Gabi Zimmer

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Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren, es ist unbestritten, niemand unter uns kann sich wohl der Bilder entziehen, die gegenwärtig über alle Kanäle in die Wohnzimmer jeder Familie eindringen. Sie lösen meist Wut und Ohnmacht aus und machen auch uns zu direkt Betroffenen dieses rechtswidrigen und hochgefährlichen Kriegs. Ich will diese Bilder von Bombeneinschlägen, von zerstörten Häusern, unter deren Trümmern nach Überlebenden gesucht wird, nicht sehen, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich mitschuldig mache, mich ihnen aber auch nicht verweigern kann. Ich denke schon, dass das auch ein Dilemma ist, in dem wir uns selbst befinden. Ich stelle mir dann schon die Frage: Waren die Proteste der Friedensbewegung, der Protest gegen die Politik der Bush-Regierung umsonst gewesen? Noch nie sind vor einem Krieg so viele Menschen in der ganzen Welt auf die Straße gegangen, um zu skandieren "No War, Mr. Bush". Stand die angebliche Drohkulisse gegen Saddam Hussein von vornherein als teuflische Planung des gewollten Kriegs gegen den Irak fest? Welch "göttliche" Mission treibt Bush und die anderen "White stupid men" dazu, der Welt eine Ordnung nach ihrem Bild aufzuzwingen? Was treibt Angela Merkel dazu, dieser Schleimspur der antiamerikanischen Regierung, die die Werte von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit in die Mülltonne der Geschichte schmeißt, zu kriechen? Hat die Blauhemdträgerin von einst, hat sie ganz einfach so als "Stupid German woman" mal nur die Supermacht ausgetauscht?
Angesichts der Opfer, der verwundeten, getöteten Frauen und Kinder, der Zivilisten, der Menschen mit oder ohne Uniform - gleich welcher Art -, ist ihre Unterstützung für den Krieg, für die amerikanische Politik, für das von Bush gestellte Ultimatum mit allen Konsequenzen ein unglaublicher Zynismus.
Ist sie sich nicht im Klaren darüber,
dass in Folge dieses Krieges eine entzivilisierte Welt entstehen kann mit einem Imperator, der seine Willkür mit der Gewalt begründet, die er selbst erzeugt? Gegen eine solche Barbarisierung der Politik müssen Demokratie, Freiheit und Menschenrechte verteidigt werden.
Dieser Krieg, meine Damen und Herren, verletzt bei aller Ablehnung Saddam Husseins elementare Menschenrechte der irakischen Bevölkerung, das Recht auf Leben, auf Selbstbestimmung, auf Menschenwürde. Aus diesem Grund solidarisieren wir uns mit der amerikanischen Friedensbewegung, mit all den Menschen, die Bush und anderen zurufen, dieser Krieg ist nicht unser Krieg. Selbst Hollywood hatte seinen Eklat, als Michael Moore seine 45-sekündige Dankesredezeit für die weise Entscheidung der Akademie of Motion Pictures Art and Science mit dem Satz "Shame on you, Mr. Bush" begann. Er ließ nicht locker und rief auch den oberen Rängen zu - und so sage ich Ihnen das auch: "Wir leben in fiktionalen Zeiten voller fiktiver Wahlergebnisse, wo uns ein fiktiver Präsident aus fiktiven Gründen in den Krieg schickt." Noam Chomsky, einer der prominentesten politischen Dissidenten Amerikas, sagte unmittelbar nach den völkerrechtswidrigen Angriffen die einfachen menschlichen Worte: "Wir müssen zuallererst den Opfern beistehen." Dem stimme ich voll und ganz zu. Deshalb kann es jetzt nur heißen: Sofortiger Stopp des Kriegs;
sofortige Hilfe für die Opfer dieses Kriegs, des ersten Golfkriegs, des Embargos, Sofortversorgung, Schutz und Betreuung für die Flüchtlinge, die irakischen, die iranischen und die türkischen; sofortige Umkehr zum Völkerrecht.
Herr Ministerpräsident, die Thüringer Landesregierung sollte diesen Krieg nicht nur zum Anlass nehmen, die Sicherheitslage in Thüringen zu erörtern; die Landesre
gierung sollte mit dem Parlament zum Beispiel darüber diskutieren, welche Hilfsangebote Thüringen unterbreitet, um zivile Flüchtlinge, Kriegsdienstverweigerer und Desserteure aufzunehmen. Wir sollten gemeinsam von der Bundesregierung und mit ihr gegenüber anderen Staaten fordern, dass die Grenzen für Menschen in Not geöffnet werden bzw. offen bleiben. Die Hilfsorganisationen brauchen Unterstützung. Sie müssen zu den Menschen hinkommen, die Zugänge müssen geschaffen werden. In Basra sind Wasservorräte erschöpft. Nahrungsmittel, Kleidung, Decken, Medikamente werden dringend gebraucht. Herr Ministerpräsident, setzen Sie sich bitte dafür mit ein, dass lebensnotwendige Medikamente zur Behandlung der Tropenkrankheit Kala Azar, von der gerade im Süden, im ärmsten Teil des Iraks, tausende Kinder betroffen sind, nicht länger durch die britische Regierung blockiert werden, sondern dorthin kommen, wo Leben gerettet werden kann.
Es ist bedauerlich, dass vom Parlament und vom Thüringer Landtag bisher kein gemeinsames Signal ausging, den Irak-Krieg mit aller Vehemenz abzulehnen.
Es ist auch schade und nicht gerade ein Zeichen von Offenheit, im Vorfeld dieser Plenartagung so gut wie keine Bemühungen um eine gemeinsam eingereichte Entschließung zu unternehmen. In diesem Sinne, Herr Gentzel, unterscheidet das eben Ihren Antrag gerade von der Erklärung aus Heiligenstadt. Das ist der eigentliche Unterschied.
Zieht man aber nun ein Resümee, Herr Ministerpräsident, aus dem von Ihnen Gesagten zur Sicherheitslage, dann unterscheidet es sich ebenfalls nicht wesentlich von der Berichterstattung des zuständigen Ministers im Innenausschuss. Auch dieser kam zu dem Schluss, dass nicht nur der Krieg nicht lokal begrenzbar sein kann, sondern auch seine Auswirkungen über die gegenwärtige Kriegszone hinaus zu spüren sein werden. Fazit ist, es gibt derzeit keinerlei Anhaltspunkte dafür, von einer verschärften Sicherheitslage in Thüringen auszugehen. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001, mit den Angriffen auf den Irak und auch der spürbaren Solidarisierung großer Teile der arabischen Welt mit dem Hussein-Regime muss man mit Folgen des Kriegs rechnen, die über politische Konsequenzen, ökonomische Folgen und finanzielle Belastungen hinausgehen. Wenn Thüringen berichtet, dass es vorbereitet ist, die Schäden zu verhindern oder Folgen zu mildern, dann kann das bedingt beruhigen. Die Ehrlichkeit verlangt aber auch festzustellen, dass der Schutz der Synagoge von Erfurt bereits seit einem Anschlag deutscher Jugendlicher im Jahr 2000 gewährleistet wird. Die Vorbereitung auf biologische und chemische Anschläge war nach der Attacke auf das World Trade Center und den Anthrax-Anschlägen in den USA unvermeidbare Konsequenz. Die Sicherung amerikanischer und britischer Einrichtungen in Deutschland ist schon eher eine Folge des gegenwärtigen Kriegs. Wenn Innenminister Trautvetter in
der Phönixrunde darauf hinweist, dass die Notfallpläne überarbeitet wurden und werden, dann ist auch dagegen nichts einzuwenden.
Nur eines, meine Damen und Herren, verkennt oder verdrängt diese Betrachtung der Sicherheitslage Thüringens in Bezug auf den Krieg im Irak. Die Bedrohungen, vor denen wir uns schützen müssen, sind Folgen einer verfehlten Politik. Das kann durch innenpolitisches Sicherheitshandeln eben nicht korrigiert werden.
Sie gehen darauf ein, Herr Ministerpräsident, wenn Sie zum Schluss Ihrer Regierungserklärung auf den Zusammenhang von Frieden, Freiheit und Sicherheit verweisen und Wilhelm von Humboldt zitieren. "Wo es Terror gibt, kann niemals Frieden herrschen", sagen Sie. Gilt aber nicht auch umgekehrt, dass, wo soziale Ungerechtigkeit, Hunger, Armut und Hoffnungslosigkeit herrschen, Völker von Kriegen überzogen werden, ihnen das Selbstbestimmungsrecht verweigert wird, die Akzeptanz von Terrorismus wächst? Auch der von Ihnen angewandte Begriff "Sicherheit" sollte aus meiner Sicht neu bedacht werden. Schließlich müssen Menschen sich sicher fühlen können vor Angriffen, vor Gewalt, Terrorismus, Krieg - aber doch nicht nur davor, das heißt doch, Menschen müssen sich sicher fühlen können, damit sie ihr Leben, ihre Gesundheit, auch ihr selbstbestimmtes Sein, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben überhaupt wahrnehmen können. Das muss doch garantiert werden.
Das ist mehr als nur die Reduzierung des Begriffs "Sicherheit" auf den Schutz vor äußerlichen Angriffen. Ist nicht Kern dieser von mir angesprochenen verfehlten Politik auch die Arroganz der modernen westlichen Industriestaaten gegenüber anderen Teilen dieser Welt? Der Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik und den verheerenden Folgen eines falschen Ansatzes bei beiden wird immer wieder deutlich. Der Angriff auf die Erfurter Synagoge und die Anthrax-Attentate in den USA sind Ausdruck der gesellschaftlichen Situation in diesen Ländern. Die Anschläge auf New York, Washington, Djerba und Bali sind der tödliche Reflex auf den untauglichen Versuch, die Herausbildung einer neuen und gerechten Weltordnung zu verhindern. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden an ihrer militärischen Gefräßigkeit ersticken. Was nach vermeintlicher Stärke aussieht, kann in Wirklichkeit das Ende der Weltmacht USA einleiten. Aber leider können vorher an dieser Gefräßigkeit unzählige Menschen ihr Leben verlieren. Das ist der Punkt, weshalb wir als Thüringer Landtag eigentlich sagen müssen, es geht nicht um uneingeschränkte Solidarität, sondern es geht um eine eigene Position, um unserer Verantwortung gerecht werden zu können.
Welcher neuen Weltordnung gehen wir entgegen? Nach Ihrem Beitrag könnte ich Sie das jetzt direkt fragen, aber ich zitiere hier Daniela Dahn, die diese Fragestellung auf der Leipziger Buchmesse aufgemacht hat. Sie fragt weiter: "Werden wir künftig aufrüsten für Abrüstungskriege, entdemokratisieren für Demokratisierungskriege, Ölfelder abbrennen, weil die Reserven knapper werden? Müssen wir - wie mit Picassos Guernica-Bild in New York geschehen - Kunst verhüllen, um Kriegsbereitschaft zu entblößen? Die Völker, und da bin ich überzeugt davon, und die internationale Staatengemeinschaft werden sich zur Wehr setzen. Junge Menschen, Künstler, Intellektuelle, Journalisten, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten äußern sich öffentlich und sie lassen sich nicht einschüchtern durch schwarze Listen wie in den USA, durch Zensur, durch Absetzen von Sendungen, durch Entlassungen von Journalisten, auch nicht durch die Androhung disziplinarischer Strafen, wie zuletzt vielfach angesichts der Schülerstreiks gegen den Krieg in Bundesländern geäußert. Deshalb unterstütze ich auch sehr die Aufforderung, die am vergangenen Wochenende durch den Kultusminister geäußert worden ist, auf solche Disziplinarmaßnahmen zu verzichten.
Es ist eine wirksame, eine wichtige Erfahrung für junge Menschen, auf diese Art und Weise ihr Recht auf Demokratie wahrzunehmen und sich zu engagieren. Ich halte das ebenso für ein hoffnungsvolles Zeichen wie, dass UNO und Sicherheitsrat, die UNO-Waffeninspekteure mit ihrem Chef Hans Blix nicht dem Druck der USA und Großbritannien nachgegeben haben, diesen unter allen Umständen gewollten Krieg gegen den Irak zu legitimieren. Ich habe auch keine Sorge, Herr Ministerpräsident, in einem alten Europa zu leben; in einem alten Europa, das den Mut hätte, eine neue Politik zu betreiben; ein Europa, das zu viele Kriege erlebt hat, um nicht kriegsmüde zu sein; ein Europa, das den Mut hat, eine tatsächliche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu entwickeln. Nein, auch ich will keinen deutschen Sonderweg, Herr Ministerpräsident, sehr wohl aber ein Europa, das sich von den USA emanzipiert, auch wenn der Bundeskanzler meint, Emanzipation sei ein gefährliches Wort, was ich ein bisschen lächerlich finde.
Im Gegensatz zum Kanzler und seinen Truppen, im Gegensatz zu den Spitzen der Union sehe ich die Zukunft Europas als ein nicht militärisches Europa.
Es wäre fatal, auf militärische Stärke setzen zu wollen. Europa hat andere Erfahrungen gemacht, z.B. die OSZE oder auch die, nur die Stärke des Rechts kann dem Recht der Stärke entgegengestellt werden. Deshalb, Herr Ministerpräsident, auch hier mein Widerspruch. Es ist eben
nicht nebensächlich, ob mit diesem Krieg, der nicht durch die UN-Charta legitimiert ist, und das nicht nur wegen der fehlenden den Krieg sanktionierenden Resolutionen, sondern auch wegen des generellen Verbots der Gewaltanwendung in den Beziehungen zwischen den Völkern, was in der UNO-Charta so festgehalten ist, also mit diesem Krieg das Völkerrecht gebrochen wird.
