Protokoll der Sitzung vom 06.04.2001

Meine Damen und Herren, in der Begründung dann auch noch die SED-Opfer aufzuführen, das zeigt doch die ganze Widersprüchlichkeit und Scheinheiligkeit Ihres Antrags. Er ist an Schamlosigkeit meiner Meinung nach kaum noch

zu überbieten.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte Ihnen einmal an zwei Beispielen nahe bringen, was es heißt, SED-Opfer zu sein und was es auch für uns für eine Bedeutung hat, durchaus die Biografien bei der Rentenbewertung zu berücksichtigen. 1969 wird eine 16-Jährige verhaftet; sie ist Schülerin der 9. Klasse und hat mit anderen zusammen westliche Sender gehört. Sie verweigerte die Unterschrift unter eine Jubeladresse zum Einmarsch in die CSSR 1968. Das reicht für eine Verurteilung zu 6 Monaten Haft, die sie nicht in einem der Jugendgefängnisse verbringt, sondern in einem Frauengefängnis. Sie trägt schwere körperliche und psychische Schäden davon. Nach der Entlassung aus der Haft ist es der Frau kaum möglich, wieder Fuß zu fassen. Sie hat keinerlei Chancen. Sie ist zwar als verfolgte Schülerin rehabilitiert, aber Ausgleichsleistungen bekommt sie auch nicht. Oder ein junger Heizer hört regelmäßig "RIAS" und diskutiert mit den Kollegen darüber. Eine Denunziation brachte ihn 1965 für 8 Monate ins Gefängnis. Später qualifizierte er sich in zahlreichen Lehrgängen, aber immer, wenn es zur Abschlussprüfung kam, wurde ihm die Prüfungszulassung verweigert. So einer kann kein sozialistisches Kollektiv leiten.

Ja, meine Damen und Herren, wie gehen wir mit solchen Biografien um? Herr Ramelow, ist es denn nicht vorprogrammiert, dass gerade diesen Menschen eine Altersarmut droht nach den gesetzlichen Regelungen? Und nach dem, was Sie hier vorschlagen, begünstigen Sie die Täter; denen wollen Sie mehr geben.

(Beifall bei der CDU)

Das ist doch der Inhalt Ihres Antrags. Nein, wir müssen endlich einmal begreifen und diese andere Seite sehen. Wenn Frau Bechthum hier sagt, ja, die CDU-Regierung hätte versagt, Frau Bechthum - sie ist jetzt im Moment nicht mehr im Raum -, dazu möchte ich doch auch noch einmal Stellung beziehen. 1990 war die Bundesregierung unter Führung von Herrn Dr. Kohl in einer exzellenten finanziellen Verfassung. Die deutsche Einheit haben wir mit vollem Herzen aufgenommen und die hat der deutsche Bundeskanzler damals extensiv vorangetrieben und ganz engagiert vorangebracht. Das hat natürlich auch sehr viel Geld gekostet, das muss man schon sagen. Gerade die Rentengesetzgebung war einer der wichtigsten Meilensteine und wurde am stärksten präferiert und ist auch hervorragend umgesetzt worden. Fragen Sie doch einmal die Leute hier draußen, den allermeisten Rentnern geht es doch wirklich gut. Das ist ein Verdienst der Regierung Kohl. Das darf man doch hier nicht unter den Teppich kehren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich kann dazu nur sagen, sorgen Sie doch dafür - beide Seiten dieses hohen Hauses, SPD und PDS spreche ich jetzt einmal an -, dass dem Gesetzentwurf über eine Ehrenpension zugestimmt wird. Dann können...

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Noch nicht mal Ihre Fraktion ist bereit, diesen Ent- wurf von Herrn Nooke einzubringen.)

Natürlich, die Fraktion hat eine Anhörung gemacht und will diesen Gesetzentwurf einbringen. Wir werden aus Thüringen diesen sehr aktiv begleiten und unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Moment, eines habe ich natürlich vergessen zu sagen. Aufgrund der Tatsachen, die hier diskutiert worden sind, lehnt meine Fraktion Ihren Antrag selbstverständlich und rigoros ab.

(Beifall bei der CDU)

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Thierbach zu Wort gemeldet.

Meine Damen und Herren, im letzten Jahr, viele Monate bevor die Zeit begann zu drängen, um das Urteil umzusetzen, wurde der PDS-Fraktion noch vorgeworfen, wir hätten den Antrag abgeschrieben. Das konnte nicht bestätigt werden. Ich glaube, eines stört Sie so vehement, dass wir uns zum einen zu einer Verantwortung bekennen - auch für Geschichte der DDR - und zum anderen aber nicht locker lassen, nicht zuzulassen, dass neues Unrecht entsteht, weil man mit den gleichen Mitteln wie zu DDR-Zeiten versucht, heute Biografien zu bewerten.

