Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Mich irritiert, Herr Krapp, vor allem die Tatsache, dass Sie innerhalb von fünf Monaten hier eine Position gegenüber den Kopfnoten ohne erkennbaren Grund fundamental geändert haben. Aber wahrscheinlich ist auch das wieder Ihre Art von dynamischem Denkprozess, deren Sinnhaftigkeit sich wahrscheinlich nur den Mitgliedern der Landesregierung erschließt.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, die vorliegende Schulgesetznovelle ist beileibe kein Meisterwerk, sondern bestenfalls unzulängliches Stückwerk, hinter dem kein durchdachtes bildungspolitisches Gesamtkonzept zu erkennen ist. Bildungspolitische Innovation findet sich im Entwurf ebenso wenig wie angemessene Reaktion auf das Abschneiden Thüringens bei PISA. Es bleibt also im Bildungsausschuss noch viel zu tun. Dieser Arbeit wollen wir uns gern stellen. Vielleicht gelingt uns so, diesen minis

teriellen Kieselstein vielleicht doch noch in einen echten Meilenstein zu verwandeln. Sie wissen ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Danke.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Emde zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Beratung des Schulgesetzes geht es uns um die Weiterentwicklung von Thüringer Schulen nach einem längeren Zeitraum, einer Zeit des Bewährens und der täglichen Erfahrungen und natürlich auch dem Verlangen nach ständiger Fortentwicklung. Dabei geht es für uns darum, in kritischer Betrachtung Thüringen in positiver Stellung innerhalb Deutschlands zu sehen, aber eben in schlechter Aufstellung weltweit. Die PISA-Ergebnisse haben uns gezeigt, wir müssen auf dem Weg sein und uns weiterentwickeln, um international mithalten zu können. Ich will aber auch für die CDU sagen, wenn ich hier vorn stehe, wenn wir heute über das Schulgesetz reden: Weiterentwicklung der Schule war Aussage des Wahlprogramms zur Landtagswahl 1999 und dort gab es die Zusage, Schule weiterzuentwickeln. Insofern sehen wir hier eine Kontinuität. Ich kann nur sagen, das ist ja auch in Ordnung, wenn wir konservativ sind, denn konservativ ist nicht von vornherein etwas Schlechtes, sondern konservativ heißt ja, Gutes bewahren und weiterentwickeln. Ich sehe die Weiterentwicklung von Thüringer Schulen unter drei Aspekten:

Erster Aspekt: Dazu nehme ich dann auch einmal ein Zitat von Willy Brandt, das wird ja von den Sozialdemokraten immer sehr gern gehört, das ist ihr großer Vordenker: "Wer das Bewahrenswerte bewahren will, muss verändern, was der Erneuerung bedarf." Darum geht es uns genau. Wir wollen dabei auch den Blick über den Tellerrand werfen und verschweigen aber auch nicht, dass wir stolz darauf sind, wie sich die Thüringer Schulen in den letzten Jahren entwickelt haben.

(Beifall bei der CDU)

Was sind die Punkte, bei denen wir sagen, die sind aus den Erfahrungen heraus zu entwickeln? Die Schulgesetznovelle lag ja - das wurde hier schon gesagt - vor über einem halben Jahr vor. Da sind Punkte drin wie die veränderte Schuleingangsphase. Hier komme ich gleich mal zu dem Stichwort "Meilenstein", weil ich ja immer gern zitiert werde. Ich habe in der Presse gesagt, das Schulgesetz ist für mich ein Meilenstein. Na, nun können wir darüber reden, ob das ein Meilenstein ist oder ein Kilometerstein oder ein Kieselstein. Ich habe deswegen den Begriff "Meilenstein" gewählt, weil ich denke, eine Meile ist etwas größer als ein Kilometer, Frau Dr. Stangner. Ich sehe das schon

