Protokoll der Sitzung vom 23.08.2002

Ein Thüringer Rektor sagte: "Nicht die Hochschulen, sondern die Zuständigen und vor allem die Finanzministerien erweisen sich zunehmend als Bremser und reformresistent." All das, was das Thüringer Hochschulgesetz zulässt Autonomie der Hochschulen, Flexibilisierung der Mittel - fegt in der Regel das Finanzministerium von Herrn Trautvetter mit Haushaltssperren und Mittelkürzungen vom Tisch, wenn es so weit ist.

Die Ministerin sagte heute, die Steuerausfälle sind auf die rotgrüne Bundesregierung zurückzuführen. Das ist sicher zu diskutieren und das ist hier nicht meine Aufgabe, die Politik der rotgrünen Bundesregierung zu verteidigen. Aber Sie regieren in Thüringen seit 12 Jahren und da müssen Sie sich doch auch fragen, was haben Sie denn getan

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Schauen Sie sich doch mal um!)

zur Entwicklung von Arbeitsplätzen, woher kommen denn die Steuerausfälle? Sehen Sie doch auch einmal Ihre eigene Arbeit ein ganz klein wenig kritischer.

(Beifall bei der PDS)

Der Thüringer Landtag hat sich mehrfach mit Fragen der Wissenschaftspolitik befasst, am ausführlichsten in der Diskussion zur Großen Anfrage der PDS-Fraktion zur Forschungs- und Technologiepolitik in Thüringen im Januar dieses Jahres. Erfolge in der Wissenschaftspolitik sind unstreitig; nichtsdestotrotz wird die Landesregierung in zunehmender Häufigkeit in ihren politischen, speziell haushalterischen Aktivitäten in diesem Bereich öffentlich kritisiert. Ich verweise auf die Studentendemonstrationen im Frühjahr dieses Jahres, auf die Demonstration der Thüringer Rektoren, auf den Artikel von Professor Bauer-Wabuegg im März dieses Jahres zum Zustand und den Voraussetzungen für die Denkfabrik Thüringen. Die Frage ist nun, verstehen diese Kritiker die "gute Politik" der Landesregierung nicht oder ist die Politik der Landesregierung denn doch nicht ganz so erfolgreich, wie sie dargestellt wird. Investition in die Köpfe, Zukunft und Arbeit durch Innovation, Stärkung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstand

ortes aus diesen Potenzialen, Stärkung des Mittelstandes, Internationalisierung der Wirtschaft und ihrer Produkte die Schlagworte kennen wir alle und wir wissen auch alle, dass es richtig ist. Aber wir haben immer noch 15 Prozent registrierte Arbeitslose. Fachkräfte - vor allem junge Leute - verlassen Thüringen, nicht nur um dazuzulernen in anderen Bundesländern, sondern weil sie hier keine Lebensperspektive haben! Wissen ist Zukunft, sagt die Ministerin. Zukunft muss auch finanziert werden. Und die Ministerin verweist ausschließlich auf die absoluten Zahlen der Hochschulausgaben. Tatsächlich liegt Thüringen hinter Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bei den relativen Hochschulausgaben, gemessen am Landeshaushalt insgesamt.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Nennen Sie doch...)

Herr Ministerpräsident, Sie werden mir doch zustimmen, dass meine Aussage auch stimmt.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Die ist aber Unsinn.)

Na, wenn Sie das meinen, was Sie für Unsinn erklären, ist das dann eben Unsinn.

Meine Damen und Herren, vier Universitäten, vier Fachhochschulen, 19 wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen um nur einiges aufzuzählen - sehr gute Plätze in den Rankings, das ist schon eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissenschafts- und Innovationspolitik. Aber die Grundlagen dafür wurden nicht ausschließlich in dieser Legislatur gelegt,

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das hat doch keiner gesagt.)

ich denke, der ehemalige Minister Schuchardt wird sicher darauf auch verweisen.

