Protokoll der Sitzung vom 06.09.2001

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mündliche Anfrage der Frau Abgeordneten Nitzpon beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Die Landesregierung hat bereits in der Landtagssitzung am 14. Juni ganz klar Position bezogen, dass wir uns nämlich hier dafür aussprechen, erstens über den Bundesrat im Zusammenhang mit dem Zweiten Familienförderungsgesetz das Kindergeld in erheblicher Weise für alle Kinder, egal welcher Ordnungsnummer, ob es erste, zweite oder dritte Kinder sind, zu erhöhen und zweitens, langund mittelfristig auf die Einführung eines Familiengeldes hinzuwirken. Dies schicke ich einmal voraus.

Zu der konkreten Frage kann ich sagen, dass die Landesregierung bereits am 22. Juni, also kurze Zeit nach dieser Landtagssitzung, im Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Gemeinsam mit den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Saarland und Sachsen hat Thüringen bemängelt, dass eine Kindergelderhöhung für dritte und weitere Kinder in dem vorliegenden Bundesgesetz nicht vorgesehen sei. Die Landesregierung hat zugleich auch einen Antrag der Länder Baden-Württemberg und Bayern in der Sitzung des Bundesrats am 22. Juni 2001 unterstützt, der für das erste und für das zweite Kind jeweils 154       te und jedes weitere Kind jeweils 195    

sah. Beide Anträge, meine Damen und Herren, wurden ich verweise auf die Diskussion in der Plenarsitzung am 14. Juni 2001 hier in diesem Hause - von den Ländern, in denen die SPD mit Koalitionspartnern, u.a. auch mit dem Koalitionspartner PDS, regiert, abgelehnt. Das Gleiche gilt für den in der Sitzung des Bundesrats am 13. Juli 2001 gestellten Antrag der Länder Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Saarland und Sachsen zur Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung und damit zu einer erheblichen Verbesserung der Familienförderung beizutragen. Die Thüringer Landesregierung wird sich weiterhin aktiv für die Belange von Familien mit Kindern einsetzen, nicht nur im Bundesrat.

Es gibt eine Nachfrage. Bitte, Frau Abgeordnete Nitzpon.

Zum Verständnis frage ich Sie noch mal, ob ich das richtig verstanden habe. Sie haben also in einem Antrag etwas nur bemängelt und einem anderen Antrag Ihre Unterstützung gegeben, der eigentlich völlig andere Sätze vorgesehen hat.

Ich darf das, Frau Abgeordnete, vielleicht einmal klarstellen. Es geht darum, wir haben eine wesentlich höhere Erhöhung des Kindergeldes für alle Kinder, egal für welche Ordnungszahl - erste, zweite, dritte und vierte und weitere Kinder - vorgesehen. Das ist das, was wir an dem Gesetzentwurf ursprünglich der Bundesregierung bemängelt haben. Und dann haben wir in den Beratungen des Bundesrats einen ganz konkreten Vorschlag eingebracht, der zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geführt hätte, weil dann die Zustimmung zu dem Gesetz nicht erteilt worden wäre. Da ging es darum, dass neben der Erhöhung für die ersten und zweiten Kinder um umgerechnet 30 DM, die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten war, dann noch eine weitere Erhöhung entsprechend in dieser Größenordnung für dritte und weitere Kinder vorgesehen war. Das ist der Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern usw., den ich genannt habe. Da geht es also um die Erstreckung dieser 30-DM-Erhöhung auf die dritten und vierten Kinder. Auch das wurde von der Mehrheit im Bundesrat abgelehnt.

Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind für heute am Ende der Fragestunde angelangt und kommen zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 8: Thüringer Gesetz zur Umstellung der Geldbeträge von Deutsche Mark in Euro in Rechtsvorschriften. Das ist ein Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksa

che 3/1683.

(Zwischenruf Abg. Stauch, CDU: Und die Aktuelle Stunde lassen wir weg?)

