Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

(Heiterkeit bei der CDU)

Mit dem habe ich weniger Kontakt, ich weiß nicht, wie im Moment die Flugverbindungen sind. Zwar hat Thüringen über viele Jahre mit hohem Finanzaufwand die Erarbeitung regionaler Entwicklungskonzeptionen (REK's) unterstützt, eine derartige komplexe Umsetzung wie in Jena fehlt aber in der Mehrzahl der Regionen. Hier gilt es anzusetzen. REK's durch Territorialmanagement stufenweise realisieren und dabei die territorialen Stärken vorrangig entwickeln würde nach unserer Auffassung notwendig werden, aber hierzu benötigen die Landkreise und Gemeindeverbände verfügbare Mittel. Und hierzu wird das Wirken der Landesentwicklungsgesellschaft nicht als Projektant, Bauträger und Immobilienverkäufer notwendig, sondern als Territorialmanager. Hierzu den so genannten Industrietitel im Einzelplan 17 umzufunktionieren bzw. zu erweitern wäre angesagt. Wenn ich die Umsetzung dieser notwendigen Überlegung mit dem Zeitpunkt des genannten Symposiums in Übereinstimmung bringe, scheue ich mich, das Fazit der sechsjährigen Ver

spätung zu ziehen. Und, meine Damen und Herren, Wirtschaftspolitik heißt gleichermaßen, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen zu entwickeln. In Thüringen wird zwar über die Entlohnungen und Tarifrunden geklagt, trotzdem unsere Beschäftigten am Ende der Lohnskala in den neuen Bundesländern rangieren. Auch wenn ich mich sehr geehrt gefühlt habe, Herr Minister, dass Sie Handel, Banken und Versicherungen als überdurchschnittliche Bezahlung erwähnt haben, da hatte ich ja eine gewisse Verantwortung in den letzten zehn Jahren, als Sozialpartner und Tarifpartner habe ich da Verantwortung getragen und bei der Flexibilisierung der Tarifpolitik in Thüringen bin ich einigermaßen stolz, die Banken verweigern tatsächlich die 100 Prozent Gleichbezahlung, obwohl sie genug Geld gehabt hätten. Da kann ich Ihnen noch einiges erläutern. Und zum Thema "Investivlohn", da wird sich der Ministerpräsident erinnern, dass ich da ohne ideologische Scheuklappen sehr gerne mit meinen Tarifpartnern ernsthafte Tarifverhandlungen geführt hätte, die sind aber an ideologischen Scheuklappen der Arbeitgeberverbände gescheitert und in diesem Fall nicht an der HBV in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Sie müs- sen das Pferd gewechselt haben.)

Nein, ich habe das Pferd nicht gewechselt. Ich bin mir treu geblieben, ich fasse alles an, was ich vorher auch zum Thema "Einzelhandelsfehlentwicklung"... Die Frau Präsidentin wird sich erinnern, wie wir uns kennen gelernt haben, da habe ich der damaligen Landesregierung unter Herrn Duchac einen Vortrag gehalten, was passieren wird, wenn man lenkend die Innenstädte nicht schützt, sondern die grüne Wiese extensiv explodieren lässt. Genau das ist eingetreten. Sie können das nachlesen - im Übrigen ein Interview mit mir 1994 - in der Südthüringer Zeitung. Ich habe die Akten alle noch zusammen. Die Landesregierung und auch die...

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU:... es reicht, es reicht.)

Das glaube ich Ihnen. Sie möchten ungern daran erinnert werden, dass die CDU-Fraktion das sogar schriftlich von mir als damaligem Landesvorsitzenden bekommen hat.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident:... Internet.)

Damals war das mit dem Internet noch nicht so weit, Herr Ministerpräsident, aber jetzt können Sie ja auch "Internet" buchstabieren, und das finde ich gut. Die Beschäftigten in der Lohnskala sind in den neuen Bundesländern nun auch gerade in Thüringen am Ende. Hierauf kann gemäß der Tarifautonomie die Landesregierung auch keinen direkten Einfluss nehmen, sie könnte höchstens im öffentlichen Dienst endlich das tun, was tarifpolitisch dort erwartet wird. Wohl gibt es aber Einflussmöglichkeiten an anderer Stelle, ich will hier nur die Preise von Trinkwasser

