Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, verehrte Vertreter der Regierung, verehrte Gäste und Vertreter der Medien auf der Besuchertribüne, ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unserer heutigen 9. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 28. Januar 2000.

Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen die Abgeordnete Zitzmann und die Abgeordnete Bechthum. Frau Abgeordnete Bechthum wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt, zumindest für den Vormittag, Herr Minister Gnauck, dann die Abgeordnete Thierbach, der Abgeordnete Sonntag, der Abgeordnete Dr. Dr. Dietz, der Abgeordnete Schugens, der Abgeordnete Böck und der Abgeordnete von der Krone.

Ich darf zu Beginn noch folgenden Hinweis geben: Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags habe ich dem Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix die Genehmigung für Bild- und Tonaufnahmen während dieser Plenarsitzung erteilt. Nach diesem kurzen Hinweis können wir jetzt schon einsteigen in die heutige Tagesordnung.

Ich rufe auf den gestern unterbrochenen Tagesordnungspunkt 1

a) Thüringer Gesetz über die Feststellung des Landeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2000 (Thüringer Haushaltsgesetz 2000 - ThürHhG 2000 -) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/72 dazu: Beschlussempfehlung des Haushaltsund Finanzausschusses - Drucksache 3/223 dazu: Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/268 Änderungsanträge der Fraktion der SPD - Drucksachen 3/272/280/281 und 3/296 Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/295

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/259 Entschließungsanträge der Fraktion der SPD - Drucksachen 3/271/273 Entschließungsanträge der Fraktion der PDS - Drucksachen 3/290/291/292/293/294 ZWEITE BERATUNG

b) Mittelfristiger Finanzplan für die Jahre 1999 bis 2003 für den Freistaat Thüringen Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 3/109 dazu: Beschlussempfehlung des Haushaltsund Finanzausschusses - Drucksache 3/224

c) Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft des Landes - Unterrichtung des Landtags nach § 31 Abs. 2 der Thüringer Landeshaushaltsordnung (LHO) Unterrichtung durch den Finanzminister - Drucksache 3/74 dazu: Beschlussempfehlung des Haushaltsund Finanzausschusses - Drucksache 3/225

dazu: Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses - Drucksache 3/226

Wir setzen mit der gestern unterbrochenen Aussprache zum Einzelplan 08 - Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit - fort. Die schon gestern vorliegende Wortmeldung von Frau Abgeordneten Arenhövel, CDU-Fraktion, werden wir als Erstes hören.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, bundesweit hat sich der Freistaat Thüringen durch seine soziale Gesetzgebung und die familienfreundliche Ausgestaltung seiner Politik einen außerordentlich guten Ruf erworben.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag steht dafür ein, dass dieses auch so bleibt. Deshalb weisen wir die durch nichts gerechtfertigte Fundamentalkritik einer so genannten sozialen Schieflage auf das Entschiedenste zurück, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Eine solche Kritik ist nicht nur unzutreffend, sondern auch böswillig, weil man nicht zur Kenntnis nehmen will, dass wir in Thüringen in dieser Hinsicht vieles erreicht haben. Die ganz erheblichen, in die Milliarden gehenden Investitionen in die soziale Infrastruktur und die Befreiung vieler Behinderter aus der Isolation sind zwei markante Beispiele dafür, dass seit 1990 eine moderne, menschenwürdige Betreuung in weiten Teilen überhaupt erst ermöglicht wurde. Die neue CDU-geführte Landesregierung hat allerdings bereits in diesem ersten von ihr vorgelegten Haushalt einige neue Akzente gesetzt, die durchaus positiv zu bewerten sind.

1. Die Arbeitsmarktpolitik wurde in das Wirtschaftsressort überführt und damit sichergestellt, dass Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik stärker miteinander verzahnt werden, damit wir eines erreichen, nämlich dass der zweite Arbeitsmarkt eine Brücke zum ersten wird.

