Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 3

Auswirkungen der gesundheitspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung in Thüringen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/411 dazu: Entschließungsantrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/560

Begründung durch die einreichende Fraktion ist mir nicht signalisiert worden, weil die Landesregierung angekündigt hat, von der Möglichkeit des Sofortberichts Gebrauch zu machen. Ist das korrekt?

(Zuruf Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit: Ja, ja.)

Für den ersten Teil frage ich noch bei der einreichenden Fraktion nach. Herr Abgeordneter Stauch, es ist korrekt, keine Begründung? Dann bitte ich Herrn Minister Dr. Pietzsch.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Name ist nicht Kassandra, aber wenn etwas gesagt werden muss über die Entwicklung des Gesundheitswesens und es könnte unter Umständen eine schlechte Entwicklung geben, dann sollte es auch gesagt werden. Um auf das zurückzukommen, Herr Gerstenberger ist im Augenblick nicht da, er hat vorhin Herrn Panse sozusagen vorgeworfen, dass man sich in dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik nicht genügend laut geäußert habe, man hätte doch protestieren sollen. Manchmal nehme ich sogar so etwas auf, meine Damen und Herren. Ich habe hier bereits öfter sehr deutlich gesagt, was ich von der Gesundheitsreform 2000 halte, und ich bin sehr froh, dass ich hier noch

einmal einen Bericht geben kann und dass ich dazu aufgefordert bin.

Meine Damen und Herren, die Probleme, vor denen das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik steht und auch natürlich in Thüringen, betreffen alle, nur manche merken es nicht gleich, sondern merken es erst etwas später. Deshalb ist es gut, wenn am Anfang des Jahres oder in der Mitte des Jahres etwas dazu gesagt wird. Ich habe unser Gesundheitssystem immer als ein magisches Dreieck bezeichnet, bestehend aus den Kassen, den Leistungserbringern und als Drittes, den Beitragszahlern, wobei Beitragszahler und Patienten ja eine Kategorie ist, nur in dem Augenblick, wo sie Beiträge zahlen, sind sie eine etwas andere Kategorie, als in dem Augenblick, wo sie Patienten sind. Das muss man auch berücksichtigen. Wenn sie Beitragszahler sind, möchten sie möglichst wenig Beiträge zahlen und wenn sie Patienten sind, möchten sie möglichst viel raus haben. Aber dennoch ist es eine Gruppe. Und die Politik sollte zwischen diesen Interessenvertretungen Kasse, Leistungerbringern, Beitragszahlern eigentlich ein Gleichgewicht aufrechterhalten. Das Bundesgesundheitsministerium scheint mit der Gesundheitsreform 2000 bemüht zu sein, dieses Gleichgewicht aus den Fugen zu bringen. Der eine oder andere meint, ich habe auch den Eindruck gehabt, es zu Ungunsten der Leistungserbringer und zu Gunsten der Kassen aus den Fugen zu bringen. Aber auch die Kassen sind nicht glücklich und es kommen auch auf die Kassen Belastungen zu, die ja partiell abzusehen sind, aber noch nicht ganz.

Meine Damen und Herren, in dieser Legislaturperiode des Thüringer Landtags ist kaum eine Plenarsitzung über die Bühne gegangen, in der nicht mindestens ein bundespolitisch bedingtes Gesundheitsthema und seine Auswirkungen auf Thüringen zur Debatte standen. Und in diesem Falle muss ich wirklich sagen, die Ursache liegt beim Bund.

(Beifall bei der CDU)

Die Eingriffsmöglichkeiten des Landes sind relativ beschränkt und deshalb ist es mir wichtig, auch hier und heute darauf hinzuweisen. Denn ich weiß, am Ende des Jahres, wenn die Budgets knapp werden, dann wird man wieder das Sozialministerium, den Gesundheitsminister des Landes Thüringen dafür verantwortlich machen, dass es nicht funktioniert. Ich will jetzt schon rechtzeitig darauf hinweisen, ich versuche abzumildern, soweit es geht, aber die Möglichkeiten eines Landesministers sind in diesem Bereich begrenzt. Und die Themen, die wir behandelt haben, reichten von der Psychotherapie bis zum Arzneimittelbudget. An allen Ecken und Enden hat es gebrannt.

