Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

Richtig ist allerdings auch, dass Herr Minister Gnauck nicht nur an den Prozess in Mühlhausen zu denken hat, sondern dass Herr Gnauck eine Gesamtverantwortung wahrzunehmen hat. Er hat auch den Schutz der Rechte Dritter und den Schutz des Kernbereichs des Regierungshandelns zu beachten. Ich komme auf diesen Punkt noch zurück. Ich bin der Meinung, die beiden Minister haben richtig gehandelt.

(Beifall bei der CDU)

Nun zur Justiz: Ich möchte ausdrücklich sagen, die Justiz im Freistaat Thüringen genießt mein volles Vertrauen.

(Beifall bei der CDU)

Das habe ich am 21. September 2000 aus gegebenem Anlass deutlich gemacht und ich wiederhole dies heute noch einmal hier ausdrücklich. Es ist durch Justizminister Jentsch mit Hilfe der Partnerländer, vor allem von Rheinland-Pfalz und Hessen, aufgebaut worden und der Nachfolger von Herrn Jentsch, Herr Kretschmer, hat den

Aufbau fortgesetzt. Als es dann in der Spätzeit Kretschmer in der Bundesrepublik Mode wurde, Justizministerien abzuschaffen und sie den Innenministerien oder den Staatskanzleien zuzuordnen

(Zwischenruf Abg. O. Kretschmer, SPD: In Berlin zum Beispiel.)

wie beispielsweise in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, hauptsächlich in SPD-geführten Ländern, aber auch in CDU-geführten Ländern,

(Beifall bei der CDU)

das ist völlig richtig, Sie haben völlig Recht - habe ich mich sofort öffentlich dagegen gewandt. Wir haben im Wahlprogramm der Union die Beibehaltung des Justizministeriums in Thüringen versprochen und nach der Wahl auch entsprechend gehandelt, weil für uns die Unabhängigkeit der Rechtspflege von entscheidender Bedeutung ist.

(Beifall bei der CDU)

Entscheidend ist das Vertrauen des Ministerpräsidenten zu seinem Justizminister und zur Justiz und entscheidend ist, dass die Regierung und der Ministerpräsident das Vertrauen des Landtags haben. Ich begrüße es im Übrigen, dass der Justizminister auf die Richterschaft zugegangen ist. Vielleicht sollte man mehr miteinander als über Presseerklärungen bei solchen Begegnungen sprechen.

Meine Damen und Herren, über die Unabhängigkeit der Justiz besteht kein Zweifel. In Thüringen gibt es keinen Justizskandal. Einen Justizskandal, mit dem sich voraussichtlich bald das Bundesverfassungsgericht befassen wird, gibt es gegenwärtig nur in einem Land in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen. Man hat mir in den Mund gelegt, ich hätte geäußert, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sei rechtswidrig. Eine solche Aussage von mir gibt es nicht. Ich bedaure, dass ein so umsichtiger Kollege wie Kollege Otto Kretschmer sich nicht darüber vergewissert hat, bevor er mich in einem Interview deswegen gänzlich ungerechtfertigterweise angegriffen hat. Herr Kretschmer, der Vergleich mit Bismarck ehrt mich, bei Herrn Ramelow war das dann ein Vergleich mit der Jeanne d´Arc, wir waren schon bei der Hexenverbrennung. Nichts habe ich korrigiert, Herr Kretschmer. Sie haben eine falsche Aussage getroffen,

(Zwischenruf Abg. O. Kretschmer, SPD: Ich wäre dankbar, wenn...)

obwohl Sie sich in Ihrem Interview ausdrücklich darauf beziehen.

(Beifall bei der CDU)

Soll ich Sie zitieren? Sie haben gesagt: "In den Äußerungen, soweit sie mir bekannt geworden sind, sehe ich einen massiven Eingriff." Es gibt keine Äußerung von mir. Sie wollten diese Äußerung, wie Sie die ganz Zeit Popanze aufbauen, damit Sie etwas zum Angreifen haben.

(Beifall bei der CDU)

Das, entschuldigen Sie, dass ich das sagen muss, haben Sie nicht nötig und das ist unter Ihrem Niveau.