(Beifall bei der PDS)

Es ist tatsächlich 20 Monate her, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, und zwar ist es so lange her, dass manche gar nicht mehr den Inhalt vollständig wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat im April 1999 nämlich wesentliche Regelungen zur Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zahlreichen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in das gesamtdeutsche Rentenversicherungssystem für mit dem Grundgesetz unvereinbar oder zum Teil nichtig erklärt. Allein dieses müsste Ihnen doch auch Anliegen sein, so schnell wie möglich diese Konformität mit bestehendem Recht herzustellen.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für Sozi- ales, Familie und Gesundheit: Das machen wir doch.)

Wir kommen noch dazu, machen wir doch. Der vorliegende Gesetzentwurf, und das ist unsere Kritik, orientiert sich eben eng nur an zwingenden, und zwar ausschließlich an den zwingenden verfassungsrechtlichen Anforderungen und bleibt an manchen Stellen hinter dem Urteil zurück. Und was bedeutet das?

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für Sozi- ales, Familie und Gesundheit: Nein.)

Behaupten Sie doch nicht nein, noch ist dieses Gesetz in zweiter Lesung nicht verabschiedet und noch findet keine Bewertung des tatsächlich verabschiedeten Gesetzes statt. Wenn es unterschiedliche Auffassungen, inwieweit das Urteil umgesetzt wird und werden kann, gibt, dann seien Sie doch wenigstens bereit, über den Unterschied in der Systematik zwischen zwingend und Möglichkeiten des Urteils in Bezug auf Lücken mit zu diskutieren, und schließen Sie nicht immer schon, bevor Sie ein Ergebnis haben, Ihren politischen Willen auf so ein enges Ergebnis ein, dass man letztendlich heute schon leider rekapitulieren kann und fragen muss, wollen Sie wieder eine Klagewelle eröffnen?

Sind Sie bereit, wieder Bürgern, die über 60 sind - manche erleben es nicht mehr -, den Gang durch sämtliche Instanzen der Gerichte zuzumuten, um dann wieder über ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zu merken, dass das Gesetz wieder geändert wird. Beteiligen Sie diejenigen, die es können, anders an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs und Sie werden nicht in diese Probleme kommen.

(Beifall bei der PDS)

Rentenrechtlich hat das Bundesverfassungsgericht nämlich entschieden, dass ebenfalls nicht durch Leistung begründete Entgelte bei der Rentenberechnung nicht vollständig unberücksichtigt bleiben dürfen. Das ist eine ganz andere Diktion. Wenn nämlich nicht nachgewiesen werden kann...

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Ja, bitte nur zu.)

Na, Frau Arenhövel, heulen Sie ruhig weiter in dieser ironischen Art. Ich bin jedenfalls bereit, auch Ihre Stellungnahme so zu veröffentlichen, dass andere sich ein pures Urteil bilden können, und Sie nicht in die Gefahr laufen, draußen so und drinnen so reden zu müssen.

(Beifall bei der PDS)

Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass in bestimmten Bereichen oder bei bestimmten Berufsgruppen überhöhte Gehälter gezahlt wurden, ist eine Entgeltkürzung unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht zulässig. Dieses hat das Verfassungsgericht festgelegt. Das ist der indirekte Nachweis, dass es genau diese Vorgehensweise bisher gab und immer noch gibt.

Kriterien wie Staatsnähe, staatstragende und systemerhaltende Tätigkeit oder Ausübung einer leitenden Funktion sind nicht geeignet, eine Differenzierung der Rente zu begründen. Und weil dieses eben in dem Urteil steht, müssen Sie sich, ob es Ihnen gefällt oder nicht, davon verabschieden, über das Rentenrecht DDR-Biografien bestimmen zu wollen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Minister Pietzsch, Sie haben natürlich Recht, das nehme ich auch keinem im Landtag übel, dass es nicht alle wissen, dass das AAÜG tatsächlich aus dem August 1990 stammt. Natürlich ist es ein Ergebnis der letzten Volkskammer, und natürlich hat die letzte Volkskammer der DDR gerade im Umgang mit den ehemaligen Mitarbeitern des MfS und des AfNS eine andere Regelung in ihrem Gesetz festgeschrieben, als dann mit dem Einigungsvertrag festgestellt wurde. Sie wissen es genauso gut wie ich, dass im Gesetz der letzten Volkskammer, dem Vorreiter des AAÜG unter Eppelmann, nämlich genau schon die Differenzierung, wann überhöhte Rente nachgewiesen worden sind und wann nicht... Aber genau an dieses haben sich eben dann die Bundesregierung und der Bundestag nicht gehalten. Und weil sie sich daran nicht gehalten haben, haben wir nämlich heute genau diese Diskussion, ob man ehemaligen Mitarbeitern des MfS diese Rente zugestehen muss oder nicht. Es ist der eindeutige Nachweis, dass damit, mit dem Einigungsvertrag nämlich, im Verhältnis zur Entscheidung der letzten Volkskammer ein Nichteinhalten nachgewiesen wird. Und an der Stelle ist eben das Problem zu verzeichnen.