so, dass das hier ein Meilenstein ist, wo wir gesetzlich Dinge für die Schulentwicklung in Thüringen festschreiben. Das heißt nicht, dass Schulentwicklung nicht in kleinen und ständigen Schritten stattgefunden hat und stattfinden wird. Das ist nicht immer nur eine Frage von Gesetzen, sondern viele Dinge werden ja untergesetzlich in den Verordnungen und in der Schulentwicklung, die ja auch vor Ort stattfindet, ohne dass es uns und den Landtag braucht, stattfindet. Nur, ich sage Ihnen auch etwas, weil hier kritisiert wird, wir haben nicht genügend Tempo, ich könnte mir auch vorstellen, dass das Tempo, das wir hier anschlagen, auch zu hoch sein kann. Nehmen wir die Schuleingangsphase, das heißt, man kann in den Klassen 1 bis 3 sehr stark variieren. Schüler können diese Zeit in einem Jahr durchlaufen oder die ersten beiden Schuljahre in einem Jahr durchlaufen, sie können aber das auch in drei Jahren tun. Hinzu kommt, dass wir jetzt sagen, es ist auch möglich, dass ein Schüler schon mit fünf Jahren eingeschult wird, mit sechs Jahren ist normal. Es gibt aber auch 16 Prozent von Schülern, die in Thüringen erst mit sieben Jahren eingeführt werden. Wenn ich das alles sehe, dann wird Schule zu verwirklichen im Unterricht, in der Organisation und in der Pädagogik sehr schwierig. Nehmen wir die siebente Klasse, dort ist der Normalfall die Schüler sind 13, ich habe dann eben auch 12-Jährige und vielleicht auch 15Jährige oder vielleicht sogar noch einen 16-Jährigen drin. Das ist überhaupt nicht einfach für die Lehrer und stellt sehr hohe Anforderungen an die Lehrer, an den Unterricht. Deswegen sage ich, man muss sich schon gut überlegen, welches Tempo man anschlägt.

(Beifall bei der CDU)

Was stand schon in der ursprünglichen Schulgesetznovelle vom Frühjahr? Fremdsprache ab Klasse 3. Das ist sicherlich im Zusammenhang mit internationaler Entwicklung richtig und wichtig. Aber auch hier muss man natürlich sehen, das bedeutet, dass im Anschluss an die Klasse 4 in den Regelschulen und Gymnasien der Unterricht fortgesetzt werden muss. Auch dort muss es eine entscheidende Entwicklungen geben, denn heute fangen die Schüler erst an mit Englischunterricht, jetzt kommen sie schon mit Englischvorkenntnissen. Man könnte das noch weiter fortsetzen. Sie kennen viele Kindertagesstätten, wo auch Englischunterricht oder Fremdsprachenunterricht angeboten wird, meistens ist es ja die englische Sprache. Es gibt auch Grundschulen, die schon in Klasse 1 mit diesem Unterricht beginnen. Das heißt aber, ich muss mir Gedanken machen, wie setze ich das fort und ich muss reden und kommunizieren mit denjenigen, die dann in den späteren Jahren diese Dinge fortsetzen. Das sind hohe Ansprüche an unsere Schulen.

Ein weiterer Punkt, der schon vorgesehen war - Wahlprüfungsfach Sport: Ich selbst habe mich ja nun als bekennender Sportlehrer dafür stark engagiert. Es geht darum, dass Schüler die Möglichkeit erhalten, im Fach Sport eine Prüfung abzulegen. Das ist auf Musik und überhaupt die musischen Fächer auszudehnen. Das ist eine sehr gute

Sache. Wir müssen uns jetzt aber unterhalten in dem Kontext, dass die Prüfungen verändert werden sollen, auch an der Realschule oder zum Realschulabschluss an der Regelschule, dass wir hier einen neuen Weg finden müssen. Nur, es ist klar, Wahlprüfungsfach Sport bringt uns weiter, entwickelt den Sportunterricht und die Einstellung zum Sport bei Lehrern und Schülern weiter.

Was war noch Bestandteil? Die Praxisklasse ist über Jahre hinweg als Schulversuch sehr, sehr positiv gelaufen. Schüler, die mit Benachteiligungen kämpfen, die oft Schule schwänzen, finden hier eine Möglichkeit, sich wieder zu finden, praktisch zu lernen. Es werden Lernverträge mit ihnen abgeschlossen, die zwar nicht juristisch verbindlich sind, aber die trotzdem wirken, weil man plötzlich gemeinsam sagt - Eltern, Schüler und Schule - wir wollen das packen. Die Erfolgsquote ist sehr, sehr hoch. Das überführen wir in die Praxis und ich könnte mir vorstellen, dass wir die Elemente des Praxisunterrichts noch viel mehr zur Regel im Unterricht der Regelschulen werden lassen.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Und warum nicht an den Gymnasien?)

Frau Nitzpon, warum nicht an den Gymnasien, das berede ich mit Ihnen dann mal im Ausschuss, um es noch mal ganz klar zu machen. Aber wir wollen eine deutlich profilierte Schule, Schule nach Schularten ganz klar profilieren und da muss ich eben nicht eine Praxisklasse am Gymnasium machen, weil es keinen Sinn macht, den Schüler dort zu unterrichten, wie er einen Hammer hält und ob er pünktlich in die Schule kommt.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich wollte mich heute nicht streiten, ich wollte sehen, dass wir uns vernünftig über das Schulgesetz unterhalten, denn es muss unser aller Anliegen sein, Schule in Thüringen weiterzuentwickeln.

