Die PDS-Fraktion hat die Aussprache zu diesem Bericht beantragt. Ich rufe als erste Rednerin Frau Abgeordnete
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in den 16 Jahren der Ära Kohl gab es zwar Entwürfe zum SGB IX - der letzte stammt aus dem Jahr 1993 -, aber ein ernsthafter Wille zur Umsetzung schien nicht vorhanden gewesen zu sein. Ein Indiz dafür ist, dass in der 13. Wahlperiode das SGB IX gleich ganz aus dem Regierungsprogramm genommen wurde, obwohl durch die Ergänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." der gesetzgeberische Handlungsbedarf eigentlich geradezu herausgefordert wurde. Wenn die CDU von der Untätigkeit der rotgrünen Bundesregierung spricht, dann soll sie wirklich erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren.
Nach diesen langen Jahren des Reformstaus wurde durch die rotgrüne Koalition der Gesetzentwurf "Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" im Januar 2001 in den Bundestag eingebracht. Zahlreiche Diskussionsveranstaltungen im Jahr 2000 - wir waren auch als Landtagsfraktion bei verschiedenen vertreten - gingen der Fertigstellung des Gesetzentwurfs voraus, um einen möglichst breiten Konsens zu erreichen. Eines durfte aber allen klar sein: Alle erstrebenswerten Wünsche können nicht erfüllt werden. Zur Drucksache 3/1337: Bis auf das Deckblatt der Bundesratsdrucksache 4901, wo der Fristablauf 09.03.2001 angegeben ist, ist sie mit der Bundestagsdrucksache 14/5074 identisch. Also, der PDS-Antrag war für das letzte Plenum eindeutig zu früh gestellt worden.
Meine Damen und Herren, unterdessen hat nun am 9. März 2001 der Bundesrat getagt und es gibt eine Stellungnahme des Bundesrats. Danach gibt es, das sind so unsere Erfahrungen, 75 Änderungswünsche des Bundesrats und einen Antrag des Landes Baden-Württemberg, dem auch die anderen CDU-geführten Länder beigetreten sind, der ein Leistungsgesetz zur Eingliederungshilfe fordert. Der Minister hat das auch hier sehr eindrücklich dargestellt. Ich denke, es ist immer sehr leicht, von anderen Leistungsgesetze zu fordern, wie auch von der Bundesregierung. Wir haben ja unsere Erfahrungen mit Leistungsgesetzen, die wir leider in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr umsetzen können; denken Sie an unser Ehrenamtsgesetz. Wenn man in den Einzelplan 08 des Thüringer Landeshaushalts blickt, sieht man, dass mit 400 Mio. DM der Eingliederungstitel wohl der größte Einzeltitel des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit ist. In den Ländern wird es ähnlich aussehen. Da kann man sich leicht vorstellen, wie die Finanzierungsregelung, da die CDU in Berlin in der Opposition ist, aussehen soll.
Um es allen deutlich zu machen: Es geht hier um 15 Mrd. DM, wo es die Länder gern hätten, dass diese der
Bund natürlich übernimmt. Und, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, wir werden genau verfolgen - ich habe das Protokoll hier auch liegen -, wie die CDU-Bundestagsfraktion, die dem Entschließungsantrag in der Bundestagsdrucksache 14/2913 zugestimmt hat, sich im Verlauf der weiteren Verhandlungen verhalten und zu ihrem Wort stehen wird. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Bechthum, ich denke, das, worüber wir heute diskutieren, ist etwas mehr als die bloße Diskussion um Leistungsgesetze, sondern es ist die Debatte um den Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik. Es geht darum, dass Behinderte nicht länger wollen, dass sie abhängig sind von Fürsorge, sondern sie wollen eigenständig und selbstbestimmt ihr Leben gestalten. Das ist eine sehr ernst zu nehmende Debatte, meine Damen und Herren, und ich muss dazu sagen, Frau Bechthum, wenn Sie hier die CDU-geführte Bundesregierung kritisieren, dann müssen Sie natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass die SPD im Wahlkampf dieses Thema zu ihrem eigenen gemacht hat und vorangestellt hatte und dass es das Erste mit war, was im Koalitionsvertrag zwischen Rotgrün vereinbart worden ist, dass dieses umgesetzt werden soll.