erwähnen. Die Brauereien, Bäckereien, Molkereien und andere, die auf Wasser angewiesen sind, werden genau wissen, wovon ich rede. Nachdem im übergroßen Maß die Möglichkeiten der territorialen Eigenversorgung durch Aufhebung von Trinkwasserschutzgebieten eingeschränkt und damit letztlich der Nachweis für die Notwendigkeit der Talsperre Leibis geführt wurde, sind Verbrauchspreise bei Wasser in einer Entwicklung, die dazu führt, dass Wassereinsparung zu höheren Gebühren führt. Über diese unselige Kette - Talsperrenverwaltung, Fernwasserverbände, Wasserzweckverbände - wird nicht etwa das verbrauchte Trinkwasser bezahlt, sondern die geplanten Einnahmen aus dem möglichen Verkauf von 60 Mio. Kubikmeter Rohwasser werden auf die tatsächlich verbrauchte Menge umgelegt und diese beträgt nur etwa 48 Mio. Kubikmeter. Die Differenz zahlen die Verbraucher alle mit, also auch die Betriebe, die auf Wasser und damit auf billige Preise angewiesen sind. Der Freistaat beteiligt sich seit vielen Jahren mit einer konstanten Haushaltssumme an der Rohwasservorhaltung. Schlimmer noch, der Leibisbeschluss ist von der ehemaligen Landesregierung mit einem Punkt 3 eingebracht worden zur Beschlussfassung, der eben diese Umstellung von vorhalte- und abnahmebezogener Berechnung vorsah. Nun wird auf die Umsetzung des Beschlusses ebenso wenig Einfluss genommen wie auf die Erhöhung der Mittel des Landes für die Rohwasservorhaltung. Nicht nur preisgünstiges Gewerbe und Bauland, sondern neben diesen Wasserpreisproblemen auch weitere infrastrukturelle Bedingungen sind für die wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung. Auch hier ist mit der heutigen Regierungserklärung eigentlich nur festzustellen, dass Nachbesserungen in der wirtschaftspolitischen Überlegung weiter notwendig sind. Die Untersuchungen im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs bieten sich hier direkt für die zielgerichtetere Wirtschaftspolitik auf infrastrukturellem Gebiet an.

Meine Damen und Herren, der Wirtschafts- und Strukturpolitik kommt bei der Förderung des Wirtschaftswachstums, der Herstellung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und vor allem bei der Hebung des Beschäftigungsniveaus einschließlich einer umweltgerechten Entwicklung eine grundlegende Bedeutung zu. Sie besteht vor allem unter Beachtung der hohen Zahl arbeitsloser Thüringer Bürgerinnen und Bürger darin, zu sichern, dass die Beschäftigungsintensität des Wachstums erhöht wird, sowohl was die Ergebnisse für die Neuansiedlung, aber auch was den Erhalt und die Erweiterung von Unternehmen betrifft. Darin wird dann auch die Verzahnung von Wirtschaftspolitik und der Arbeitspolitik sichtbar und vor allem glaubhaft. Dieser Gedanke kam eher unterschwellig in der vorgelegten Regierungserklärung zum Ausdruck. Wir vertreten deshalb die Auffassung, dass der Wirtschaftsminister gut beraten wäre, zu den von mir genannten Plenumsberatungen eine Auswertung der Protokolle zu den genannten Symposien und Gutachten, ein Studium dieser Dokumente vorzunehmen und die Aussagen zur Wirtschaftspolitik im Freistaat Thüringen in ihrer Durchführung mit den dort gegebenen Anregungen, aufgestellten Forderungen und nachge

wiesenen Möglichkeiten zu qualifizieren.

(Beifall bei der PDS)

Dann endlich würden ohne politische Scheuklappen die Maßnahmen und Vorschläge realisiert, die die Basis der wirtschaftlichen Entwicklung stärken, mehr Arbeitsplätze sichern und schaffen als abgebaut werden und umweltgerechte Aspekte der Entwicklung im Freistaat einen höheren Stellenwert beimessen. Solange die Fördertöpfe wie angekündigt geöffnet und erweitert werden für die Bereiche Ersatz- und Nachfolgeinvestitionen, aber das bisher praktizierte Prinzip Gießkanne beibehalten wird, so lange werden wir dieses Prinzip ablehnen und geißeln. Auch die Erhöhung der Zahl von Regierungserklärungen zu diesem für unser Bundesland wichtigsten Thema ersetzt nicht die dringende notwendige Überprüfung, Durchforstung und Straffung aller Förderprogramme und die überfällige und nachhaltige Umsteuerung auf regionale und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung.