Mit der so genannten Gesundheitsreform 2000 hat die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken versucht, wir hätten mit unserem System dieser gesetzlichen Krankenversicherung finanziell vielleicht doch keine Schwierigkeiten, man müsste nur da und dort und so weiter etwas sparen und dann würde das schon funktionieren. Meine Damen

und Herren, nicht allein wenn wir etwas sparsamer mit den Finanzen umgehen, ist alles geregelt. Es wird bei dieser Gesundheitsreform 2000 die demographische Entwicklung ignoriert; es wird ignoriert die Auswirkung der Leistungen und es werden ignoriert die Ansprüche der Patienten. Dieses wird nicht zur Kenntnis genommen. Wohl gemerkt, ich will die gesetzliche Krankenversicherung, so wie sie in Deutschland besteht und so wie sie in Deutschland seit über 100 Jahren besteht, in ihrer Substanz erhalten wissen.

(Beifall bei der CDU; Abg. Thierbach, PDS)

Ich will die Solidarität. Und wenn ich hier meine Sorgen ankündige, dann sind das Sorgen, die ich mir mache wegen dieser Solidarität, weil sie vielleicht nicht mehr gesichert werden könnte. Es wurden mit dieser Gesundheitsreform 2000 Leistungen ausgeweitet und Zuzahlungen zurückgeführt. Meine Damen und Herren, Leistungen ausweiten, Zuzahlungen zurücknehmen, irgendwo muss es doch finanziert werden. Aber diese solide Gegenfinanzierung, die hat es bisher nicht gegeben. Die Maßnahmen Leistungsausweitung und Gebührenrücknahme oder Zuzahlungsrücknahme sind natürlich erst einmal populäre Maßnahmen und die Patienten freuen sich darüber, aber der dicke Hammer kommt hinterher. Sie dürfen ruhig klatschen, ob Sie dann noch klatschen, wenn nachher das Budget nicht mehr ausreicht, Frau Abgeordnete Thierbach, das wage ich zu bezweifeln. Dann sitzen wir alle beide da. Und wenn gegen Jahresende als Folge einer Erschöpfung der finanziellen Mittel und einer Auslastung des Budgets die Leistungsrationierungen spürbar werden - und dieses kann passieren -, dann sollten wir auf Länderebene möglichst frühzeitig auf diese Probleme hinweisen und diese Probleme auch der Bundesebene, ja nicht nur mitteilen, sondern auch Forderungen dort einbringen. Wenn am Ende des Jahres die Budgets knapp werden, dann spüren auch die Patienten, dass der erste Eindruck nichts weiter als eine Illusion gewesen ist.

Um es in diesem Zusammenhang auch gleich vorweg zu nehmen, die jüngsten Berichte des Bundesgesundheitsministeriums, es gäbe einen Überschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 1 Mrd. DM, geben kein realistisches Bild wieder. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen für ihre rund 71 Mio. Versicherten bundesweit über 250 Mrd. DM, meine Damen und Herren, dabei ist 1 Mrd. DM fast ein Tropfen auf den heißen Stein. Es kommt hinzu, dass die Defizite der Krankenkassen in den neuen Bundesländern, und das interessiert uns in Thüringen ja in ganz besonderer Weise, aus den vergangenen Jahren nicht berücksichtigt worden sind. Des Weiteren ist der Beitrag schon deshalb mit Vorsicht zu betrachten, weil voraussichtliche Änderungen in den Ausgleichszahlungen zum Risikostrukturausgleich keinen entsprechenden Eingang in die Berechnung gefunden haben. Die Krankenkassen liegen übrigens deshalb mit dem Bundesgesundheitsministerium im Streit. Sie sehen also auch hier Unwägbarkeiten. Und sehr deutlich wird dies, wenn

man sich die jüngsten Äußerungen der Bundesgesundheitsministerin in Erinnerung ruft. Ihre Überlegung zur Einschränkung der kostenfreien Familienversicherung oder Beitragspflicht von Aktiengewinnen, ich meine, das macht deutlich, wie massiv die Sorgen sind, die die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beinhaltet.