Mit dem AAÜG wurden rechtmäßig erworbene Ansprüche und Anwartschaften tatsächlich danach aberkannt. Es gab oft die so genannte normale Rente. Diese oft so genannte normale Rente betrachtete aber Ausbildungszeiten und Studienzeiten geringer, und wir hatten sogar das Phänomen, dass es letztendlich über die so genannte Systementscheidung Schlechterstellungen gab, die mit keinem Satz zu begründen sind, weil sie nämlich auf einer Beitragszahlung beruhen. Und das ist auch eine Crux: Alle unter erstens, zweitens und drittens Benannten haben ihre Ansprüche auf die Rente über Beitragszahlung erworben und nicht über staatsnahe oder funktionsbedingte Zulagen.

(Beifall bei der PDS)

Dieses wurde eben genau in der Volkskammer im August 1990 bereits beseitigt. Und deswegen ist es eine Frage, ob man tatsächlich diese Kalte-Kriegs-Mentalität in der Bewertung der Biografien weiter aufrecht erhalten wird.

(Beifall bei der PDS)

Für andere so genannte, ich möchte nur erinnern, es gibt 23 Zusatz- und Sonderversorgungssysteme.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Mehr noch.)

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für Sozi- ales, Familie und Gesundheit: Mehr noch gab es.)

Wie bitte?

23 ausgewiesene aus der DDR, das andere war eine der FZR gleichgesetzte Rente. Man muss auch in der Systematik genau hinschauen, um zu sehen, wie sich dieses zusammensetzt.

(Beifall bei der PDS)

Für Punkt 1 und 2 in unserem Antrag sind die so genannten staats- und systemnahen Mitarbeiter bzw. Bediensteten enthalten, die eine pauschalisierte Bewertung ihrer Einkommen erlebt haben. Sie wissen sicher, dass dort die bisher bestandsgeschützten Zahlbeträge von höchsten 2.010 DM nach Gesetzen der alten Bundesländer zu dynamisieren sind. Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ist auch wieder der Nachweis dafür, dass eine pauschalisierte Kürzung stattgefunden hat. Deswegen wollen wir auch genau diese Pauschalisierung aufheben.

Es gibt Elemente, die auch die PDS als spürbare Verbesserung erkennt,

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Ja, be- trifft!)

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Korrekt formuliert!)

und dies betrifft die Aufhebung der vorläufigen... Sprechen Sie doch lauter mit mir, Frau Arenhövel.

Ich fange noch mal an dieser Stelle an. Die einzig spürbare Verbesserung nach Auffassung der PDS-Fraktion betrifft die Aufhebung der vorläufigen Zahlbetragsbegrenzung für Leistungen aus dem so genannten nicht systemnahen Zusatzversorgungssystem sowie die Rentenansprüche der ehemaligen Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post.

Entsprechend dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 soll nun durch die über 600 DM hinausgehenden Entgelte maximal bis 1.250 DM bei denjenigen Personen anerkannt werden, die am 8. Januar 1974 bereits mindestens zehn Jahre ununterbrochen in den o.g. Bereichen beschäftigt waren. Sie gelten somit als die so genannten Altversorgten. Wer genau hinhört weiß, dass dies Formulierungen des Bestandsschutzes sind. Und dann zu sagen, es kann nicht aufgrund von Geldproblemen die Bestandsschutzregelung mehr geben, so wie es leider Frau Bechthum dargestellt hat, das ist ein bisschen eigenartig. Zum einen stellt es ein Bundesverfassungsgerichtsurteil fest und dann sagt man, ich habe aber kein Geld, also tue ich es nicht. Da ist auch der nächste Bruch vorprogrammiert. Ich wünsche mir nicht, dass auch hier wieder eine Klagewelle entstehen muss, wo heute 70-Jährige oft dann wieder alle Instanzen durchlaufen müssen.

Der vorliegende Antrag unserer Fraktion sollte in seinen drei Punkten namentlich und jeder Punkt einzeln abgestimmt werden. Warum wollen wir dieses? Weil wir glauben, bei den Punkten 1 und 2 sollte es Ihnen, obwohl Sie manchmal bereit sind, DDR-Biografien über Fremdenrecht zu bewerten, möglich sein, zuzustimmen. Sie brauchen nur hinsehen und sich vergegenwärtigen, welche Personen sich dahinter verbergen.