Ich dachte, die schließen wir jetzt erst um 15.00 Uhr an. Okay, gut, wenn das so sein soll, dann soll das so sein, gar keine Frage. Also, dann nehme ich den Tagesordnungspunkt 8 zurück und rufe auf den Tagesordnungspunkt 30

Aktuelle Stunde

a) auf Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: "Ausbildungsplatzdefizit und Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit in Thüringen" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/1733

Als Erste hat sich zu Wort gemeldet Frau Abgeordnete Wackernagel. Bitte schön, Frau Wackernagel.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben im Juni im letzten Plenum den Antrag der PDS-Fraktion zur Ausbildungssituation in Thüringen und zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit in diesem Haus beraten. Heute haben wir dieses Thema wieder auf der Tagesordnung, aber mit dem Unterschied, dass der Begriff "Ausbildungssituation" in der Formulierung in den Begriff "Ausbildungsplatzdefizit" gewandelt wurde. Ich habe mich im Juni in diesem Haus dafür ausgesprochen, dass wir dieses Thema im Herbst wieder auf die Tagesordnung nehmen. Mein Vorschlag ist deshalb für den Herbst zustande gekommen, weil das Berufsberatungsjahr am 30. September dieses Jahres uns die Zahlen gibt, die wir vergleichen können, wie viele Jugendliche bis zum Ende des Berufsberatungsjahres überhaupt in Ausbildung kommen bzw. wie viele unvermittelt sein werden. Wahrscheinlich ist es den frühen Ferien im Lande Thüringen zu verdanken, dass die PDS das Thema einfach jetzt auf die Tagesordnung gesetzt hat und das Berufsberatungsjahr auf die Tagesordnung des Landtags genommen hat. Gestern hat ja die Bundesanstalt für Arbeit die aktuellen Zahlen genannt und veröffentlicht. Ich kann eben auch nur sagen, der Ausbildungsstellenmarkt und der Arbeitsmarkt sind sehr gespalten. Wir wissen, dass erst im September automatisch mit dem Schluss der Vermittlung überhaupt etwas gesagt werden kann bzw. wissen wir im Dezember, wie es im Ausbildungsstellenmarkt aussieht und welche Bewegung da überhaupt ist.

Ich bedaure das sehr, dass wir nicht genügend Ausbildungsstellen haben. Ich bin trotzdem immer sehr optimistisch, dass es uns bis zum Jahresende gelingen wird, die unvermittelten Bewerber doch noch in irgendeine Ausbildung zu bekommen. Es ist für mich ein Wermuts

tropfen, dass es einen Rückgang der betrieblichen Stellen gibt, wobei ich hierauf vermerken möchte, dass ein Vergleich mit dem Vorjahr nur bedingt möglich ist, weil ja die außerbetrieblichen Ausbildungsstellen für die Rehabilitation nicht mehr in den betrieblichen Stellen enthalten sind. Außerdem möchte ich Ihnen sagen, dass der Baubereich in so einer misslichen Lage ist, dass auch die Ausbildungsstellen an dieser Stelle zurückgegangen sind und dass wir einfach auch da Veränderungen brauchen. Deshalb ist es ganz dringend notwendig, dass das von Ministerpräsident Dr. Vogel geforderte Sonderprogramm Ost in Angriff genommen wird. Die Arbeitslosenzahlen zeigen, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland insgesamt ins Stocken geraten ist. Die Arbeitslosenzahlen im August sind immer die höchst genannten Zahlen, die liegen immer über denen des Vorjahres. Deshalb könnte ich mir auch vorstellen, in einem Infrastrukturprogramm eine Besserung zu finden, die eingeläutet werden müsste, aber nicht so mit der ruhigen Hand, wie das jetzt im Moment vom Bund her getan wird.

(Beifall Abg. T. Kretschmer, CDU; Abg. Huster, PDS)