Welche Situation wir nun für das Jahr 2000 zu erwarten haben, ich versuche es, an zwei wesentlichen Teilen darzustellen: Erstens, die steigenden Gesamtausgaben durch Veränderungen der Leistungsstruktur und zweitens, mögliche Rationierung in Folge der sektoralen Budgetierung. Die erneute Einführung von Präventions- und Gesundheitsvorsorgeleistungen in der gesetzlichen Krankenkasse ist erst einmal grundsätzlich zu begrüßen und ich möchte mir nicht unterstellen lassen, ich sage hier dieses und dort jenes, ich habe bei der Konferenz "Sport und Gesundheit" gesagt, dass ich die Prävention und die Finanzierung der Prävention durchaus für sinnvoll und realistisch und für notwendig halte. Aber über die Finanzierung wird herzlich wenig gesagt. Die gesetzliche Krankenversicherung kann Präventionsmaßnahmen bis zu einer Leistung von 6 DM jährlich je Versichertem finanzieren. Das ergibt aus einer Multiplikation der Versicherten in Thüringen, das sind 2,29 Mio. mal 6 DM, Mehrausgaben in Höhe von etwa 13,8 Mio. DM im Jahr 2000 hier bei uns in Thüringen und natürlich in den Folgejahren. Eine ebenfalls neue Leistung, die Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern, wird von den maßgeblichen Verbänden mit ca. 200 Mio. DM Mehrkosten - bundesweit allerdings angegeben. Meine Damen und Herren, übrigens diese Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern, auch das ist dringend nötig, aber ich muss Ihnen sagen, das ist ein krasses Misstrauen gegenüber den ärztlichen Selbstverwaltungen.

(Beifall Abg. Arenhövel, CDU)

Dass dieses die Kassen übernehmen sollen, meine Damen und Herren, ich glaube, die ärztliche Selbstverwaltung hat dieses bisher gut gemacht und das sollte man nicht auf die Kassen verlagern und es führt zu einer zusätzlichen Mehrbelastung. Für Thüringen sind demnach zusätzliche Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Bereich der Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern in Höhe von etwa 7 Mio. DM zu erwarten. Daneben wird ganz erheblich zu Buche schlagen, dass die Leistungsausgaben in diesem Jahr analog der Grundlohnsummenentwicklung voraussichtlich bis zu 1,43 Prozent ansteigen können. Es gibt dabei im Augenblick Unstimmigkeiten zwischen den Verhandlungspartnern Kassen und Leistungserbringern, auch im Bereich des Arzneimittelbudgets, man kann bis zu 1,43 Prozent erhöhen, ob diese 1,43 Prozent ausgeschöpft werden. Aber etwas anderes ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, denn nach Schätzungen der Spitzenverbände, der Kassen in den neuen Ländern, ist eine Steigerung der Beitragseinnahmen nur in Höhe von 0,7 Prozent anzunehmen. Meine Damen und Herren, da klafft eine Riesenschere zwi

schen 1,43 Prozent Grundlohnsummenentwicklung in den alten Bundesländern und 0,7 Prozent in den neuen Bundesländern. Das heißt im Klartext: Den Mehreinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Thüringen in Höhe von voraussichtlich 2 Mio. DM stehen potenzielle Mehrausgaben um etwa 100 Mio. DM gegenüber. Ich sagte schon, die Kassen versuchen diese Schere dadurch auszugleichen, dass eben nicht um 1,43 Prozent erhöht wird, sondern deutlich sogar unter 0,7 Prozent eine Erhöhung zustande kommt.

