Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Es ist darüber gesprochen worden, Herr Botz, wir wollen über die Ernte reden. Wissen Sie, in der Landwirtschaft ist für mich alles Ernte. Wir verstehen natürlich unter Ernte landläufig nur die Getreideernte, die Kartoffelernte, die Heuernte, aber für mich zählt auch dazu die Milch, das Schweine- und Rindfleisch und die Eier - auch das ist Ernte.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man das alles insgesamt für dieses Jahr anschaut, und das müssen wir, dann sieht es noch trauriger aus. Nicht nur, dass wir hohe Einnahmeverluste beim Getreide haben, was die Menge betrifft, nein, die Qualität ist schlecht. Nur 40 Prozent des Weizens ist Qualitätsweizen. Ich habe bereits jetzt eine Meinung des Bäckerhandwerks gehört, sie müssen die Backwaren verteuern, weil es weniger Qualitätsweizen gibt und der Weizen von woandersher eingeflogen oder importiert werden muss. Ich denke, es ist nicht so und es wäre schön, wenn dann die Landwirte etwas von dieser Erhöhung in dieser Richtung auch sehen würden. Doch davon, ich erinnere hier nur an das Rindfleisch, haben wir bis jetzt noch nichts gespürt. Dazu kommt noch, dass wir den niedrigsten Ertrag bei Getreide seit acht Jahren haben mit knapp unter 60 Dezitonnen, aber es trifft nicht nur Thüringen, es trifft ganz Deutschland und neben Thüringen sind am stärksten Niedersachsen, Sachsen, SachsenAnhalt und Schleswig-Holstein noch mit betroffen. Hier sind überall Einbußen in zweistelliger Prozenthöhe beim Getreide zu verzeichnen. Ich sagte es bereits, es ist nicht allein beim Getreide, das ist eben die Komplexität der Landwirtschaft und deswegen muss man das auch insgesamt sehen, deswegen muss man dann auch die Rahmenbedingungen mit betrachten bei der ganzen Geschichte. Wenn ich mir überlege, dass wir auch Einbußen bei den Öl- und Hülsenfrüchten haben, dass wir insgesamt damit rechnen bei den Feldfrüchten für Thüringen eine Einbuße von 61 Mio. & "*      & enorm. Wie gesagt, dazu kommen dann noch die Ausfälle, die wir in der Tierproduktion haben bei Rindfleisch, bei Schweinefleisch und vor allen Dingen bei der Milch, wo wir in der letzten Zeit einen Abwärtstrend zu verzeichnen haben und wir noch nicht wissen, wo wir letztendlich am Jahresende ankommen werden.

Dann gibt es noch einen Bereich, den vergessen wir auch gern, der ist hier nur am Rande von Andreas Sonntag an

geklungen, das sind unsere Gärtner und unsere Obstbauern. Auch die haben in diesem Jahr immense Einkommensund Ernteverluste zu verzeichnen. Die Obstbauer, wenn ich an die Kirschen denke, lieber Konrad Scheringer, du weißt das, aufgrund dessen, dass wir bestimmte Pflanzenschutzmittel nicht mehr einsetzen konnten, war schon von dieser Seite her gesehen der erste Einbruch zu verzeichnen. Dazu kamen dann noch Hagel und kalte Witterung in der Blüte, so dass bei weitem nicht erreicht werden konnte, was in normalen Jahren der Fall ist.