Auch wenn Minister Schuster in der Plenardebatte vom Februar 2002 feststellte, der Neuaufbau der Hochschulen und Fachhochschulen sei im Wesentlichen abgeschlossen, muss man feststellen, dass die Hochschulen hinsichtlich ihrer Ausstattung und ihres Personalbestandes noch weit von der bundesdeutschen und internationalen Spitze entfernt sind. Thüringer Hochschulen lagen bei Hochschulrankings des Zentrums für Hochschulentwicklung auch noch immer auf dem ersten Platz. Die Studenten sind mit den Studienbedingungen zufrieden, immerhin haben wir im Freistaat Thüringen eine der günstigsten Lehrenden- und Studierendenrelationen und relativ kurze Studienzeiten; die Ministerin hat darauf verwiesen. Allerdings verändern sich diese Relationen, und zwar seit 1992 dramatisch. Der erste Platz wird wohl in den nächsten Jahren nicht zu halten sein. Die verhängten Haushaltssperren und der damit einhergehende Einstellungsstopp für die Hochschulen verschärften die Lage der noch im Ausbau befind

lichen Hochschulen zunehmend.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: In allen Ländern.)

Meine Damen und Herren, Hochschulpolitik hieß in den Jahren 2000 bis 2002 Kürzungspolitik des Finanzministers. Ausgehend vom Landeshaushalt 2001/2002, der bereits eine Kürzung im Vergleich zum Jahr 2000 erfahren hatte, wurde der Etat des Wissenschaftsministeriums bis hin zum zweiten Nachtragshaushalt im Bereich der Personalausgaben und der Sachausgaben um 5,5 Mio.  ! stutzt. Das sind etwa 1,5 Prozent des Gesamtetats in diesem Bereich. Diese 1,5 Prozent sind beim ersten Hinsehen eventuell nicht viel. Vor dem Hintergrund steigender Studierendenzahlen und neuer Anforderungen an die Hochschulen sieht dies allerdings schon ganz anders aus.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Wie viele Stellen sind nicht besetzt?)

Gute Studienbedingungen wurden zunehmend aufgegeben (das könnten wir glatt am Einzelfall diskutieren). Seit 1991/92 haben sich die Studierendenzahlen etwa verdreifacht und sie werden noch weiter steigen; Frau Ministerin hat das hier benannt. Die Personalstellenzahl liegt bei etwa 81 Prozent der Werte von 1992. Die erfahrungs- und altersgeprägte Pyramide im Bereich des akademischen Personals an den Universitäten, der klassische Mittelabbau befindet sich in einer immer stärkeren Abwärtsbewegung, er verschwindet zunehmend. Die Personalstruktur war und ist aber ein ganz wesentliches Element für die guten Rankingergebnisse der Thüringer Hochschulen. Es wird zu wenig und verbindlich in die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, auch bis hin zum Abschluss von Promotionen des wissenschaftlichen Nachwuchses insgesamt investiert.

Die Frau Ministerin hat heute hier einige Initiativen benannt, die durch die Landesregierung ergriffen wurden. Trotzdem beträgt der Anteil der Promovierenden 1,5 Prozent an der Einwohnerzahl Thüringens insgesamt, normal ist ein 3-prozentiger Anteil. Trotz des positiven Ansatzes in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung bleibt Thüringen hinter seinen Erfordernissen zur Sicherung des wissenschaftlichen Nachwuchses zurück. Die Hochschulen tragen mit ihrer graduierten Bildung dazu bei, das wissen wir, die kulturelle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft in einer zunehmend auf wissenschaftliche Kompetenz ausgerichteten Welt zu sichern. Zudem ist die Herausbildung eines qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses existenziell für das Fortbestehen des Hochschulund Forschungssystems. Zu dieser Entwicklung hat aus unserer Sicht auch Thüringen einen anderen Beitrag zu leisten. Die rein quantitativen Ergebnisse lassen jedoch die Vermutung zu, dass Thüringen hier Defizite produziert. Der Freistaat hat seit einigen Jahren die Hälfte fachunspezifisch der Promotionen, die er eigentlich nach der Einwohnerzahl haben müsste.