Ein Punkt, der auch in der Gesetzesnovelle enthalten ist, das ist die Mehrentscheidungskompetenz für die Schule. Da sind wir auf dem Weg, sage ich. Ich kann mir dort noch viel mehr vorstellen. Aber die Globalzuweisung an Lehrerstunden für Schulen, das war ja schon ein richtiger Schritt, das muss ausgebaut werden. Die Frage, wie viele Dinge darf eine Schul-, Klassen-, Lehrerkonferenz entscheiden, dort haben wir viel mehr Dinge auch noch auf diese untere Ebene verlagert. Überhaupt das Finanzbudget, das Schulen haben können. Wir haben jetzt auch gesagt, der Schulleiter hat ein Mitspracherecht bei der Einstellung von Lehrern. Das sind alles Schritte in die richtige Richtung. Ich halte auch das Schrittmaß für richtig, denn auch hier darf man das, was Schule leisten kann, nicht überziehen.

Ich komme zum zweiten Aspekt, unter dem ich Schulentwicklung sehen möchte. Das ist für mich die PISADiskussion aus spezifisch Thüringer Sicht und natürlich auch der Ereignisse am Gutenberg-Gymnasium hier in Er

furt. Durch PISA und dann durch dieses Massaker am Gymnasium ist die landesweite Diskussion über Bildung, Erziehung und Schule in Thüringen erst richtig in Gang gekommen.

Jetzt sage ich mal ein Wort zu den Regionalkonferenzen: Wir selbst aus der CDU-Fraktion heraus haben im Frühjahr gesagt, so viele Menschen wollen mit uns über Bildung und Schule reden, jetzt müssen wir das tun. Da war die ganze Diskussion sehr unstrukturiert, weil jede Schule, Verbände und Interessenvertreter eingeladen haben, und es ist auch gut so. Viele Abgeordnete aus allen Fraktionen waren auch dort. Aber es ist doch sinnvoll, so eine Debatte, wenn die Menschen mit uns reden wollen, auch ein Stück weit zu strukturieren, in eine Form zu bringen. Nun können wir gern darüber reden, wie diese Struktur am besten aussieht, wie es uns am besten gelingt, mit den Menschen zu reden. Es ist ein Versuch, mit diesen Regionalkonferenzen, organisiert durch die 13 Schulämter, diese Diskussion und das Gespräch mit den Menschen in Gang zu bringen. Nach der Teilnahme an einigen von solchen Konferenzen und dem, was ich höre, laufen diese Konferenzen nicht optimal. Viele Menschen gehen dort auch ein Stück weit unbefriedigt heraus. Aber das darf uns doch nicht davon abhalten, diese Konferenzen durchzuführen; nein, wir müssen in Zukunft diese Konferenzen besser machen. Frau Dr. Stangner, ich persönlich habe es als nicht ganz gerecht empfunden, dass Sie mir oder uns unterstellen, den ehrlichen Willen zum Gespräch mit den Menschen nicht zu haben und diese Konferenzen als Alibi zu benutzen. Ich weiß, dass es manchmal so rüberkommt, aber dass es nicht so gewollt ist, das darf ich Ihnen versichern. Und es ist eben die Frage, wie wir diese Dinge in Zukunft...

(Zwischenruf Abg. Dr. Stangner, PDS: Das werden wir ja sehen, Herr Emde.)

Ja, ich kann es Ihnen nur so sagen, wie ich es sehe, dass Sie uns das unterstellen wollen, dass wir hier keine redliche Absicht haben, das kann ich vielleicht noch aus Sicht der Opposition verstehen, bringt uns aber bei dem Thema "Bildung", was ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage also, wir müssen diese Schulamtskonferenzen genau betrachten und müssen sie in Zukunft fortsetzen, denn ein Fazit ziehe ich aus diesen Konferenzen jetzt schon: Die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen vor Ort und auch die Kommunikation zwischen Landesebene und kommunaler Ebene ist nicht auf dem besten Stand. Deswegen sind die Konferenzen in dieser oder auch in einer anderen Form in Zukunft fortzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will dann gleich zu zwei Punkten, die dort oft zum Tragen kommen, etwas sagen und es ist ja hier von Frau

Dr. Stangner und von Herrn Döring angesprochen worden:

Erster Punkt - längeres gemeinsames Lernen: Also, ich habe überhaupt gar nichts dagegen, wir können darüber gern diskutieren. Die Frage ist, ob wir das in dieser Schulgesetznovelle schon tun müssen. Aber ich stelle dazu mal ein paar Fragen. Frage Eins: Warum schneiden denn die Gesamtschulen in Deutschland, in denen ja länger gemeinsam gelernt wird, eindeutig schlechter ab als die Systeme, die ein gegliedertes Schulsystem haben?