So ist alles in allem in diesem Jahr ein Verlust für die Landwirtschaft in fast jedem Betrieb oder für alle Betriebe in Größenordnungen eingetreten. Nun ist es ja so, ich sagte es eingangs bereits und ich komme noch mal darauf zurück, dass der Landwirt damit fertig wird, dass der Landwirt das weiß und dass er sich auf diese Schwankungen auch einstellt. Nur, dazu gehört, dass auch die Rahmenbedingungen stimmen, und bei den Rahmenbedingungen erwartet er ganz einfach von der Politik, dass eine Verlässlichkeit, eine Planbarkeit und das Vertrauen da ist. Was die Verlässlichkeit und was die Planbarkeit betrifft, sind unsere Landwirte natürlich sehr verunsichert. Einmal in dem, was mit der Halbzeitbewertung der Agenda 2000 ist, aber auch aus den ganzen Dingen, die wir verkraften mussten. Ich erinnere hier nur an die Problematik der Legehennenverordnung, die zusätzlich kommt, ich erinnere hier nur an die ganzen Fragen auf dem Gebiet der Haltungsverordnung, die alle notwendig und richtig sind. Nur, der Landwirt muss es rechtzeitig wissen, damit er sich darauf einstellen kann. Kurzfristige Sachen sind Gift für den Landwirt und sind sein Ruin und sind sein Aus. Besonders getroffen hat es natürlich in diesem Jahr den Kreis Altenburg, Herr Sonntag hat darüber gesprochen. 30 Betriebe im Altenburger Land haben immense Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen von etwa 440.000   ten. Nun gibt es das Soforthilfeprogramm - eine Verwaltungsverordnung, die schon mehrfach in Deutschland der Landwirtschaft gute Dienste geleistet hat. Das erste Mal ist sie erstellt worden in den Jahren 94/95, als wir die große Dürre hatten. Leider ist es sehr kompliziert, leider ist es ein hoher bürokratischer Aufwand und leider ist es so, dass der Landwirtschaftsbetrieb schon in die Liquidität gehen muss, alles offen legen muss, alle Konten offen legen muss, alle Werte offen legen muss, ehe er in den Genuss dieser Mittel kommen kann. Das ist natürlich immer sehr schwierig und immer sehr kompliziert und erfordert einen hohen Aufwand. Wir haben in Altenburg die Schäden eingestuft. Es sieht jetzt so aus - Herr Sonntag hat es hier genannt -, fünf Betriebe können Beihilfen erhalten, diese Betriebe können 20 Prozent, das heißt rechnerisch 181.600 * bekommen. Wir haben aber laut Verteilerschlüssel Bund und Länder nur 120.000  (1&6(1  *"  die Finanzierung 50 : 50 - 50 Prozent Bund, 50 Prozent Land - ist, lässt sich sicher hier in dieser Frage einiges tun und können wir einiges helfen. Dann gibt es noch eine Soforthilfe für Vermögensgegenstände. Das heißt, hier können Schäden an Inventar, an Vieh ausgeglichen werden. Da sind Schäden von insgesamt 58.507  4.  "

festgestellt worden. Auch hier ist es wieder so, 50 Prozent Bund, 50 Prozent Land, so dass auch hier etwas in dieser Richtung geleistet werden kann. Was wir nicht in Anspruch nehmen können, weil ganz einfach diese Betriebe, die es betrifft, keine Investitionskredite in dieser Richtung haben, ist der Erlass für Investitionskredite, wo extra noch mal ein Programm aufgelegt worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt gesehen hat die Landwirtschaft in diesem Jahr doch erlösmäßig einige Ausfälle zu verkraften. Was die Landwirtschaft braucht, ist wirklich Stabilität und Planbarkeit.

(Beifall bei der CDU)

Sie braucht eine klare Ausrichtung für die nächsten Jahre, sie braucht eine Sicherheit, wie es weitergeht, welche Dinge auf sie zukommen, damit wieder investiert wird, denn nur mit Investitionen geht es letzten Endes auch in der Landwirtschaft weiter. Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

So, die verbleibenden 4 Minuten gehen an Frau Dr. Klaus, SPD-Fraktion. Dank des Ministers ist noch etwas aufgestockt.

Das hatte ich ja im Stillen gehofft, da kann man sich fast immer darauf verlassen, dass bei Ministern etwas aufgestockt wird. Deswegen habe ich auch jetzt erst gewartet, bis Herr Dr. Sklenar mit seiner Rede fertig war. Ich denke, viele Dinge, die heute gesagt sind, können die Landwirtschaftspolitiker aller Fraktionen unterschreiben. Das Jahr 2002 ist ein außerordentlich schwieriges für die Landwirtschaft, nur der Titel, der hier von der CDU vorgelegt wurde, muss ich mal sagen, war ein Tarntitel. Ich hätte nicht gedacht, dass wir heute schon vorgezogen über das Hochwasser reden wollen. Deswegen, denke ich, steht es der Politik auch gut an, mal denjenigen auf EU-, Bundes- und Landesebene zu danken, die dafür gesorgt haben, dass die Sofortprogramme in der Tat für die Landwirtschaft auch sofort ausgezahlt werden.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Das stimmt aber nicht.)