Ein weiteres Problem und noch nicht exakt bezifferbar sind die jetzt neuen Leistungen, z.B. die finanzielle Unterstützung von Verbraucher- und Beratungsstellen durch die Krankenkassen und erweiterte Modellvorhaben oder der Bereich Soziotherapie, wo bisher auch eine Definierung schwer möglich oder noch nicht erfolgt ist und dementsprechend die zusätzlichen Leistungen nur schwerlich einzukalkulieren sind. Auf der Basis der notwendigen Behandlungsstunden und einer angemessenen Vergütung im Bereich Soziotherapie dürften sich in Thüringen Mehrausgaben in Höhe von ca. 22 Mio. DM ergeben. Wie gesagt, es ist auch noch nicht klargestellt, woraus diese 22 Mio. DM finanziert werden. Es gibt nach dem derzeitigen Rechtsstand die Vorstellung, dass dieser Betrag voraussichtlich aus der Gesamtvergütung der Ärzteschaft zu finanzieren sei. Dann sind wir in dem gleichen Dilemma wie mit den Psychotherapeuten in diesem Jahr. Das würde bedeuten, dass die Mehrausgaben voll auf die budgetierte Gesamthonorarsumme der Leistungserbringer durchschlagen und damit zu einem weiteren Absinken der Einzelleistungsvergütung führen. Diese Auswirkung wäre für die Leistungserbringer sicherlich ebenso katastrophal wie die andere Möglichkeit, dass die Vergütung außerhalb des Budgets läuft, dann würde es ebenso schwierig für die Kassen werden, also auf jeden Fall eine ungedeckte Leistung. Insgesamt rechne ich für Thüringen im Jahr 2000 mit einem erheblichen Überhang der Ausgaben, der möglicherweise in dreistelliger Millionenhöhe liegen könnte. Ich habe Ihnen die einzelnen Fakten genannt. Bei einem Gesamtfinanzierungsvolumen der gesetzlichen Krankenversicherung Thüringen in Höhe von ca. 7 Mrd. DM wäre ein dreistelliges Millionendefizit höchstwahrscheinlich beitragswirksam in Thüringen. Sie verstehen sicher, dass ich deshalb nicht ganz so zuversichtlich bin, was die Beitragsstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung angeht.

Nun sollte man meinen, dass angesichts dieser Mehrausgaben eine optimale Versorgung der Versicherten garantiert ist. Dieses wird in diesem wie auch in den nächsten Jahren möglicherweise sehr problematisch werden. Anstatt auf zielgerichtete und sachgerechte Strukturänderungsmaßnahmen zu bauen, vertraut die Gesundheitsreform 2000 - das Globalbudget haben wir abwenden können, aber wir haben unverändert sektorale Budgets. Das heißt nichts anderes, als dass die Bundesregierung in diesem Jahr in vielen Bereichen eine Situation herbeibeschwört, die uns im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung - ich

hatte es schon mehrfach angeführt - und im Arzneimittelbereich aus den vergangenen Jahren mehr als bekannt ist. Wegen der stringenten Vorgaben des Bundesgesetzgebers und der zum Teil falschen Rechtsauslegung der Bundesregierung konnten ja auch die vermittelten Gespräche nicht zu einer Lösung führen.

Meine Damen und Herren, ich habe hier an diesem Pult meine Linie aufgemacht, die ich vorhabe, was die Psychotherapeuten und das Budget angeht. Es liegt ein Antrag der PDS und ein Antrag der F.D.P. im Bundestag. Die CDU-Fraktion ist am Überlegen, einen eigenen Antrag einzubringen. Ich werde auf der nächsten Beratung der unionsgeführten Sozialminister - es ist zum Teil schon abgesprochen - den von mir angekündigten Entschließungsantrag für den Bundesrat einbringen. Ich denke, dass wir dann von Seiten der Länder versuchen werden, das Psychotherapeutenbudget für 1999 rückwirkend noch einmal anzuheben.

(Beifall bei der CDU)

Um noch einmal klar zu machen, das ist nicht nur, um den Leistungserbringern eine Freundlichkeit zu geben, sondern die Leistungserbringer müssen über zusätzliche Einbußen die Leistungsausweitungen, die die Bundesregierung festgeschrieben hat, kompensieren. Und das kann nicht sein. Im Jahr 2000 sind die ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen, Arznei-, Verbands- und Heilmittel, stationäre Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen budgetiert worden, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Damit wird der Weg in eine Einschränkung der Therapiefreiheit und möglicherweise in eine Rationierung geebnet. Die Ärzte haben bei hohem finanziellen Risiko innerhalb der ersten Jahre nach der friedlichen Revolution ein gut funktionierendes ambulantes Versorgungssystem eingerichtet und sie haben sich dazu erheblich verschuldet. Wenn das eintrifft, was ich hier angedeutet habe, dann wird das Vergütungsniveau der Ärzte in den neuen Bundesländern, das inzwischen angestiegen war, wieder auf 75 Prozent im Verhältnis zu ihren Westkollegen zurückgehen und, meine Damen und Herren, die Schere zwischen Ost und West wird weiter aufgehen. Das darf nicht sein, da müssen wir aufpassen,