Wenn man jetzt sieht, wie das SGB IX gestaltet werden soll, was vom Grundsatz her zu begrüßen ist, und da gibt es zwischen den Parteien überhaupt gar keinen Dissens, aber wenn man dieses Ergebnis jetzt betrachtet, dann ist das Ganze natürlich schon auch eine Enttäuschung, weil es natürlich wichtig wäre, die Leistungen hier in diesem Gesetzbuch einmal zusammenzufassen. Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, das BSHG ist ein sehr gutes Gesetz. Wir haben im Bundessozialhilfegesetz sehr weit reichende Regelungen für Behinderte, aber es ist notwendig, das Ganze abzukoppeln von der Einkommenssituation der Behinderten. Hier handelt es sich um eine Dauerleistung und nicht nur um eine vorübergehende, das muss hier stärker in den Blick genommen werden. Das ist ein Punkt. Ein anderer ist der, dass das BSHG inzwischen so durchkommentiert ist, dass es so rechtlich überfrachtet inzwischen ist. Es gibt zig Kommentare dazu, es gibt ganz verzwickte Rechtsprobleme in dieser Materie, die außerordentlich schwierig zu händeln sind. Wir haben hier auch im Landtag Diskussionen gehabt, wo diese Probleme eine Rolle gespielt haben. Deswegen bietet es sich natürlich an, dieses alles zu reformieren. Aber wenn man dieses tut, dann muss
man es wirklich auch vom Grundsatz her anfassen, dann muss man diese Dinge, denke ich mal, alle neu gestalten und nicht wieder neue bürokratische Hürden schaffen, wie die Frage der Servicestellen, die sicherlich sinnvoll ist, die ist hier auch schon angeklungen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht mehr Bürokratie, noch mehr kompliziertere juristische Verfahren hier produzieren, sondern dass im Sinne der Behinderten hier ein Sozialrecht geschaffen wird, das diesen Namen auch verdient. Nur, meine Damen und Herren, dafür zuständig ist der Deutsche Bundestag und nicht der Thüringer Landtag. Wir können uns hier dazu zwar eine Meinung bilden und können über die Dinge auch diskutieren, aber wir können sie nicht bestimmen. Deswegen, so wichtig diese ganzen Debatten hier sind, möchte ich darauf hinweisen, wir sollten uns im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit insbesondere um die Themen kümmern, wofür wir als Landtag zuständig sind.
Dazu haben wir ja auch bereits einen Anfang gemacht. Wir planen eine Anhörung, in der es um die Frage der Gleichstellung Behinderter geht. Hier steht auch die CDUFraktion voll dahinter und wir sind bereit, dieses Thema aufzugreifen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke dem Sozialminister Herrn Dr. Pietzsch für seinen kurzen allgemeinen Bericht, heute im Märzplenum des Thüringer Landtags nun endlich über das SGB IX zu debattieren. Ich finde nicht, Frau Bechthum, dass es im Februar zu früh war für unseren Antrag der PDS. Frau Arenhövel, ich denke auch, das SGB IX gehört hier in dieses Haus zur Debatte, da es Auswirkungen auf den Freistaat Thüringen hat und letztendlich das Land und die Kommunen betrifft.
Nach über 30 Jahren soll ein politisches Versprechen endlich eingelöst werden, ein SGB IX, das Sozialgesetzbuch der Behinderten oder - wie der Gesetzentwurf jetzt heißt - zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Dazu wurden in den zurückliegenden zehn Jahren, also in der 12. und 13. Legislaturperiode des Bundestages, meine sehr verehrten Damen und Herren, und daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, verschiedenste Versuche unternommen, um mit Vorentwürfen und Referentenentwürfen einer CDU/CSU und F.D.P.-Koaltion ein neues SGB IX auf den Weg zu bringen. Jetzt, im Januar 2001, hat die rotgrüne Regierungskoalition ihr Wahl
und Koalitionsversprechen eingelöst und einen Entwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht. Frau Arenhövel, Sie haben es schon erwähnt. Unter Mitwirkung des Beauftragten der Bundesregierung, Herrn Hans-Hermann Hack, für die Belange behinderter Menschen wurde aus dem Eckpunktepapier, welches ja wirklich unter starker Kritik der Vereine, Verbände und Selbsthilfegruppen stand, ein Artikelgesetz vorgelegt, das nach Auffassung der PDS zwar einen Anfang darstellt, um einer veränderten Behindertenpolitik Ausdruck zu verleihen, aber aus unserer Sicht ist das nicht das Nonplusultra.