Ich denke, das ist sicherlich ein einmaliger Fall, dass es so zügig gegangen ist, wo so viele Beteiligte verknüpft sind. Herr Dr. Sklenar, Sie wissen ja selber, wenn wir in Thüringen Wünsche äußern, was vielleicht bei der EU anders sein sollte, da haben wir manchmal schon sehr lange gemeinsam gehofft und gebangt. Ich denke, das gehört

auch dazu, dass man das einmal sagt. Ich finde, in einem vernünftigen Zeitabstand sollten wir darüber auch reden. Mir ist schon klar, dass zum heutigen Zeitpunkt sicherlich noch Fragen offen sind, die geklärt werden müssen. Der Herr Abgeordnete Wunderlich hat so wunderschön über Reserven der Bundesregierung gesprochen und kam da auf die Werbekampagnen. Ich muss mal sagen, Thüringen hält sich ja da in keiner Weise zurück. Ich freue mich immer über die schönen informativen Broschüren, in denen Herr Dr. Sklenar hier so freundlich lächelt,

(Beifall bei der CDU)

zum Beispiel hier wieder zum Hochwasser. Ich denke, das ist auch wichtig, dass es solche Broschüren gibt und die Bundesregierung muss das auch.

(Beifall bei der CDU)

Allerdings habe ich auf Bundesebene feststellen können, dass nicht in jeder Broschüre die Frau Künast lächelt,

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Die kann ja gar nicht lächeln.)

vielleicht sollte sie es auch von Ihnen noch einmal lernen und das wirklich machen. Ja, vielleicht kann man das mal auf die Reihe kriegen.

Noch ein Hinweis, Herr Dr. Sklenar: Ich stimme ja mit Ihnen überein, dass Ernte in der Landwirtschaft mehr ist als nur Getreideernte, aber da lagen in diesem Jahr die Hauptprobleme. Ich denke,

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Nicht für mich, für Euch vielleicht.)

es ist jetzt falsch, alles in einen Topf zu rühren und in 5 Minuten erklären zu wollen, dass es bei Rindfleisch, Schweinefleisch, beim Verbraucherschutz, der Schweinehaltungsverordnung und und und alles Katastrophen geben wird, ohne dass es möglich ist, eine vernünftige Aussprache zu führen. Wenn jemand also ein ernsthaftes Anliegen ernsthaft diskutiert haben möchte, dann muss er auch die ernsthaften vernünftigen Mittel dazu wählen und nicht 5 Minuten in der Aktuellen Stunde. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Genau!)

Herr Minister?

(Zuruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Ich muss noch etwas dazu sagen.)

Ja, mit dem Risiko, dass sich das dann auch wieder verlängert.

(Zuruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Ja, das hilft ja nichts.)

Also, hier muss ich etwas dazu sagen. Frau Klaus, Sie liegen schief, vollkommen schief. Sie diffamieren damit die Landwirtschaft insgesamt, denn Landwirtschaft ist mehr als die Getreideernte und wenn vieles zusammenkommt - wenn es nur die Getreideernte wäre, hätte ich gar nichts dagegen -, aber so kommt in diesem Jahr eins zum andern und das ist das, was auch die Landwirte draußen verrückt macht an der ganzen Geschichte, wo sie unruhig werden dabei.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das hat doch keiner bestritten, Dr. Sklenar.) Doch. Präsidentin Lieberknecht: Frau Dr. Klaus, 30 Sekunden. (Unruhe im Hause)

Dr. Sklenar, ich kann Sie ja leider nichts fragen, weil die Geschäftsordnung das in der Aktuellen Stunde nicht zulässt. Ich bitte Sie aber noch einmal ausdrücklich im Protokoll nachzusehen, ich habe nicht gesagt, dass die Probleme in der Landwirtschaft dieses Jahr auf das Getreide begrenzt sind. Ich glaube, da haben Sie in Ihrem Eifer für die Landwirtschaft etwas überhört, was ich Ihnen gern nachsehe.