Ich kann nur noch einmal dazu aufrufen und meine Forderungen wiederholen, die ich im Juni hier gestellt habe bzw. die auch immer wieder an die Unternehmen gestellt werden, sich bereit zu erklären Ausbildungsplätze zu stellen. Ich möchte noch einmal darauf verweisen, dass die Landesregierung mit dem JET-Projekt einige Dinge auf den Weg gebracht hat, die weiterzuführen sind.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Nothnagel, Sie haben als Nächster das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie jedes Jahr zu Beginn eines neuen Ausbildungsjahres stehen wir in Thüringen vor dem alten und immer wieder gleichen Problem des Fehlens von betrieblichen Ausbildungsplätzen und einer weiter steigenden Jugendarbeitslosigkeit in Thüringen. Aber in diesem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren, befinden wir uns in einer besonders schwierigen Situation. Zum jetzigen Zeitpunkt beläuft sich das Ausbildungsplatzdefizit nach Schätzungen auf mindestens 3.000 Stellen, trotz leicht gesunkener Bewerberzahlen. Gestrigen Zeitungsmeldungen zufolge sind noch 5.300 Jugendliche suchend nach einer Ausbildungsstelle und es gibt in Thüringen noch 1.900 unbesetzte Ausbildungsplätze. Ich denke, Frau Wackernagel, Optimismus allein hilft uns da nicht weiter.

(Beifall bei der PDS)

40 Prozent der Hauptschüler haben noch keinen Ausbildungsplatz, das zeigt die besondere Dramatik der Situation - 40 Prozent der Hauptschüler - das war die Statistik Ende Juli. Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit stieg offiziell auf 13,8 Prozent, das sind 27.000 jugendliche Arbeitslose. Dabei sind die Jugendlichen, die von Sozialhilfe leben, noch nicht mit einberechnet. Dies sind immerhin noch einmal 10.000. Demgegenüber stieg die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in Thüringen im April dieses Jahres um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, was auch heute das Landesamt für Statistik ausgewiesen hat. Wir wissen, dass hinsichtlich der Schaffung von Ausbildungsplätzen auch durch die Landesregierung und in Zusammenarbeit mit den Kammern viel getan wird und sich viele Institutionen und Menschen in der Administration mit diesem Problem beschäftigen. Problematisch hierbei ist jedoch, dass es kaum eine Vernetzung gibt. Dies ist aus meiner Sicht ein strukturelles Missmanagement, das leider zu Lasten der jugendlichen Auszubildenden in Thüringen geht.

(Beifall Abg. Nitzpon, PDS)

Die eben genannten Zahlen von fehlenden Ausbildungsplätzen und die steigende Quote der Jugendarbeitslosigkeit zeigt dieses Problem sehr deutlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Landesregierung, unternehmen Sie endlich etwas gegen die untragbare Situation! Oder wollen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, die Situation bis zum Jahre 2006 auszusitzen? Wenn durch die geburtsschwachen Jahrgänge die Bewerberzahlen zurückgehen und

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Jedes Jahr das Gleiche, Sie müssen doch auch einmal sagen, es hat geklappt.)

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Alle Jahre wieder.)

Sie haben es doch nicht begriffen, wir müssen denen das scheinbar immer wieder sagen

(Beifall bei der PDS)

sich dieses Problem auf natürliche Art und Weise selbst zu lösen scheint. Doch, was ist bis dahin mit den betroffenen Jugendlichen? Auf der anderen Seite wiederum gibt es dann das Problem des Fachkräftemangels in Thüringen, welches sich, wenn Sie, meine Damen und Herren der Landesregierung, es auch aussitzen, wiederum verschärfen wird. Zusätzlich zu diesen beiden Problemen haben wir immer noch die stärker zunehmende Arbeitsemigration in die alten Bundesländer, welche noch von den Arbeitsämtern finanziell gefördert und somit auch unterstützt wird. Die Bemühungen sowohl auf Bundes- und Landesebene sind offensichtlich unzureichend. Die Landesregierung müsste ihren Kurs, Unternehmen mit Glacé

handschuhen anzufassen, um sie nicht zu verärgern, ändern. Unternehmen müssten mehr für ihre eigene Zukunft und auch für die Zukunft Thüringens in Verantwortung genommen werden. Das fehlende Verantwortungsbewusstsein zeigt sich heute insbesondere, ich hatte es vorhin schon erwähnt, in dem Fachkräftemangel. Betriebliche Ausbildung muss schon im eigenen Interesse der Unternehmen im Vordergrund stehen, um eine praxisnahe Ausbildung zu gewähren.