(Beifall bei der CDU)

nicht nur was die ärztlichen Honorare angeht, sondern auch was die Versorgung angeht. Ich halte es für völlig ungerechtfertigt, die durch Leistungsausweitung steigende Morbidität oder medizinische Innovation einigen aufzubürden. Ein Beispiel, wenn auch nicht aus dem ambulanten Bereich, was Budgetierung angeht und was Folgen für die Patienten angeht, liefert die Budgetierung der stationären Rehabilitationsleistungen. Die Absenkung der Zuzahlungen in den neuen Ländern von 20 DM auf 14 DM wird in Thüringen zu einem Fehlbetrag in Höhe von rund 4 Mio. DM führen, meine Damen und Herren, und die Wiederholung der Rehabilitationskuren wird von vier

auf drei Jahre zurückgeschraubt und die Regeldauerleistung der Rehabilitationskuren wird von drei auf vier Wochen erhöht. Aber all das passiert unter dem Budget, meine Damen und Herren, mit dem Ergebnis: Es werden diejenigen, die eine Kur haben, zwar öfter zur Kur können und können länger zur Kur, aber die Zahl derer, die zur Kur gehen können, die wird sinken. Die 4 Millionen, die ich Ihnen eben genannt habe, gehen davon auch noch ab. Da die Gesamtausgaben begrenzt sind, können diese von den Trägern der Rehabilitationsmaßnahmen nur über Reduzierungen der Leistungen kompensiert werden. Das heißt, es werden im Jahr 2000 stationäre Rehabilitationsmaßnahmen mindestens in der Größenordnung von 4 Millionen Mark weniger als 1999 erbracht werden können. Denken Sie in dem Zusammenhang mit den Rehabilitationsmaßnahmen auch an die Rehabilitationslandschaft in Thüringen; wir sind ein Land mit vielen Rehabilitationskliniken, mit Rehabilitationseinrichtungen. Diese Rehabilitationseinrichtungen sind bei uns auch ein Wirtschaftsfaktor und sie haben sich gerade etwas erholt.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden im Jahr 2000 in der Thüringer Gesundheitsversorgung mit Problemen zu kämpfen haben, ich sage es noch einmal, die der Bundesgesetzgeber zu verantworten hat und ich wollte Ihnen dieses hier nicht vorenthalten. Ich denke, Sie müssen wissen, worauf wir zugehen, damit nicht am Ende oder in der zweiten Hälfte dieses Jahres Anträge über Anträge gestellt werden, der Thüringer Gesundheitsminister möchte sich dafür und dafür einsetzen. Ich werde mich mit Sicherheit für das Gesundheitssystem in den neuen Bundesländern, aber auch in der ganzen Bundesrepublik einsetzen, dass dieses auf stabile Beine gebracht wird.

Meine Damen und Herren, ich hoffe dass Sie sich der heutigen Ausführungen auch in der zweiten Hälfte des Jahres erinnern. Ich irre mich nicht gerne, aber in diesem Falle würde ich mich gerne irren, wenn es denn besser kommt als ich es hier heute prognostiziert habe. Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage zunächst die CDU-Fraktion, ob der Entschließungsantrag zum Berichtsersuchen noch begründet werde soll? Nein. Es sind Redemeldungen abgegeben worden, so dass ich davon ausgehe, dass damit beantragt worden ist durch alle Fraktionen, über den Bericht eine Aussprache zu führen. Das wird auch bestätigt, damit eröffne ich die Aussprache zu dem eben abgegebenen Bericht von Minister Dr. Pietzsch. Als erste Rednerin hat sich zu Wort gemeldet Frau Abgeordnete Dr. Fischer, PDSFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Minister, ich bin auch nicht Kassandra, aber was gesagt werden muss, da haben Sie schon Recht, muss gesagt werden. Die Probleme betreffen alle, das sollten wir uns wirklich alle hier auch so sagen, da gebe ich Ihnen Recht. Enttäuscht bin ich allerdings, muss ich sagen, dass auch Sie, was ja sehr wichtig ist, ausschließlich bei einer solchen Debatte sich auf die Finanzierung konzentrieren und eigentlich inhaltlich nicht allzu viel Neues aufs Trapez gebracht wird. Da bin ich ein bisschen enttäuscht an der Stelle. Sie wissen so gut wie ich, dass sich die PDS auch gegen das Globalbudget gewandt hat, dass wir auch dachten, dass sektorale Budgets der Vergangenheit angehören, das wissen Sie. Aber, was Recht ist - und es ist ja auch ein bisschen sehr viel Polemik hier drin - gegen eine Bundesregierung, denke ich, muss man doch mal ein bisschen mehr sagen, ohne in allzu große Polemik zu verfallen. Ich möchte hier an dieser Stelle an ein paar Dinge erinnern: Wer, meine Damen und Herren, ist denn 1982 in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Anspruch der geistigmoralischen Wende angetreten? Oder erfahren wir jetzt, was der ehemalige Kanzler eigentlich gemeint hat mit dieser geistig-moralischen Wende. Wir haben ja heute noch einen Antrag drauf. In seiner Regierungszeit wurden mehr als Reformen und Reförmchen mit fast über 500 gesetzlichen Anträgen im Gesundheitsbereich vorgenommen, also sehr viel mehr als in der kurzen Regierungszeit der rotgrünen Koalition. Und wohin, meine Damen und Herren, haben diese Kostendämpfungsgesetze letztendlich in den letzten Jahrzehnten geführt? Diese Frage sollten wir uns zunächst beantworten, ohne zu polemisieren.