(Beifall bei der SPD)

Damit schließe ich jetzt die Aktuelle Stunde, weiteren Klärungsbedarf kann man ja vielleicht bilateral realisieren.

Wir kehren zurück zur laufenden Tagesordnung, und zwar zum Tagesordnungspunkt 9

Bundesratsinitiative der Landesregierung zur Schließung von Lücken im Unterhaltsvorschussgesetz Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/2634

Die Fraktion möchte begründen. Das macht Frau Dr. Fischer, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unser Antrag zielt auf mehr Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche ab. Zu den aktuellen Trends der Familienentwicklung gehört die Lebensform allein erziehender Elternteile, Väter und Mütter mit ihren Kindern. Diese Familien entstehen heute primär als Folge von Ehescheidungen und nicht mehr als Folge von Verwitwungen. Inzwischen enden 35 Prozent aller Ehen in Deutschland mit einer Scheidung, 21 Prozent der westdeutschen und 46 Prozent der ostdeutschen Frauen haben eine oder mehrere Lebensphasen als allein erziehende Mütter zu bewältigen. Es gibt verlässliche Hinweise darauf, dass in der Zukunft auch die Wiederverheiratungsquote nach Scheidungen rückläufig sein wird.

Ich bitte um Aufmerksamkeit, damit wir uns auch diesem Thema entsprechend widmen können.

Also, ich halte das Thema wirklich für wichtig, das will ich an der Stelle sagen.

(Beifall bei der PDS)

Ich bin allein erziehende Mutter übrigens, ich erlebe das laufend in der Praxis.

Meine Damen und Herren, die Entscheidung für Kinder führt hierzulande oftmals zu prekären Lebenslagen oder mündet in Armut. Diese Befunde sind eine Folge der strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Leben mit Kindern. Das hat im Übrigen auch die Sachverständigenkommission zur Erstellung des Fünften Familienberichts "Familien im vereinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens" festgestellt. Die fehlgeleitete Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass das Erziehen von Kindern zu beträchtlichen finanziellen Nachteilen gegenüber kinderlosen Familien geführt hat.

Meine Damen und Herren, erst durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in den 90er-Jahren wurde die jahrzehntelange verfassungswidrige Besteuerung des Existenzminimums von Eltern mit Kindern skandaliert. Das Armutsrisiko von Kindern hat sich aber durch eine weitere Tendenz verstärkt und das ist die soziale Vererbung von Bildungsarmut an die nachwachsende Generation. Die Folgen zeigen sich nicht nur in ihren vergleichsweise deutlich schlechteren Zugangs- und Verbleibchancen im Erwerbssystem oder in niedrigen Einkommen, sondern auch in erheblich eingeschränkten Möglichkeiten bei der Alltagsbewältigung infolge unzureichender Haushaltsführungskompetenzen und vor allen Dingen dem Fehlen von geeigneten Strategien zur Lösung von Konflikten.

Meine Damen und Herren, uns ist sehr bewusst, dass dieser Antrag nur ein Mosaikstein zur Bewältigung der aufgezeigten Probleme sein kann, aber es könnte ein Stück mehr Chancengleichheit für alle Kinder hier in Deutschland auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der PDS)

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Bechthum, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, beim Unterhaltsvorschussgesetz tritt der Staat für säumige oder auch wirklich nicht zahlen könnende, so genannte zahlungsunfähige, Mütter und Väter für einen gewissen Zeitraum ein. Diese Leistung ist nach unserer Auffassung ein Leistungsgesetz, zu dem sich der Bund selbst verpflichtet hat. Es soll vermieden werden, dass Kinder aufgrund fehlender Unterhaltsleistungen eines Partners etwa zu Sozialhilfeempfängern werden. Damit hat aber der Staat nicht die Eltern aus ihrer Verantwortung für das gemeinsame Kind entlassen.