Ich will Ihnen deshalb noch vier Zahlen nennen: Die Langzeitarbeitslosigkeit, Herr Schuster, hat sich in Thüringen unter Ihrer Verantwortung massiv in Richtung 70.000 bewegt, eine Erhöhung um nahezu 20.000 im Laufe der letzten Jahre. Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - ich sagte Ihnen die Zahl bereits gestern - hat sich seit 1998 bis heute um 60.000 verringert und, Herr Schuster, um auf die Erwerbstätigen zu kommen, auch die Erwerbstätigenzahl hat sich von 1999 bis heute in Thüringen um reichlich 50.000 verringert und die Arbeitslosigkeit als registrierte Arbeitslosigkeit bewegt sich auf unverändert hohem Niveau. Ob man da nun Volkswirtschaft studiert hat oder nicht, es dürfte klar sein, dass an dieser Stelle die Probleme so nachhaltig sind, dass in keiner Art und Weise von einer erfolgreichen Landespolitik, sondern vielmehr und viel deutlicher, wenn man ehrlich ist, von einer völlig gescheiterten Landespolitik zu reden ist.
Meine Damen und Herren, seit dem 16. August liegt ein Abschlussbericht der Kommission auf dem Tisch. Die Bundesregierung hat sich in der Kabinettssitzung am 4. September mit der Umsetzung ihrer Vorschläge beschäftigt. Klar ist jetzt, dass Gesetzesänderungen erst in der nächsten Legislaturperiode eingebracht werden und dass es eine gan
ze Reihe von Gesetzen geben wird, die zu ändern sind. Das ist für jeden, der die Kommissionsvorschläge gelesen hat, völlig klar. Es gibt allerdings einige Ausnahmen und die sehen wir auch von unserer Seite sehr kritisch. Wir haben erfahren, dass 50 PSA, diese so genannten Personal-Service-Agenturen, die ja das Herzstück der Vorschläge darstellen, bis zum Jahresende installiert sein sollen. Leider wurde allerdings ein Element der Kommissionsvorschläge für die Umsetzung im flotten Galopp ausgewählt, was weder parlamentarisch noch gesellschaftlich ausreichend diskutiert wurde. Wenn die Presseinformationen vom Dienstag stimmen, muss sich sogar der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt darüber beschweren, dass die bereits eingerichteten zwei PSA’s mit ihm als Vorstand noch nicht mal abgesprochen sind.
Fragwürdig ist das Konzept in der von der Kommission veröffentlichten Form für uns deshalb, weil staatlich subventioniertes Lohndumping und ein Druck auf Arbeitslose, die unter den Bedingungen arbeiten müssen, nicht ausgeschlossen sind. Auch dem Missbrauch der Instrumente durch Unternehmen ist Tür und Tor geöffnet. Gerade deshalb hätten wir uns genau an dieser Stelle eine breitere Debatte im Vorfeld gewünscht. Wozu also diese überholte und schnelle Einführung? Leider lässt sich das auch für uns nur mit dem Begriff "Wahlkampf" begründen.
Für uns ist das allerdings kein ausreichender Grund. Wir sagen es deutlich: die Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit war überfällig. Sie hätte unter der Kohl-Regierung längst eingeleitet sein müssen. Die, die 16 Jahre Zeit für die Neustrukturierung hatten, sind heute die ersten Mahner. Das erscheint auch mehr als zweifelhaft, aber Politik vergisst sehr schnell.
Noch einmal, meine Damen und Herren, wir halten es - und das ist auch ein Ansatz des Papiers - für einen falschen Ansatz, dass Arbeitslosigkeit als ein Individual- und Vermittlungsproblem abzutun ist. Es ist für den Arbeitsmarkt Ost bei fehlenden Arbeitsplätzen nicht das Problem der Vermittlung, sondern es ist ein Beschäftigungsproblem. Ich finde es sehr gut, dass das Hartz-Papier dafür gesorgt hat, dass diese Einsicht jetzt auch bei der Landesregierung auftaucht und auch von der Landesregierung vertreten wird. Jetzt brauchen wir nur noch die Vorschläge der Landesregierung, wie wir diesem Problem beikommen. Allerdings ist heute außer "das geht nicht" und "das haben wir schon immer gesagt" nichts Neues gekommen. Das ist für aktives Regierungshandeln viel zu wenig.
