf die Gleichsetzung von Linksund Rechtsextremismus und die vorgebliche Wesensgleichheit - hier komme ich nämlich zu dem speziellen deutschen Modell der Totalitarismusdebatte - von deutschem Faschismus und Sozialismus, Kommunismus, Stalinismus bezieht. Diese angebliche Wesensgleichheit wurde in der Geschichte der Bundesrepublik alt bemüht, um totalitäre Strukturen und Merkmale des Faschismus anonym bleiben zu lassen, sie anonym zu beschreiben und damit auch die Führungsschichten in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft aus der Zeit des Faschismus wieder in entsprechende Machtpositionen einzusetzen, zugleich diese Theorie faktisch in der Bundesrepublik in den Rang einer Doktrin zu erheben, einer Staatsdoktrin zu stellen, die im politischen Alltag bis hin zum Radikalenerlass und auch zur Notstandsgesetzgebung führte und das politische und kulturelle Leben in der Bundesrepublik weitgehend bestimmte und vergiftete. Mit der Angst vor einer Orientierung vor allem von Ostdeutschen auf Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Selbstbestimmung erhielt nach der Wiedervereinigung die schon fast in der Versenkung ver

schwundene Totalitarismustheorie eine Frischzellenkur. Sie wird uns hier in der praktischen Ausführung, in der politischen Umsetzung erneut präsentiert. Weil uns das hier auch sicher entgegengehalten wird - es ist uns sehr auch an einer offensiven Aufarbeitung all der Komponenten der DDR-Geschichte gelegen, die als totalitär beschrieben werden, insbesondere auch im Rückgriff auf die von Hannah Arendt benannten Kriterien, mit denen sie eine totalitäre Gesellschaft beschreibt, möchte ich das hier benennen, z.B. das Vorhandensein einer Staatspolizei, Geheimpolizei, einer Massenpartei mit Alleinvertretungsanspruch, einer alles übergreifenden Ideologisierung in der Gesellschaft, einer Zentralwirtschaft, aber eben einem weiteren Element, das bei ihnen oftmals überhaupt keine Berücksichtigung findet, nämlich einem tatsächlichen und öffentlichen Massenterror. Im Hinblick auf das Gesamtzusammenwirken dieser Komponenten müssen wir feststellen, dass die DDR totalitäre Züge trug, niemals aber in ihrer Gesamtheit mit dem NS-Regime gleichgesetzt werden kann. Eine Aufarbeitung, die von vornherein die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime zum Ausgangspunkt und zum Ziel hat, muss scheitern. Sie ist ahistorisch und sie ist unwissenschaftlich. Wir weisen sie strikt zurück. Aber alles, meine Damen und Herren, was nur im Ansatz danach riecht, sich an Lebenserfahrungen aus der DDR zu orientieren, kann vor diesem Hintergrund, vor dieser Auseinandersetzung mit absoluter Heftigkeit diffamiert, ja kriminalisiert werden. Das betrifft insbesondere die schon fast schizophrene und auch panische Deformierung des Antifaschismus, egal in welcher Ausformung und in welcher politischen Kultur dieser auftritt. Das reicht eben von der Diffamierung des kommunistischen Widerstands gegen den Faschismus, der Diffamierung des Selbstverständnisses vieler ehemaliger Antifaschisten und Verfolgten des Naziregimes weit über die kommunistische Bewegung hinaus bis hin zur Kriminalisierung und Ächtung junger Menschen, die sich mit ihren Mitteln gegen eine Wiederbelebung und Verharmlosung neuer neofaschistischer Strukturen und Gefahren wenden.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Was heißt denn "ihre Mittel"? Das müssen Sie mal näher erläutern, Frau Abg. Zimmer.)

In erster Linie, meine Damen und Herren, vor allem von der CDU, geht es doch bei der politischen Wiederbelebung dieser Totalitarismusdebatte, der lähmenden und entpolitisierenden Gleichsetzung von Links und Rechts vor allem darum, die Bundesrepublik alt in ihren Strukturen, in ihrem Selbstverständnis, in ihrer politischen Kultur vor jeder Veränderung, die mit dem Osten in die Bundesrepublik eingegangen ist, zu schützen. Und dass die so genannte Mitte, auf die Sie sich immer beziehen, Herr Köckert, der Friedfertigkeit und demokratisches Handeln nachgesagt wird, das Gewaltmonopol auf ihrer Seite hat, dieses aber auch benutzt, um beispielsweise eine unsoziale Politik zu betreiben, auch das betrachte ich als eine Form von Gewalt. Abschiebungen in den sicheren Tod auch zuzulassen oder selber auch zu verursachen oder Aufrufe zu Unterschrif