(Beifall bei der CDU)

Heute liegt mir daran, dass mir, dass der Landesregierung kein rechtswidriges Verhalten und auch keine Prozessbehinderung vorgeworfen werden kann, denn, meine Damen und Herren, es ist kein Kavaliersdelikt. Wir gehen hier nicht mit kleinen Nebensächlichkeiten um, sondern einen solchen Vorwurf zu erheben, den man nicht beweisen kann, ist eine Ungeheuerlichkeit

(Beifall bei der CDU)

und als Ungeheuerlichkeit muss es dargestellt werden. Die Justiz besitzt das volle Vertrauen, das bedeutet aber nicht, dass nicht auch die Staatskanzlei - und das heißt, der hierfür zuständige Minister - von den Rechtsmitteln Gebrauch machen kann, ja Gebrauch machen muss, wenn er der Überzeugung ist, schutzwürdige Interessen seien in Gefahr. Von den Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, heißt nicht, an der Justiz Kritik zu üben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Im Gegenteil, das ist nicht Ausdruck von Missachtung oder Misstrauen, das Gegenteil ist der Fall, das ist Ausdruck des Vertrauens in die Justiz, wenn man auch selbst von seinen Rechtsmitteln Gebrauch macht.

Worum geht es? Das Land hat Anzeige erstattet. Das Thüringer Wirtschaftsministerium hat bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen am 22. Dezember 1994 Anzeige wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug erstattet, als klare Beweise für die betrügerischen Vorgehensweisen von Pilz vorlagen. Jetzt, sechs Jahre später, versuchen einige eine Mitschuld der Landesregierung an diesem möglichen Subventionsbetrug zu konstituieren und sie versuchen den Eindruck zu erwecken, die Landesregierung habe etwas zu verbergen oder sie wolle die Justiz bei der Aufklärung des Falles behindern.

Meine Damen und Herren, es wäre schon mehr als eigenartig, wenn das Land Anzeige erstattet hätte, obwohl es in Wahrheit einen Sachverhalt vertuschen will.

Meine Damen und Herren, Herr Buse und später Herr Lippmann haben das Thema dann auf die EU ausgeweitet. Herr Buse sprach von Erdbeben. Ja, meine Damen und Her

ren, was ist dann in Sachsen? Da ist der Weltuntergang. Oder was ist da los? Ich mache darauf aufmerksam, alle ostdeutschen Länder stehen gegenwärtig in streitiger Auseinandersetzung mit Brüssel. Was ich nicht verstehen kann, ist, warum dieses Haus nicht geschlossen auf unserer Seite in dieser Auseinandersetzung steht.

(Beifall bei der CDU)

Was haben Sie denn für ein Interesse, dass dem Land geschadet wird? Warum kämpfen alle 16 Ministerpräsidenten 16:0 gegen diese Maßnahmen aus Brüssel? Warum sind in anderen Landtagen Ostdeutschlands in diesen Fragen die Reihen geschlossen? Nur hier versucht die Opposition nicht den Interessen des Landes zu dienen, sondern nach Möglichkeit uns zu schaden. Das kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ellenberger, SPD: Nein, das ist eine Unterstellung.)

Auch hinsichtlich der europäischen Justiz habe ich volles Vertrauen in die Unabhängigkeit der Richter. Aber dass man in dem Streit, den fünf deutsche Länder um ihr gutes Recht führen, nur in Thüringen die Opposition auf der Seite der Brüsseler hat und nicht auf unserer Seite, das versteht in der Tat in diesem Land kein Mensch.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Ein Armutszeugnis.)

Zurück zur Klage gegen Pilz. Wir sind an diesem Prozess interessiert wie kein anderer. Der Freistaat Thüringen ist interessiert wie kein anderer, denn wir, das Land, fühlen uns geschädigt. Deswegen wollen wir alles tun und deswegen sind wir selbstverständlich bereit, alle Akten, die der Aufklärung dienen, zur Verfügung zu stellen.

Aus diesem Grund haben wir Akten übergeben und aus diesem Grund haben wir darüber hinaus angeboten, wenn irgendwelche Zweifel bestehen, das Gericht möge sich selbst davon überzeugen, dass es in der Staatskanzlei keine weiteren Akten zu diesem Fall gibt. Ich muss hinzufügen: Wir haben keine Akten zurückgehalten. Die Akten des Wirtschaftsministeriums und der TAB befinden sich seit über fünf Jahren bei den Strafverfolgungsbehörden. Die Akten des Thüringer Finanzministeriums liegen ebenfalls seit 1995 den Strafverfolgungsbehörden vor. Meine Damen und Herren, die Gerechtigkeit mahlt, aber sie mahlt mitunter langsam.

