Das Anliegen der Stärkung direkter Demokratie ist unter allen Umständen wert, parlamentarisch weiter vorangetrieben zu werden. Die Unterschriften von mehr als 380.000 Menschen in diesem Land sind eine an Deutlichkeit wohl kaum zu übertreffende Aufforderung an uns.
Wir sind damit aufgefordert, diesem für unmissverständlich geäußerten Anliegen zum Erfolg zu verhelfen. Wir sind aufgefordert, "Mehr Demokratie in Thüringen" Wirklichkeit werden zu lassen. Dazu sind Verfassungsänderungen notwendig, die Plebiszite tatsächlich erleichtern, praktisch erst möglich machen.
Sehr geehrter Herr Kollege Wetzel, wenn Sie davon ausgehen, dass wir nur vordergründig auf das Urteil des Verfassungsgerichts reagiert hätten, dann bitte ich Sie, den
Gesetzentwurf doch etwas gründlicher auch auf seine Intentionen hin zu betrachten. Eines muss ich Ihnen aber ganz klar sagen: Wir haben diesen Gesetzentwurf keinesfalls nur deswegen eingebracht, um auf die Vorschläge der CDU-Fraktion zu reagieren, auf die Vorschläge der CDUFraktion haben wir in der vorletzten Parlamentssitzung reagiert. Ich hoffe, dass Ihnen das ausreichend in Erinnerung geblieben ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt die Vorgaben des Verfassungsgerichts in seinem Urteil zum Volksbegehren genau. Diese begründen im Wesentlichen die Unterschiede zwischen dem vorliegenden und dem ursprünglichen Entwurf. Das Gericht hatte ja in Auslegung von Bestimmungen der Landesverfassung entschieden, Teile des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens stellten Verstöße gegen diese Verfassung dar. Das war nicht nur für die Verfechter und Unterstützer des Volksbegehrens, sondern auch für diejenigen, die mit ihrer Unterschrift dieses Anliegen befördern wollten, schwer zu verstehen. Sie konnten doch mit einiger Berechtigung darauf verweisen, dass Staaten mit längerer Tradition in Sachen Demokratie und direkter Demokratie noch viel weiter gehendes mit Erfolg praktizieren, als das, was für Thüringen vorgeschlagen war. Aber das Weimarer Gericht wollte, obwohl juristisch-dogmatisch möglich, mit seinem Urteil keine Rechtsprechungslinie neuer Art eröffnen, nämlich die, die der direkten Demokratie entgegenkäme, der Mitsprache, der Selbstentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern in politischen Angelegenheiten mehr Wirkungsspielraum verschafft hätte. Genauso fest steht aber auch, zu einer funktionierenden Demokratie gehört auch der uneingeschränkte Respekt vor dem Prinzip der Gewaltenteilung. Das heißt, das Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist in seiner Funktion und in seiner Wirkung zu respektieren, selbst wenn man zu den legitimen Kritikern einer solchen Entscheidung zählt. Und der Respekt vor der Unabhängigkeit der dritten Gewalt, der Gerichte und ihrer Rechtsprechung, ist ein für die Demokratie so unverzichtbares Prinzip, dass es auch in Thüringen uneingeschränkt und in jedem Fall und von jedem, der sich als wirklicher Demokrat versteht, zu befolgen ist. Genau das ist dann aber, Herr Kollege Wetzel, auch ein Grund, weshalb Ihre Annahme, dass wir nur vordergründig auf das Urteil reagiert hätten, falsch ist.