tensammlungen gegen Ausländer zu initiieren,

(Unruhe bei der CDU)

soll durch diese Relation zu den schillernden Extremen offenbar im Verborgenen bleiben. Es ist das alles Beherrschende, den Status quo zu sichern, jede Form von Veränderung, jedes kritische Nachdenken über Staatsstrukturen zu verhindern und außerhalb der Öffentlichkeit zu stellen. In der Bewahrung des fest Gefügten, und dazu gehört eben aus Ihrer Sicht Antikommunismus und die Diskreditierung des Antifaschismus per se, liegen auch letztendlich die Ursachen dafür, dass es mit der Wiedervereinigung Deutschlands bis zum heutigen Tag zu einem nicht korrigierten Verfassungsbruch kam, eine Wiedervereinigung, die sich lediglich als Beitritt des einen zum anderen vollzog und eine gemeinsam und neu erarbeitete Verfassung in einer neuen Bundesrepublik Deutschland verhinderte. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, und all jenen, die in ähnlicher Weise in fest gefügten Feindbildern verhaftet sind, nämlich in den Feindbildern Links/Rechts, Rechtsextremismus gleich Linksextremismus, nur sagen, letztendlich produzieren Sie mit Ihrem Festhalten an solchen dogmatischen Theorien, ihrer Unfähigkeit oder ihren Unwillen äußerliche Merkmale von Herrschaftsformen und -methoden in sozialökonomische Zusammenhänge oder historische Kontexte zu stellen, Denkverbote. Sie selbst schaffen die Voraussetzung für eine Gesellschaft, die unfähig ist zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen. Sie halten damit fest an der deutschen Staatsrechtslehre, die schon in der Weimarer Republik daran gescheitert ist, gesellschaftliche Bewegungen differenziert zu bewerten und damit auch politisch umzugehen. Es war die Weimarer Republik - und daran möchte ich Sie erinnern, das wird oftmals auch im Zusammenhang mit der Links/RechtsGleichsetzung unterschlagen -, die auf der Basis eines solchen Staatsrechtsdenkens die Republik legal an den deutschen Faschismus übergab. Ich hoffe, Sie haben das nicht vergessen. Widerstand gegen diesen Faschismus, wie er damals praktiziert worden ist, dieser Widerstand wird aber auch bis heute noch kriminalisiert. Herr Köckert, auch heute kriminalisieren Sie durch diese Gleichsetzung nicht nur handfeste Verbrechen von rechts, sondern auch jede Form von Kritik am Status quo. Sie setzen damit in Bezug auf die Einordnung der DDR als Schreckens- und Unrechtsregime, als pure Verkörperung des Totalitarismus Leichenberge des NS-Regimes gleich mit Aktenbergen der DDR. Das halte ich für unzulässig.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Das habe ich in keinem Fall behauptet, wie Sie unterstellen.)

Sie wollen nicht wahrhaben, dass auf diese Art und Weise jedes Hinausdenken über den heutigen Ausbau der Demokratie, ja sogar die Verteidigung des Sozialstaatsgedankens gegenüber Prozessen neoliberaler Deregulierung diffamiert wird. Wir haben es auch vorhin wieder gehört, allein das Denken, dass man parlamentarische Demokratie wir

kungsvoll ergänzen kann durch außerparlamentarische Demokratie, durch direkte Interventionsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern, erscheint Ihnen schon als verfassungskritisch und kritikwürdig. Sie können sich damit überhaupt nicht anfreunden und meinen, dass man das von vornherein auch wegschieben muss. Wir werden in eine solche Gleichsetzung von Rechts und Links, die sich hinter dieser Gleichmacherei des Extremismusbegriffs verbirgt, nicht einstimmen, da sie die selbst ernannte politische Mitte der kritischen Auseinandersetzung entzieht, indem sie diese mit einem Verfassungsideal gleichsetzt, das sie nicht erfüllt und Demokratisierungsoptionen diskreditiert. Wir werden nicht einstimmen, da auf diese Art und Weise auch Verbindungen einzelner Projekte der gesellschaftlichen Mitte mit den Anliegen von ganz Rechts unsichtbar gemacht werden sollen. Die Gleichsetzung zwischen Rechts und Links dient denen, die an einer neuen Rolle Deutschlands stricken als antitotalitärer Konsens, der auch mit jenen aufräumt, die aufgrund der deutschen Geschichte noch Antifaschismus propagieren. Und letztendlich, meine Damen und Herren, ist es aber gerade diese Doktrin, die die äußerlich nicht zu übersehende, ja schon mit Hass verbundene Ablehnung von direkter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit diskreditiert. Ich verweise hier nur auf den Auftritt des Ministers Gnauck in einer MDR-Fernsehsendung, als er ziemlich deutlich machte, dass die dann kurz danach erfolgende Ablehnung des Volksentscheids durch die Landtagspräsidentin eigentlich einen konkreten politischen Hintergrund hat, nämlich den konkreten Unwillen, überhaupt solche Formen von direkter Demokratie zuzulassen.