Um es noch deutlicher zu sagen, Herr Bundesarbeitsminister Riester, damit ist Ihnen weiß Gott nicht der weite Wurf gelungen. Den Behindertenverbänden in Deutschland wurde versprochen, eine Zusammenfassung und eine Vereinfachung aller relevanten Gesetzgebungen für behinderte Menschen vorzulegen. Dies ist nicht in dem Maße erfolgt, wie es erwartet und auch versprochen wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind ca. 10 Prozent der Bevölkerung Thüringens von Behinderungen betroffen. Zu bedenken ist dabei, dass sich die Zahl jährlich erhöhen wird durch Unfälle verschiedenster Art und Weise, aber auch, und das vor allem, durch unsere demografische Entwicklung. Wir, die PDS-Fraktion, sind der Auffassung, dass Behinderung ein komplexes gesellschaftliches Phänomen darstellt, und die Gesellschaft muss geeignete Wege finden, um Menschen mit Behinderungen zu integrieren und ihnen eine Chancengleichheit und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die Ursachen sowie die Folgen von Behinderungen sind verschieden. Wir wissen auch, dass Behindertenpolitik in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild der allgemeinen Lebensbedingungen, der sozioökonomischen Entwicklung und der Gesamtpolitik eines Staates darstellt. Um alle Behinderungen, und hier meine ich vor allem gesellschaftlicher Art, zu beseitigen und somit den Menschen mit Behinderungen eine Integration in die Gesellschaft verbessert zu ermöglichen, ist es nach Auffassung der PDS-Fraktion notwendig, ein eigenständiges Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, welches steuerfinanziert sein sollte, auch so, wie Sie es hier gefordert haben. Dies, meine Damen und Herren, leistet der jetzt zur Diskussion stehende Entwurf des SGB IX nicht.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, Zielstellung des Gesetzes ist es angeblich, solche Probleme wie
1. die Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben zu beschleunigen,
2. die Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grundgesetzes Artikel 3 Abs. 3 im Bereich der Sozialpolitik zu realisieren,
4. die Bürgernähe und die verbesserte Effizienz der Sozialleistung zur Teilhabe auf der Grundlage gemeinsamen Rechts zu realisieren,
5. die Weiterentwicklung der Teilhabe behinderter Menschen und von Behinderung bedrohter Menschen am Arbeitsleben zu fördern und letztens
Bei näherem Hinsehen, meine Damen und Herren, wird aber einiges deutlich. Das SGB IX hat das Hauptziel, nicht die umfassende selbstbestimmende Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft zu lösen, es geht vielmehr um eine möglichst weit reichende Verwertung der Arbeitskraft behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Um nicht mehr geht es hier. Das wird an verschiedenen Punkten deutlich, auf die ich später noch eingehen werde.
Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion ist der Meinung, dass in den letzten Jahren das Selbstverständnis von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich geändert wurde und sich auch gewandelt hat. Frau Arenhövel ist ja hier schon darauf eingegangen. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Fürsorge und die Versorgung, sondern das selbstbestimmende Leben, die selbstbestimmende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung der Hindernisse in der Gleichberechtigung und Chancengleichheit. So rechnen wir es der rotgrünen Koalition als positiv an, dass in dem vorliegenden SGB IX gute Inhalte vorgelegt wurden. Gleichzeitig bedaure ich es aber auch, dass die umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht im erforderlichen Maße umgesetzt wurde. Zu kritisieren ist auch, dass der von vielen Seiten geforderte Wegfall des Nachrangs der Eingliederungshilfe nicht umfassend umgesetzt wurde. Den Verbänden wurde zugesagt, dass die Rehabilitationsleistungen der Sozialhilfe, die Bedürftigkeit der behinderten Menschen und ihrer Unterhaltspflichtigen nicht geprüft werden. Diese großen Erwartungen wurden leider durch den § 7 - Vorbehalt abweichender Regelungen - des vorgelegten Gesetzentwurfs relativiert, denn es soll grundsätzlich am gegliederten System der Rehabilitationsträger festgehalten werden. Das bedeutet, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG geprüft werden müssen, ob noch andere Sozialleistungsträger eventuell zuständig sein könnten. Das heißt, dass das jetzige System der Behindertenhierarchie, die auf der Grundlage der Art und Ursache von Behinderungen basiert, erhalten wird. Diese unterscheidet zwischen Geburtsbehinderten, Berufsbehinderten und Kriegsgeschädigten, also, um es ganz polemisch zu sagen, zwischen Bettlern und Königen der Behinderten. Verstärkt wird dieses Herangehen auch durch den vorgelegten Artikel 15 - Änderung des Bundessozialhilfegesetzes -, in dem es heißt - ich darf zitieren,