Der Gesetzentwurf zur Entwicklung direkter Demokratie in Thüringen ist daher von zwei Prinzipien geprägt. Zum einen will er dem breiten Bürgerengagement in dieser Sache auf parlamentarischem Wege zum Erfolg verhelfen, zum anderen werden die Vorgaben des Verfassungsgerichts notwendigerweise berücksichtigt. Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund nochmals auf die wichtigsten Punkte des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehen. Für einfache und verfassungsändernde Gesetze im Rahmen eines Volksbegehrens werden unterschiedliche Unterstützungsquoren festgesetzt - 7 Prozent für einfache, 10 Pro
zent für verfassungsändernde Gesetze. Dieses Splitting ist ungewöhnlich, verglichen mit den Regelungen in anderen Bundesländern, aber durchaus rechtlich zulässig, kommt so doch die unterschiedliche Wertigkeit der beiden Gesetzesarten zum Ausdruck, was unter anderem ja auch vom Verfassungsgerichtsurteil verlangt worden war. Im Übrigen wird mit der Anhebung der Unterstützungsquoren der Forderung des Verfassungsgerichts Rechnung getragen, die Volksbegehren mit einer ausreichenden Legitimation zu versehen. Dagegen wird auch im vorliegenden Entwurf daran festgehalten, dass beim Volksentscheid zu einfachen Gesetzen kein Zustimmungsquorum, aber bei verfassungsändernden Gesetzen entsprechend den Vorgaben verschiedener Verfassungsgerichte ein Quorum von 25 Prozent gelten soll. So wird dem urdemokratischen Grundsatz, dass die Zustimmung der einfachen Mehrheit eine Entscheidung legitimiert, so weit wie möglich Rechnung getragen. Generell nämlich bergen Zustimmungsquoren die Gefahr in sich, dass sie Abstimmungsgegner zu taktischen Tricks, wie Abstimmungsboykotts, verleiten. Außerdem verleihen sie dem passiven Bürger, der sich an der Sache nicht beteiligen will, einen unangemessen hohen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis. Demokratie aber soll immer das Ergebnis des Handelns und des aktiven Engagements ihrer Bürgerinnen und Bürger im Auge haben. Der geforderten Sicherung des Legitimationsniveaus eines Volksbegehrens dient auch der Verzicht auf die Verlängerung der Sammlungsfrist. Es soll nun weiterhin bei der Frist von vier Monaten bleiben, so wie momentan in der Verfassung geregelt. An dieser Stelle erlauben Sie mir, Herr Kollege Wetzel, dass ich Sie korrigiere. Es stimmt nicht, dass zehn von sechzehn Landesregelungen festlegen, dass die Stimmen in Amtsstuben gesammelt werden müssten. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass sehr häufig Regelungen vorgesehen sind, die es den Initiatoren erlauben, zu entscheiden, wo sie sammeln möchten. Sie können sich in diesem Falle natürlich, wenn Sie wollen, für die Amtsstuben entscheiden. Dennoch ist Ihre Aussage, die Sie vorhin zum Verhältnis Amtsstubensammlung zu Straßensammlung getroffen haben, sachlich falsch. Demgegenüber ist aber den Einreichern des Gesetzentwurfs das Festhalten an der Straßensammlung besonders wichtig.
Gerade die offene und breite öffentliche Diskussion eines Themas bzw. eines Anliegens in der Bevölkerung ist einer der wichtigsten Aspekte, wenn nicht überhaupt der wichtigste Aspekt, direkter Demokratie.
Dieser breite Diskussionsprozess ist aber nur mit einer Unterschriftensammlung auf der Straße zu erreichen. Man muss sich entscheiden, ob man diesen breiten Diskussionsprozess will, oder ob man ihn nicht will, wenn man die Frage nach Sammlung in Amtsstuben oder auf Straßen entscheiden will.
Im Übrigen hat die Sammlung in Amtsstuben durchaus ihre Nachteile. Es handelt sich um ein verbürokratisiertes Sammlungsverfahren.
Die Sammlung in Amtsstuben stünde der Idee der Ausdrucksform lebendiger Demokratie durchaus entgegen. Es ist einfach nur eine unbewiesene Behauptung, Herr Wetzel, dass diese Art, die Amtsstubensammlung, die demokratischere Art des Unterschriftensammelns sei. Es ist doch ein Widerspruch, Herr Wetzel, wenn wir sagen, plebiszitäre Demokratie ist einerseits Angelegenheit der legislativen Gewalt und dann legen wir eines der wichtigsten Elemente der plebiszitären Meinungs- und Willensbildung in die Hände der Exekutive. Denken Sie bitte einmal über diesen Widerspruch nach.
Außerdem hat der Diskussionsprozess im Rahmen des Volksbegehrens für "Mehr Demokratie in Thüringen" deutlich bewiesen, dass die Bürgerinnen und Bürger durchaus fähig sind, differenziert und auf hohem inhaltlichen Niveau, Problem- und Themenstellung zu diskutieren.