Frau Abgeordente Zimmer, lassen Sie eine Frage der Abgeordneten Vopel zu?

Nein. Dabei, und darauf möchte ich verweisen, kann doch gerade der Ausweg aus festgefahrenen und Problemlösungen verhindernden gesellschaftlichen Strukturen nur in der Gesellschaft...

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land- wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Was hat denn das mit dem Thema zu tun?)

Doch, ich rede genau zu dem Thema, ich rede zu dem Antrag, den die PDS gestellt hat, für die Einsetzung einer entsprechenden Dokumentationsstelle, wo es nämlich genau darum geht, warum rechtsextremistische Strukturen hier in diesem Land unterschätzt werden in einer verharmlosenden Art und Weise mit Links und wo hier im Prinzip auch eine Staatsdoktrin entwickelt wird, die genau eine Auseinandersetzung mit rechtsextremem, mit neofaschistischem Potenzial verhindert, deshalb rede ich davon. Ich meine schon, dass das Gegenstück eigentlich zu dem, was Sie hier als Konzept gepriesen haben, wenn auch diffe

renziert, als polizeitaktisches Konzept zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in einer Stärkung der Zivilgesellschaft selbst bestehen muss.

(Beifall bei der PDS)

Selbst renommierte Staatsrechtler wie beispielsweise Klaus Arndt sagen deutlich, wir müssen stets beides zugleich sein, Staatsbürger und Rebell. Das bedeutet aber auch, dass Sie nicht von vornherein Äußerungen von Menschen, die sich gegen Ihr festgefahrenes Staatsmodell wenden, diskreditieren und kriminalisieren dürfen. Sie müssen es zulassen, dass es die Möglichkeit auf eine Streitkultur gibt, die im Prinzip auch Zivilcourage einschließt und die auch zivilen Ungehorsam ebenso ermöglicht. Das genau schließen Sie aber in Ihren Äußerungen hier völlig aus.

(Beifall bei der PDS)

Alles, was nicht genau Ihrer CDU-Doktrin, Ihrer CDU-Linie entspricht, ist in diesem Staat praktisch nicht legitim.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Lesen Sie einmal das Grundgesetz Artikel 20.)

Dort wollen Sie eigentlich schon die Grenzen ansetzen, dort wollen Sie schon unmöglich machen, dass Menschen sich äußern und sich im Prinzip auch nicht an bestimmte durch Herrschaftsstrukturen und nicht durch Parlamentsmehrheiten gesicherte Strukturen auch zur Wehr setzen.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Jetzt reden Sie von früher.)

(Beifall bei der PDS)

Sie setzen eine Blockade einer rechten Demo, den Protest gegen Leute, die unverhohlen rassistische und völkerverhetzende Parolen skandieren, die Jagd auf Menschen machen, auch an diesem Tag in Erfurt gemacht haben, die fremd aussehen, mit den Aktionen gleich, die offen gegen ein tolerantes solidarisches Miteinander von Menschen gerichtet sind. Sie setzen eine solche Blockade auf die Menschen, die in einer akuten Situation in Form von Gegenwehr reagieren. Für mich ist das eine Form von zivilem Ungehorsam, für mich ist das ein Ausdruck von Zivilcourage. Sie setzen es genau mit denen gleich, die zu Hass und Intoleranz aufrufen und Sie machen sich aus meiner Sicht damit selbst schuldig, wenn ziviler Ungehorsam, der legitim ist, kriminalisiert wird.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Der ist aber gewaltfrei, der zivile Ungehorsam.)