Es ist auch kein Streit der Völkerrechtler, Herr Ministerpräsident, jedenfalls nicht ernst zu nehmender. Für die Spitzen von CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD ist es unstrittig, dass ein präventiver Krieg völkerrechtswidrig ist. Ich verweise hier nur auf die Debatten innerhalb des Bundestages und auch die Debatten, die mit Bundespräsident Rau geführt worden sind. Es ist ein hilfloser Versuch, sich auf die Formel zurückzuziehen, dass diese Frage nicht juristisch, sondern politisch zu bewerten sei. Auf diese Art und Weise wird vermieden, dem Artikel 26 des Grundgesetzes und auch dem NATO-Statut Rechnung zu tragen. Regierung und die Fraktionen, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, sind verpflichtet, zur Einhaltung des Grundgesetzes selbst aktiv zu werden. Das wissen Sie, Herr Dr. Vogel, sehr genau. Nicht reden, sondern klagen, heißt es doch unter Juristen. Das heißt eben ganz klar, keine Überflugrechte und Stationierungsrechte, die kriegsrelevant sind, keine AWACS-Besatzung, keine Spürpanzer in Kuwait. Deshalb sind eben Proteste, Blockaden, ziviler Ungehorsam und Befehlsverweigerungen vor diesem Hintergrund legitim.
Darf ich, Frau Präsidentin, in diesem Zusammenhang einen Satz des Ex-US-Justizministers Ramsay Clark zitieren. "Die größte Feigheit", so sagt er, "besteht darin, einem Befehl zu gehorchen, der eine moralisch nicht zu rechtfertigende Handlung fordert." Nun aber politische Gründe über das Recht zu stellen, und wer kennt so etwas aus unserer Geschichte nicht so gut wie wir, das ist die Kapitulation und das Eingeständnis, dass das transatlantische Bündnis in seiner jetzigen Gestalt zum Scheitern verurteilt ist. Man kann nach diesem Krieg nicht einfach so tun, als wäre alles wieder wie vorher. Das transatlantische Bündnis, das Verhältnis zwischen Europa und den USA, das Verhältnis Deutschland - USA wird ein anderes sein, trotz aller jetzt schon zu registrierenden Versuche alles mit einem "Schwamm drüber" wegzuwischen. Und deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: In der Ablehnung des Kriegs hat Bundeskanzler Schröder auch unsere Unterstützung, die Unterstützung der PDS. Jeder Versuch aber, sich auf die Seite der Kriegsgewinnler zu stellen, wird Schröder und Fischer um den gerade erst erreichten Respekt bei vielen Menschen bringen. Es gibt hier, gerade auch in Bezug auf das transatlantische Bündnis, Herr Ministerpräsident, kein gleichberechtigtes Miteinander, es gibt keine gemeinsame Augenhöhe. Da ist es schon makaber, wenn Ihr Unionsfreund und fast Bun
deskanzler Edmund Stoiber Gerhard Schröder vorwirft, mit seinem Nein zum Irak-Krieg Europa gespalten zu haben. Das heißt im Klartext, meine Damen und Herren von der CDU, hätte die Union die Bundestagswahl gewonnen, stünden Bundesregierung und Bundeswehr in einer Reihe mit Großbritannien und Spanien. Dafür bedanke ich mich. Das kann ich auch nicht mit unterschiedlichen Meinungen in diesen beiden Parteien abtun, wohl eher mit deutlich spürbaren Differenzen zwischen Mitgliedern an der Basis und Partei- und Fraktionsspitzen von CDU/CSU.
Die Meinung, meine Damen und Herren, in der Bevölkerung ist sehr übersichtlich. Mehr als 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung sind gegen diesen Krieg. Jeder dritte Jugendliche in Deutschland hat in den letzten Tagen und Wochen an Demonstrationen gegen diesen Krieg teilgenommen. Das sind die Zeichen der Zeit. Ich wiederhole hier: Es ist wichtig, dass sich der Thüringer Landtag deutlich gegen den Krieg im Irak ausspricht. Es würde Menschen bestärken, die verstanden haben, was Minister Trautvetter aus anderer Sicht im Innenausschuss gesagt hat. Solche Auseinandersetzungen sind nicht mehr lokal, sondern werden international ausgetragen. Jede Stimme gegen den Krieg ist ein wichtiger Beitrag, die Logiker des Kriegs davon abzuhalten, was wir heute auf allen Nachrichtenkanälen leider zur Kenntnis nehmen müssen. Nun steht die Aufgabe, den Krieg, der offenbar aus dem Ruder läuft, sofort zu beenden - nicht irgendwann, nicht schnellstmöglich, sondern sofort. Das ist das humanistische Ziel, dem sich jetzt Politik widmen muss.
Es gibt und gab überall in Thüringen Aktionen und Erklärungen gegen den Krieg. So haben die Kreistage des Ilm-Kreises und des Landkreises Eichsfeld gemeinsame Erklärungen gegen den Krieg verabschiedet. Ähnliche Erklärungen gibt es aus den Stadtparlamenten von Ilmenau, Suhl und Heiligenstadt. In der Stadt Ilmenau gibt es den Vorschlag, einen Friedenspark anzulegen und in diesem Park sollen als Zeichen des Friedens Bäume aus den verschiedenen Ländern der Welt gepflanzt werden. Im Chor derer, die sich jetzt für eine sofortige Beendigung des Kriegs einsetzen, sollte auch die Stimme des Thüringer Landtags zu hören sein. Die Fraktion der PDS schlägt deshalb vor, diesen japanischen Kirschbaum durch Abgeordnete aller Fraktionen auf dem Gelände des Thüringer Landtags zu pflanzen. Diese Art des japanischen Kirschbaums ist der einzige Baum, der beim Abwurf der Atombombe über Hiroshima nicht verbrannte und seither als Zeichen gilt, als Symbol des Friedens und von Hiroshima seinen Weg in die ganze Welt findet. Ich glaube, das wäre ein Zeichen, wo man sich, ohne ideologische Ängste haben zu müssen, einbinden könnte und dieses Zeichen auch nach außen geben könnte. Vielen Dank meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, Herr Fraktionsvorsitzender Althaus, ich möchte mich zunächst erst einmal dafür bedanken, dass Sie uns die Gelegenheit gaben, den Antrag, der ja jetzt eben auf den Plätzen ausgelegen hat, durch Ihre Rede noch einmal richtig zur Kenntnis zu nehmen, und dass Sie auch noch einmal deutlich gemacht haben, welchen Zweck der Antrag, der eben erst eingereicht worden ist, tatsächlich erfüllt. Indem Sie vor allem an den Punkten des Antrags zusätzliche Einfügungen gemacht und Erläuterungen gegeben haben, haben Sie klargemacht, dass genau an diesen Punkten auch die eigentliche Wahlkampfrede unmittelbar vor den Landtagswahlen in Hessen und auch in Niedersachsen zu erkennen war
und dass es Ihnen nicht darum geht, hier in diesem Thüringer Landtag eine gemeinsame Position der drei Frak
tionen zu erreichen.
Ich bin eigentlich sehr entsetzt darüber, dass ein solches Thema, bei dem über 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, über 80 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung überzeugt davon sind, dass es sich hier um ein existenzielles Thema handelt, ein Thema, bei dem sie größte Sorge haben, auch vor Entscheidungen, die die deutsche Politik trägt, dass Sie dieses Thema hier missbrauchen, um deutlich zu machen, Sie wollen unmittelbar vor den entsprechenden Landtagswahlen noch einmal andere Akzente setzen und Sie wollen diese Gemeinsamkeit nicht. Das halte ich für sehr bedenklich.
Damit tragen Sie dazu bei, dass sich dieser Landtag und die Abgeordneten in diesem Landtag vor sich selbst entantworten, nämlich vor ihrer Verantwortung, dass sie als Politikerinnen und Politiker Stellung zu nehmen haben zu solchen Problemen und Fragen, die die Leute bewegen.
Ich komme aber an einigen Punkten auf Ihren Antrag noch einmal zurück. Ich erkläre von vornherein, dass, so wie ich die Position meiner Fraktion kenne, Ihr Antrag für uns ganz einfach nicht zustimmungsfähig ist.
Ich werde Ihnen an einigen Stellen auch noch erklären, warum.
Ich sage Ihnen auch, warum wir dem nicht zustimmen können und wo eigentlich die Teufelei liegt, die Sie hier mit eingebracht haben.
Meine Damen und Herren, ich bin gerade erst vom 3. Weltsozialforum in Porto Alegre zurückgekommen und ich möchte angesichts auch eines drohenden Krieges den brasilianischen Präsidenten Lula zitieren, der sowohl in Porto Alegre beim Weltsozialforum als auch wenige Tage später beim Weltwirtschaftsforum in Davos die Frage gestellt hat: "Warum können die Kinder in den reichen Ländern fünf Mal am Tage essen, bei uns aber nur einmal in fünf Tagen?" Für mich war, gerade auch angesichts dieser Begegnungen, noch nie so sehr der enge Zusammenhang von Frieden, Entwicklungs-, Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft und auch Sozialpolitik und vor allem einer notwendigen Demokratisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse und Machtstrukturen in allen Ländern so deutlich, wie in diesen Tagen angesichts des militärischen,
politischen und auch medialen Aufrüstens der USA und auch Großbritanniens.
Ich kann nur zustimmen, ja, ein weltweiter Pakt für den Frieden und gegen den Hunger ist dringend notwendig.
Ich kann Ihnen nur sagen, heute ist es gefragt, konkrete Ideen und auch Taten zur Umsetzung eines solchen Pakts einzubringen, hier in der Bundesrepublik Deutschland, in der Europäischen Union und natürlich auch in den Vereinigten Staaten wie überall auf der Erde. Wir leben nun einmal in einer globalisierten Welt, deren gegenseitige Abhängigkeit immer größer wird. Es ist nun einmal so, und das werden auch Sie nicht bestreiten können, dass die neoliberale und auf militärische Macht und ökonomische Vorherrschaft setzende Politik eines Bush, eines Cheney bzw. auch einer Condoleezza Rice, eines Blair oder auch eines Aznar, wie wir gestern ja mit der Erklärung von acht europäischen Staatspräsidenten zur Kenntnis nehmen durften, auf diese Herausforderung eben keine zukunftsweisende Antwort geben kann.
Es sind nun einmal seit dem zweiten Golfkrieg, der 1991 begonnen hat, nach dem ersten Golfkrieg, seitdem läuft nämlich der zweite Golfkrieg bereits, Hunderttausende Tote im Irak zu beklagen und darunter vielfach Kinder, infolge der direkten und indirekten Langzeitfolgen des von George Bush, dem Älteren, geführten Golfkriegs, infolge der fortdauernden Terrorherrschaft des irakischen Präsidenten Saddam Hussein, der die überaus engen Spielräume, die im Übrigen auch die UNO-Sanktionen gegen die eigene Bevölkerungspolitik ausgenutzt hat, zum eigenen Machterhalt und auch zur Verfolgung jeglicher demokratischer Opposition brutal genutzt hat, mit dessen Regime die Millionen und Abermillionen Kriegsgegner in aller Welt nichts, aber auch gar nichts verbindet. Das möchte ich hier auch noch mal deutlich erklären, bevor Sie wieder meinen irgendwelche Unterstellungen vornehmen zu können. Und Sie wissen, davon bin ich überzeugt, dass Sie das auch genau wissen. Sie haben das selbst in den letzten Wochen und Monaten nachvollziehen können, dass ein Krieg, die Bombardierung von Städten und Dörfern vor allem aber die Bevölkerung und eben vor allem die Kinder, die Armen, die Frauen und die Alten treffen wird und gerade eben jene treffen wird, die unter dem Regime Saddams am meisten zu leiden haben.
Da verweise ich mal nur auf das Kinderkrankenhaus in Basra. Europäische Abgeordnete, Mitglieder von Friedensinitiativen haben sich das in den letzten Tagen und Wochen wiederholt angeschaut und haben dort feststellen müssen, dass infolge der Langzeitschäden durch den ersten Golfkrieg täglich fünf Kinder mit Krebskrankheiten eingeliefert
werden und aufgrund der nicht vorhandenen medizinischen Versorgung, vor allem auch durch das Embargo,
die Kinder nicht versorgt werden können, nicht behandelt werden können und dort selbst Kinder sterben, die, wenn die medizinische Behandlung gesichert werden würde, eine Überlebenschance hätten. Ich denke, das ist eine Frage, der wir uns auch zu stellen haben und wo wir nicht einfach nur so tun können, als würde das Regime von Saddam Hussein jegliche menschliche Verfolgung und auch jeden Präventivkrieg rechtfertigen.
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Althaus, muss ich sagen, ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie Sie auf die Idee kommen können mit Ihrem Satz: "Worin besteht politischer Druck", ich zitiere Sie, "wenn nicht maßgeblich in militärischem Druck.", wie Sie überhaupt auf die Idee kommen können, dass man einen Saddam Hussein von der Regierungsspitze, von der Macht wegkriegt, indem man ein Volk bombardiert.
Das ist 1991 schon nicht gelungen. Zehn Jahre danach hält er sich immer noch oder zwölf Jahre danach immer noch. Und da setzen Sie immer noch darauf, dass es um einen Präventivkrieg gehen könne? Sie sagen und halten es Schröder vor, dass er vor kurzem in Goslar erklärt habe: Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt. Ja natürlich, was denn sonst? Wieso kommen Sie dabei auf die Idee, dass sich Schröder damit isolieren könnte?
Wenn Schröder es schafft, die Stimmung bzw. auch den Willen derjenigen aufzunehmen, die diesen Krieg nicht wollen, dann ist er nicht isoliert, dann ist er mit über 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in Übereinstimmung,
wenn er sich mit den Regierten verbindet und nicht mit denen, denen es nur um die Durchsetzung von Machtinteressen geht. Zumindest dabei sollte Schröder bleiben bei einer deutschen Bevölkerung, die mehrheitlich einen solchen Krieg ablehnt und seinen Beginn doch zugleich auch fürchtet. Ich denke, diese Ambivalenz muss man genauso zur Kenntnis nehmen und Schröder wird schon deshalb als Friedenspolitiker angesehen. Weltweit wird Deutschland jetzt als zumindest mäßigendes Element angesehen und geachtet. Beides stimmt wohl, wenn auch nicht ganz. Denn was machen die deutschen Soldaten und Matrosen in Kuwait und am Horn von Afrika oder in den Awacs-Ma
schinen? Wohin starten die Transporter und die Bomber der US-Airforce von deutschem Boden aus? Warum können die Amerikaner ihre Basen hier nicht selbst bewachen? Wir zumindest wollen Schröder beim Wort nehmen, denn sein klares Nein zur deutschen Beteiligung an einem IrakKrieg steht wohl noch auf dem politischen Prüfstand.