Wir wollen damit sagen, es ist zumindest nicht ganz redlich, sich heute hier hinzustellen und so zu tun, als wäre einzig und allein die gegenwärtige Regierung und nur sie für die derzeitige Situation verantwortlich. Sie haben doch sicher nicht vergessen, dass es Ihre Partei gemeinsam mit der F.D.P. gewesen ist, und das muss man jetzt wirklich betonen, weil nämlich das andere Konzept der CDU hier auch ein bisschen zum Tragen kam, die steigende Selbstbeteiligung für Medikamente, Krankenhausaufenthalte und Kuren produzierte, die die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beschloss und die so wichtige Prävention, siehe Artikel 20 SGB V, ganz erheblich einschränkte.

(Beifall bei der PDS; Abg. Gentzel, SPD)

In den Jahren der so genannten geistig-moralischen Wende wurden die Grundlagen für eine Zweiklassenmedizin gelegt. Wenn sukzessive Selbstverwaltungsorgane zerschlagen werden, dann geht auch das eindeutig mit auf Kosten der CDU.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Na, na!)

Ich kann Ihnen das beweisen. Und ist es dann nicht ein Gipfel des Zynismus, wenn dann entsprechende Parteien ständig von der Vorfahrt für die Selbstverwaltung reden, denn ihre Selbstverwaltung ist ja sehr, sehr eingeschränkt. Bei aller berechtigten Kritik - die ich zum Teil aus anderen Gründen ja mit der CDU und auch mit dem Minister durchaus teile, mit einem anderen Hintergrund natürlich - an der Gesundheitsreform der rotgrünen Koalition haben Sie offensichtlich vergessen oder verdrängt, dass Sie den Boden für die gegenwärtige Situation auch in Thüringen geschaffen haben.

(Beifall bei der PDS)

Und, meine Damen und Herren, sollte es hier lediglich um einen Schlagabtausch beim Antrag der CDU gehen, dann steht die PDS dafür nicht zur Verfügung. Uns geht es um parteiübergreifende gemeinsam erarbeitete Lösungsansätze für eine sinnvolle Gesundheitspolitik für Bürgerinnen und Bürger in Thüringen, trotz oder gerade wegen der Gesundheitsreform 2000. Ich habe heute leider hier auch wieder nichts gehört, was mir sehr am Herzen liegt, über die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit einem Kernstück, dem Kinder- und Jugendgesundheitsschutzes, Auseinandersetzungen darüber, wie man Bevölkerungsmedizin wirklich sinnvoll machen und wie das finanziert werden könnte, ob das wirklich eine Aufgabe - ich sage nicht des Staates - der Gesellschaft tatsächlich sein sollte. Diese Fragen hätte ich hier erwartet.

Bundespolitik ist sicher eine sehr wichtige Sache, allerdings gibt es aus Sicht der PDS-Fraktion Freiräume für Thüringen, die man dann auch nutzen sollte und sehr konsequent nutzen sollte. Dass das geht, hat gerade Bayern wieder bewiesen, das übrigens als einziges Land für eine weitere Ausbildung von Kinderkrankenschwestern auch gegen die Bundesministerin votiert. Eine Meinung dazu aus Thüringen habe ich bis jetzt zu meinem Bedauern nicht vernommen, aber es gibt eine Mündliche Anfrage und auch eine Stellungnahme zur Fachschwester für Anästhesie ist bisher nicht bis zu uns vorgedrungen.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Moment noch.)