Meine Damen und Herren, ein Negieren bzw. eine nur auf den Erfolg konzentrierte Berichterstattung versperrt den Weg für heute notwendige Weichenstellungen, um auch in der Zukunft bestehen zu können. Letzteres wird recht deutlich an den neuralgischen Punkten des Landeshochschulplanes. Der Ministerpräsident sprach in seiner Regierungserklärung am 15.03.2002 zum Landeshochschulplan von Planungssicherheit für die Hochschulen bis 2008. Der Landeshochschulplan ist jedoch ein Papier hochgradiger Unverbindlichkeit. Im Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgängerpapier, das vom Kabinett beschlossen wurde, reicht es jetzt nur zum Status "vom Kabinett zur Kenntnis genommen". Der Landeshochschulplan schreibt z.B. die Personalstellen bis 2008 lediglich als Ist-Zahlen der Jahre 2001 bis 2002 fort. Gegenwärtig beträgt die Zahl der Studierenden etwa 43.300. Die Ministerin bestätigte gerade, es wird von einer Steigerung der Studierendenzahlen auf etwa 51.000 bis 52.000 ausgegangen, damit etwa um 20 Prozent in den nächsten Jahren. Im Jahr 1992 studierten etwa 17.000 Studierende an den staatlichen öffentlichen Hochschulen Thüringens. Gleichzeitig waren an den Hochschulen insgesamt, ohne Medizin, 6.118 Stellen vorhanden. Im Jahr 2001/2002 sind für etwa 43.000 Studierende nur noch 5.116 Stellen vorhanden und das heißt, die Studierendenzahlen stiegen seit 1992 auf etwa 249 Prozent, während die Stellenzahl auf etwa 84 Prozent fiel. Für 2008 sind noch 4.947 Stellen vorgesehen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Und danach?)

Somit würde das aktuelle Missverhältnis noch schlimmer werden.

(Zwischenruf Trautvetter, Finanzminister: Das ist doch...)

Herr Trautvetter, Sie müssen ja dort nicht arbeiten, Sie sind ja nur der Finanzminister.

Was bedeutet dann in diesem Zusammenhang für die Hochschulen so genannte Planungssicherheit? Geplant wird eine sichere und deutliche Überbelastung der Hochschulen, auf die man sich für 2008 wenigstens einstellen muss. Von Qualität in Lehre und Forschung wird man dann planmäßig ein wenig absehen müssen.

Meine Damen und Herren, das weitere Finanzbudget der Hochschulen dürfte weiterhin äußerst knapp bemessen sein. Der Finanzminister hat der Presse versichert, im Wesentlichen keine Kürzungen im Bereich Lehre und Forschung zum nächsten Doppelhaushalt.

(Zwischenruf Trautvetter, Finanzminister: Das stimmt.)

Sie bestätigen das, das freut mich. Aber wie hoch ist dann der Finanzrahmen der Hochschulen? Ist er so hoch wie im Doppelhaushalt 2001/2002 oder ist die Ausgangsgrö

ße der Nachtragshaushalt mit den Mittelkürzungen? Das wäre schon interessant, wenn wir dazu eine Aussage bekommen könnten.

(Zwischenruf aus dem Hause: Richtig.)

Wir sind der Auffassung, dass die Zahlen des Doppelhaushalts mindestens nicht unterschritten werden dürfen.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Das Geld...)

Schauen Sie einmal, Herr Ministerpräsident, Sie sagen zu uns, Geld ist ja nicht Ihr Problem. Das Gleiche machen Sie, wenn es um die Politik anderer Parteien geht. Da verteilen Sie das Geld auch ganz großzügig, ohne vorher zu schauen, wo es eigentlich herkommt. Zumindest auf der Bundesebene kann man das Ihrer Partei nachsagen.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Sie holen es aus der Schweiz.)

Bitte? Wir holen es aus der Schweiz, meinen Sie? Sie können ja einmal in die Schweiz fahren und fragen, ob wir etwas haben.