Herr Minister, es fehlen Punkte in dem Papier, die von Ihrer Seite hätten angesprochen werden müssen, die ich mir auch gewünscht hätte. Von unserer Seite sehen wir,
dass das Verschlechterungsverbot und ein klares Bekenntnis zum Sozialstaat zu wenig im Papier enthalten ist. In der Formulierung einiger Punkte gibt es eindeutige Anzeichen, dass man sich vom Sozialstaat verabschieden will. Uns fehlt weiter die Meldepflicht von offenen Arbeitsplätzen durch die Unternehmer, denn, wer behauptet, Herr Kretschmer, 1,5 Mio. Arbeitsplätze wären in den Unternehmen vorhanden, der sollte das bitte nicht geheim halten, sondern sollte diese Arbeitsplätze benennen, so dass Instrumente aufgebaut werden können, um 1,5 Mio. Menschen in 1,5 Mio. offene Arbeitsplätze zu vermitteln. Wenn es tatsächlich das Problem der Westunternehmen ist, dass diese Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, dann wäre es die Pflicht, diese Arbeitsplätze zu benennen. Dieser Pflicht hätte man ohne Probleme nachkommen können. Leider ist dazu die Weigerungshaltung von Ihnen deutlich erkennbar und offensichtlich auch von den Unternehmen so ausgeprägt gewesen, dass man diese plakative Aussage gerne weiter in der Öffentlichkeit hält und ihre Nachprüfbarkeit unter allen Umständen und allen Bedingungen offensichtlich verhindern will.
Bei anderen Ansätzen ist zu befürchten, meine Damen und Herren, dass sie sich direkt kontraproduktiv in Ostdeutschland auswirken. Deshalb unsere gestrige Forderung, sich für die Umsetzung der ostdeutschen Interessen in der Hartz-Kommission stark zu machen. Das hat die CDUFraktion, die hier in der Mitte des Hauses die Mehrheit stellt, gestern abgelehnt. Es ist interessant - das sollte man auch den Bürgern sehr deutlich sagen, da wir uns in einer Wahlkampfveranstaltung befinden - wie die Haltung in diesem Haus zu diesem Problem ist. Allerdings, meine Damen und Herren, den Ansatz, Arbeitslose bei Personal-ServiceAgenturen für sechs Monate zum Arbeitslosengeld und ohne grundlegende Arbeitnehmerrechte zu beschäftigen, lehnen wir nachhaltig und ganz massiv ab. Das widerspricht dem Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und ist letztendlich staatlich sanktioniertes Lohndumping, was zu einem ungeheuren Missbrauch führen kann und führen wird. Die Auswirkungen dieses Vorschlags bezahlen die Arbeitslosen bzw. die noch in Beschäftigung Befindlichen.
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt hinweisen, den ich für nicht umsetzbar in den neuen Bundesländern und damit auch in Thüringen halte. Ich spreche vom Ausbildungszeitwertpapier zur Finanzierung von garantierten Ausbildungsstellen. Die Einkommenssituation Ost und insbesondere Thüringen - im Hochtechnologieland Thüringen mit dem niedrigsten und schlechtesten Bruttolohndurchschnitt aller Bundesländer - lässt einer solchen Umsetzung einer solchen Regelung meiner Meinung nach überhaupt keinen Gestaltungsspielraum. Diese Umsetzung halten wir für unmöglich. Mit ihr würden nur besser Verdienende eine tatsächlich garantierte Ausbildungsstelle zur Verfügung stellen können bzw. erkaufen können. Bildung und Ausbildung darf aber nach Ansicht der PDS keine Frage der Einkommensverhältnisse der Bürger sein. Zu dieser Feststellung, meine Damen und Herren, gibt es tatsächlich keinerlei Alternative. Das sollte und das muss Kon
Aber, meine Damen und Herren, richtig ist und bleibt, das Hartz-Papier hat die Diskussion um öffentlich geförderte Beschäftigung wieder aufgegriffen. Das ist gut so. Das wird ausdrücklich von PDS-Seite befürwortet. Hier sind wir einer Meinung, dass dazu dringende Notwendigkeit und dass dazu dringender Handlungsbedarf besteht, der seit Jahren von PDS-Seite betont wurde und der auch seit Jahren von PDS-Seite eingefordert wurde.