Frau Präsidentin: "Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht nicht, wenn gegenüber dem Rehabilitationsträger nach § 6 Nr. 1 bis 6 SGB IX ein Anspruch auf gleiche Leistungen besteht." Der Nachrang, meine Damen und Herren, wird hier sogar noch einmal verfestigt, wobei aber nicht so sehr die Gliederung bzw. die Abstufung des Leistungssystems das eigentliche Problem ist. Das eigentlich Diskriminierende ist die Bedürftigkeitsprüfung und die Unterschiedlichkeit der Leistungskataloge der einzelnen Sozial- bzw. Rehabilitationsträger. Besonders problematisch ist es, dass gerade Menschen mit geistiger und/oder Mehrfachbehinderung Hilfen nach §§ 15 und 19 Eingliederungsverordnung erhalten, nicht von Artikel 15 des Sozialgesetzbuches IX erfasst werden und somit den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf die Kosten zur Hilfe des Lebensunterhalts und auf die Kosten für die jeweilige Einrichtung beschränken. Diese Menschen werden auch weiterhin an den Kosten zum Lebensunterhalt als auch an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligt. Dies trifft insbesondere die so genannten Schwächsten und vor allem auch den Förderbereich der Werkstätten für Behinderte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sich die Mühe gemacht und den über 175 Seiten umfassenden Gesetzentwurf gelesen hat, weiß, dass die Begriffsbestimmungen bzw. Definitionen für Behinderung, Teilhabe und Rehabilitation nicht eindeutig definiert sind. Hier hat der Gesetzgeber, so denken wir, seine Hausaufgaben noch zu erledigen. Genau auch dies kam in der öffentlichen Anhörung am 19. und 20. Februar, also am Montag und Dienstag der letzten Plenarwoche des Thüringer Landtags, als dieser Antrag nicht auf die Tagesordnung kam, im Deutschen Bundestag durch die Anzuhörenden ganz deutlich zum Ausdruck. Auch wir als PDS-Fraktion fordern eine eindeutige Begriffsklarheit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Punkt der Kritik nennen, und zwar die tatsächliche Sicherung des Vorrangs der ambulanten Hilfen. Für Menschen mit Behinderungen, die auch noch Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen müssen bzw. wollen, stellt dies ein wichtiges Problem dar. Das SGB XI - das Pflege-Versicherungsgesetz - ist zwar nicht Trägerin der Rehabilitation, aber in der Sache eng damit verknüpft. Wir sind der Auffassung, und das hat auch bereits die erwähnte Anhörung im Februar gezeigt, dass es hier eine genau definierte Abgrenzung der verschiedensten Sozialgesetzbücher geben muss, da Rehabilitation und Pflege nicht immer klar zu trennen sind. Wie es sich auch hier im Thüringer Landtag gezeigt hat, als ich zur Ausübung meines Mandats Assistenz benötigte, hat genau diese Frage eine Rolle gespielt. Würde das SGB IX diese Frage nicht klären, hätte es einen Teil seiner rechtlichen Ordnungsaufgaben verfehlt, also hier besteht notwendiger Handlungsbedarf. Besonders ambivalent scheint in diesem Zusammenhang der neue § 40 a des Bundessozialhilfegesetzes zu sein, der einerseits Einrichtungen der Behindertenhilfe, Pflegeleistungen im Sinne
des § 43 a SGB XI, also des Pflege-Versicherungsgesetzes umfasst und bei einer hohen Pflegebedürftigkeit eine Heimeinweisung unter Beachtung der Angemessenheit zur Folge haben kann. Wir sehen in diesem Zusammenhang die dringende Aufgabe, dass der nach § 3 a BSHG existierende Kostenvorbehalt von ambulanten gegenüber stationären Hilfen entfallen muss. Hierin kommt der relativ zynische Grundansatz zum Ausdruck, dass der Mensch, und gerade der, der auch noch behindert ist, unter einen inhumanen Finanzierbarkeitsvorbehalt gestellt wird. In dieser Ökonomisierung des Menschen kommt grundsätzlich zum Ausdruck, dass das SGB IX seinen Schwerpunkt in der Eingliederung behinderter Menschen in die Arbeitswelt hat, wie ich bereits schon erwähnt habe. Besonders deutlich wird dies an den aus dem Schwerbehindertengesetz diskriminierenden Regelungen, dass dem Betroffenen sämtliche Leistungen entzogen werden können, wenn ein zumutbarer Arbeitsplatz oder eine zumutbare Fördermaßnahme abgelehnt wird. Die Diskriminierung fängt hier bei der praktischen Einschätzung an. Was ist denn nun zumutbar? Damit habe ich persönlich leider auch schon meine "besten" Erfahrungen machen dürfen, als ich als Ingenieur einen Posten als Pförtner angeboten bekam und meinen Job als Sachbearbeiter eine Kellnerin bekam.