Am Montag legten, meine Damen und Herren, die UNRüstungsinspektoren einen vorläufigen Bericht zu ihren Kontrollen im Irak vor. Aus dem ergab sich eben nicht, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt.
Wissen Sie, Herr Althaus, Sie haben vorhin einen Satz gesagt, da würde ich Ihnen zustimmen. Sie hätten erwartet, dass man die Informationen, über die die USA verfügen, rechtzeitig den Waffeninspektoren zur Verfügung stellt, dann hätten diese die Kontrollen auch wesentlich zielgerichteter durchführen können.
Ich frage mich ja bloß, wer außer den USA weiß denn wirklich, über welche Waffen und Waffensysteme Saddam Hussein verfügt? Sie haben ihn doch aufgerüstet. Die USA haben ihn doch jahrelang aufgerüstet,
genauso wie sie El Kaida aufgerüstet haben, um dann mit diesem Wissen nicht umzugehen. Und sie wissen auch ganz genau, was sie in den letzten Jahren bombardiert haben. Da geht es doch nicht nur um den ersten Golfkrieg 1991, da geht es auch um die Zeit danach. Manche dieser so genannten Produktionsstätten sind inzwischen zum 13. Mal kontrolliert worden. Dort ist nichts vorzufinden. Selbst wenn irgendwo noch Anzeichen dafür sein sollten, sagen alle technischen Waffenexperten, daraus kann niemals der Irak eine Angriffsfähigkeit entwickeln. Ich denke, damit müssten Sie sich zumindest einmal auseinander setzen.
Sie können sich nicht einfach hinstellen und behaupten, weil er nicht das Gegenteil nachweisen kann, ist der Irak von vornherein schuldig, ist er von vornherein eine Angriffsgefahr. Ich sage Ihnen auch, vor über einem Jahr hatten wir bereits Treffen mit den Vertretern der UNOKommission für die Durchsetzung des Embargos im Irak. Schon damals wurde sehr klar gesagt, dass die USA und dass Saddam Hussein ein gemeinsames Spiel treiben. Immer dann, wenn es kurz davor steht, dass das Embargo erleichtert werden kann, dass das Embargo im Interesse der Zivilbevölkerung aufgemacht werden kann, immer dann spielt man sich gegenseitig die Vorurteile bzw. auch die Vorfälle zu, damit diese Embargoaufhebung nicht statt
findet, damit nicht im Interesse der Bevölkerung entschieden werden kann. Ich sage Ihnen deshalb, hier geht es um etwas anderes als um die Beseitigung eines Regimes. Hier geht es darum, eigene Interessen durchzusetzen. Lesen Sie die Zeitung, wie beispielsweise - wir sind da ja durchaus auch für solche Positionen offen - die Jesuitenzeitschrift "Civiltà Cattolica"
deutlich macht: Ein Präventivkrieg gegen den Irak sei durch nichts gerechtfertigt. Es gehe nicht darum, dass die immensen Erdölschätze des Irak und seine geopolitische Lage, die zu einer Stabilisierung des Mittleren Ostens geradezu herausfordere, als Grund für einen Präventivkrieg genommen werden, und es sei auch nicht gerechtfertigt, einen Präventivkrieg deshalb zu führen. Die Interessen der Supermacht mögen politisch einsichtig und ihrer Regierung am Herzen liegen, für einen legitimen Krieg, so dort die Position des Vatikans, seien die Gründe nicht hinnehmbar.
Ich finde, darüber sollten Sie nachdenken, bevor Sie nur Teile wieder selbst zitieren und es als Begründung dann anführen.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits gesagt, dass der Bericht, der am vergangenen Montag vorgelegt worden ist, eben nicht nachgewiesen hat, dass der Irak über Massenvernichtungsmittel verfügt.
Die Position, die die USA unmittelbar nach dem 11. September 2001 eingenommen haben, waren die sofortigen Verweise darauf, dass man nun die so genannten bösen Staaten an den Kanthaken bekommen müsse, dass man nun gegen den Irak vorgehen müsse, dass man Staaten-Regimes wie Saddam Hussein von vornherein verweigern müsse, dass sie überhaupt den Zugang zu Massenvernichtungsmitteln haben müssten. Da war überhaupt noch kein Waffeninspektor wieder im Land gewesen und hat untersucht gehabt, was denn tatsächlich noch vorhanden ist und wie weit der Irak angriffsfähig ist. Nun sollen die Inspektionen noch bis Anfang März fortgesetzt werden. Dies als "Sieg der Tauben" zu werten, wäre voreilig, denn die USA-Militärmaschinerie benötigt noch Zeit, der Aufmarsch am Persischen Golf ist einfach noch nicht abgeschlossen. In dem Zusammenhang sage ich Ihnen noch einmal sehr deutlich, Herr Althaus, Ihr Satz "Niemand will den Krieg.", stimmt einfach nicht. Es gibt Leute, es gibt Kräfte, die wollen den Krieg, sie wollen ihn und das wissen Sie ganz genau.
Nein, ich will ihn überhaupt nicht herbeireden. Ich engagiere mich mit vielen aus meiner eigenen Partei und mit vielen Friedensbewegten darin, nämlich alles zu tun, damit dieser Krieg überhaupt nicht erst stattfindet,
diesen Krieg zu stoppen, bevor er ausbricht, um eben nicht jenen wieder Wasser auf die Mühlen zu geben, die nur sagen, weil wir im Imperialismus sind, muss von vornherein ein solcher Krieg stattfinden. Genau das ist eben nicht unser Ansatz.
Ach, erzählen Sie doch nicht. Der US-Präsident hat deutlich gemacht, dass man auch ohne die Unterstützung der UNO vorgehen wird. Ich verweise nur auf die frenetische Aufnahme seiner Rede zur Lage der Nation, die er gehalten hat. Dennoch sage ich, noch ist jeder Widerstand nicht zwecklos. Wir werden weitermachen mit unseren Friedensdemonstrationen, auch durch Beteiligung an Aktionen von friedensbewegten Friedensinitiativen. Wir werden jeden unterstützen, der diesen Krieg noch verhindern will. Da kann sich eben auch Landespolitik nicht heraushalten. Sie kann sich auch nicht, was sie ebenfalls tun sollte, einfach nur darauf beschränken, einem Bundeskanzler verbal den Rücken zu stärken.
Unabhängig davon, meine Damen und Herren, dass es eine allgemeine menschliche Pflicht ist, sich für den Frieden einzusetzen, verbietet das Grundgesetz jeglichen Angriffskrieg und die Landesverfassung in Thüringen fordert in ihrer Präambel das Friedensengagement regelrecht heraus. Also kann es doch nicht nur einfach Ihr Reagieren auf zwei vorhandene Anträge in diesem Landtag sein, dass Sie Ihre Position erklären, sondern das müsste eigentlich eigenes Interesse sein, das von vornherein zu tun. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle auch auf eins verweisen, das haben Sie nämlich in Ihrem Antrag überhaupt nicht getan. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages und auch die Erklärung selbst aus dem engsten Beraterkreis des Bundeskanzlers machen auch deutlich, dass der Bundeskanzler noch jede Menge politischen Handlungsspielraum hat. Es ist eben nicht zwangsläufig so, dass er Überflugrechte gewähren muss. Es ist eben nicht zwangsläufig so, dass der Transport gesichert werden muss. Es ist eben nicht zwangsläufig so, dass die Bewachungen von Militärstützpunkten gesichert werden müssen. Es ist eben auch nicht so, dass man sich von vornherein nur auf die vorhandene UNO-Resolution 1441 stützen kann, um zu sagen, diese reicht aus, um eine entsprechende Entscheidung über Krieg und Frieden zu treffen. Diese reicht
eben nicht aus. Deshalb gehören wir auch zu denjenigen, die klar sagen,
wenn ein abschließender Bericht der Waffeninspekteure vorgelegt wird, muss die UNO eine neue UNO-Sicherheitsresolution erarbeiten. Auf der jetzigen Grundlage ist keine Entscheidung möglich und wir werden auch die Entscheidung einer Bundesregierung nicht akzeptieren, wenn sie auf dieser Grundlage erklären sollte, sie würde einem Krieg zustimmen oder sie würde sich dazu nur enthalten.
Wir stehen mit unseren Positionen und unseren Forderungen ja auch nicht allein. Es gab in den letzten Wochen zahlreiche Initiativen, Aktionen von bewegten friedensüberzeugten Menschen. Vergangenes Wochenende beteiligten sich über 400 Menschen an einer gewaltfreien Sitzungsblockade vor der NATO-Airbase in Geilenkirchen, blockierten für eine Stunde die Einfahrt auch des Stationierungsortes der Airbasesoldaten. Es finden Kundgebungen vor dem Verteidigungsministerium statt. Sie fordern den Abzug der deutschen Soldaten aus der Krisenregion und eine Verweigerung von Überflugsrechten für die US-Truppen. Auch hier im Haus könnte eingewendet werden - und Sie haben das ja zum Teil schon angedeutet -, Außenpolitik ist Bundespolitik. Das ist formal richtig und soll auch formal so bleiben. Das entbindet uns aber eben nicht von der Verantwortung, die wir auf Landesebene vor Ort und für eine friedliche und gerechte Welt haben. In Porto Alegre habe ich an einem Forum von Parlamentarierinnen von der kommunalen Ebene bis hin zu kontinentalen Parlamenten, also beispielsweise dem Europaparlament, teilgenommen. Dort war für mich die überzeugende Position, die dort eingenommen worden ist, wir tragen unabhängig davon, auf welcher Ebene wir in die Politik gegangen sind, Verantwortung dafür, dass die Menschen in unserem Verantwortungsbereich friedlich leben können und dass sie auch von den Folgen eines Krieges und auch von einem Flächenbrand eines Krieges verschont bleiben. Dafür tragen wir eine gemeinsame Verantwortung. Es wurde dann beispielsweise auch darüber nachgedacht - und da fordere ich Sie auf, sich beispielsweise damit auseinander zu setzen -, regelmäßig Parlamentarierdelegationen in den Irak zu senden, um dort praktisch auch der medialen Zuspitzung eine eigene, eine objektive Berichterstattung entgegenzusetzen und selbst etwas zu tun, um diesen Krieg zu verhindern.
Wir können also praktisch nicht nur hier in diesem Saal uns für etwas und gegen etwas aussprechen, wir können auch selbst etwas tun, um diesen Krieg zu verhindern, indem wir uns vor Ort begeben und uns ein eigenes Bild machen und über die tatsächliche Situation auch aufklären.
Natürlich gilt es auch, unsere Argumente für eine friedliche Konfliktlösung zu schärfen und die Logik des Krieges zu durchbrechen. Es reicht nicht, lediglich den Krieg zu ächten, wir brauchen alternative gesellschaftlich wirksame Konzepte. Kann Thüringen dazu einen Beitrag leisten? Ich meine, ja, wir könnten. Die Forderung in unserem Antrag nach Umbau der Rüstungsindustrie ist nicht neu. Rüstungskonversion haben die Gewerkschaften bereits in den 80er-Jahren mit Nachdruck auf die politische Agenda gesetzt. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise und der Massenarbeitslosigkeit braucht es eben auch Mut, diese Forderung wieder aufzunehmen. Man kann es aus den Medien erfahren, jeder von Ihnen kann das, dass es ein Wunschszenario in den Planspielen der Militärs gibt. Ein kurzer Krieg, vielleicht nur sechs Wochen, Kosten, die sich in Grenzen halten, 48.000 Tote, Zivilisten und Soldaten, Opfer von Waffengewalt für Verfügung über das nahöstliche Öl als Drohgebärde der einzig verbliebenen Supermacht. Ich finde, dabei ist es eben nicht unerheblich, ob dort Waffen zur Anwendung kommen, die auch in Thüringen produziert worden sind. In Thüringen, das wissen Sie genauso gut, gibt es Rüstungsproduktion. Wir sollten eben auch vor Ort unsere Verantwortung wahrnehmen, Krieg ist ohne Produktion und den Verbrauch von Waffen nicht möglich.
Unternehmen und Einrichtungen der Rüstungsproduktion und -forschung hier in Thüringen sollten keine staatliche Förderung erhalten, es sei denn, sie dienten eben der genannten Konversion. Landesmittel sollten aber auch in die Unterstützung von Friedensprojekten und -aktivitäten fließen, die sich inzwischen überall entwickeln. Im Übrigen wird auch in der Präambel des EU-Vertrags und in seinen Ausführungen zur Sicherheits- und Außenpolitik die Wahrung des Friedens in Europa und in der Welt als Aufgabe genannt.
Ein Europa der Regionen ist immer wieder auch als Wunsch genannt worden. Nun denn, die Regionalversammlung in der Toskana hat sich in einer ausführlichen Erklärung klar gegen einen Krieg ausgesprochen und gefordert, die Nutzung von Militärbasen auf ihrem Territorium zu verweigern. Ich kenne inzwischen zahlreiche kommunale Vertretungen, ich kenne inzwischen auch Landtage hier in Deutschland, die sich in Resolutionen, und zwar ohne eine Hintertür aufzulassen, gegen den Krieg und gegen jegliche deutsche Beteiligung ausgesprochen haben. Das wäre auch hier möglich.