(Beifall bei der CDU)

Zweiter Punkt, ganz gravierend gerade für soziale Parteien, wir sind übrigens auch eine:

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Ach so!)

Wieso ach so, Herr Buse, haben Sie das noch nicht gewusst? Dann schauen Sie sich mal die Sozialgesetzgebung in Deutschland an, da wüssten Sie, von wem diese meistenteils gemacht ist.

(Beifall bei der CDU)

Die zweite Frage, die ich stelle zu diesem Thema: Warum schneiden denn die Gesamtschulen in Deutschland genau dort schlecht ab, wo Schüler sozial benachteiligt werden? Genau da haben wir größere soziale Brüche als zum Beispiel in dem gegliederten Schulsystem in Bayern oder Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Anfrage durch Frau Abgeordnete Dr. Stangner?

Bitte schön.

Herr Emde, stimmen Sie mir zu, dass die Mehrheit der Gesamtschulen, von denen Sie ja gerade reden, auch in Klasse 5 beginnen und damit dieser Bruch in Klasse 4, der ja Anlass ist für die Besorgnis der Eltern und Lehrer - und damit ist die Forderung nach längerem gemeinsamen Lernen verbunden, ohne dass das im Augenblick weiter ausgestaltet wird -, genau in diesen Gesamtschulen auch da ist?

Ja, dann ist die Frage für mich: Welche Gesamtschulen wollen Sie eigentlich?

Ich rede nicht von Gesamtschulen, Entschuldigung, Sie haben von Gesamtschulen geredet.

(Beifall bei der PDS)

Ich habe ja auch gesagt, wir können darüber reden, nur, Sie müssen uns genau sagen, was Sie wollen. Meinen Sie wieder eine Orientierungsstufe, an welcher Schulart auch immer? Fakt ist, dass zum Beispiel Niedersachsen als SPDregiertes Land die Orientierungsstufe wieder abschafft, weil sie genau festgestellt haben, dass sich die Bedürfnisse des Schülers dort nicht wiederfinden, dass man eben nicht dem Schüler gerecht entsprechend fördern kann

(Beifall bei der CDU)

und dass durch dieses gemeinsame Lernen das Niveau sinkt. Aber, ich stelle Ihnen auch die Frage, und da sind wir bei dem Punkt. Sie zielen hier ab auf andere europäische Länder, die ihre Schüler längere Jahre gemeinsam lernen lassen, ob nun 6, 8 oder 9 Jahre sei mal dahingestellt. Dann müssen wir uns doch fragen, wenn wir so etwas wollen: Wie ist es möglich, dass wir zu besseren Lernergebnissen in dieser Einheitsschule kommen und welche inhaltlichen Voraussetzungen, welche fachlichen Voraussetzungen, welche personellen und materiellen Bedingungen müssten wir in Thüringen schaffen, um mit diesem längeren gemeinsamen Lernen auch zu besseren Ergebnissen zu kommen? Es geht doch nicht nur um längeres gemeinsames Lernen um der Sache willen, sondern um des Ergebnisses willen. Darum muss es uns doch gehen.

(Beifall bei der CDU)

Ein zweiter Punkt, der immer wieder in diesen Regionalkonferenzen auftaucht, ist die Frage nach der Klassenleiterstunde. Frau Dr. Stangner, ich finde das nicht in Ordnung, wenn Sie hier sagen, es ist mir egal wie, Hauptsache es gibt die Klassenleiterstunde. Also, so leicht kann man sich das nicht machen. Man muss schon genau sagen, was denn eine Klassenleiterstunde ist. Ich sage Ihnen, mit unserem Globalbudget ist eine Klassenleiterstunde, wenn ich sie so verstehe, dass der Klassenlehrer mehr Raum hat, mit seiner Klasse ins Gespräch zu kommen, ja möglich. Aber ich sage auch, das sollte vor Ort entschieden werden. Wenn ich Klassenlehrer bin und habe 6, 7 oder 8 Stunden Unterricht in meiner Klasse, brauche ich nicht eine extra Klassenleiterstunde, wo ich dann noch einmal reingehe.

(Zwischenruf Abg. Dr. Stangner, PDS: Das Budget muss aber ausreichen, aber das tut es nicht.)