Protokoll der Sitzung vom 26.01.2001

(Beifall Abg. Zitzmann, CDU)

Denn der Bildungsprozess verläuft nur dann erfolgreich, wenn Zeit ist, neben Bewährtem das Neue über Jahre hinweg zu erproben und dabei zu optimieren. Also lassen Sie diesen Lehrern auch Zeit und Ruhe.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Und des- halb keine Entlassungen im Moment.)

(Beifall bei der CDU)

Ich reagiere mal nicht auf Sie, Herr Döring.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das sind die Konsequenzen.)

Vieles von dem, was ich bisher sagte, bleibt frommer Wunsch, wenn sich nicht einiges Entscheidendes an unserem Schulsystem und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändert.

Meine Damen und Herren, was ist also die Schule der Zukunft? Ein Zitat von Roman Herzog: "Schaffen wir ein Bildungswesen, das Leistung fördert, keinen ausschließt, Freude am Lernen vermittelt und selbst als lernendes System kreativ und entwicklungsfähig ist; setzen wir neue Kräfte frei, indem wir bürokratische Fesseln sprengen." Diese Rede vor drei Jahren, es war ein Bestandteil daraus, hat wachgerüttelt. Nur getan hat sich bisher nur vereinzelt etwas. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Unseren Kindern, und viele davon haben ja leider nur noch eines, bescheren wir zu Hause aber mal eben die heile Welt und verschonen sie möglichst vor jeder Anstrengung. Lieber machen sich die Eltern einmal mehr den Buckel krumm, als dass man von den lieben Kleinen etwas abverlangt. Und oft ist es auch so, dass man das, was man an Zuwendung und Zeit zu wenig für das Kind aufbringt, dann durch eine Extragabe von Taschengeld oder reiche Geschenke auszugleichen versucht.

(Zwischenruf Abg. Zitzmann, CDU: Das stimmt.)

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das ist richtig.)

Und hier beginnt der Fehler. Im Kindergarten und in der Schule setzt sich diese Tendenz dann oftmals fort. Kinder wollen gefordert werden und sie können auch mehr, als wir ihnen oft zutrauen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb, was muss sich ändern?

1. Kindertagesstätten sollten ein verbindliches Curriculum haben und die Kindertagesstätten auch mit den Grundschulen verbindlicher zusammenarbeiten. Der Landesjugendring fordert eine Vorschule, wie sie in anderen europäischen Ländern gang und gäbe ist. Ich bin nicht der Meinung, dass man dies verbindlich vorschreiben sollte, aber landesweit vereinbarte Mindestanforderungen für Kinder, die eingeschult werden, würden uns schon ein großes Stück voranbringen. Kinder im Grundschulalter haben die größte Auffassungsgabe. Warum also diese Zeit mit Dingen vertrödeln, die früher im Kindergarten als grundlegende Fertigkeiten mitgegeben wurden? An dieser Stelle war der Kindergarten in der DDR ganz bestimmt nicht schlecht.

2. Auch bei der Ausbildung der Lehrer lohnt der Blick zurück. Muss denn ein Lehrer vier Jahre lang studieren und dann noch zwei Jahre ins Referendariat.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Wenn er eines kriegt.)

Ich denke schon, dass er eins kriegt. Mir haben fünf Jahre auch gereicht und in anderen Ländern geht es schneller, ohne dass die Lehrer schlechter sind. Lachen Sie jetzt, weil ich das so sage; Sie können ja mal in die Schule gehen, da können Sie mal schauen. Die Schüler waren, glaube ich, mit mir zufrieden.

(Beifall bei der CDU)

In der Kultusministerkonferenz ist man sich einig, dass mehr Praxis in das Studium gehört. Die Wirklichkeit sieht aber bis heute anders aus. Und deshalb gehören die Befindlichkeiten von Seminarleitern einerseits und Professoren andererseits in die Mottenkiste. Der Schulalltag ist nicht leicht, deshalb haben künftige Lehrer auch ein Recht darauf, optimal vorbereitet zu werden.

(Beifall bei der CDU)

3. Will man von der Schule Leistung und Flexibilität, dann muss man ihr eben auch mehr Verantwortung übergeben und der Schulleiter muss künftig Möglichkeiten zur Auswahl seines Personals haben.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Da fangt doch mal an damit.)

Das beginnt beim Hausmeister, geht über Honorarlehrer bis hin zu den beschäftigten Lehrern. Wir haben mit dem Fortbildungsbudget gute Erfahrungen gemacht. Ansonsten ist es doch aber so, dass ein Schulleiter in Deutschland weniger Entscheidungspielraum beim Personal und den Sachmitteln hat als ein Abteilungsleiter in der Schuhfabrik.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das stimmt doch gar nicht. Viele haben es doch schon; nur Thüringen nicht. Das ist das Problem.)