Das wäre das Mindeste, was man in diesem Landtag erwarten könnte. Wir sind uns mit vielen anderen einig, die konsequente Ablehnung des Krieges bedeutet auch, die schleichenden militärischen und zivilen Kriegsvorberei
tungen in Deutschland zu thematisieren. Militärisch und logistisch ist Deutschland schon jetzt in die Kriegsvorbereitungen am Persischen Golf involviert. Ich verweise hier nur auf die Fuchs-Spürpanzer in Kuwait. Im Übrigen, wenn man sich nur etwas näher beschäftigt mit der Entwicklung, mit der Korrektur, die Bundeskanzler Schröder vorgenommen hat, noch unmittelbar nach dem 11. September hat er aus Solidarität mit den USA den Einsatz der Spürpanzer in Kuwait erklärt. Wenn denn nicht vor folgendem Hintergrund: Dass man genau wusste, wenn man in Kuwait Spürpanzer stationiert, dass man dann im Falle eines Kriegs im Irak eben dabei ist. Vor keinem anderen Hintergrund, das hatte nichts mit Afghanistan und mit der Terrorbekämpfung infolge des 11. September selber zu tun. Deren eigentliche Bestimmung ist doch nur im Rahmen einer kriegerischen Handlung unter Einsatz von chemischen oder biologischen Kampfstoffen zu verstehen. Ob die Panzer nach der Übung noch abgezogen werden können, ist fraglich. Es ist auch vollkommen unklar, unter welches Kommando diese Einheiten im Falle eines Irak-Krieges dann geraten werden. Da sind unsere Marineeinheiten am Horn von Afrika, die Fregatte "Rheinland-Pfalz" mit ihren 200 Soldaten wurde nach Deutschland zurückverlegt, aber doch nicht etwa im Zusammenhang mit einem Umdenken der Bundesregierung, sondern das hängt damit zusammen, dass Deutschland dort das Kommando im Herbst abgeben wird. Auch wenn der unmittelbare Zusammenhang zum Irak-Krieg nicht gleich ins Auge fällt, der Grund für die Stationierung einer internationalen Marine mit immerhin 80 Schiffen aus 16 Staaten ist jedem bekannt. Die Planungen des US-Militärs reichen weit über den Irak hinaus und schon lange gilt Somalia als das nächste mögliche Kriegsziel. Der Einsatz am Horn von Afrika dient doch schon jetzt zur Sicherung der Öltransportwege zu Wasser und der Kontrolle eines der wichtigsten Seehandelswege in der Welt. Fachleute und Menschen mit auch nur ein bisschen Vernunft warnen, der Krieg im Irak birgt die Gefahr, ein Flächenbrand zu werden.
Sie wissen genau, die Situation in der arabischen Welt hat sich massiv verändert. Sie wissen, dass es unter Experten Diskussionen darüber gibt, inwieweit der Krieg im Irak auch genutzt wird, um beispielweise die Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und dem Land Israel weiter zu verschärfen. Sie wissen, dass es Pläne gibt, unter dem Namen "Transfer" die palästinensische Bevölkerung aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Ich sage Ihnen deshalb deutlich
ich habe nicht vom israelischen Volk geredet -, die Erfahrung von Unterdrückung, Hunger und Hoffnungslosigkeit in der Dritten Welt wird gegenwärtig instrumentalisiert, um sie in den Kampf gegen den Terrorismus mit
einzubauen. Das will man im Prinzip durch den Krieg bannen? Dieser Entwicklung kann man doch nur begegnen, indem man die Mitverantwortung für die weltweite Ungerechtigkeit der westlichen Industrieländer akzeptiert, also auch der Bundesrepublik Deutschland, und bereit ist, gemeinsam mit den Menschen in der Welt - jedoch nicht gegen sie - für eine bessere Welt zu streiten.
Wirklich glaubhaft, und das sage ich jetzt auch an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen aus der SPDFraktion gerichtet, und auch friedenswirksam kann ein deutsches Nein zu einem Krieg nur dann werden, wenn die Bundesregierung eben nicht nur einen Präventivschlag der USA ablehnt, sondern die Vorbereitung für Angriffskriege im eigenen Land beendet. Das heißt also, der Auftrag der Bundeswehr muss auf die Landesverteidigung beschränkt bleiben.
Interventionstruppen und Spezialkommandos, die deutsche Interessen von Asien bis Afrika durchsetzen, lehnen wir ab, andere denken auf gefährliche Weise darüber nach. Diese neuen Militärdoktrinen bewirken die schleichende Militarisierung in der Gesellschaft. Nichts gegen die Bundeswehr,
wir schätzen ihren Einsatz zur Bekämpfung des Hochwassers, aber wir sprechen uns gegen die Übernahme polizeilicher Aufgaben durch die Bundeswehr aus.
Es kann doch nicht wahr sein, Herr Trautvetter, dass ein tolldreister, leicht verwirrter Pilot über der Innenstadt von Frankfurt der deutschen Politik wirklich Anlass ist, um über den Einsatz von Abfangjägern oder den präventiven Abschuss zu philosophieren. Oder fingern geltungssüchtige Politiker neuerlich an der innenpolitischen Büchse der Pandorra herum. Wenn wir jetzt über Polizeiaufgaben für die Bundeswehr reden, heißt es nicht faktisch, Polizeibefugnisse für die Armee wie in Staaten, die wir nicht oder nur sehr eingeschränkt als Demokratien ansehen. Ist nicht der Einsatz der Bundeswehr zum Schutz amerikanischer Einrichtungen und zur Absicherung von Militärtransporten in der Bundesrepublik in der Aufmarschphase ein erster Schritt in diese Richtung? Beginnen wir uns nicht schon jetzt an diese Bilder zu gewöhnen? Die Politik - und das möchte ich hier auch noch mal ausdrücklich betonen - die Politik hat immer noch nicht gelernt, auf militärische Machtdemonstration und Gewaltanwendung zu verzichten. Insofern lehne ich auch jede Formulierung, die darauf hindeutet, dass man eine militärische Drohkulisse aufbauen müsse, ab, weil sie genau nur dieses Denken immer wiederholt,
nur immer wieder in militärischen Kategorien zu denken, militärische Logik zu praktizieren und überhaupt nicht zuzulassen, dass zivile Konfliktlösungsmechanismen überhaupt gängig werden bzw. sich durchsetzen können.
Bundeskanzler Schröder hat vor kurzem erklärt, dass er sich Sorge darüber mache, dass man sich inzwischen in der Gesellschaft daran gewöhne, dass Krieg zur Normalität von Politik wird, und er hat noch einmal gesagt, er wünsche sich, dass das wirklich die Ultima Ratio sei. Nun gebe ich gern zu, dass ich hier auch zum Unterschied und im Gegensatz zum Bundeskanzler stehe, weil ich auch Krieg als Ultima Ratio nicht für gerechtfertigt halte.
Aber dass er zumindest erkennt, dass eine solche Veränderung in der Gesellschaft stattfindet, ich glaube, das zeichnet ihn zumindest in seiner Wirklichkeitswahrnehmung von anderen führenden Politikern anderer Regierungsparteien bzw. Parteien, die im Bundestag in Opposition stehen, aus.
Wie wäre es denn - und da frage ich natürlich ein Stückchen weiter, weil ich mich mit dieser Haltung von Gerhard Schröder zwar zum Teil identifizieren kann und ihn hier zum Teil auch unterstützen möchte, aber gleichzeitig auch sage, das kann noch längst nicht reichen -, wenn Gerhard Schröder sich innerhalb der EU einsetzen würde für die EU eben nicht als ein militärisches Gegengewicht zu den USA, weil die Gefährlichkeit einer solchen Logik überhaupt viel zu groß ist, sondern eben für eine offensive Entmilitarisierungspolitik Europas und eine tatsächliche umfassende Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die müsste nämlich einschließen, dass es um die Lösung von globalen Problemen geht, um den Kampf gegen Hunger, den Lula eingefordert hat, gegen Armut und damit auch dem Terrorismus den Boden zu entziehen. Also, warum nicht angesichts der vorherrschenden militärischen Logik, die mit dem ersten Golfkrieg vor 12 Jahren die Oberhand gewann, über Parteigrenzen hinweg alles dafür tun, dass zivile Konfliktlösungen zum ausschließlichen politischen Handeln werden?
Ich sage Ihnen noch einmal deutlich, der Abgeordnete Schwäblein hatte ja am gestrigen Tag darauf verwiesen, dass wir uns gestern zum 70. Mal des Tages erinnern, an dem der Hitlerfaschismus die Macht ergriffen hat; ich denke, 70 Jahre danach ist es an der Zeit, dass Konzepte der
Zivilmacht, die durch Friedensforscher entwickelt worden sind, vorangetrieben werden. Wir brauchen endlich neues Denken statt alter untauglicher Handlungsmuster.
Dafür bekäme Kanzler Schröder vielfache Unterstützung, natürlich auch die der PDS. Aber, wie gesagt, das würde voraussetzen, dass er sich auf die Macht der Regierten stützt und nicht in den - jetzt zitiere ich den CDU-Bundestagsabgeordneten Brock - "Wettlauf der Vasallen" einfällt, so wie es gestern die acht europäischen Ministerpräsidenten getan haben. Wir hielten es für sinnvoll, wenn die Landesregierung auch in dieser Hinsicht die Initiative ergreifen würde und ein internationales Symposium zu Friedensfragen ausrichtet. Wir brauchen eine politische Unterstützung und Umorientierung, den Austausch und die Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft. Wer einem der ältesten Grundübel der Welt auf den Grund gehen will, sollte die Bedeutung von Friedensforschung für die Politik ernst nehmen. Eine der ersten Fragen muss die nach den Ursachen für regionale Konflikte sein. Frieden und Gerechtigkeit erwachsen aus dem Interessenausgleich und natürlich auch daraus, dass die Ursachen für Terrorismus entzogen werden. Aber auch Fragen der Abrüstung, der Konfliktbeilegung und der Gewaltprävention sind mögliche Themen. Gemeinsame Institutionen und verbindliche, für alle gültige Festlegungen und ein normatives Völkerrecht gehören zu den Voraussetzungen ziviler Konfliktlösungen. Appelle reichen da nicht, Umdenken wird ohne einen Abschied von der militärischen Logik nicht möglich sein und unser aller Engagement gegen den Irak-Krieg kann und sollte einen Anfang dafür darstellen.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal kurz auf den Antrag der CDU-Fraktion zurück. Ich sage Ihnen deutlich, mit den Punkten 7, 8 und 9 haben Sie deutlich gemacht, worum es Ihnen wirklich mit dem Antrag geht. Es geht Ihnen nicht darum, dass wir hier eine klare Position gegen einen Krieg, gegen den Krieg überhaupt formulieren, sondern Sie versuchen, diesen Antrag zu benutzen für Wahlkampfauseinandersetzungen.
Wir könnten bei verschiedenen Positionen der vorherigen Punkte einigermaßen mitgehen, z.B. wenn Sie denn im Punkt 3 die Formulierung aufgenommen hätten, dass es "auch am Irak" liegt, ob die Krise friedlich gelöst wird. Das alleinige Schieben auf den Irak, ich glaube, das ist eine Ausblendung von Realitäten und hat mit den tatsächlichen Konflikten überhaupt nichts zu tun.
Wenn es Ihnen denn wirklich darum gegangen wäre, dass dieser Landtag zu einer gemeinsamen Position kommt, dann hätten Sie die Gelegenheit ergriffen und hätten Ihren Antrag oder Antragsvorschlag zur gemeinsamen Beratung
mit den anderen beiden Fraktionsvorsitzenden vorgelegt. Wir haben das angeboten. Wir haben von vornherein angeboten,
zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Ich verweise hier nur auf den Brief des Fraktionsvorsitzenden Bodo Ramelow an die beiden Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD anlässlich unserer Aktion, wo wir hier auch den Thüringer Landtag praktisch symbolisch mit dafür genutzt haben, um eine Position gegen den Krieg deutlich zu machen. Wir waren der Überzeugung, dass wir das auch in Ihrem Interesse tun können müssten
Das war nicht in Berlin, Sie haben das vergessen. Ich glaube nicht, dass ich irgendeine Veranlassung hätte, Ihnen aus Berlin zu schreiben. Ich glaube, das wäre ein bisschen die verkehrte Ebene.
Sie haben von Bodo Ramelow einen Brief bekommen, vom Fraktionsvorsitzenden der PDS-Fraktion, er ist an Sie beide gegangen.
Ich habe zufällig gesehen, wie er sie unterschrieben hat, also können Sie mir nicht das Gegenteil erklären
und das ist auch im Beisein der Presse unterschrieben worden. Danke.
Ach, lassen Sie doch Ihre Bemerkungen. Ich glaube, das Thema, über das wir vorhin hier gesprochen haben und das in den drei Anträgen zum Ausdruck kommt, ist viel zu wichtig, als sich jetzt hier hinzustellen und althergebrachte gegenteilige Beschuldigungen vorzubringen.
Ich sage hier noch einmal sehr deutlich, ich verwahre mich - und das lasse ich hier nicht stehen, Herr Althaus - dagegen, dass Sie die SED als eine verbrecherische Partei bezeichnen.
Ich verwahre mich dagegen.
Dann hätten Sie die Gelegenheit gehabt, die SED verbieten zu lassen, und hätten Sie die Gelegenheit gehabt, beim Verfassungsgericht gegen die Partei zu klagen, dann hätten Sie genügend Gelegenheit gehabt, sich damit auseinander zu setzen. Ihre Partei hat mit der SED zusammengearbeitet und nicht nur zur Wohlfahrt der SED, sondern auch zum Wohlgefallen und zum Sichgutgefallen der CDU.
Das möchte ich hier noch einmal sagen. Halten Sie sich bei solchen Bewertungen zurück, das steht Ihnen nicht zu.
Noch einmal klipp und klar, um das hier für die PDS auch noch mal deutlich zu sagen...
Ich möchte nur noch einmal, um wenigstens abschließend hier an dieser Stelle auch gerade den jungen Zuhörern, die hier oben auf der Tribüne sitzen, das Gefühl zu vermitteln, es geht um ein anderes Thema, es geht um das Thema: "Wie stellen sich die Abgeordneten des Thüringer Landtags der Frage eines bevorstehenden Krieges?" Es gibt Unterschiede zwischen den Fraktionen, die sind heute sehr deutlich geworden.