Sehr geehrte Damen und Herren, um die prekäre Situation zu ändern, muss die Wirtschaft Thüringens stärker in die Ausbildungsverantwortung genommen werden, um den Anteil der immer stärkeren überbetrieblichen Ausbildung zu senken. Ende Juli dieses Jahres lag der Anteil der betrieblichen Ausbildungsverhältnisse bei gerade einmal 45 Prozent des gesamten Ausbildungsvolumens. Der Anteil der betrieblichen Ausbildung muss unbedingt erhöht werden. Herr Minister Schuster, die Situation in diesem Jahr ist mehr als prekär und verlangt ein entschlossenes und auch strukturiertes Handeln. Die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung greifen nicht ausreichend.

Bitte, Herr Abgeordneter Nothnagel,...

Wie wollen Sie diese Situation lösen? Tun Sie endlich etwas für die Zukunft der Jugend in Thüringen und insbesondere für die Hauptschulabgänger. Legen Sie uns Vorschläge zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor

(Beifall bei der PDS)

und erklären Sie uns, wie Sie dem Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze entgegenwirken wollen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Wehner das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werter Kollege Nothnagel, Sie haben Recht, es ist jedes Jahr das Gleiche hier. Sie erzählen jedes Jahr dieselben Storys, so nach dem Motto - wir haben ein Riesenproblem hier, weil Sie irgendwelche Statistiken des Juli bemühen, obwohl die reale Lage dann erst aus den Zahlen im November ablesbar ist. Ich bin mit Ihnen eigentlich nur in einem Punkt einverstanden; die Unternehmen müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. Ich kann an die Thüringer Wirtschaft nur appel

lieren, daran zu denken, dass in nicht allzu ferner Zeit die Anzahl der Bewerber sehr stark zurückgeht.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Es muss stärker entlastet werden!)

Nun hat aber natürlich die Thüringer Wirtschaft das Problem, wie die Wirtschaft in diesem Land generell. Wir leben nicht in einem Raum, wo wir von Bundesgesetzgebung nicht betroffen wären.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Richtig!)

Wenn in Deutschland die gesamtwirtschaftliche Lage immer schwieriger wird, die Arbeitslosenstatistik hat das doch deutlich bewiesen, dann kann das natürlich nicht an den Thüringer Firmen vorbeigehen.

(Beifall Abg. T. Kretschmer, CDU)

Damit wird natürlich die Ausbildungsbereitschaft der Firmen nachhaltig geschädigt. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, diese Politik der ruhigen Hand, die wir da seit einiger Zeit erleben, wo immer wieder gesagt wird, man muss nichts tun, man darf nicht verunsichern, den Mittelstand am besten noch mehr belasten, auf keinen Fall weiter entlasten, noch irgendwelche anderen Gesetzlichkeiten, um die Wirtschaft letztendlich zu belasten, einführen. Ich erinnere bloß an die Diskussion um die LKW-Maut, die vor kurzem wieder begonnen wurde. Wenn Sie die Wirtschaft immer stärker belasten, wird das nie dazu führen, dass Sie die Ausbildungsbereitschaft in der Wirtschaft letztendlich erhöhen.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen auch hier ganz deutlich, die Lösung können nur betriebliche Ausbildungsplätze sein. Die überbetrieblichen Ausbildungsplätze sind wichtig und richtig in einer Zeit, wo wir ein Defizit an betrieblichen haben. Sie können aber nicht die Lösung des Problems sein. Denn in Ihrem Antrag steht ja schon richtig auch was von Jugendarbeitslosigkeit drin. Es ist nun mal das Beste, wenn man in einem Unternehmen gelernt hat, weil dann der Übergang in das Berufsleben am einfachsten letztendlich sich gestaltet. Aber der Staat ist gefordert und der Freistaat hat das über Jahre getan und hat das große Defizit dadurch geschlossen, indem man überbetriebliche Ausbildungsplätze gefördert hat. Wir fördern Ausbildungsverbünde; auch das sind natürlich betriebliche Ausbildungsplätze und dort muss natürlich auch verstärkt noch bei den Unternehmen geworben werden, dass man sich zusammenschließt und über diese Verbünde dann auch Ausbildungen absichert, die man allein aus eigener Kraft in dem Unternehmen nicht machen kann.