Herr Döring, wissen Sie, was ich mit Ihnen für ein Problem habe. Sie hauen immer Schlagworte hin und können die im Ausschuss nie untersetzen. Da sitzen Sie drin wie eine graue Maus und haben nur Fragen, aber nie Antworten auf die dringenden Probleme.

(Beifall bei der CDU)

Da die Mittel des Staates begrenzt sind, muss Sponsoring eine stärkere Rolle spielen dürfen. Das Werbungsverbot an Thüringer Schulen ist spätestens im Internetzeitalter ein alter Hut. Die Kinder müssen lernen mit Werbung umzugehen und die Schule kann ihren Etat aufbessern. Also gehört unser Schulgesetz geändert.

4. Leistung wird in der Schule wie überall im öffentlichen Dienst kaum belohnt. Entscheidend für den Verdienst sind nur das Dienstalter und der Ausbildungsgrad. Und wer mit dem Klingelzeichen verschwindet, die Tasche packt, hat eben genauso viel im Geldbeutel wie der, der sich noch eine Stunde Zeit nimmt für Schüler,

(Beifall bei der CDU)

der Projekte organisiert oder der auch eine Arbeitsgemeinschaft leitet. Im Gegenteil, genau diese Kollegen haben noch mehr Ärger, denn wer was tut, hat noch mal Ärger, und wer nichts tut, hat nie Ärger und das kann nicht sein.

(Beifall bei der CDU)

Viele Lehrer tun es ja trotzdem, weil sie ihren Beruf lieben, aber gerecht ist es nicht und es verlockt auch niemanden dazu, etwas mehr zu tun. Ein Budget des Schulleiters zur Schaffung solcher Anreize könnte für uns hier ein Einstieg sein. Unabdingbar ist jedoch ein Umdenken in Deutschland generell. Leistung muss sich lohnen, auch im öffentlichen Dienst. Und nur der Umstand, dass sich die Leistung eines Lehrers etwas schwer objektiv messen lässt, darf doch die Debatte nicht verhindern. Bei Hochschulprofessoren geht es ja mittlerweile auch. Mir geht es aber hier in erster Linie nicht um die Bestrafung von eventuell Faulen, sondern es geht darum, Anreize zu setzen und damit die besondere Leistung zu provozieren.

(Beifall bei der CDU)

5. Ein Wort noch zum lebenslangen Lernen. Auch das gehört hierher. Die meisten Erwachsenen glauben heute, mit der Schule hat sich das mit dem Lernen für sie erst einmal erledigt. Wir wissen aber, dass genau das Gegenteil erforderlich ist. Dass die Leute freiwillig in Scharen die Angebote von Volkshochschule & Co. annehmen, das ist doch nur ein frommer Wunsch. Und die Fortbildung und Umschulung findet größtenteils in Firmen statt und ansonsten nur beim Arbeitsamt. Man macht diese Ausbildung mit, um hernach wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Muss nicht in Zukunft statt für Lehrgänge besser dem Einzelnen Geld in Form von Bildungsschecks gegeben werden? Denn so erlangt er mit einer höheren Kompetenz ein besseres Einkommen. Dazu muss sich aber auch im System der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe einiges grundsätzlich ändern. Es kann doch nicht sein, dass Betriebe händeringend Arbeitskräfte suchen, auch hier bei uns in Thüringen, aber so lange wir das Nichtstun finanzieren, bleibt das Potenzial vieler Menschen für die Gesellschaft brachliegen.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Das ist unverschämt. Sie wollen doch nicht unterstel- len, dass Sozialhilfeempfänger und Arbeits- lose nicht arbeiten wollen?)

Das unterstelle ich schon vielen. Sie werfen uns ja oft vor, wir wissen nicht, wie die Realität ist. Ich weiß, wie die Realität ist, und ich weiß, wie viele Arbeitgeber in meinem Wahlkreis händeringend nach Arbeitskräften suchen und sie nicht finden. Und sie finden sie gar nicht beim Arbeitsamt. Das ist auch eine Realität. Es geht gar nicht darum, irgendjemanden zu verdammen, sondern es geht darum, Anreize zu setzen, dass diese Leute sich wieder

selbst beschäftigen, sich damit qualifizieren und damit wieder auch ein Gewinn für diese Gesellschaft sind in dem Sinne, dass sie sich stärker einbringen.