Ich sage noch einmal klar und deutlich, uns geht es darum, dass mit den althergebrachten Mitteln mit einem Denken, dass man mit militärischer Gewalt Menschenrechte lösen könnte, Demokratie einführen könnte, dass das nicht möglich ist, dass wir ein neues Denken brauchen,
dass Begriffe wie "militärischer Humanismus" nicht tauglich sind, um globale Probleme auf der Welt wie Armut, Hunger und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Das ist hier der Punkt. Das ist die Position, die die PDS-Fraktion hier wahrgenommen und vertreten hat. Nur diese steht zur Debatte, mit der können Sie sich auseinander setzen. Bitte schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, es ist richtig, der Osten ist wieder zum Thema geworden. Die Alarmglocken schrillen, seitdem Wolfgang Thierse in seinem Thesenpapier eine dramatisch schlechte Bilanz der Chefsache Ost gezogen hat. Ich zitiere aus seinem eigenen Papier, wenn er formuliert, dass seit 1998 eigentlich seit dem Jahr des rotgrünen Regierungsantritts - die Arbeitslosenquote Ost vom 1,8fachen auf das 2,3fache der Arbeitslosenquote West gewachsen ist, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer erstmals unter 5 Millionen gesunken ist, die Zahl der Langzeitarbeitslosen um fast 10 Prozent stieg und die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen im Osten um 15 Prozent angestiegen ist.
Herr Ministerpräsident, nun mag man Wolfgang Thierse in der Schärfe und auch in der Pauschalität seiner Wertung zustimmen oder nicht, ich jedenfalls teile im Gegensatz zu Ihnen genau diese Wertung, dass der Osten auf der Kippe steht. Denn Kippe heißt eigentlich nichts anderes, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt entscheidet, ob er dorthin kippt oder ob er auf eine andere Seite kippt. Das bedeutet doch nicht, dass nichts mehr zu tun ist und letztendlich die Leistungen der Menschen, die hier leben, diskreditiert werden.
Seine Analyse ist zutreffend, wenn auch nicht besonders originell, weil ähnliche Aussagen seit Jahren bereits durch alternative Wirtschaftsinstitute, durch Gewerkschaften,
aber eben auch durch die PDS vorliegen. Eines hat er dennoch geschafft, es ist eine politische Debatte über den Osten in Gang gekommen, die ich mir schon seit Jahren auch gewünscht habe.
Es ist gut, Herr Ministerpräsident, dass Sie mit Ihrer Wortmeldung dazu beitragen, dass dieses Thema auf der Tagesordnung bleibt und nicht wieder zurückfällt, weil Wolfgang Thierse in einigen Fragen sich selbst wieder gekippt hat. Zu unterstützen ist, dass bis 2004, also vor Beginn der Osterweiterung, Entscheidendes geschehen muss, wenn der Landstrich zwischen Elbe und Oder nicht auf Dauer abgekoppelt werden soll.
Dennoch, trotz Chefsache Ost, trotz Wolfgang Thierses "Kippe Ost", trotz Ihres eigenen Vorschlags, Herr Ministerpräsident, für ein "Sonderprogramm Ost" hat nach meinem Dafürhalten noch kein wirkliches Umdenken stattgefunden. Es kam auch noch nicht zu einem ernsthaften Dialog in der Gesellschaft, der über Parteieninteressen hinaus zu einem tatsächlichen Bündnis für den Osten geführt hätte, mit dem Ziel, die Lebensverhältnisse Ost/ West anzugleichen, einen selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen und einen sozialökologischen Umbau einzuleiten.
Wenn es denn ernsthaft gemeint ist, Herr Ministerpräsident, Ihr Wort vom Vorschlag, über den zu diskutieren sei, dann soll das jetzt geschehen und vor allem aber muss es endlich auch zu konkretem Handeln führen. Wenn es so ist, wie Sie sagen, dass die Reaktionen darauf aus allen Bereichen der Gesellschaft zumindest so sind, dass man sagt, das ist eine Grundlage, bei der wir erst einmal ansetzen können, dann ist es auch an der Zeit, dass es nun endlich losgeht. Geredet wurde lange genug, ohne dass sich etwas änderte. Auch Sie, Herr Ministerpräsident, hätten schon mehr als genügend Möglichkeiten gehabt, hier in Thüringen in Ihrer Verantwortung als Regierungschef eine andere Politik für den Osten einzufordern und auch im Land ernsthaft einzuleiten.
Bisher haben weder Sie noch die jetzige Bundesregierung oder auch die damaligen christdemokratischen Vorgänger in Bonn eingestanden, warum denn die ostdeutschen Länder nicht aufholen konnten, nach wie vor hinterherhinken und der Abstand sich weiter vergrößerte? Also auch die Frage nach den teilungsbedingten Unterschieden, warum die denn entgegen aller Voraussagen von den blühenden Landschaften im Osten und dass der Osten innerhalb einer kürzesten Zeit in der Lage sei, den Westen zu überholen, warum es denn dazu nicht gekommen ist, diese Bewertung ist nicht vorgenommen worden.
Aus meiner Sicht ist die Hoffnung gescheitert, dass der Markt die Dinge schon richten wird. Gescheitert ist aber auch das Prinzip, durch den bloßen Nachvollzug westdeutscher Verhältnisse in Ostdeutschland einen selbst
tragenden Aufschwung erreichen zu können. Auch die Missachtung ostdeutscher Erfahrungen, Biografien, die weit gehende Abwicklung der DDR-Intelligenz und die hochgradige Zerstörung ostdeutschen Industriepotenzials haben verheerende Wirkungen hinterlassen,
die bis heute nicht ausgeglichen werden konnten. Und nun kann und muss man, Herr Ministerpräsident, über einzelne Punkte des von Ihnen vorgeschlagenen Sonderprogramms Ost reden, obwohl, und das sage ich hier ganz deutlich, wir das Sonderprogramm Ost, so wie es konstruiert ist, nicht als einen Neuansatz für die Politik im Osten gelten lassen können.
Und so haben Sie uns auf Ihrer Seite, wenn es darum geht, notwendige Initiativen im Bundestag oder auch im Bundesrat einzufordern, die den Kommunen im Osten wieder Gestaltungs- und Handlungsspielraum geben können. Sie wissen selbst und haben auch an mehreren Stellen darauf verwiesen, dass die durchschnittliche Steuerkraft der Thüringer Kommunen nur 40 Prozent im Vergleich zu den Kommunen in den alten Bundesländern beträgt und dass diese Steuerschwäche der Thüringer Gemeinden natürlich eine Ursache für die kommunalen Finanzprobleme insgesamt ist. Die Stärkung der kommunalen Investitionskraft sollte deshalb gemeinsames Anliegen der Politikerinnen und Politiker im Osten sein. Lassen Sie uns doch beispielsweise gemeinsam die Wiedereinführung der kommunalen Investitionspauschale Ost in Höhe von 200 DM pro Einwohner und Jahr fordern
seitens des Bundes. Die Kosten für den Bund würden sich hier im Jahr auf rund 3,5 Mrd. DM belaufen. Im Übrigen sage ich hier auch ganz deutlich, hätten zumindest Ihre Thüringer CDU-Abgeordneten bereits mehrfach die Gelegenheit auch im Bundestag gehabt, Anträgen zu einer Einführung einer kommunalen Infrastrukturpauschale oder städtebaulichen Maßnahmen in Plattenbaugebieten zuzustimmen. Nicht teilen kann ich ihre Fixierung bei den Infrastrukturmaßnahmen auf Autobahnbau und ICETrasse. Die Autobahn allein ist überhaupt kein Garant für den Aufschwung von Regionen und einem wahren Investitionsregen. Mir ist natürlich auch das immer wieder zitierte Beispiel von der Superregion Jena sehr wohl bekannt. Sie brauchen aber nur 35 Kilometer weiter nach Gera zu schauen, um festzustellen, dass die Segnungen der Autobahn beileibe nicht zu dem gewünschten Effekt führen. Meine Zweifel an der Wirksamkeit des von Ihnen vorgelegten Sonderprogramms verstärken sich noch, wenn ich mir den Hintergrund und auch die Zielrichtung der unterbreiteten fünf Punkte ansehe. Wenn, meine Damen und Herren, der Ausgangsbefund nicht stimmt, dann
setzen auch Behandlungen und Medikationen falsch an,
dann sind sie vielleicht schmerzlindernd, verzögern einen Prozess, packen aber das Übel nicht an der Wurzel. Der Osten steht seit Jahren am Scheideweg. Verfestigung der demütigenden Alimentierung oder Befähigung zum selbsttragenden Aufschwung - das ist die eigentliche Kippe, auf der sich der Osten befindet. Alle Einschätzungen, die ich in den letzten Monaten von Ihnen, Herr Dr. Vogel, oder aber eben von weiteren Kabinettsmitgliedern gehört habe, leiden unter einem gewaltigen Übel: Sie beweihräuchern sich an prozentualen Angaben, freuen sich, dass Thüringen im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern die besten Zuwachsraten aufweise, und verallgemeinern einzelne Investitions- und Industrieinseln. Von Prozenten aber kann man nicht leben,
auch nicht im Hinblick auf einen selbsttragenden Aufschwung. Auf höchste Zuwachsraten kann man dann stolz sein, wenn das Ausgangsniveau schon entsprechend hoch war und damit auch ein Entwicklungstempo nachweislich gehalten werden konnte.
Und, Herr Ministerpräsident, zur Ehrlichkeit gehört aber auch, der Abstand beim Bruttoinlandsprodukt zwischen Ost und West hat sich weiter vergrößert, das damit auch im EU-Vergleich weit hinterherhinkt. Bezogen auf die Bevölkerung hat sich der Abstand vieler ostdeutscher Regionen zum EU-Durchschnitt zuletzt wieder vergrößert und Thüringen liegt hier mit 70 Prozent wahrlich nicht vor den anderen ostdeutschen Bundesländern. Das soll hier schon sehr deutlich gesagt werden. Sie wissen also selbst, dass die Freude, unter den ostdeutschen Ländern den Ton anzugeben, eigentlich Selbstbetrug ist nach dem Motto "Unter den Blinden ist der Einäugige König". Haben Sie nicht selbst, Herr Ministerpräsident, als Vorsitzender der Ostministerpräsidentenkonferenz in der Februarsitzung des Sonderausschusses "Finanzausgleich/ Maßstäbegesetz" den Osten in die 25 ärmsten Regionen der EU eingeordnet, wie Galizien, Andalusien, Thessaloniki und auch mit Sorge auf das Auslaufen des Ziel-I-Programms 2006 aufmerksam gemacht? Haben Sie nicht auch in der gleichen Sitzung erklärt, dass der Osten nur über 60 Prozent des Westniveaus der Infrastruktur verfügt und eine Angleichung vor 2030
undenkbar sei? Also auf der einen Seite klare Einschätzung der Situation, die sich an Realitäten durchaus auch orientiert, zumindest teilweise,
auf der anderen Seite erklären Sie in öffentlichen Interviews, dass Thierses Lagebeschreibung viel zu düster sei. Ich sage nicht die Bewertung, ich sage die "Lagebeschreibung". Das ist ein Zitat von Ihnen. Und noch vor wenigen Wochen haben Sie auf die Frage, ob der Osten mehr Geld braucht, geantwortet: nein.
Doch, ich zitiere: "Nein, aber er braucht eine Fortsetzung des Solidarpakts nach 2004 möglichst auf gleichem Niveau."
Nun Ihr Umschwenken innerhalb von wenigen Tagen mit der Vorlage eines Sonderprogramms für den Osten, mit dem Sie zusätzliche 40 Mrd. DM, gestreckt auf vier Jahre, einsetzen wollen. Sie kennen also den Befund und verweigern sich ihm, weil Sie nicht eingestehen wollen, dass die eingesetzten Instrumentarien den Aufschwung nicht gebracht haben. Fast 2 Billionen DM für den Osten und in den Kernfragen hat sich nichts Entscheidendes verändert. Seit der Ausdehnung der Bundesrepublik auf Ostdeutschland haben mehr als 1,5 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter mit ihren Kindern den Osten verlassen. Diese Abwanderung, insbesondere junger, qualifizierter Menschen, nimmt zu. Über 200 Mrd. DM jährlich beträgt die Lücke zwischen ostdeutschem Verbrauch und eigener Produktion. Ich glaube, das ist der eigentliche Kernpunkt, Herr Ministerpräsident.
Wenn das endlich auch eingestanden würde als Ausgangspunkt für die Frage, was ist zu tun, um diese Lücke zu schließen, um diese Lücke zwischen Verbrauch und eigener Produktion zu schließen. Zehn Jahre lang trifft die Massenarbeitslosigkeit fast ein Drittel der Ostdeutschen. Deshalb frage ich: Welche Rolle, Herr Dr. Vogel, spielen in Ihren Überlegungen, die im Wesentlichen ja auf eine Weiterführung bisheriger Ostpolitik, mit allerdings erhöhtem Mitteleinsatz, zielen, Fragen nach dem Industriebesatz in Thüringen, den vorhandenen zukunftsfähigen und existenzsichernden Arbeitsplätzen, dem Marktanteil des Bundeslandes oder auch dem Forschungs- und Entwicklungspotenzial, also eigentlich dem Anteil an den wichtigen wirtschaftlichen Leistungsindikatoren? Zu welchem Ergebnis kommen Sie, wenn Sie die von Ihnen vorgeschlagenen fünf Punkte durchdeklinieren, ob sie helfen, tatsächlich zukunftsfähige Arbeits-, Ausbildungs- und Bildungsplätze zu schaffen, den Marktanteil des Ostens zu erhöhen und die notwendige Industriealisierung über einzelne, hochmoderne Inseln hinaus, zu ermöglichen?