Das Bundesgesundheitsministerium plant eine zügige Neuordnung der Pflegeberufe im Rahmen der Angleichung der europäischen Verhältnisse. Gespräche mit Berufsverbänden haben bereits mit der Staatssekretärin Nickels stattgefunden und offensichtlich nach Meinung von Fachleuten wird auf die Praxis dabei nicht allzu viel Wert gelegt. Herr Minister Pietzsch, Sie wissen so gut wie ich, da Sie ja auch in der DDR ausgebildet sind, dass die Realisierung dieser Vorstellung Rückschritte in Größenordnungen bedeuten würde. Wir meinen, dass man bereits vehement im Vorfeld, und auch hier die Länder, eingreifen muss, übrigens bevor etwas im Bundestag ist. Meine Erfahrungen der letzten 10 Jahre sind, dass man weit im Vorfeld eingreifen muss, auch bei der Bundespolitik, weil

sie nämlich sofort auf Kommunen und im Gesundheitswesen auf alle durchschlägt. Sie sagen ja auch hier öfter, Föderalismus usw. und da, denke ich, das ist auch Sinn des Föderalismus, das so zu machen.

An diesem Beispiel, meine Damen und Herren von der CDU, wird wirklich auch sichtbar, welche Defizite die Europapolitik unter Kohl hinterlassen hat. Wenn ich eine europäische Sache ohne eine Sozialunion so mache, dann passieren solche Dinge.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir auf das deutsche Gesundheitswesen schauen, dann ist vordergründig doch alles in bester Ordnung. Da wird dieses System gerade für die Länder Osteuropas empfohlen. Wenn man das System jedoch kritisch hinterfragt, dann fällt auf, dass wir beispielsweise mit den Fragen, wie gestalten wir denn unser System in Richtung Europa, eher oberflächlich umgehen. Oder sollte ich mich getäuscht haben, dann wäre es möglicherweise Methode. Aus unserer Sicht gab und gibt es weder in der Bundesrepublik noch in der europäischen Gemeinschaft ein wirkliches Konzept für ein integriertes Gesundheitswesen und jetzt scheinen uns plötzlich die Ereignisse zu überrollen. In Deutschland fällt auf, dass das Thema Gesundheit gesplittet ist in Bundeskompetenzen und in Landeskompetenzen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern funktioniert keineswegs gut, das wissen wir auch. Es fällt offensichtlich immer schwerer, ein Gesetz im Gesundheitswesen als ein Bundesgesetz auf die Reihe zu bekommen. Die Kooperationsund Koordinationsmechanismen sind nicht besonders gut ausgeprägt, auch, weil man über Ziele einer gemeinsamen Politik nie redet. Die Bundesrepublik hat eben keine Gesundheitsziele wie andere Staaten und auch Thüringen hat keine Gesundheitsziele, was mit Sicherheit auch hilfreich wäre, wenn man auf die Finanzierung aus ist.

Meine Damen und Herren, ein weiteres Problem ist, dass Gesundheit immer nur als Ressort wahrgenommen wird, in gesundheitspolitischen Arbeitsgruppen, im Gesundheitsministerium, aber der Gesundheitszustand des Einzelnen wie auch der Bevölkerung hängt eben von verschiedenen Faktoren ab und nicht nur von Leistungserbringern oder sonstigen, sondern von ganz anderen Dingen, nämlich von Arbeits- und Umfeldbedingungen, von sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktoren ebenso, aber auch von Kenntnissen und Fähigkeiten, von allgemeingesellschaftlichen und familiären Beziehungen. Gesundheit, meine Damen und Herren, ist eben mehr als frei sein von Krankheiten.

Meine Damen und Herren, die PDS hält es nach wie vor mit der Definition der Weltgesundheitsorganisation, nach der Gesundheit körperliches, geistiges, soziales und ökonomisches Wohlbefinden ist. Und ich füge hinzu, Grundvoraussetzung für Gesundheit sind Einkommen, Wohnung, Nahrung. Wie viele Menschen sind alleine in Thüringen obdachlos oder wohnungslos? Wie viele Kinder sind von Sozialhilfe abhängig und wie beeinträchtigt das ihre Ge