Von Geheimhaltung oder Verlust oder Vertuschung kann hier also beim besten Willen keine Rede sein. Wir sind allerdings nicht bereit, das sage ich genauso deutlich, im Zusammenhang mit diesem Prozess unsere Gesamtver

antwortung zu relativieren und zu beschädigen. Jedermann im Freistaat und darüber hinaus hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Landesregierung zu wenden. Davon machen wöchentlich allein bei mir persönlich hunderte von Bürgerinnen und Bürgern Gebrauch. Auch Unternehmen, gleich ob aus dem In- oder Ausland, steht das Recht zu, sich um eine Ansiedlung im Freistaat zu bemühen und Fördermittel bei uns zu beantragen. Wir verwenden, wie jeder weiß, einen wesentlichen Teil unserer Regierungstätigkeit darauf, dafür zu werben. In vielen Fällen werden Unterlagen, Daten und Fakten mitgeteilt, die der Vertraulichkeit und des Datenschutzes bedürfen. Sie können nur mitgeteilt werden, wenn die absolute Sicherheit gewährleistet ist, dass sie nicht in die Öffentlichkeit geraten und dass sie nicht in die Hand der Konkurrenten gelangen.

(Beifall bei der CDU)

Und dieses Vertrauen, das Vertrauen des Unternehmens und der Unternehmer, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Landesregierung, bedarf des sicheren Schutzes. Diese Rechte Dritter sind schutzwürdig. Sie werden vom Bundesfinanzministerium für die Treuhandakten anerkannt und sie werden von mir ebenso beurteilt. Und ebenso wie die schutzwürdigen Interessen Dritter bedarf der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung jedes Landes des besonderen Schutzes.

Meine Damen und Herren, seien Sie sich bitte bewusst: Unsere Landesverfassung räumt der Landesregierung ein, sogar dem Landtag gegenüber ausdrücklich die Beantwortung von Anfragen und die Erteilung von Auskünften abzulehnen. Darf ich Ihnen - mit Erlaubnis - den Artikel 67 zitieren: "Die Landesregierung kann die Beantwortung von Anfragen und die Erteilung von Auskünften ablehnen, wenn 1. dem Bekanntwerden des Inhalts gesetzliche Vorschriften, Staatsgeheimnisse oder schutzwürdige Interessen einzelner, insbesondere des Datenschutzes, entgegenstehen oder 2. die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesregierung nicht nur geringfügig beeinträchtigt werden." So steht es in der Landesverfassung und so ist es unser Recht Ihnen gegenüber.

Meine Damen und Herren, wäre der Schutz der Interessen Dritter und der Schutz des Kernbereiches der exekutiven Eigenverantwortung der Landesregierung nicht gesichert, dann wäre der mögliche politische und wirtschaftliche Schaden unabsehbar. Das Land würde nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden, weil viele ganz selbstverständlich einen Bogen um das betreffende Land machen würden. Und darum geht es dem Chef der Staatskanzlei, wenn er Beschwerde gegen die Durchsuchung der Staatskanzlei einlegt und wenn er die Maßnahmen als unangemessen bezeichnet und die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt sieht. Darum geht es dem Chef der Staatskanzlei, wenn er nicht will, dass die Anwälte der Angeklagten an der Sichtung von Unterlagen beteiligt sind, die überhaupt nichts mit dem Prozess in Mühlhau

sen zu tun haben. Es ist falsch, Herr Kollege Kretschmer, wenn Sie in einem Interview behaupten, dass Unterlagen, die für den Fall "Pilz" unbedeutend sind, nicht in die Hände der Verfahrensbeteiligten gelangen können. Ich habe die große und berechtigte Sorge, dass der Inhalt dieser Akten öffentlich verbreitet werden könnte, wenn sie einmal Bestandteil des Prozesses sind. Und da ist kein Misstrauen, sondern da ist nur die tagtägliche Erfahrung dieser Wochen, dass Akten, die der Verteidigung zugänglich sind, wenig später für jedermann im Internet nachlesbar sind, dass Namen von Unternehmen, mit denen sich die Koordinierungsrunde beschäftigt hat, die mit dem Fall "Pilz" nicht das Geringste zu tun haben, plötzlich im World-WideWeb auftauchen, z.B. entgegen dem, was Herr Ramelow gesagt hat, die Namen von einem halben Dutzend Firmen, mit denen wir uns beschäftigt haben, für die es rufschädigend ist, wenn man erfährt, dass wir uns mit ihnen beschäftigt haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, da ist nicht Misstrauen, sondern das ist Faktum. Da wir nicht wissen, wie diese Daten an die Öffentlichkeit gelangt sind, hat der Rechtsanwalt, der die Interessen der Staatskanzlei vertritt, bei der Erfurter Staatsanwaltschaft Anzeige gegen unbekannt erstattet.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen wissen, wer dieses verantwortet. Solange wir das nicht wissen, wollen wir gesichert haben, dass wir nicht Toren sind und dass die wichtigsten Unterlagen ins Internet gestellt werden, von wem auch immer. Das kann man von uns nicht verlangen, das ist Schaden für das ganze Land und wir sind verpflichtet, diesen Schaden vom Land zu wehren.

(Beifall bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dewes?