Meine Damen und Herren, nicht umsonst ist diese Position in den Minderheitenvoten von meiner Seite in der Enquetekommission noch einmal eindeutig herausgestellt worden. Nicht umsonst war es deshalb Gegenstand unseres Antrags zur Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission "Wirtschaftsförderung in Thüringen", hier im Zusammenhang mit diesem Antrag sachlich und vernünftig zu diskutieren. Eben deshalb ist es von Ihrer Seite verhindert worden, weil Sie dieser Diskussion aus dem Weg gehen möchten und weil Sie diese Diskussion in keiner Art und Weise hier in Thüringen befördern wollen.
Insofern ist es tatsächlich dieses Verdienst, was es wert macht, über den Bericht weiterzudiskutieren. Das heißt nicht, dass wir Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsförderung ablehnen. Natürlich ist Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsförderung notwendig, aber, meine Damen und Herren, eingangs die Zahlen sprechen dafür deutliche Bände, wenn es der privaten Wirtschaft nicht möglich ist, das Beschäftigungsproblem zu lösen, dann ist der Staat gefordert, dann bleibt der Staat gefordert, wenn er denn Sozialstaat heißen will, sich diesem Problem zuzuwenden und entsprechende Lösungsansätze zu fertigen und anzubieten, die es erlauben, über 400.000 Menschen, Bürgerinnen und Bürgern von Thüringen, die einen Arbeitsplatz suchen und die einen Arbeitsplatz brauchen, ein Arbeitsverhältnis anzubieten, wo sie durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Meine Damen und Herren, das ist keine neue Forderung und keine Erkenntnis der Hartz-Kommission, das hat die PDS-Fraktion - und da können Sie gern nachlesen - in der 1. Legislaturperiode und in der 2. Legislaturperiode hier von diesem Pult mehrfach betont.
Wenn die CDU-Fraktion - und die CDU ist seit dieser 1. Legislaturperiode stur und standhaft - bei ihrer Aussage bleibt, Wirtschaftsförderung wäre das allein Seligmachende,
dann sieht man deutlich, welch gestrige und zurückgebliebene Position zur Veränderung hier eingenommen wird. Verhinderungspolitik allein, Herr Minister Schuster, wird das Problem nicht lösen. Deshalb besteht die PDS nach wie vor auf der Forderung, öffentlich geförderte Beschäftigung im verstärkten Maße einzuführen, entsprechende Modelle zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, deshalb hat die PDS auch Vorschläge in einem beschäftigungspolitischen Programm zur Schaffung von 1,3 Mio. Arbeitsplätzen vorgelegt und zur Diskussion gestellt. Das Konzept der Hartz-Kommission allerdings ist unserer Auffassung nach nicht geeignet, Massenarbeitslosigkeit nachhaltig und spürbar abzubauen. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, nach dem Motto, wie sagen wir das in dem Boxring: "Are you ready to ramble",
machen wir heute etwas Wahlkampf. Mal sehen, wer, was davon hat an diesem Freitag, dem 13. Wie sich bereits gestern herausgestellt hat, kann auch die PDS mit einigen der Hartz-Vorschläge umgehen, mit einigen nicht, gleichfalls die CDU. Das Problem ist nur, wenn wir die Punkte herausnehmen würden, die entweder der PDS oder der CDU nicht passen, dann gefiele uns das, was dann bliebe, nicht mehr.
Wie die Lage bei einem zustimmungspflichtigen Gesetz nun einmal ist, müssen wir uns auf dieser Ebene mit der Union einigen, ob es uns gefällt oder nicht. Das Berichtsersuchen der CDU-Fraktion zielt auf Ergebnisse der HartzKommission und erste Aufwirkungen auf den Arbeitsmarkt. Dazu kann eigentlich gar nicht berichtet werden. Deshalb hat der Thüringer Arbeitsminister das getan, was ohnehin zu erwarten war, er hat die Hartz-Vorschläge pflichtgemäß anlässlich des anstehenden Bundeswahlta
(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Wer hat denn gesagt, um 11.00 Uhr geht's los, das wart doch ihr.)