Aktuell haben die neuen Länder mit 18 Prozent der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik beim Export nur einen Anteil von 4 Prozent und in der Industrieproduktion von 7 Prozent. Bei Forschung und Entwicklung liegen sie gar nur bei 3 Prozent. Neben der im Übrigen in Thüringen defizitären Grundlagenforschung, sie läuft meistens über die Projekt- und Drittmittelforschung, das heißt, ein Großteil aller wissenschaftlichen Mitarbeiter in Forschungseinrichtungen werden nur befristet beschäftigt, liegt das Potenzial der wirtschaftsnahen Forschung weit unter den Bedürfnissen. So gibt es zwar an den Fachhochschulen Möglichkeiten für den Technologietransfer, benötigt werden aber konzentriert Mittel für Institute, wo kleine und mittlere Unternehmen letztendlich auch ihre Anforderungen stellen könnten.
Wie soll nun eigentlich diese Schere tatsächlich geschlossen werden? Wie kann eine wirtschaftspolitische Wende eingeleitet werden, wenn die bisherigen Instrumentarien der Wirtschaftsförderung oder eben auch der Arbeitsförderung kritiklos weitergeführt werden? Noch vor wenigen Wochen waren sich die ostdeutschen Wirtschaftsminister einig, dass es an den Instrumentarien nichts zu verändern gäbe und beispielsweise die GA das schärfste Instrument sei. Hier möchte ich erhebliche Bedenken anmelden. Ich vermisse Ihre Überlegung, Herr Ministerpräsident, wie denn die Arbeitsteilung zwischen Ost und West verändert werden kann. Der Wirtschaftsmechanismus, der weder über den Markt noch über die großen West-Ost-Transfers den sich vergrößernden Abstand zu den alten Bundesländern verhindern konnte, funktioniert nicht mehr. Dieser Wirtschaftsmechanismus muss geändert werden. Die Ostdeutschen haben gelernt, dass es nicht ohne Markt geht. Nun haben alle zu lernen, dass es nicht ohne gestaltende Politik geht. Die herrschende Politik muss korrigiert werden, der Osten braucht ein neues tragfähiges Entwicklungskonzept.
Wenn dann klar ist, Herr Ministerpräsident, wohin die Entwicklung gehen soll, welche Prioritäten zu setzen sind, dann muss selbstverständlich auch über die Finanzierung diskutiert werden. So lange aber gar nicht klar ist, wo denn die Hilfe zur Selbsthilfe ansetzen soll, wie die öffentlichen Gelder zweck- und zielgerichtet verwendet werden, können Politiker wie Herr Schwanitz immer nur über die nicht vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten schwadronieren, wie z.B. in dem Antwortbrief an Sie, wird bei Politikern dieser Preisklasse der Osten immer wieder nur buchhalterisch eingeordnet. Ich befürchte, dass Ihr Vorschlag, Herr Ministerpräsident, der letztendlich über den Status von Programmideen auch nicht hinausgeht, zur Finanzierungsjongliererei nur beiträgt.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch klar ansagen, die Minimalforderung der PDS für die Fortführung des Länderfinanzausgleichs und der Solidarpakt II ist der Erhalt des bisherigen absoluten Volumens auf absehbare Zeit. Zum Ausgleich der voraussehbaren Verringerung von EUFördermitteln für Ostdeutschland sollten Finanztransfers
in Höhe von jährlich 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts vorgesehen werden. Diese Rate kann desto eher gesenkt werden, je mehr die Wirtschaftsförderung zu einem selbsttragenden Aufschwung beitragen kann im Osten.
Aus meiner Sicht drei Vorschläge zum Einstieg in eine Korrektur der herrschenden Ostpolitik.
1. Ostdeutschland braucht eine Kombination von öffentlicher Verantwortung, Marktmechanismus und Demokratie von unten. Wir schlagen vor, einen Teil der vielen hundert Fördermöglichkeiten von Kommunen, Ländern, Bund und Europäischer Union, der Mittel aus dem Solidarpakt und dem Länderfinanzausgleich in Innovationsprogrammen sozialökologischer Umbau Ost zusammenzufassen auf Länderebene und zwischen den einzelnen Ländern auch zu koordinieren. Sie hätten den Charakter von Zukunftsinvestitionsprogrammen und könnten eine aktive Strukturpolitik bewirken für eine ökologische Reindustriealisierung, für einen Entwicklungsschub der Infrastruktur, für beschäftigungswirksame Modernisierung der Produktion. Da sind wir im Widerspruch zu Ihnen, wenn Sie sagen, genau dazu dient Ihr Vorschlag zu einem Sonderprogramm Ost überhaupt nicht. Hier setzt unsere Grundkritik an oder auch für eine verbraucherorientierte Stärkung nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft. Für solche Programme, die auf Investitionen in die Zukunft setzen, sind notwendig die Verzahnung von Struktur-, Technologie-, Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik, ein größerer Einfluss der Länder und Kommunen auf den Einsatz der Fördermittel oder auch die Herausbildung technologischer Kompetenzzentren, die Veränderung der Verwendungsstruktur von Fördermitteln zur direkten Wirtschafts- und Investitionshilfe oder auch die konkretere Unterstützung innovativer Existenzgründer und von Exportproduktion.
2. steht aus unserer Sicht eine Demokratisierung der Politik im Osten auf der Tagesordnung. Dass das Bild vom Jammerossi nicht stimmt, dürfte sich nicht erst mit Kai Niemanns augenzwinkerndem Song vom Osten, in dem fast alles etwas besser ist als im Westen, herumgesprochen haben. Die meisten haben es satt vorgehalten zu bekommen, dass Sie den Wessis die Haare vom Kopf fressen
und auch noch dazu undankbar seien. Viele wollen handeln und sich dabei in erster Linie auf sich selbst, ihre Erfahrungen, ihr Improvisationsvermögen, ihr Können, ihr Wissen verlassen. Dazu brauchen sie aber Bedingungen. Initiative und Engagement stoßen täglich immer wieder an neue Blockaden. Die Voraussetzungen für Eigeninitiative sind größtenteils nicht da. Ihre Forderungen und Ihre Sicht aber auf die Dinge werden weder von der Thüringer Landesregierung noch von der rotgrünen Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Viele fühlen sich
nach wie vor als Objekte der Einigungspolitik aber nicht als Gestalter. Dabei müssen doch diejenigen, die der Schuh drückt, sagen können, wo er am meisten drückt und was letztendlich auch das Laufen erleichtern könnte.
Gerade das so erfolgreiche Volksbegehren für mehr Demokratie, bei dem so viele Thüringerinnen und Thüringer bereit waren, ihre Unterschrift zu leisten, mit Name und Adresse für mehr Bürgerbeteiligung zu stehen, beweist doch, dass die Leute unzufrieden sind, wie sie in die Entwicklung ihrer Region und des Landes einbezogen werden. Wir schlagen deshalb vor, die Richtung der Förderpolitik, regionale Leitbilder, kommunale Schwerpunkte und auch die Erarbeitung von Investitionsprogrammen des sozialökologischen Umbaus zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussion zu machen. Fragen Sie bitte die Existenzgründer, die Handwerker in Thüringen, welche Förderprogramme sie wirklich brauchen und wie groß ihre Not ist, wenn Zahlungen für erbrachte Leistungen ausbleiben. Fragen Sie auch bitte junge qualifizierte Menschen, worin sie denn ihre Zukunftschancen sehen und warum sie meinen, diese in Thüringen nicht vorfinden zu können.
3. Wir brauchen reale Bedingungen für eine selbstbestimmte Zukunft in Thüringen wie auch in anderen neuen Bundesländern. Ernsthaft etwas gegen die zunehmende Abwanderung junger Leute zu tun, heißt, klare Aussagen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in einem Zeithorizont von fünf bis höchstens acht Jahren zu treffen. Man kann jungen Menschen nicht vorwerfen, dass sie dorthin gehen, wo sie erstens Arbeit bekommen und zweitens wo diese Arbeit auch noch ordentlich bezahlt wird.
Der Wunsch, wegzugehen, bildet sich bei immer mehr jungen Menschen bereits in der Schulzeit heraus, bevor sie ihre eigenen Erfahrungen bei der Jobsuche, bei der Ausbildungsplatzsuche gemacht haben. Bei vielen jungen Menschen verfestigt sich das Gefühl, dass es hier nie besser wird. Es passiert einfach nichts. Haben wir es aber erst einmal mit einer Kultur der Abwanderung zu tun, dann ist diese Entwicklung selbst bei einer später möglicherweise veränderten Bedingung kaum noch zu drehen. Für Thüringen ist also neben der Schaffung von Arbeitsplätzen für alle jungen Menschen die Sicherung des Bildungsauftrags an den allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen dringend. Ebenso steht hier wie in der gesamten Bundesrepublik eine Bildungsreform an, die soziale Chancengleichheit herstellt und vor allem auch die Individualität kritisch denkender und solidarisch handelnder Persönlichkeiten fordert. Die Mindestvoraussetzung, Herr Ministerpräsident, ist der Stopp der geplanten Stellenkürzung bei Lehrerinnen und Erzie
herinnen hier in Thüringen, die drastische Reduzierung der Ausfallstunden, die notwendige Grundausstattung der Schulen. Das Herabsinken des Bildungsniveaus in Thüringen ist auch nicht nur mit der mangelhaften Laborausstattung in den Schulen zu erklären. Damit kann wohl das Anwachsen der Zahl der Schüler auf 13,1 Prozent, die die allgemein bildende Schule in Thüringen ohne Hauptschulabschluss verlassen haben im Jahre 1999, nicht erklärt werden.
Meine Damen und Herren, die Herstellung gleicher Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse ist keine Ermessensfrage. Artikel 72 des Grundgesetzes gebietet die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse sowie die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit. Damit wird den Regierenden in Berlin und auch in Thüringen ein klarer Handlungsauftrag erteilt.
Trotz jährlicher Finanztransfers von 140 Mrd. DM ist es nicht gelungen, die Weichen für eine ostdeutsche Reproduktion auf eigener wirtschaftlicher Grundlage zu stellen. Deshalb wird jetzt in besonders eindringlicher Weise aus den unterschiedlichen politischen Lagern die Angleichung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse thematisiert. Durch die bevorstehende EU-Osterweiterung und infolge der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich, zum Solidarpakt II besteht akuter Entscheidungsbedarf. Gilt also für den Osten die Mezzogiornoperspektive als dauerhafte europäische Rückstandsregion, wenn sich Haushaltspolitik im Bund und im Land weiter ausschließlich am Schuldenabbau orientiert und die Wirtschaft weiterhin hauptsächlich dem Markt allein überlassen bleibt? Das ist die Grundfrage, über die eigentlich zu diskutieren wäre. Die Angleichung der Lebensverhältnisse jedenfalls rückt mit einer solchen Perspektive, mit der Mezzogiornoperspektive, in weite Ferne. Wir brauchen einen politischen Neuansatz. Ausgangspunkt für das Agieren von Regierenden und Opposition, Gewerkschaften, Verbänden, Kammern usw. muss darin liegen, den Menschen im Osten die Chance zu geben, die eigenen Lebensverhältnisse zu gestalten. Nur wenn die Kluft zwischen Eigenproduktion und Verbrauch geschlossen wird, lassen sich auch andere Rückstände in anderen Teilbereichen des ostdeutschen Lebens schrittweise aufholen. Dazu kommt, dass selbst Herr Späth für Thüringen eine hohe Zahl von Unternehmen und Arbeitsplätzen als verlängerte Werkbank definiert hat, die, wie er es nennt, mit der EU-Erweiterung wegplatzen werden. Die Stabilisierung des Ostens im Sinne von nachhaltiger Veränderung muss bis zur EU-Osterweiterung erreicht werden, sonst erlebt der Osten den nächsten Anpassungsschock, steht die nächste Strukturkrise vor der Tür.
Eine solche Übereinkunft, Herr Ministerpräsident, zwischen den politisch Agierenden steht mindestens ebenso auf der Tagesordnung. Ein solcher Ansatz von parteiübergreifendem Handeln ist zudem komplexer, weniger teuer und greift vor allem nicht in die nach wie vor dringenden Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit ein, wie Ihr Vorschlag, Herr Dr. Vogel. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde, versprach er eine geistig-moralische Wende. Sie ist ja auch tatsächlich unter seiner Regentschaft vollzogen worden - bis hin zur Big-Brother-Gesellschaft. Der Marktwert von Menschen bemisst sich heute
mehr an Designerklamotten und an Automarken als am tatsächlichen Können und am Menschen selbst. Die Fassaden sind alles, die Fähigkeiten ja leider oftmals nichts. Der öffentliche Diskurs wurde lange Zeit so oberflächlich, falsch und auch ahistorisch geführt, wie das meiste, mit dem wir in letzter Zeit konfrontiert werden.
Da ließ es schon aufhorchen, als Thüringer Tageszeitungen vor einiger Zeit für den heutigen Tag eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ankündigten, die sich mit der geistigen Lage im Lande Thüringen befassen werde. Schließlich sind Sie, Herr Dr. Vogel, einer der treuesten Wegbegleiter des ehemaligen Kanzlers und Sie standen jederzeit, ob als Ministerpräsident in RheinlandPfalz, als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung oder eben als Ministerpräsident hier in Thüringen, für diese geistigmoralische Wende. Vor dem Hintergrund, der in der "Studie zur politischen Kultur im Freistaat Thüringen" - auf die Sie sich ja heute vielfach bezogen haben - benannten hohen Bereitschaft gerade von jungen Wählerinnen und Wählern, in Thüringen rechte Parteien zu wählen oder deren Wahl zu akzeptieren, schien mir das zumindest ein sehr brisantes Unterfangen, das da angekündigt wurde. Dass bei der erwähnten Umfrage 92 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer es ausschließen, eine rechtsextreme Partei zu wählen, ist ungeheuer wichtig. Wenn aber 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen erklären, schon einmal DVU und NPD oder Republikaner gewählt zu haben, dann macht das eigentlich nur deutlich, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen.