Ich glaube, Herr Innenminister, es wäre gut, bevor Sie sich zu Fragen des zivilen Ungehorsams äußern, wenn Sie die Debatte, die es dazu gibt, auch zur Kenntnis neh

men würden, und zwar eine Debatte, die nicht nur von Links geführt wird. Ich verweise hier auf Habermaß, ich verweise hier aber auch auf John Stuart Raulds, die nämlich deutlich gemacht haben,

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Die schmeißen mit Steinen.)

dass es - die schmeißen auch nicht mit Steinen - legitim ist, in einer bestimmten Situation auf Formen des zivilen Ungehorsams zurückzugreifen. Wenn dieser beispielsweise einschließt,

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Schießbefehl.)

dass die verfassungsmäßige Ordnung nicht in Frage gestellt wird, dass diejenigen, die zu einer solchen Form sich entscheiden, in einer konkreten aus ihrer Sicht akuten Situation sich entscheiden, sich in einer ganz bewussten Form zur Wehr zu setzen, dass sie sich auch über die Folgen ihres Handelns im Klaren sind und auch gleichzeitig bereit sind, diese Folgen zu tragen. Darüber müssten Sie sich auseinander setzen, das müssten Sie zur Kenntnis nehmen. Ziviler Ungehorsam ist es nicht, wenn ich mich hinstelle und hier im Thüringer Landtag Menschen beleidige und hier dummes Zeug in Bezug auf Parteien erzähle, sondern ziviler Ungehorsam ist es, wenn Menschen, die in ihren Lebensgefühlen, in ihrer Lebenshaltung beeinträchtigt werden, wenn sich andere dorthin stellen und diese verteidigen und die dazu notwendige Form für sich gewählt haben.

(Beifall bei der PDS)

Das ist eine Form von zivilem Ungehorsam und zu der müssten Sie sich

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Sie haben eine ganz merkwürdige Definition!)

endlich einmal durchringen können oder zumindest eine gewisse Form von Akzeptanz entwickeln. Auch aus den Worten des Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes Herrn Roewer in den vergangenen Tagen spricht eine unglaubliche Gleichmacherei, wenn er verkündet, Rechtsextremismus und die zum Thema "Antifa"-Aktiven seien in Thüringen wie siamesische Zwillinge.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Sie spielen unglaublich herunter.)

Beide Extreme, so meint er verkünden zu müssen, wären nur um ein irgendwie geartetes "Anti" bemüht, die sich ineinander wieder fänden. Eine Gleichsetzung und inhaltliche Entleerung, die für die Einschätzung des Neofaschismus in Thüringen gefährlich ist und die die Schlussfolgerung nahe

legt, dass diejenigen, die aktiv gegen Neofaschismus eintreten, diesen gar ermöglichen oder produzieren. Eine solche These, Herr Köckert, gab es bereits einmal in der deutschen Geschichte und die lautete: Der Nationalsozialismus sei eine Antwort auf den Bolschewismus. Ich verweise auch in diesem Zusammenhang auf die Kontroverse in dem Historikerstreit, wo Nolte erklärte, der Archipel Gulag sei ursprünglicher als Auschwitz. Ich denke, wer solche Thesen hier weiter propagiert, der trägt auch Verantwortung dafür, dass Neofaschismus, dass Rassismus, dass Auschwitz, dass Buchenwald relativiert wird. Ich denke, das ist das, was Sie eigentlich selbst nicht wollen, dann seien Sie sich aber darüber bewusst, dass es dieses politische Handeln ist, das das genau mit unterstützt.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU:... zur Kenntnis nehmen. Demagogen... 70.000 Tote in der DDR.)

Ich frage Sie, wie sollen die Menschen in Thüringen selbst gegen Neofaschismus aktiv werden, wenn diejenigen, die das tun, als Extremisten, als Terroristen, Dumme und Verrückte durch denjenigen gebrandmarkt werden, der per Funktion scheinbar über die höchste Definitionskompetenz von Extremismus verfügt? Darüber sollten Sie nachdenken und sich mit dafür einsetzen, dass Konzepte der Landesregierung, die sich gegen Rechtsextremismus wenden, praktisch nicht nur Polizeikonzepte sind, sondern dass es hier um ein gesamtgesellschaftliches Konzept gehen soll und dass hier die Handlung der gesamten Landesregierung erforderlich ist und nicht nur die Reduzierung darauf, dass man rechtsextremer Gewalt mit Polizeigewalt begegnen will. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)