Sehr geehrte Damen und Herren, die einzelnen Artikel und Paragraphen wären in ihrer Gänze noch zu bewerten und zu kritisieren. Die PDS-Fraktion wird in den nächsten Wochen mit den Thüringer Behindertenverbänden und Selbsthilfegruppen zu diesem Gesetzentwurf noch ein intensives Gespräch führen und Änderungsvorschläge vorlegen, die die Landesregierung in einer Bundesratsinitiative einbringen möge und dies auch sinnvollerweise muss.
1. Ein seit über 30 Jahren gefordertes steuerfinanziertes Leistungsgesetz wurde durch die jetzige Bundesregierung nicht geschaffen.
2. Es wurde kein einheitliches Behindertenrecht mit der Priorität des selbstbestimmten Lebens, der selbstbestimmten Teilhabe in allen Bereichen vorgelegt.
3. Die auch durch die großen Verbände geforderte Herauslösung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung wurde nicht realisiert - und genau dies belastet die Kommunen finanziell insbesondere.
4. Die schwächste Gruppe der Menschen mit Behinderung, die Geistig- und Mehrfachbehinderten und ihre Angehörigen werden von diesem Gesetz keinen Nutzen haben.
6. Die Finanzierungs- und Zuständigkeitsprobleme zwischen Ländern und Kommunen, also zwischen überörtlichen und örtlichen Trägern der Sozialhilfe wurden keiner tragfähigen Lösung zugeführt.
7. Es droht durch den vorliegenden Gesetzentwurf weiterhin eine massive Begriffsunklarheit über Behinderung, selbstbestimmte Teilhabe und Rehabilitation.
Ich fasse noch einmal ganz kurz zusammen: Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Kritiken werden Sie so oder in ähnlicher Form von der CDU - Frau Arenhövel hat ja nun vor mir gesprochen -, aber auch von Teilen der SPD, Teilen der Grünen und von den Sozial-, Behindertenverbänden sowie Selbsthilfegruppen hören. Aber dabei darf es aus meiner Sicht nicht bleiben. Es müssen die Kräfte gebündelt werden, um diesen unzureichenden und an den Bedürfnissen behinderter Menschen vorbeigehenden Gesetzentwurf zu beeinflussen und auch zu verbessern, dass das neu zu schaffende SGB IX - das Sozialgesetzbuch der Behinderten - auch den Namen verdient, der mit der Überschrift "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" vorgetäuscht wird. Das SGB IX muss so geändert werden, dass der Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik auch in dem Sozialgesetzbuch der Behinderten durchgängig zu erkennen ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir diskutieren heute hier im Parlament über das Sozialgesetzbuch IX, ein Gesetzentwurf, der im Bundestag eingebracht ist und jetzt auch schon im Bundesrat inzwischen eingebracht wurde. Ich würde mir wünschen, dass die Diskussion zu diesem Gesetzbuch nicht nur in den Parlamenten stattfindet, sondern auch in einer breiten Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch in den Medien, denn 175 Seiten Gesetzestext sind die eine Seite. Dort kann man sicherlich das eine oder andere im Interesse der Behinderten regeln, aber die Integration und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit lässt sich nicht mit 175 Seiten Gesetzestext regeln und da wäre ich ganz dankbar, wenn doch eine öffentliche und breitere Diskussion zu diesem Thema stattfinden würde.
Herr Kollege Nothnagel ist zu Beginn seiner Rede auf den Termin der Einbringung des Antrags der PDS hier in den Thüringer Landtag eingegangen. Ich sage, im Februar war es zu früh und es war vor allen Dingen der falsche
Ort. Auch das hat der Kollege Huster aus Ihrer Fraktion schon festgestellt. Aber ich kann trotzdem hinzufügen, vieles von dem, was Sie hier vorgetragen haben, wird auch von Seiten der CDU begrüßt. Auch das, was von Ihrer Seite als Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgetragen wurde, aber es bleibt trotzdem, es ist ein Gesetz, was zwar Rechte festschreibt - ein Anspruchsgesetz -, aber an der Festschreibung der Leistungen, da lässt sich das Gesetz doch sehr deutlich messen. Und da sage ich, hat es noch sehr viele Defizite. Aber, da ist der Thüringer Landtag eigentlich nach meinem Dafürhalten die falsche Adresse.