Nun ist die Erklärung gegeben worden. Manches unterscheidet sich, Herr Ministerpräsident, wohltuend von dem, was in den letzten Monaten, Jahren oftmals sehr verschwommen, auch hier in diesem Raum, auch hier von Ihnen erklärt worden ist. An anderen Positionen, denke ich, wird es ganz konkrete Kritik aus unserer Fraktion geben. So "eins in diesem Sinne", wie Sie gesagt haben, im Kampf gegen Extremismus allgemein - ich glaube, da gibt es noch ein paar Differenzen, die wir ganz genau ausloten sollten. Leider blieb aber Ihre Erklärung auch weit hinter dem Anspruch zurück, sich mit der geistigen Lage in Thüringen zu befassen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich dieses Parlament Stück für Stück dazu durchringen müsste, das gesamte Feld nach Wurzeln für Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu durchforsten. Sie hätten mit Ihrer heutigen Regierungserklärung dazu schon die Vorgabe geben können; das wollten oder konnten Sie nicht.
Ihnen sind ja nicht nur die Visionen aus der Politik verloren gegangen, sondern auch die Bereitschaft, innezuhalten, zu fragen und zu zweifeln. Mit "Top Thüringen", einem Spruch so inhaltsschwer wie "Ja, frische Bohne", gewinnt man sogar Wahlen.
Thüringen hat überholt ohne einzuholen. Der Gewinner ist jetzt zufrieden, wenn er nicht unter dem Durchschnitt der anderen ostdeutschen Länder bleibt. Tolles "Top Thüringen", tolle Genügsamkeit.
Thüringen ist eben nicht "Top Thüringen". Im Sommer blühen zwar die Landschaften, aber als neues oder - wie Sie es oft sagen - junges Bundesland hat es eben seit 10 Jahren neben Erfolgen auch mit allen Verwerfungen eines ostdeutschen Bundeslandes zu kämpfen. Die Hoffnung, dass sich Massenarbeitslosigkeit durch den konjunkturellen Exportaufschwung drastisch reduziere, ist längst gestorben. Thüringen ist auch kein Land für junge Leute. Warum sonst ziehen insbesondere junge Leute und junge Familien aus Thüringen weg? Offizieller Regierungspolitik wird oftmals nicht mehr zugetraut, Probleme lösen zu können. Die Angst vor dem sozialen Abstieg, die Abwendung von Politik und auch die zunehmende Nichtteilnahme an Wahlen gefährden die Demokratie, den sozialen und den solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft.
Ersatzweise gibt es ja nun die deutsche Leitkultur, Kultur on Top sozusagen.
Bei dem Begriff "Leitkultur" denke ich immer unwillkürlich an eine Glocke und an ein Tier, das einer Herde vorantrottet. Das Bild ist harmlos und es trifft auch nicht den Kern dieser Ungeheuerlichkeit. Das Gefährliche besteht in dem Versuch, eine Wertigkeit aufzumachen, die nicht existiert; Kultur ist immer national und international. Soll jetzt etwa am deutschen Kulturwesen die Welt genesen?
Zündeln Sie nicht mit Worten, warnte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland am 9. November 2000 jene Politiker, die den Begriff in die Welt gebracht haben. Dafür bezieht dieser honorige Mann seither Prügel von der Union.
Herr Ministerpräsident, ich habe sehr wohl bemerkt, dass Sie sich an der Auslegung des Begriffs "Leitkultur" nicht beteiligt haben, das finde ich gut. Ich sage, das ist Ausdruck von Klugheit und auch von Instinkt. Sie sollten aber als profilierter Unionspolitiker, der auf Bundesebene keine geringe Rolle spielt, einen Schritt weitergehen und auf Ihre Parteifreunde einwirken, dass sie endlich diesen Begriff zurücknehmen und sich für diesen eklatanten Missgriff entschuldigen.
Nachgereichte Interpretationen, was denn schließlich unter diesem Begriff zu verstehen sei, retten hier überhaupt nichts. Auch, Herr Dr. Vogel, Ihr Hinweis zu möglichen Denkanstößen, die jedem Politiker möglich sein sollten, verpflichtet insbesondere zum Nachdenken über Folgen. Noch ist es nicht so weit, dass die CDU/CSU die Definitionsmacht in diesem Land hat, aber Verantwortung für geistige Haltungen in diesem Land tragen
Sie sehr wohl. Ein solch klares Wort, Herr Ministerpräsident, das wird von Ihnen erwartet.
Ich unterstelle, dass den Ministerpräsidenten ganz andere Sorgen drücken, von denen er weiß, dass die auch zur Bilanz seines Regierens gehören: die hohe Arbeitslosigkeit im Land, die Kürzungen bei den Sozialausgaben trotz steigender Zahlen Sozialhilfeempfängerinnen, die permanente Abwanderung vor allem junger Leute, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit oder eben auch der Ruf der Bananenrepublik, der inzwischen Thüringen nacheilt, der Selbstbedienungsmentalität und das damit vermittelte Bild, dass die CDU Thüringen als ihren Erbhof betrachtet.
Herr Ministerpräsident, da ist es auch nicht zu akzeptieren, dass Sie für das, was Sie als Regierungschef, als Regierung verantworten, jetzt versuchen, Rechtsextremismus als Begründung, als Rechtfertigung heranzuziehen - Herr Eschbach als Undercover bei "Simson" im Kampf gegen Rechtsextremismus, das geht mir dann doch ein Stückchen zu weit, Herr Dr. Vogel.
Als politische Opposition ist es unsere Aufgabe zu prüfen, wo die Landesregierung unter ihren Möglichkeiten blieb, wo sie dem Land Schaden zufügte, weil sie falsch, zu spät oder eben überhaupt nicht handelte - mit Vorsatz oder eben auch aus Unwissenheit. Denn bekanntlich schützt eine honorige Absicht nicht vor einer falschen Politik und das haben wir zur Genüge in der DDR kennen gelernt. Die Führung wollte für uns immer nur das Beste und glaubte, damit alles andere legitimieren zu können, man müsse nur an sie glauben. Diese Naivität ist vielen Ostdeutschen abhanden gekommen und deshalb schauen sie auch in Thüringen genauer hin und fragen, wie ich das jetzt auch tue.
Die von der Staatskanzlei initiierte Infratextumfrage "Trend September 2000" liefert genügend Ansätze, selbst wenn der Opposition auch nur einzelne Blätter zur Verfügung gestellt wurden.
Es gibt eine relativ hohe emotionale Bindung an Thüringen. Die Umfrage sagt aber leider nichts aus, inwieweit denn diese Befragten tatsächlich auch für ein solidarisches Zusammenleben in Thüringen stehen. Wenn für mehr als zwei Drittel der Befragten die wirtschaftliche Lage weniger gut oder schlecht erscheint, ist auch darin wenig von "Top Thüringen" zu erkennen.
Interessant finde ich dabei, dass es in der Wahrnehmung keinen Unterschied bei Intellektuellen wie "ganz normalen Menschen" gibt. Das heißt, die Unzufriedenheit oder Zufriedenheit kommt aus dem Kopf wie aus dem Bauch. Kein Wunder, nahezu jeder Zweite ist mit seiner eigenen finanziellen Situation unzufrieden, aber darüber hinaus geht es auch um die persönlich empfundene Lebens
situation, um die tägliche Demütigung auf Ämtern, um Bittstellungen, die Zustimmung oder Ablehnung erfahren, um erduldete Diskriminierung, weil Mann/Frau nicht jung, fit, flexibel und stark sind. Und auch das sage ich hier, das Selbstwertgefühl vieler Menschen hier in Thüringen ist angeschlagen und das ist beileibe kein individuelles Problem.
Noch immer, 10 Jahre nach der Wende, sind und werden die geistigen Domänen, die entscheidenden Führungspositionen im Land, in Thüringen, von Menschen aus den alten Bundesländern besetzt.
Das kränkt. Nun gut, könnte man sagen, die in der DDR herrschende Ideologie musste schließlich beseitigt werden. Aber sogar Ingenieure, Kameraleute, Lokführer, Ökonomen, Wissenschaftler, Verkäufer wurden in die Wüste geschickt. Und jetzt, wie Herr Schäuble beispielsweise, das fast völlige Fehlen einer ostdeutschen Elite zu beklagen, ist makaber. Wie ist es mit dem Verlust der materiellen Kultur? Ich meine Kulturhäuser, Dorfclubs, Spielstätten, Lieder, Bücher, Filme, Wohngebietszentren, Dorfschulen und Bibliotheken, alles das, was Menschen über große Wegstrecken ihres Lebens begleitet hat. Als Reflex darauf entsteht dumpfe Ostalgie, die Weigerung, sich Neuem zu öffnen, die Früher-war-allesviel-besser-Mentalität. Der Vorwurf, auf dieser Welle zu reiten und daraus Nutzen zu ziehen, ist - bitte schön nicht an die PDS - zu richten, dann schon eher an "Super-Illu" und MDR. Politik hat das zu beachten, wenn auch mit der Arbeit der Landesregierung 8 Prozent der Befragten sehr zufrieden sind. Fast fünfmal mehr Menschen sind mit ihr unzufrieden. Das sollte uns, die Opposition, nicht freuen, denn mehr als die Hälfte der Thüringer sehen auch die Leistungen der Opposition kritisch.
Aber, Herr Ministerpräsident, es ist endlich Zeit, dass Handeln angesagt wird. Mit Phrasen von "Deutschlands starker Mitte" und "Top Thüringen" lösen wir kein einziges Problem.
Zweitens: Der öffentliche Diskurs über Ursachen von Neofaschismus und Rechtsextremismus wurde lange Zeit vermieden. Sie erinnern sich selbst daran und, ich denke, viele, die hier in diesem Saal sitzen, wissen das sehr genau, dass die rechtsradikalen Aktivitäten und Straftaten kleingeredet wurden. Es seien nur jugendliche Randgruppen, die da agierten, wurde behaupte. Nicht bedacht wurde, dass offenbar der braune Schoß immer wieder fruchtbar ist und dass man den Anfängen wehren muss. Die Anfänge, nach denen heute immer gerufen wird, sind aber bereits überschritten. Also muss es heißen, wehret den Zuständen!
"Wir sind wieder da", stand Ende August in roter Farbe in Erfurt-Melchendorf zu lesen. Wer hier seine Ankunft meldete, war an dem Hakenkreuz leicht feststellbar. Die Naziparole war auf eine Straße neben der Feuerwehr gesprüht, dort war sie zwei Tage lang zu lesen, obwohl Bürger und Bürgerinnen auch die entsprechenden Ämter informiert hatten. Jeder sah sie und nichts passierte. Einige empörte PDS-Mitglieder haben die Schmiererei am 25. August 2000 übertüncht. Ich erzähle das nicht, um für die von Ihnen wiederholt eingeforderte Zivilcourage, die hier gezeigt wurde, öffentliches Lob abzuholen, sondern sage dies, um hier auch die nächste Frage zu stellen: Wo waren denn die anderen? Diese Frage will ich auch auf alle anderen rechten und ausländerfeindlichen, auf die antisemitischen und chauvinistischen Attacken und Ausfälle in Thüringen bezogen wissen, wo waren Sie? Was haben Sie in den Jahren zuvor getan, um solches überhaupt undenkbar werden zu lassen? So nötig und nützlich der Aufstand der Anständigen ist, er wäre überflüssig, wenn nach der konservativen, geistigmoralischen Wende in der Bundesrepublik die Aufmerksamkeit gegenüber dem rechten Rand der Gesellschaft nicht spürbar nachgelassen hätte. So rückte der rechte Rand Schritt für Schritt in die Mitte der Gesellschaft. Der seinerzeitige
ja doch, Frau Arenhövel - republikanische Schönhuber monierte Mitte der 90er Jahre ja nicht zu Unrecht - und vielleicht können Sie sich auch noch daran erinnern, das hat damals für große Schlagzeilen gesorgt -, dass inzwischen Unionspolitiker das aussprechen würden, wofür er Jahre zuvor noch selbst schwer kritisiert wurde.
Nicht das Boot ist voll, wir können nicht unterscheiden zwischen Ausländern, die uns nützen und die uns nicht nützen, sondern das Maß ist voll, wie leichtfertig mit Sorgen und Vorbehalten der Menschen umgegangen wird, wie Ressentiments, die sich auf Unwissenheit und Vorurteilen gründen, besonders auch von Konservativen politisch instrumentalisiert werden.
Das ist unverantwortlich.
Um den Zuständen zu wehren, braucht es ehrliche Aufklärung über die Entwicklung rechtsradikaler Strukturen ebenso wie einen offenen und authentischen Umgang mit der Geschichte.
Es geht um eine weltoffene Grundeinstellung, die Integration und Anerkennung auch der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern ermöglicht. Wie sieht das dazu hier in Thüringen aus? Überall ist man relativ schnell dabei, in diesem Sinne in Schulen, Medien, ja in der Gesellschaft bereits alles getan zu haben.
Aber, im April haben drei junge Neonazis auf die Erfurter Synagoge einen Brandanschlag verübt. Wir waren alle traurig, wütend und eigentlich auch ratlos. Ministerpräsident Dr. Vogel, die Landtagspräsidentin Lieberknecht und Erfurts Oberbürgermeister Ruge haben nunmehr, nachdem sie zuerst versuchten, wenn ich mich richtig an den April erinnere, die Sache zu verharmlosen, sich sogar weigerten, gemeinsam mit der PDS auf die Straße zu gehen gegen rechts, zu einer Protestkundgebung vor der Synagoge am 9. November aufgerufen. Nichts dagegen zu sagen, im Gegenteil, keine Partei hat schließlich das Monopol auf Antifaschismus.
Wenn es sich bei der CDU dabei nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt, das morgen schon wieder vergessen ist, und sie sich auch für die Verbesserung der Situation von hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern stark macht, so werden sich gewiss die meisten Thüringer Antifaschistinnen und Antifaschisten über die neuen Mitstreiter freuen.
Mit dem Aufruf zum 9. November sind Sie, Herr Ministerpräsident, hinter den gemeinsamen Ausgangspunkt und politischen Anspruch der Erklärung des Landtags vom Mai zurückgefallen. Mit Ihrer Rede vor der Synagoge haben Sie eine Korrektur vorgenommen. Das ist zu würdigen.