Ich möchte aber an dieser Stelle nachdrücklich darauf hinweisen, dass Investitionen in den Hochschulbereich also nicht ausschließlich als konsumtive Aufgaben betrachtet werden sollen - und da stimme ich der Ministerin zu -, Investitionen in diesen Bereich sind Investitionen in die Zukunft dieses Landes. Die Ministerin hat im Februar erklärt, dass die Mittel im gleichen Umfang wie im letzten Haushalt eingestellt werden. In der Regierungserklärung verweist sie auf Bauvorhaben im Hochschulbau und auf dem Beutenberg im Zeitraum bis 2006 und 2008. In diesem Zusammenhang fordere ich die Landesregierung auf, sich zur Priorität ihrer Politiken zu äußern. Welche Priorität nimmt die Wissenschafts- und Innovationspolitik im Verhältnis zu anderen politischen Aufgaben der Landesregierung ein? Ist sie verbal ein Glanzstück, wie es die Ministerin heute vorgestellt hat, und bei Haushaltsdebatten die freiwillige Aufgabe, bei der man gut sparen kann und wo der Finanzminister seine Haushaltssperren ansetzen kann, die dann zu den Wiederbesetzungsstopps führen, die Flexibilität und Übertragbarkeit der Mittel in Frage stellen und damit Hochschulen und Studierende vor immer neue und schwierigere Situationen stellen? Das ist doch die Frage. Da müssten Sie einmal ein eindeutiges Bekenntnis auch in jeder Haushaltsdebatte dazu abgeben.

(Beifall bei der PDS)

Wenn die Erklärungen der Ministerin zu den erklärten Zielen wahr werden sollen, dann müssen mehr Mittel für den Hochschulbetrieb und die Forschung eingestellt werden. Wenn Zukunfts- und damit Lebenschancen auf den Weg

gebracht werden sollen und genau dort in diesem Bereich Wissenschafts- und Forschungspolitik der Geburtsort für Zukunfts- und Lebenschancen von Menschen liegt, dann muss man diesen Bereich deutlich fördern und ihn nicht strangulieren.

(Beifall bei der PDS)

Die Ministerin verwies auf die stetig steigenden Studierendenzahlen, wir verweisen auf die stagnierenden Wissenschaftlerzahlen, besonders im Mittelbau,

(Beifall bei der PDS)

die Diskrepanz der Ost-West-Gehälter an den Hochschulen, die großen Diskrepanzen in der Bezahlung zwischen Hochschulen und Wirtschaft. Das alles geht zulasten der Studierenden und der Forschungskapazität.

(Beifall bei der PDS)

Nur mit einem starken Mittelbau lässt sich auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, wie z.B. in der Weiterbildung an Hochschulen. Wir sind schon der Auffassung, dass die Möglichkeiten, die die Ministerin hier beschrieben hat, den Hochschulen Möglichkeiten für den Bereich der Weiterbildung zu erschließen, sehr zu begrüßen sind.

Ich möchte ein paar Worte zur Drittmittelfinanzierung sagen, und zwar, weil Herr Minister Trautvetter in der Haushaltsdebatte darauf verwiesen hatte, dass manche Hochschulen selber Schuld sind, wenn sie nicht genug Geld haben, weil sie zu wenig Drittmittelfinanzierung einfahren. Er meinte damit im Speziellen die Jenaer Universität. Aber eine Drittmittelfinanzierung, Herr Minister, orientiert sich zu allererst an wirtschaftsnaher Forschung.

(Zwischenruf Trautvetter, Finanzminister: Richtig.)

Das haben Sie sicher auch gestern Abend im Gespräch mit den Forschern vom Beutenberg-Campus gehört, wenn immer mehr nur über Drittmittelforschung finanziert wird und immer enger Forschung sich im wirtschaftsnahen Bereich orientiert, geht das auf lange Sicht zulasten der Grundlagenforschung. Es muss bei einem bestimmten vertretbaren Prozentsatz bleiben, sonst werden Sie für die Zukunft Probleme insgesamt bekommen.