(Beifall bei der CDU)

2. Durch die Aufstockung des Sozialetats im Einzelplan 08 um ca. 42 Mio. DM wurde ein erster Schritt zu mehr Haushaltsklarheit getan. Aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion ist dies ganz im Sinne des Parlaments; denn, meine Damen und Herren, wir betrügen uns doch am Ende selbst, wenn gesetzliche Leistungen chronisch unterfinanziert werden und schon am Jahresanfang die Anträge auf überplanmäßige Ausgaben sichtbar sind. Mit diesem frommen Selbstbetrug, meine Damen und Herren, muss jetzt endlich Schluss sein.

(Beifall bei der CDU)

Dies war ein Tribut an die große Koalition.

3. In der Familienpolitik wurde mit dem neuen Namen des Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit erfreulicherweise ein neuer Schwerpunkt gesetzt. Dieser wird auch in diesem neuen Haushalt sichtbar. So wurden die Haushaltstitel bezüglich der Arbeit der Familienverbände, der Familienzentren und der Familienerholung in diesem Bereich von insgesamt 3,9 Mio. auf 5 Mio. DM aufgestockt. Die Investitionen in Einrichtungen der Familienhilfe wurden von 2,7 auf 2,9 Mio. DM angehoben. Die Stiftung für Schwangere und Familien in Not wurde auf 3 Mio. DM aufgebessert und die Arbeit der Sozialpädiatrischen Zentren - ein wichtiges Element in der Frühförderung behinderter Kinder - wurde sichergestellt, so dass wir insgesamt von einer Verbesserung um 2,6 Mio. DM sprechen können. Allerdings, und dies richte ich als Bitte an die Landesregierung, haben wir schon den Wunsch, dass diese Gelder auch pünktlich ausgereicht werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind darüber hinaus fest entschlossen, die Sanierung unserer Kindertagesstätten verstärkt voranzutreiben und natürlich gemeinsam mit den Kommunen, die in der Erst

verantwortung sind, dieses Problem in den nächsten Jahren zu lösen. Zu diesem Thema gibt es, wie Sie alle wissen, bereits hervorragende Beispiele, aber auch noch eine Menge an Bedarf. Es ist unser Ziel, dass am Ende der Legislaturperiode die Eltern und Kinder zufrieden sein können mit dem Zustand ihrer Kindertagesstätten. 5,6 Mio. DM sind dafür im Einzelplan 17 in diesem Jahr eingestellt, plus des auslaufenden Sonderprogramms.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion trägt das Motto "Sparen und Gestalten" voll mit. Gerade wir Sozialpolitiker sehen uns hier in der Mitverantwortung. Dies ist für uns in dieser Legislaturperiode schon auch eine große Herausforderung. Sparen und Gestalten heißt, Strukturen zu verändern und Leistungsgesetze zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Wir werden weder mit der Brechstange noch mit Zaghaftigkeit diese Aufgabe angehen, sondern wir werden mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Betroffenen, mit möglichst viel Sachverstand und natürlich auch mit der nötigen Entschlossenheit diese Dinge angehen,

(Beifall bei der CDU)

wobei ich allerdings davon ausgehe, dass wir die Bereitschaft zu solchen Schritten von allen Ressorts erwarten. Deshalb möchte ich nicht verschweigen, dass es auch zu besorgten Diskussionen Anlass gibt, insbesondere im Bereich des betreuten Wohnens, in der Suchthilfe und in der Behindertenhilfe. Wir haben uns mit den Zuschriften vieler Träger intensiv befasst. Dazu ist Folgendes zu sagen:

1. Die Regelfinanzierung z.B. von Beratungsstellen ist gesichert. Durch die Flexibilität innerhalb der Hauptgruppen kann auch bei dringendem Bedarf zusätzlich gefördert werden.