Ich würde mir dieses Niveau für manche Debatten in diesem Hause, insbesondere gerade dann, wenn es um direkte Demokratie geht, sehr wünschen. Insofern erstaunt es schon, dass das Gericht in Weimar in seinem Urteil die Straßensammlung in einem so düsteren Licht zeichnet und solch grundsätzliche Zweifel an der Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger hegt, ganz abgesehen von der bewundernswert ahnungs- und kenntnislosen verklärenden Sicht der Verfassungsrichter auf die Parlamente und die Abgeordneten. Gerade wir Ostdeutschen, meine Damen und Herren, für die der Herbst 1989 ein Stück eigener Lebensgeschichte ist, müssten doch wissen, dass Bürgerinnen und Bürger auch in schwierigen Situationen fähig sind, eigenständig und dennoch verantwortlich zu handeln und ohne Vermittlung durch Repräsentanten Staat und Gesellschaft kreativ und befruchtend zu gestalten. Aus diesen Erfahrungen des Herbstes 1989 sind wir gehalten, mündige und zur gesellschaftlichen Verantwortung fähige Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungsprozessen auch zu Sachfragen ernst zu nehmen und zu beteiligen. Repräsentanten, meine Damen und Herren, das heißt nichts anderes als Beauftragte dieser Bürgerinnen und Bürger. Sie sollten daher nicht in die Arroganz verfallen, den Menschen auf der Straße die Mündigkeit für eigene verantwortungsvolle Entscheidungen zu Sachthemen abzusprechen und
sich selbst als Repräsentanten mehr Weisheit und höhere Einsicht zu unterstellen. Das gilt übrigens auch für Ent
scheidungen von Bürgerinnen und Bürgern über finanziell relevante Fragen. Hier haben wir die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger zur Entscheidung solcher Fragen zu respektieren, zumal die Erfahrung lehrt, dass gerade in diesen Fragen die Repräsentanten sehr oft vom demokratischen Idealbild des uneigennützigen und nur am Gemeinwohl orientierten Volksvertreters sehr weit entfernt sind.
So hat also die Finanzfrage für die direkte Demokratie eigentlich sehr große Bedeutung. Dennoch verzichtet der Gesetzentwurf auf eine klarstellende Regelung zum Finanzvorbehalt. Auch bei der bestehenden Rechtslage sind Volksbegehren mit finanziellen Auswirkungen zulässig, wenn sie auch, so z.B. das Bundesverfassungsgericht, "keine wesentlichen Auswirkungen auf den Haushalt und seine Struktur haben dürfen." Im Übrigen sei an dieser Stelle im Zusammenhang mit den Ereignissen des Herbstes 1989 noch an etwas Grundsätzliches und mir sehr Wichtiges erinnert. Die Ereignisse des Umbruchs des Jahres 1989 waren im Grunde genommen eine einzige große Absage an den Macht- und Elitewahn einer politischen Klasse, die für sich in aller Vermessenheit in Anspruch nahm, trotz und gegen die wirklichen Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche der Menschen besser zu wissen, was für das Volk gut sei und weil man ja anders als das Volk selbst im Besitz besserer Einsichten gewesen sei, hätte man auch das Recht gehabt, das Volk mit Macht in irgendein zukünftiges Glück zu zwingen. Demokraten, meine Damen und Herren, sollten es besser machen und die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Vorstellungen und Anliegen und in ihrer Mündigkeit wirklich ernst nehmen, dann sind auch nicht die Quoren oder die anderen Kriterien für das Zustandekommen von Volksbegehren und Volksentscheid das wirklich grundsätzlich Wichtige. Es geht vielmehr darum, meine Damen und Herren, folgende Tatsache als gesellschaftliche und politische Wirklichkeit anzuerkennen und ihr die entsprechenden Wirkungsmöglichkeiten zu verschaffen. Bürgerinnen und Bürger wissen sehr wohl selbst, was gut für sie ist und sie können auch verantwortungsvoll selbst darüber entscheiden.
Es kann der Demokratie nur gut tun, wenn die Repräsentanten auf diesem Wege ab und an den Spiegel vorgehalten bekommen, um so ihr Handeln auch selbstkritisch zu überprüfen.
Entscheidend am vorliegenden Gesetzentwurf ist, dass mit ihm das Anliegen der Stärkung direkter Demokratie in Thüringen, das von mehr als 380.000 Bürgerinnen und Bürger unmissverständlich im Volksbegehren zum Ausdruck gebracht worden war, auf parlamentarischem Wege seine Fortsetzung findet. Dieses Parlament und seine Mitglieder sollten sich in der Diskussion und bei der Entscheidung
über diesen Gesetzentwurf nicht leichtfertig über Hunderttausende von Unterschriften und deren demokratische Bedeutung hinwegsetzen. Man sollte die berechtigten Forderungen so vieler Menschen nicht in arroganter Weise mit einem Fingerzeig auf eine Fata Morgana zukünftiger direkter Demokratie abspeisen.
Wir, meine Damen und Herren, tragen auch Verantwortung für die Zukunft der Demokratie in diesem Land. Sollten die berechtigten Forderungen eines beträchtlichen Teils der Thüringer Bevölkerung nach direkter Mitsprache bei Sachentscheidungen mit repräsentativer Arroganz vom Tisch gewischt oder verhöhnt werden, würde das zweifellos Schaden für die Demokratie bedeuten.