(Beifall bei der PDS)

Weniger und zielgenauer ist mehr. Schade, Herr Wirtschaftsminister, um es anders zu sagen, hier wurde heute aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Ramelow. Als Nächster hat sich Herr Abgeordneter Lippmann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die rasche Folge der Regierungserklärungen hat nicht nur meinen Kollegen Ramelow stutzig gemacht, sondern uns auch. Es ist ja schon fast inflationär, aber es stört ja nicht, wir freuen uns darüber.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das ist gut.)

(Beifall Abg. Kretschmer, CDU)

Der durchschnittliche Abstand beträgt zwei Monate und ich habe mich selbstverständlich, wie auch alle anderen, danach gefragt, was wohl die Ursachen dafür sein könnten. Ich habe im Vorfeld, bevor ich die Rede des Wirtschaftsministers zur Verfügung hatte, zwei Zielrichtungen vermutet. Die erste Zielrichtung könnte man wie folgt formulieren: Die wirtschaftliche Prosperität des Freistaats hält an, das ist unbestritten und gibt eigentlich allen Anlass, nicht unzufrieden zu sein, um das bei der ganz bescheidenen Formulierung zu belassen, zumindest aber was den Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern anbelangt.

(Beifall Abg. Kretschmer, CDU)

Nun klatschen Sie mal nicht zu früh.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Das war doch richtig!)

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Dass Sie noch zulegen, das ist doch klar.)

Wunderbar, ich freue mich, dass wir uns da so einig sind. Die erste Ursache ist also die Selbstdarstellung gewesen. Die zweite Ursache - und da möchte ich den Bezug zu der Debatte gestern herstellen - vermutete ich darin, dass gesagt werden könnte oder gesagt würde, es könnte alles noch viel besser sein, wenn nicht durch Rotgrün in Bonn und jetzt in Berlin uns tüchtigen Leuten hier in der Regierung so viele Knüppel zwischen die Beine geworfen würden.

(Beifall bei der CDU)

Ich freue mich, dass auch das Ihre Zustimmung findet, vielleicht klopfen Sie dann auch. Und - nun fahre ich fort wir hätten eigentlich das Paradies, gäbe es in Berlin noch den Herrn Kohl oder einen anderen tüchtigen, mit Geld umgehenden und erfahrenen Christdemokraten in Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Das gefällt Ihnen wohl nicht so sehr; macht nichts. Wie wir gesehen haben, waren diese beiden Vermutungen, es gibt vielleicht noch andere, zutreffend, insbesondere wenn ich daran denke, dass den weniger seriösen Part zu dieser Sache gestern Sie übernommen haben. Herr Schuster hat das heute viel freundlicher formuliert. Ich habe eigentlich gelegentlich Beifall von Ihrer Seite erwartet.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mit dem Bereich beginnen, und das muss erlaubt sein, mit dem Herr Schuster aufgehört hat, nämlich einige Bemerkungen zu dem notwendigen Zusammenwirken bundes- und landespolitischer Entscheidungen. Ich möchte vorausschicken: Ohne eine gesamtpolitisch positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland haben wir hier auch in Thüringen nicht die Spur einer Chance.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Zusammenwirken muss also stimmig sein. Es muss abgestimmt sein und ich werde im Laufe meiner Bemerkungen noch darauf zurückkommen können.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Das hätten Sie im Bundesrat vor Herbst 98 ma- chen sollen.)