2. Zur Frage des betreuten Wohnens wird von uns eine Strukturdebatte geführt, an deren Ende der Grundsatz "ambulant vor stationär" zum Tragen kommen muss. Laut Ausführungsgesetz zum BSHG tragen hier die kommunalen Gebietskörperschaften in erster Linie die Verantwortung und nicht das Land, meine Damen und Herren. Trotzdem muss diese Frage neu gewichtet werden. Sie ist uns einfach zu wichtig und zu bedeutungsvoll, deshalb treffen wir an dieser Stelle keine schnellen Entscheidungen. Hier gilt der Grundsatz: Erst die genaue Prüfung und dann die Konsequenzen. In diesem Sinne haben wir die Wohlfahrtsverbände informiert und setzen dort auch weiterhin auf die positive Zusammenarbeit.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf einige Änderungsanträge der CDU-Fraktion näher eingehen. In unserem Wahlprogramm haben wir deutlich gemacht, dass wir dem ehrenamtlichen Engagement mehr Bedeutung beimessen wollen. Demzufolge wurde der Haushaltstitel bereits im Regierungsentwurf auf 3 Mio. DM aufgestockt. In der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten und des Wirtschaftsministers wurde

das Programm "50 Plus" angekündigt, das auf zwei Säulen ruht. Der arbeitsmarktpolitische Teil besteht in der Umsteuerung von Maßnahmen auf den Personenkreis der über 50-Jährigen, während der ehrenamtliche Teil im Einzelplan 08 umzusetzen ist. Die CDU-Fraktion hat dem Haushaltstitel 08 20 653 13 - genannt "Honorierung ehrenamtlichen Engagements älterer Arbeitsloser" - 4 Mio. DM im Baransatz und einen Zufließvermerk von weiteren 4 Mio. DM, also insgesamt 8 Mio. DM zugeführt. Die dazu notwendige Richtlinie befindet sich bereits in der Ressortabstimmung, so dass deutlich wird, wir haben an dieser Stelle Wort gehalten, meine Damen und Herren, und wir werden dieses Programm umsetzen. Wenn Sie die Fachliteratur zu diesem Thema lesen, werden Sie bemerken, dass es 100-prozentig der richtige Ansatz ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Ministern Herrn Trautvetter und Herrn Schuster sowie bei den Kollegen der CDU-Fraktion im Haushalts- und Finanzausschuss, allen voran bei Ihnen, Herr Dr. Zeh, die mitgeholfen haben, das Geld bereit zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Menschens- kinder!)

Weitere Anträge der CDU-Fraktion dienen z.B. der Verbesserung des Arbeitsschutzes. Und, meine Damen und Herren der SPD, Sie haben ja auch angekündigt, dass Sie diesen Antrag mit unterstützen wollen, der die wissenschaftliche Begleitung bei Arbeitsschutzmaßnahmen um 250.000 DM aufstockt.

Durch Umschichtung kommen 1,3 Mio. DM Investitionen dem Gesundheitsbereich zugute. Insbesondere profitieren Psychiatrie und Suchthilfe von diesem Antrag. Damit steht für diesen Bereich im Haushalt 2000 mehr Geld zur Verfügung, als 1999 ausgegeben worden ist. Gerade mit der Frage der Suchtprävention wird sich die CDU-Fraktion sehr eingehend beschäftigen, und zwar im Gegensatz zu vorigen Zeiten, denn wir wollen nicht, dass das Thema unter den Teppich gekehrt wird, weil wir es nicht zulassen wollen, dass junge Menschen in Fixerstuben enden und Heroin in der Apotheke auf Rezept erhältlich ist.

(Beifall bei der CDU; Abg. Gentzel, SPD)

Wir wollen, dass junge Menschen aufgeklärt und stark genug sind, nein zu sagen. Die Drogenhilfeplanung muss deshalb dringend neu bewertet, aktualisiert und fortgeschrieben werden.