Viele Menschen würden sich dann in ihrer Enttäuschung nicht nur von der einen oder anderen Partei abwenden, sie werden sich auch von der Politik und das heißt nichts anderes als von der Demokratie abwenden. Wer Politikverdrossenheit sät, wird Demokratieverdrossenheit ernten.
Deshalb dürfen wir bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs zur Entwicklung direkter Demokratie eines auf keinen Fall vergessen: In der Demokratie sind die Abgeordneten immer Beauftragte der Bürgerinnen und Bürger. Ohne diesen Auftrag der Bürgerinnen und Bürger fehlt uns jegliche Berechtigung und Legitimation, zu welchem Tun oder welcher Entscheidung auch immer. Die Thüringer Bürgerinnen und Bürger brauchen und sie wollen mehr eigene Mitsprache und Entscheidungsmöglichkeiten in politischen Angelegenheiten. Sie wollen mehr Demokratie in Ergänzung zum durchaus bewährten repräsentativ-demokratischen System, das weder von ihnen
noch von den Einreichern des vorliegenden Gesetzentwurfs - Frau Arenhövel, hören Sie zu, das ist wichtig, weil ich den Eindruck habe, dass Sie diese
Bemerkungen immer wieder übersehen. Im Übrigen ist es für mich ziemlich irrelevant - und auch das ist ein Prinzip von parlamentarischer Demokratie -, ob Sie meine Ausführungen als unerträglich betrachten. Denn mein Verständnis von Repräsentanz verlangt von mir, dass ich es ertrage, dass Sie das, was ich hier sage, für unerträglich halten.
Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehr Demokratie in Ergänzung zum durchaus bewährten repräsentativ-demokratischen System - Frau Arenhövel, extra für Sie noch einmal -, das weder von ihnen noch von den Einreichern des vorliegenden Gesetzentwurfs in Zweifel gezogen wird. Hin und wieder wird eingewendet: Was ist mit dem freien Mandat? Tatsächlich, wir Abgeordneten haben ein freies Mandat, sind also an Aufträge und Weisungen von Einzelpersonen, bestimmten Gruppen oder Organisationen nicht gebunden, damit wir in Ausübung des freien Mandats unserem wirklichen Auftrag nachkommen können, nämlich dem Volk zu dienen, das heißt uns um die Anliegen der Bevölkerung zu kümmern und in deren Sinne zu entscheiden. Insofern sind die über 380.000 Unterschriften der Bürgerinnen und Bürger aus Thüringen ein Markstein für die zu treffende Entscheidung, über den jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen frei entscheiden darf. Natürlich bedeutet die Entscheidung für mehr direkte Demokratie, dass wir Abgeordnete vielleicht hin und wieder nicht mehr ganz so ungestört unserer politischen Arbeit nachgehen können. Aber um es noch einmal zu sagen: Abgeordnete sind zwar Repräsentanten,
aber in einer Demokratie heißt das nichts anderes als Beauftragte der Bürgerinnen und Bürger zu sein und in ihrem Auftrag zu handeln. Zum Wesen dieses Verhältnisses gehört, dass das Volk jederzeit entscheiden kann, bestimmte Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wir als Repräsentanten des Volkes
Vergessen wir also nicht, in der Demokratie geht alle Staatsgewalt vom Volk aus. Das Volk ist der Souverän und das Wesen der Demokratie ist, dass Bürgerinnen und Bürger nicht von oben herab regiert werden wollen, sondern dass Bürgerinnen und Bürger gegebenenfalls selbst bestimmen wollen. Machen wir uns also klar, und das ist meines Erachtens das richtige Verständnis des Geistes dieser Zeit, sie ist reif für mehr direkte Demokratie; direkte Demokratie stellt das Grundprinzip der Repräsentation nicht in Frage, nur deren Alleinigkeitsanspruch. Haben wir Mut aus dieser Erkenntnis heraus den vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam mit dem zu erwartenden Regierungsentwurf zu beraten und dann Entscheidungen zu treffen, die den Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Thüringen entsprechen und nicht nur den eigenen. Dass es nicht um die eigenen Interessen geht, daran, glaube ich, sollte man immer wieder erinnern.
Daran sollte man besonders dann erinnern, wenn Parlamentarier, so wie Sie, Herr Wetzel, vorhin, bedauerlicherweise im Zusammenhang mit einem Gesetzentwurf, der zwei Einreicher hat, sich ans Pult stellen und sagen, es wird keine Gespräche mit der PDS-Fraktion geben.