Im Bundesrat, machen wir auch. Wir im Freistaat hängen auf Gedeih und Verderb nicht nur an bundesdeutschen Erscheinungsformen und Wirtschaftsformen und der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch im europäischen Geleitzug. Da wird wohl der eine oder andere Bezug auf die bundespolitischen Entscheidungen, wie sie jetzt aktuell vorliegen, nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig sein. Diese Abhängigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird ja gelegentlich beklagt, aber ich mache darauf aufmerksam, ohne diese Tatsache wäre eine Wiedervereinigung und der Aufbau der neuen Bundesländer nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage das bewusst an die Adresse derer, die bei jeder Gelegenheit, und keiner war und ist in den letzten Jahren je nach politischer Großwetterlage davon frei gewesen, die 270 Mrd. Nachfragepotenzial des Ostens gegen die Leistungen des Bundes und der Länder aufgerechnet haben und die immer zu gering erscheint, was die Höhe anbelangt. Eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung, meine sehr verehrten Damen und Herren, da möchte ich das Wort von meinem Kollegen Dr. Pidde von gestern aufgreifen, verläuft im Grunde genommen zwischen zwei Leitplanken. Die erste Leitplanke ist die Sanierung der öffentlichen Haushalte, natürlich vorrangig des Bundeshaushalts, wie wir gleich merken. Diese Leitplanke ist in den letzten Jahren vor 1998 fast vollständig demontiert worden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das zumindestens sollte unstrittig sein.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Leitplanke ist die Steuergesetzgebung, eine Steuergesetzgebung, um es völlig neutral zu formulieren, die Investitionen anschiebt, die Risiko zulässt und belohnt, die Arbeitsplätze schafft und dem Verbraucher das Geld in der Tasche lässt, um nachzufragen und auch verbrauchen zu können, all das unter den Prämissen von Gerechtigkeit und Gemeinwohl. Diese zweite Leitplanke, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jetzt im Bau. Das Steuerentlastungsgesetz von 1999 mit der vom BVG vorgegebenen Reform der Familienbesteuerung wird durch das Steuersenkungsgesetz ergänzt, das sowohl das Einkommens- als auch das Körperschaftssteuerrecht grundlegend reformiert. Ich bin fast sicher, dass es wohl vielleicht nicht im Verhältnis 1:1 den Bundesratsvermittlungsausschuss passieren wird. Und dass dies die größte, wenn sie denn so gelingt, und weitestgehende Steuerreform in Deutschland ist, wird selbst von Gegnern und neutralen Betrachtern aus dem Inund Ausland kaum noch bestritten.

(Beifall bei der SPD)

Die führenden Wirtschaftsinstitute und Forschungsinstitute haben in einer gemeinsamen Erklärung vom 25.01.2000 zum Reformentwurf der Bundesregierung die Zielsetzung des Gesetzesvorhabens unterstützt, durch diese Reform der

Unternehmensbesteuerung und mit einer deutlichen Senkung der Ertragssteuerbelastung, die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung nachhaltig zu verbessern. Bereits im Jahr 2001, also ein Jahr früher als nunmehr vorgesehen, werden die Steuerzahler um insgesamt 34 Mrd. DM entlastet. An einem Beispiel: Ein Thüringer Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoverdienst von 60.000 DM - es gibt ja auch welche, die 60.000 DM verdienen, ich hätte es an jedem anderen Beispiel auch machen können - wird im Jahr 2000 um 2.200 DM entlastet, im Jahr 2002 um 2.900 DM entlastet und im Jahr 2005 um 4.052 DM entlastet. Dieses Steuersenkungsgesetz, wenn es denn dann vorliegt und von allen getragen wird und getragen werden muss, wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland erheblich verbessern. Die Eigenkapitalbildung der Wirtschaft wird dann attraktive Bedingungen für Investoren aus dem In- und Ausland schaffen und sich vor allen Dingen nachhaltig auf den Arbeitsmarkt auswirken, auch in Thüringen. Als kleiner positiver Nebeneffekt für den Herrn Wirtschaftsminister wird es dem Thüringer Wirtschaftsminister bald wieder Gelegenheit verschaffen, von noch größeren Erfolgen Thüringer Wirtschaftspolitik berichten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Die Steuerpolitik sei zu zaghaft, habe ich vorhin gehört in Ihrem Beitrag. Eine Entlastung um beispielsweise 80 Mrd. DM wäre besser, sagten Sie, auch aus dem Vorschlag dieser drei Länder ist das zu ersehen. Das ist ein Stück weit richtig, sehr verehrter Herr Kretschmer, nur frage ich Sie, wie wollen Sie es denn gegenfinanzieren? Das ist doch das Argument, was wir immer bei Haushaltsberatungen...

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: Sie haben doch die Rosinen verfrühstückt.)

Nein, nein, so wird da kein Schuh draus.

(Unruhe bei der CDU)

Es muss die Entlastung schon einhergehen mit einer soliden Gegenfinanzierung. Das ist doch völlig klar.