(Beifall bei der CDU)

Also, unsere Schule hier in Thüringen, würde ich als Fazit ziehen, ist nicht schlecht, aber sie ist eben auch nicht die beste. Die genannten grundsätzlichen Weichenstellungen halte ich für notwendig, wenn Bildung in Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben will. Die Thüringer Schule ist für Deutschland spitze. Und gerade weil wir Thüringer Vorbild sind, sollten wir eben jetzt auch mal den Mut haben, den Mund aufzumachen. Vielleicht fällt es uns hier ja sogar leichter, neue Wege vorzudenken und zu vollziehen, als dies in einem etablierten alten Bundesland der Fall ist. Darum wünsche ich uns über Parteigrenzen hinweg den Mut, die Kraft und die richtigen Argumente in der Debatte und bei der Entscheidung für eine Zukunft der Bildung in Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Bechthum, Sie haben als Nächste das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich werde einige Gedanken zum Punkt 2 der Regierungserklärung "Partnerschaft von Familie, Schule und Gesellschaft" darlegen.

Herr Minister, Sie sagen dazu, ich zitiere - jetzt geht er, ist er nicht da -: "Für das Gelingen von Bildung in Familie und Schule ist eine vertrauensvolle Partnerschaft notwendig." Sie gehen auf die 13. Shell-Jugendstudie 2000 ein und betonen, dass unsere Gesellschaft unter defizitären Familienverhältnissen leidet. Sie sagen weiterhin, Schule kann nicht als "soziale Reparaturwerkstatt von Familie" mit diesen Aufgaben allein gelassen werden und dass sich der direkte Einsatz von Jugendsozialarbeitern an Schulen bewährt hat. Alles richtig.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie mit zwei Realitäten, die ich selbst erlebe, konfrontieren. Die Erste ist ein Schreiben einer Klassenlehrerin an die Mutter eines 13-jährigen Jungen, was genau die Situation realistisch beschreibt, in der sich leider häufig Schule, Elternhaus und Familie befinden. Ich lese das vor: "Werte Frau D., hiermit möchte ich Sie zu einem Gespräch in die Schule einladen. Jörg hat bis heute 31 Fehltage, davon 23 unentschuldigt. Wir müssen unbedingt über seine schulische Entwicklung reden. Ich möchte Sie bitten, den Termin wahrzunehmen, Dienstag, den 23.01.2001, 9.45 Uhr bis 10.30 Uhr, Ort: Lehrerzimmer, Haus 1." Die Begegnung fand dann leider doch nicht statt wegen Erkrankung

des Kindes der Lehrerin. Das ist kein Einzelfall. Zwei Wochen vor Zeugnisausgabe kommt es zur ersten Begegnung Lehrerin - Mutter nach 23 unentschuldigten Fehltagen. Versetzungsgefährdet! Das soll keine Lehrerschelte sein. Ich bin selbst Lehrerin. Aber es zeigt die Hilflosigkeit, in der sich Eltern und auch Lehrer befinden.

Demgegenüber gibt es auch andere Aktivitäten. So holt z.B. eine Lehrerin für ihre Schüler Frühstücksbrote aus der Stadtmission von dem Frühstücksangebot für hilfsbedürftige Menschen in Erfurt. Sie kennt die häusliche Situation der Familie und sie weiß, dass die Kinder kein Frühstück bekommen. Sie kommen in die Schule, ohne etwas gegessen zu haben. Und in der Charitas-Begegnungsstätte, der so genannten Suppenküche, kümmern sich die Mitarbeiterinnen um die Kinder der Besucher und es sind viele Familien, die dort fast täglich hinkommen. Aber ihnen fehlt auch die Zeit, um das gründlicher zu tun. Sie bedauern das sehr. Ich wiederhole nochmals an dieser Stelle unsere seit Jahren erhobenen Forderungen, die auch Professor Frindte in seiner Studie zu jungen Gewalttätern wissenschaftlich belegt und letzte Woche in der Presse vorgestellt hat, was uns sehr bewegt. Der Erziehungsgedanke muss wieder stärker Einzug in die Schulen halten.

(Beifall bei der SPD)

Und Eltern, die Probleme mit Gewalt haben und ihre Kinder vernachlässigen, wir wissen, es gibt erziehungsunfähige Eltern, sie haben keine Erziehung genossen, sie wissen auch nicht, wie man Kinder erzieht, es ist so, die müssen aufgesucht werden. Das hat er auch betont, das haben wir auch schon festgestellt. Das bedeutet, aufsuchende Sozialarbeit, niedrigschwellige Hilfsangebote. Diese Familien nehmen keine Familienberatungsstellen an, die gehen auch in keine Frauenzentren, auch in keine Familienzentren. Die Mütter und Väter sind zu erreichen, wenn eine Vertrauensbasis besteht. Ich möchte immer noch behaupten, der Lehrer/die Lehrerin ist noch immer ein Vorbild für viele Schüler und sollte es auch sein.

Herr Minister, sorgen Sie in Zusammenarbeit und in Abstimmung mit dem Sozialministerium dafür, dass an Thüringer Schulen eine Vernetzung von Jugendsozialarbeit geschieht,

(Beifall bei der SPD)