Investitionen im Bereich der Sportstätten - ein Dauerthema, an dem nicht genug gearbeitet werden kann: Zahlreiche Anträge auf Förderung machen deutlich, dass diese Investitionen dringend notwendig sind. Deshalb haben wir

mit unserem Änderungsantrag 2 Mio. DM umgeschichtet, um diese Aufgabe auch künftig mit dem nötigen Nachdruck voranzutreiben. Dieser Antrag plus die Änderung im Sportwettengesetz tragen dazu bei, dass auf dem bisherigen Niveau weitergefördert werden kann. Thüringen ist weltweit durch den Sport bekannt, aber auch im Breitensport sollten wir diesen Ruf unterstreichen.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer, wenn auch in der Geldsumme scheinbar geringfügiger Antrag betrifft die Förderung der Verbände und Selbsthilfegruppen der Opfer des SED-Unrechts. Dafür stehen nun im Haushalt 100.000 DM zur Verfügung, wobei der CDU-Fraktion nicht nur die materielle, sondern auch die ideelle Unterstützung der Opferverbände am Herzen liegt. Gemeinsam mit ihnen sollten wir hier überlegen, konzeptionell, wie die Arbeit noch besser ausgestaltet werden kann. Wir sind froh darüber, dass 7,3 Mio. DM für Rehabilitierung und Wiedergutmachung zur Verfügung stehen.

Bei den Anträgen der Opposition ist uns besonders der Antrag der PDS-Fraktion zur Schaffung von 800 Stellen zur sozialen Beratung und Betreuung ins Auge gefallen. Allein ordnungspolitisch ist dieser Antrag schon ein Skandal. Mit 48 Mio. DM Landesmitteln wollen sie diese Stellen offenbar voll finanzieren, ohne jede Beteiligung anderer, der Freistaat Thüringen also als Arbeitgeber? Ebenso kann ich nicht erkennen, dass Sie diese doch recht massive Forderung auch nur halbwegs konzeptionell untersetzt hätten. Ich habe mir deshalb Ihren Entschließungsantrag zur Regierungserklärung, den Sie damals gestellt hatten in der Drucksache 3/178, noch einmal etwas genauer angesehen. Außer allgemein gehaltenen, verschwommenen Forderungen ist nichts zu erkennen. In der Begründung heißt es unter anderem - Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass ich zitiere: "Das Land ist deshalb in der Verpflichtung, zeitnah entsprechend der Anträge der Fördermittelnehmer die Mittelauszahlung vorzunehmen. Dabei ist unerheblich, ob bereits Genehmigungen von Seiten der EU vorliegen oder nicht." Also eine Lizenz zum Gelddrucken oder geht es Ihnen um die Versorgung ganz bestimmter Leute mit Arbeitsstellen?

(Beifall bei der CDU)

Eine solche Politik werden wir jedenfalls nicht unterstützen,

(Beifall bei der CDU)

zumal sie ja auch zulasten des Arbeitsmarkts und der Landesentwicklung ginge, denn dort wollen Sie ja die 48 Mio. DM hernehmen. Und, Frau Neudert und Herr Nothnagel, ich habe immer gesagt, dass die fachlichen Beratungs- und Betreuungsaufgaben keine Dinge sind, die wir mit dem zweiten Arbeitsmarkt lösen können. Das ist absolut richtig und korrekt. Aber Sie müssen dazu dann auch sagen, dass wir schon der Meinung sind, ein Be

ratungsstellennetz im Sozialbereich gehört zur modernen Sozialpolitik, weil man dadurch vieles verhindern und vielem auch vorbeugen kann. Da habe ich gar keine andere Meinung. Nur, wir müssen das, was heute in Thüringen praktiziert wird, schon durchforsten und auf den Prüfstand stellen. Wir können da nicht alles voll finanzieren, so läuft das nicht, sondern das muss fachlich evaluiert werden. Und gerade bei der Landesentwicklung, so wie Sie es vorhatten, werden wir keinen Stillstand dulden. Die Mittel der LEG haben Sie ja gleich mehrmals verfrühstücken wollen. Energisch widersprechen muss ich auch dem Eindruck, den Sie hier erwecken wollen. Wir leben doch hier im Freistaat nicht in einer sozialen Einöde, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe mich deshalb auch mit der Frage beschäftigt, was wir bezüglich sozialer Beratung und Betreuung tun und möchte dies an einigen Beispielen deutlich machen, die allerdings keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, weil das in der Kürze der Zeit auch nicht möglich war: