Protokoll der Sitzung vom 08.11.2001

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Dr. Wildauer zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn ich nicht genau wüsste, dass die Landesregierung selbst Änderungsbedarf der Kommunalordnung sehen würde, müsste ich annehmen, dass Sie, Herr Kollege Böck, die bestehende Kommunalordnung wirklich als die Idealverfassung für die Kommunen sehen.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das ist nicht wahr; das habe ich in keinem Punkt gesagt.)

Ich habe gesagt, Sie haben den Eindruck erweckt. Sie reden, als hätte es keine Arbeitsgruppe des Innenministeriums gegeben,

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das habe ich genannt.)

die die Kommunalordnung überprüft hat und annähernd 100 Änderungsbedarfe bei der Überprüfung gesehen hätte.

Sie unterstellen letztendlich der PDS, dass sie das Kommunalrecht auf den Kopf stellt, aber im Grunde genommen gestehen Sie uns doch eigentlich gar nicht zu, dass wir so etwas überhaupt auf die Bühne bringen dürfen, dass wir so etwas überhaupt einreichen dürfen.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das behaup- ten Sie!)

Ja, das behaupte ich jetzt. Und wenn ich Ihre Behauptungen jetzt alle hernehmen wollte und auseinander dividieren, dann würden wir uns wirklich in einen Streit begeben, den ich jetzt hier nicht willens bin zu führen.

(Beifall bei der PDS)

Wir legen in der heutigen Plenartagung unseren Gesetzentwurf zur Änderung der Kommunalordnung vor. Wir folgen damit der SPD, das ist durch Herrn Schemmel deutlich gesagt worden, die bereits vor der parlamentarischen Sommerpause ihre Gesetzesinitiative zur Änderung der Kommunalordnung gestartet hat, und die Landesregierung wird ihren Entwurf demnächst auch einbringen.

Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf wollen wir ein Kommunalrecht in Thüringen schaffen und jetzt betone ich noch einmal, was Sie erregt hat, Herr Böck -, das modern ist und den Kommunen eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht. Der kommunalrechtliche Rahmen ist für die Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung nur eine Säule, wenn auch eine sehr wichtige. Und genauso bedeutsam ist eine ausreichende Finanzausstattung, aber dieses Thema behandeln wir heute nicht.

Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf enthält in der Summe etwa 200 Einzeländerungen und zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass damit die jetzige Kommunalordnung nicht nur geändert wird, sondern de facto ein neues Kommunalrecht geschaffen würde. Und dem ist so, und das ist gerade unser Anliegen.

(Beifall bei der PDS)

Wir meinen auch, Thüringen braucht ein neues Kommunalrecht.

(Beifall bei der PDS)

In der heutigen ersten Lesung ist es überhaupt nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, die einzelnen Neuregelungen, die wir vorschlagen, hier zu erläutern. Wir

gehen davon aus, dass dies in weiteren differenzierten Beratungen erfolgt. Auch denken wir, dass im Rahmen einer öffentlichen Anhörung ebenso über unsere Einzelvorschläge diskutiert und gestritten werden kann.

Ich möchte nur zu ausgewählten Komplexen einige Anmerkungen machen. Einigkeit besteht darin, dass in der Kommunalordnung einige Regelungen zur Verbesserung des Gesetzesvollzugs geändert werden müssen. So müssen die Bestimmungen für die Nichtannahme des kommunalen Mandats konkretisiert werden. Es kann doch nicht sein, dass zwar Mitarbeiter der Rechtsaufsichtsbehörde das Mandat nicht annehmen können, aber deren Dienstvorgesetzte sehr wohl. Auch die Praxis, dass ehrenamtliche Bürgermeister als Arbeiter in einem gemeindlichen Bauhof tätig sind, müsste unserer Auffassung nach ein Ende haben. Durch den Bevölkerungsrückgang würde sich bei der nächsten Kommunalwahl der Stadtrat Erfurt von 50 auf 46 Mitglieder verringern. Der Arbeitsumfang aber bleibt bestehen. Ich nehme hier nur einmal ein Beispiel heraus. Zudem ist nicht zu erklären, weshalb z.B. der Landkreis Gotha, aus dem ich eben komme, mit weniger Einwohnern als Erfurt 50 Kreisräte hat. Hier meinen wir, dass einfach eine Angleichung notwendig und auch möglich wäre.

(Beifall bei der PDS)

Notwendig ist aus unserer Sicht auch eine Zeitbegrenzung für die Tätigkeit der Rechtsaufsichtsbehörden für die Bearbeitung von Beanstandungen bei Beschlüssen. Sicherlich ist es auch notwendig, über die Beanstandungsmöglichkeiten der Rechtsaufsichtsbehörden neu nachzudenken. Dabei halten wir es für problematisch, das bisherige Legalitätsprinzip vollkommen aufzuheben. Nach wie vor bestehen in kommunalen Entscheidungsprozessen rechtliche Unsicherheiten, die es gilt, auch beim Namen zu benennen. Hier zwischen wesentlichen und unwesentlichen Rechtsverstößen zu unterscheiden, wie dies im SPD-Vorschlag genannt wird, halten wir für problematisch.

(Beifall bei der PDS)

Wir meinen, dass die Bürger doch ein Recht darauf haben zu erfahren, wenn eine Kommune rechtswidrig gehandelt hat. Zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ist aus unserer Sicht notwendig, bisherige Genehmigungsverfahren, insbesondere bei der wirtschaftlichen Betätigung, in Anzeigeverfahren umzuwandeln. Auch im Anzeigeverfahren kann die Rechtsaufsichtsbehörde in ausreichender Weise einschreiten, wenn sie es für geboten hält. Wir sind für die Wiederaufnahme der Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion für die Landkreise. Diese bestand bis 1994 und soll gleichwertige Lebensverhältnisse in einem Landkreis sichern. Die Diskussionen zur Kreisumlage werden dadurch auch unter anderen Voraussetzungen, denke ich, zu führen sein.

Meine Damen und Herren, in einem zweiten Komplex wollen wir die Rechte gesellschaftlich bedeutsamer Gruppen

und das Ehrenamt stärken sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten für die Einwohner erweitern, also die kommunale Demokratie ausgestalten; genau das, Herr Kollege Böck, was Sie so eigentlich in den Schmutz getreten haben, wo Sie gesagt haben, das ist etwas ganz Schlimmes.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das ist wie- der nicht wahr. Ich bin gar nicht auf das Thema eingegangen.)

(Unruhe im Hause)

Aber über diesen Problemkreis wurde in den vergangenen Monaten ausführlich im Zusammenhang mit dem Volksbegehren diskutiert.

Moment mal bitte. Herr Abgeordneter Böck, Sie können gern noch eine Redemeldung abgeben, aber im Moment spricht Frau Abgeordnete Dr. Wildauer.

(Beifall bei der PDS)

Ich denke, dass es jeden Landespolitiker nachdenklich stimmen muss, wenn nachweislich in Thüringen die bürgerunfreundlichsten Regelungen bezüglich Bürgeranträgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bestehen. Die Zulassungs- und Mindestzustimmungsquoren sind im Vergleich zu anderen Bundesländern viel zu hoch, hinzu kommt der viel zu strenge Negativkatalog. So können in Thüringen Bürger kaum ein Bürgerbegehren auf den Weg bringen, welches in irgendeiner Form finanzielle Folgen hat.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Ja.)

Ja, sagen Sie, aber selbst eine Straßenumbenennung wäre da problematisch, Herr Kollege Böck, weil die Gemeinde doch darauf verweisen kann, dass das mit Kosten verbunden ist oder etwa nicht? Dann ist es auch nicht möglich. Wer solche Beteiligungsmöglichkeiten anbietet, fördert nicht die kommunale Demokratie, sondern beoder verhindert sie. Wie soll man beispielsweise den Bürgern im Landkreis Weimarer Land erklären, dass sie zu Fragen der Abfallwirtschaft kein Bürgerbegehren durchführen können, aber die Bürger aus Weimar dürfen das? Das ist genau das, was Sie letztlich auch mit kritisiert haben, weil wir in die Kreise gehen wollen.

Wir halten die Senkung der Quoren für geboten und auch die Entschärfung des Negativkatalogs.

(Beifall bei der PDS)

Zudem wollen wir diese Beteiligungsmöglichkeiten eben auch auf Landkreisebene ausweiten. In Hessen ist es

beispielsweise so und in anderen Ländern auch, aber in Thüringen führt kein Weg rein. Was die CDU und die Landesregierung in diesem Bereich wollen, wissen wir bereits und diese Vorstellungen lehnen wir ab. Wer Quoren formell etwas senkt, aber dafür das Verfahren der Unterschriftensammlung verschärft, der täuscht die Bürger und boykottiert die kommunale Demokratie oder was da noch von ihr übrig ist.

(Beifall bei der PDS)

Durch die Einführung eines kommunalen Petitionsrechts regeln wir das Verfahren, wie die Kommunen mit Hinweisen, Anregungen, Kritiken der Bürger umzugehen haben. Auch das ist wichtig für das Verhältnis zwischen Einwohnern und Kommunen.

(Beifall bei der PDS)

Ich erinnere daran, ich habe es in der 1. Legislatur erlebt in den Kreisen, es gab dieses Petitionsrecht und es hat sich auch im Kreis sehr gut bewährt. Manches würde von dem Petitionsausschuss hier ab- und weggenommen werden, wenn wir das in den Kommunen hätten. Dieses Verhältnis wird auch dadurch bestimmt, wie die Kommunen ihre Bürger in die Satzungsverfahren einbeziehen. Die Erfahrungen mit dem Satzungserlass gerade dort, wo Kommunalabgaben erhoben werden, belegen, dass eine frühzeitige Bürgerbeteiligung notwendig ist. Diese Beteiligung muss bereits vor der Beschlussfassung erfolgen. Bisher haben die Bürger die Satzung immer erst mit der Veröffentlichung zur Kenntnis nehmen können. Dies wollen wir ändern.

(Beifall bei der PDS)

Noch etwas stärkt die kommunale Demokratie, dies sind öffentliche Ausschuss-Sitzungen. Ja, öffentliche, und wir sagen auch, alle Ausschuss-Sitzungen, auch die der beratenden Ausschüsse, weil wir meinen, dass die Akzeptanz kommunaler Entscheidungen wächst, wenn der Bürger nachvollziehen kann, wie sie zustande gekommen sind. Dieses wird durch öffentliche Sitzungen befördert. Befürchtungen, dass durch die Öffentlichkeit eventuell die kommunalen Mandatsträger in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst werden könnten, sind aus unserer Sicht unbegründet. Unsere Bürger - und da dürfen wir sie nicht unterschätzen - haben auch Verständnis für unpopuläre Entscheidungen, wenn ihnen Zusammenhänge erläutert werden.

Meine Damen und Herren, hier sollten wir einfach mehr Vertrauen in die Bürger haben. Wenn tatsächlich schutzwürdige Sachverhalte in Ausschuss-Sitzungen behandelt werden müssen, dann bleibt es doch bei der Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen. Diese Möglichkeit schließen wir doch nicht aus in unserem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der PDS)

In einem dritten Komplex wollen wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Organen der Kommune schaffen. Bürgermeister und Landrat auf der einen Seite sowie Gemeinderat und Kreistag auf der anderen Seite sind kommunalrechtlich gleichberechtigte Organe. Dies muss sich auch bei den Rechten und Pflichten widerspiegeln. Die kommunale Praxis belegt, dass gegenwärtig Bürgermeister und Landräte gegenüber den Vertretungen eine dominierende Stellung einnehmen. Ja, dies muss in Teilen, Herr Kollege Böck, meinen wir, korrigiert werden. Ich weiß aus Diskussionen, dass dies für einen Bürgermeister nicht leicht zu verstehen ist. Mir hat neulich einer unserer Leute im Zusammenhang mit der Diskussion dazu vorgeworfen, wozu denn künftig dann ein Bürgermeister überhaupt noch nütze sei. Aber dabei geht es uns überhaupt nicht um einschneidende Begrenzung der Rechte der Bürgermeister und der Landräte. Ihre Position bleibt doch im Grundsatz erhalten. Es geht tatsächlich nur um Modifizierung. Was ist denn dabei, wenn jedes Gemeinderatsmitglied gegenüber dem Bürgermeister ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht erhält? Wird dadurch der Bürgermeister geschwächt? Wir sagen Nein. Das Gemeinderatsmitglied kann sachgerecht sein Mandat wahrnehmen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei der PDS)

Weshalb soll die Stellung des Bürgermeisters geschwächt werden, Herr Böck, wenn er beispielsweise nicht Tagungsleiter der Sitzung sein kann? Hier wird der Bürgermeister sogar von formellen Sitzungsanforderungen befreit, entlastet. Er kann sich viel besser auf den Inhalt der Sitzung konzentrieren.

(Beifall bei der PDS)

Auch sehen wir keine Schwächung des Bürgermeisters dadurch, dass er nicht mehr Pflichtmitglied in jedem Ausschuss sein soll. Er kann an allen Ausschuss-Sitzungen teilnehmen und er kann auch überall seine Meinung sagen und hat auch andere Möglichkeiten, um diese Ausschussarbeit zu beeinflussen. Durch die Angleichung der Amtszeiten der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte an die der Vertretung wird der Bürgermeister auch nicht geschwächt. Diese Angleichung ist aus unserer Sicht sachgerecht eben auch wegen des Gleichgewichts beider kommunaler Organe.

(Beifall bei der PDS)