Meine Kritik richtet sich aber gegen die Sprache und damit gegen das Denken des Aufrufs, der ja schließlich von Amtsträgern der CDU unterzeichnet wurde. Es ist dieses Denken und es ist diese Sprache, die Rechtsradikale ermutigen oder ihnen zumindest nicht zeigen, wo die Grenzen für ihr Tun sind.
Und dagegen, dagegen vor allem hat die PDS und haben viele andere darüber hinaus protestiert.
Da ist zunächst die gewollt ungenaue Benennung der Täter. Ich zitiere: "Extremisten und politische Gewalttäter dürfen nie wieder eine Chance erhalten, Menschen einzuschüchtern oder zu terrorisieren."
Halten wir fest - ja, genau -, Neonazis haben die Synagoge angezündet oder anzuzünden versucht. Rechtsextremisten, das haben Sie ja heute in Ihrer Rede sehr deutlich benannt, Herr Dr. Vogel, haben ausländische Wissenschaftler in Erfurt, Weimar oder auch in Jena überfallen. Also sollte man das auch so konkret sagen. Ein Problem zu bekämpfen, das funktioniert nicht, wenn es nicht konkret benannt wird, sondern es durch Vergleiche vernebelt wird. Und die Braunen, meine Damen und Herren,
sind bereits am Werk; sie schlagen, brandschatzen und sie terrorisieren. Da mutet ein Appell, sie dürfen nie wieder eine Chance erhalten, reichlich albern an. Was soll das allgemeine Gerede von Extremisten und politischen Gewalttätern? Hat es etwa in Thüringen in den letzten zehn Jahren einen Anschlag der RAF oder Vergleichbares vermeintlicher Linksextremisten gegeben? Nein. Also wird hier ein Popanz aufgebaut.
Im Übrigen, wenn wir schon von linken Jugendlichen sprechen, dann sollte man auch die anerkennenden Worte von Herrn Nossen vor der Synagoge am 9. November zitieren.
Dort hat der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde positiv herausgestellt, dass es eben jene Jugendlichen sind, die sich Rechtsextremisten konsequent widersetzen. Als Teil der Anständigen standen sie auch ohne offiziellen Aufruf auf. Wenn klare Worte, Herr Ministerpräsident, von Ihrer Seite aus angebracht sind, dann an dieser Stelle. Auch in dieser Frage "eines Sinnes zu sein", Herr Ministerpräsident, heißt, Antifa raus aus dem Verfassungsschutzbericht.
Sie waren dabei, Herr Ministerpräsident, als Herr Nossen dies ausdrücklich anerkannte und auch Sie selbst haben dort klare Worte gefunden. Sie nannten die Rechtsextremisten beim Namen und vermieden jede Zweideutigkeit. Das will ich auch durchaus anerkennen und quittieren und Sie damit auch von dem Verdacht freisprechen, Sie könnten, wie seinerzeit die Union, als sie Heinrich Böll als Sympathisanten von Terroristen denunzierte, Herrn Nossen unzulässige Nähe zu Linksextremisten unterstellen.
Für mich heißt das Angebot: Gegenwehr. Angebot an erschwinglichen Möglichkeiten mit Gleichaltrigen die Freizeit sinnvoll zu verbringen, das heißt für mich, gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Fürsorge fernab von Bevormundung und auch Entmündigung, das heißt für mich, Verzicht auf jegliche Missionierung. Rechtsorientierte Jugendliche kommen, wie die FSU Jena feststellte, vielfach aus autoritären Elternhäusern und lernen in Schulen, in denen Schülermitbestimmung nicht gerade hoch im Kurs steht. Viele der Anzuhörenden, die in der vergangenen Woche als Experten zum Thema "Rechtsextremismus" gesprochen haben, sahen nicht nur ein Jugend- und Gewaltproblem. Nur 8 Prozent der Jugendlichen akzeptieren Gewalt. Weit mehr, 30 Prozent der jungen Menschen, stimmen Ideologien der Ungleichheit zu. Und extrem rechte Orientierungen sind mittlerweile an den Gymnasien angekommen.
Thüringen braucht, so haben die Teilnehmer in beiden Anhörungen mehrheitlich deutlich gemacht, nicht nur Maßnahmen gegen Gewalt, sondern ein Landesprogramm gegen Rassismus, dessen gesellschaftliche und vorwiegend staatsferne Angebote vielerorts auch Erwachsene erreichen müssen.
Ich erinnere daran, Herr Ministerpräsident, dass die PDS-Fraktion im Frühjahr erste Überlegungen für die Erarbeitung eines Landesprogramms im Landtag eingebracht hat. Ich bin mir sicher, dass nach der gemeinsamen Anhörung von PDS- und SPD-Fraktion ein erneuter Antrag an den Thüringer Landtag eingebracht werden könnte.
In dem bereits erwähnten CDU-Aufruf wird beispielsweise auch ein inhaltlicher Bezug zwischen dem 9. November 1938 und dem 9. November 1989 hergestellt. Nun frage ich mich, was hat das faschistische Pogrom, das die Nazis beschönigend als Reichskristallnacht bezeichneten, mit der Öffnung der Berliner Mauer zu tun? Was hat, wie es dort heißt, der Sieg über eine Diktatur - und eine ähnliche Formulierung haben Sie ja heute auch wieder in Ihrer Regierungserklärung - mit der Barbarei der Nationalsozialisten zu tun? Absolut nichts. Die DDR ging nicht am 9. November 1989 zugrunde, sondern wurde am 18. März 1990 demokratisch abgewählt von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR, auch von Thüringerinnen und Thüringern.
Offenkundig muss die Herrschaftsform, die auf solche Weise erfolgreich überwunden werden konnte, von anderer Qualität gewesen sein als die Nazidiktatur.
Eins gebe ich Ihnen zu bedenken, Herr Dr. Vogel, weil ich weiß, dass Sie eigentlich gerade für Äußerungen je
ner Menschen auch sehr empfänglich und sehr nachdenklich sind: Gerade Holocaustopfer aus beiden Teilen Deutschlands, mit denen sich die PDS vor der Kundgebung am 9. November in Berlin traf, haben auf die fatalen Wirkungen der Gleichsetzung von Faschismus und DDR verwiesen. Also, wenn Sie uns schon nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens denen, die es durchlebt haben und die aus eigenem Erleben wissen, worin der Unterschied zwischen diesen beiden Formen von Gesellschaft bestanden hat.
Napoleon wird nachgesagt, er solle eine Definition gegeben haben, was die historische Wahrheit sei, nämlich die Summe von Lügen, auf die sich die Gesellschaft nach 30 Jahren geeinigt habe; mit dieser Tradition sollten wir hier endlich brechen.
Demokratie ist etwas, was einem Menschen nicht verordnet werden kann. Demokratie ist etwas, was einem Menschen schon deshalb nicht verordnet werden kann, weil sie erstritten werden muss und man sich ständig auch wieder neu darum bemühen muss. Wir brauchen ein anderes politisches Klima in diesem Land, eine andere Moral, ein anderes Selbstbewusstsein, einen anderen intellektuellen Anspruch. Thüringen droht im gleichen Provinzialismus und Kleingeist zu ersticken, an dem schon die DDR zugrunde ging, wenn wieder eine Machtpartei mit Alleinvertretungsanspruch statt Pluralität den Alltag bestimmt. Wir müssen nicht nur die Fenster öffnen und gut durchlüften, sondern selber auch Mann und Frau genug sein, mit lieb gewordenen Gewohnheiten zu brechen. Wir müssen alle begreifen, dass wir mit unseren Worten und Taten Folgen produzieren, die über die Legislatur hinausreichen. Die Enttäuschung, die wir bei Eltern auslösen, pflanzt sich bei den Kindern fort. Die mentalen Wirkungen, die wir erzielen, sind weder kalkulierbar noch messbar. Wenn wir vereinfachen, historische und gegenwärtige Fakten verdrehen oder unter den Tisch fallen lassen, wird die Differenz zwischen dem vermittelten Bild und der Realität, die die Menschen hier in diesem Lande real erleben, immer größer und damit die Glaubwürdigkeit von Politik immer geringer. Der Verlust an Glaubwürdigkeit in die Politiker geht einher mit dem Verlust in Vertrauen in die Demokratie und das ist das besonders Schlimme.
Es zeigt sich auch nicht zuletzt beim Umgang mit dem Volksbegehren "Für mehr Demokratie". Der Volksmund sagt, sie verstecken diese Listen wie dreckige Wäsche. Meine Damen und Herren von der CDU, was um alles in der Welt hindert politische Verantwortungsträger daran, die Rathäuser für diese Unterschriftensammlung zu öffnen? Warum wird sogar Druck auf Beamte und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ausgeübt, sich nicht am Volksbegehren zu beteiligen? Der Spruch: "Wir haben genügend Demokratie" stimmt eben nicht und wir alle werden die Quittung dafür erhalten, wenn es nicht gelingt, Menschen unmittelbar in demokratische Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Herr Ministerpräsident, wenn in Thüringen heute junge Menschen nach rechts abdriften, dann hat das in erster Linie mit der Thüringer Gegenwart zu tun.
Wenn Menschen das Land verlassen, weil sie in Thüringen für sich keine Perspektive sehen, dann hängt das mit hiesigen Verhältnissen zusammen. Und wenn immer weniger Menschen in Thüringen zur Wahl gehen, ist daran die Politik Schuld und nicht das Wetter. Was tun Sie gegen die massenhafte Abwanderung vor allem junger Menschen und qualifizierter Leistungsträger aus Thüringen, die für sich oder eben auch für ihre Familien hier keine Perspektive sehen? Die Welle der Abwanderung ist ein Aderlass, dem man in Thüringen nicht tatenlos zusehen kann. Es ist nicht nur Leistungskraft, sondern Steuerkraft, die hier verloren geht, und es ist in erster Linie auch geistige Verarmung, die folgt. Es gibt nicht ausreichend Angebote für junge Menschen. Die Förderung von Jugendkultur, kultureller Vielfalt und individueller Kreativität wird Schritt für Schritt eingeschränkt. Dieses Land braucht aber kulturvolle junge Menschen, die eine Antenne für das haben, was um sie herum vor sich geht. Kultur macht immun gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus.
Es werden breite kulturelle Angebote gebraucht, die spätestens dann einsetzen, wenn die Schulstunden zu Ende sind. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Nur die extrem Rechten, die Skinheads, verfügen doch gegenwärtig noch über politische Lieder. Auch das sollte uns mal nachdenken lassen. Obwohl ständig die Bedeutung der Bildung für die Zukunft hervorgehoben wird, vollzieht sich auch in diesem Bereich eine gegenteilige Entwicklung. Bis heute gibt es Verunsicherungen unter Lehrerinnen und Lehrern, ständig neue Rechenexempel, wie man mit mehr Schülern in einer Klasse weniger teure Lehrerstunden braucht. Reichen alle Einsparpotenziale dieser Art nicht, wird die Stundentafel gekürzt. Und der viel beschwore
ne integrative Unterricht von Haupt- und Realschülern findet mangels finanzieller Mittel immer weniger statt. Wenn also die Unzufriedenheit im Land wächst, muss etwas faul im Staate sein.
Ich sage auch, nach Ursachen für neofaschistische und rechtsextremistische Verhaltensweisen zu fragen, fordert eine umfassende Debatte auch zu Werten und zur Zukunft dieser Gesellschaft heraus. Statt zu beklagen, dass die traditionellen Familienmodelle ihre Bindungswirkung verlieren, muss es darum gehen, darüber hinaus neue, alternative, solidarische Familienmodelle zu entwickeln und zu stärken. Dem steht aber beispielweise auch Ihre vehemente Ablehnung, Herr Dr. Vogel, zur Homoehe sehr entgegen. Es geht auch hier in Thüringen um Solidarität statt Wettbewerb. Es geht um Anerkennung statt Ausgrenzung. Und jetzt zitiere ich das Goethewort: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie muss zur Anerkennung führen. Duldung heißt beleidigen." Genau das ist der Punkt. Im Moment erkenne ich in allererster Linie, dass Sie bereit sind zu dulden, dass Sie aber nicht bereit sind anzuerkennen und diesen Schritt über Toleranz hinauszugehen, dass es nämlich um Akteptanz geht. Das ist der eigentliche Sinn von solidarischem Zusammenleben in einer Gesellschaft.
Wenn wir akzeptieren, dass die Prämisse gilt, die Würde des Menschen ist unantastbar, stellt sich die Frage nach dem solidarischen Zusammenleben in dieser Gesellschaft. Anders gesagt: Chancen müssen für jede und für jeden eröffnet werden. Vom Prinzip der Chancengleichheit und Gerechtigkeit weicht offizielle Regierungspolitik gern zurück. Dabei wird meistens der wirtschaftliche Sachzwang als Ursache genannt. Doch gerade in diesem Kontex finden rechtsradikale Losungen wie "Leben ist Kampf" oder "Deutschland den Deutschen" ihre Anhängerschaft. Chancenlos bleibt der Schwächere, ihn macht man zum Schuldigen für die eigene Misere. Dies alles in der Komplexität zu analysieren, wäre unseres Erachtens notwendig und auch Teil der heutigen Regierungserklärung gewesen. Dass damit keinesfalls der Anspruch auf Vollständigkeit verwirklicht werden kann, ist völlig verständlich, auch das hätten wir überhaupt nicht erwartet. Was aber als Regierungserklärung vorgelegt wurde, bleibt unter diesem Aspekt hinter den Erwartungen zurück.
Herr Ministerpräsident, Sie haben nicht einmal die Größe besessen, die Umfrageergebnisse, auf die Sie sich vorhin sehr ausführlich bezogen haben, aus den Panzerschränken der Staatskanzlei heraus den Fraktionen im Vorfeld zur Kenntnis zu geben. Das Wissen über gesellschaftliche Zustände verschließen Sie wie mittelalterliche Mönche hinter verschlossenen Türen, um im Besitz dieses Herrschaftswissens zu sein und auch zu bleiben.
Und ich finde das schon sehr bedenklich
und denke auch, dass das auch Ausdruck der geistigen Lage hier im Land Thüringen ist. Demokratie braucht eine Debatte und nicht nur Kanzelreden.