Eigene adäquate Vorschläge der Landesregierung habe ich Ihrem Bericht, Herr Minister Schuster, nicht entnehmen können. Die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation mit ca. 4 Mio. Arbeitslosen in Deutschland kann gewiss nicht befriedigen. Es ist sicher für einige im Saal auch müßig, an dieser Stelle auch für Sie, Herr Kretschmer, Vergleiche zu 1998 zu ziehen. Aber es muss hier gestattet sein, noch einmal deutlich auf den Umstand hinzuweisen, dass 1998 die Arbeitslosenzahlen mit 300.000 Wahlkampf-ABM geschönt waren und immerhin in diesem Jahr 1,1 Mio. mehr Beschäftigte auf dem ersten Arbeitsmarkt bundesweit zu verzeichnen sind als 1998.
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass dieser bundesweite Trend für Thüringen gerade nicht zutrifft Herr Gerstenberger hat auch schon zweimal darauf hingewiesen -, die Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt in Thüringen stagnieren und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze geht stetig zurück. Die besseren Arbeitslosenzahlen in Thüringen im Vergleich zu den anderen neuen Ländern sind allein dem Umstand zu verdanken, dass Thüringen erheblich mehr Pendler in die alten Länder zu verzeichnen hat als die anderen neuen Länder.
Wir haben 60.000 bis 70.000 Auspendler. Sie brauchen sich nur einmal umzusehen, welche Konsequenzen das in den Grenzregionen von Bayern schon hat. Ich habe hinten die Grafiken dabei, wie sich das in Hof schon auswirkt, weil nämlich folgender Effekt passiert: Die Leute gehen nach Bayern, bekommen dort quasi ein etwas höheres Gehalt als hier im Osten und drücken damit die Löhne
Wir haben in diesem Zusammenhang mehrfach öffentlich und mit unseren Anträgen hier im Plenum darauf hingewiesen, dass die Kahlschlagpolitik der Landesregierung den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt - die Situation der Arbeitslosen in Thüringen betreffend - noch verschärft.
Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zur Struktur der Arbeitslosenzahlen in Deutschland: Es ist hinlänglich bekannt, dass die Arbeitslosenzahlen in den neuen Ländern etwa doppelt so hoch sind wie in den alten Ländern, und dass sie ohne den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt etwa dreimal so hoch wären. Interessant ist es auch, die innere Struktur der arbeitslosen Mitbürger zu beleuchten. Beträgt die Arbeitslosigkeit unter den Hoch- und Fachschulabsolventen im Westen 2 Prozent und im Osten 4 Prozent, so liegt sie bei den übrigen Abschlüssen im Westen bei 5 Prozent, im Osten bei 15 Prozent. Bei den Nichtqualifizierten liegt die Arbeitslosigkeit West bei 25 Prozent und Ost bei 50 Prozent. Wir haben es nicht nur mit einem Arbeitsplatzdefizit Ost/West in Deutschland, sondern auch mit einer Spaltung nach der Qualifikation zu tun. Da gerade letzter Aspekt künftig der dominierende sein wird, hat die Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres das JobAqtiv-Gesetz auf den Weg gebracht, das mittelfristig gerade den Qualifizierungsstau unter den Arbeitslosen bekämpfen soll und wird. Im Gleichklang damit muss natürlich ebenfalls der erste Bildungsweg, also die Schulbildung, verbessert werden. Acht Monate Erfahrung mit dem JobAqtiv-Gesetz sind eindeutig zu wenig.
Nun zur Hartz-Kommission: Parallel zur Einführung des Job-Aqtiv-Gesetzes flatterte dem Bundesministerium für Arbeit bekanntlich der später öffentlich gewordene Prüfbericht des Bundesrechnungshofs zur Darstellung der Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit auf den Tisch. Offensichtlich hat hier eine große Behörde ihr Unvermögen zur Reduzierung der Arbeitslosenzahlen damit kaschiert, über Statistiken dennoch ihre Existenzberechtigung in der vorliegenden Struktur zu begründen. Da aber offenbar merkliche Veränderungen aus der Behörde heraus nicht abzusehen waren, wurde die Kommission unter der Leitung von Peter Hartz eingesetzt. Sie hatte den eigentlichen Auftrag, Reformvorschläge für den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zu entwickeln und vorzulegen. Als die Kommission am 16.08.2002 ihre Vorschläge, die so genannten 13 Module, vorgelegt hat, war klar geworden, dass sie vor allem auch aufgrund der begleitenden öffentlichen Diskussion über ihren ursprünglichen Auftrag weit hinausgegangen war. Allerdings konnte sie natürlich auch nicht alle anstehenden Fragen der Wirtschaft und Beschäftigungssituation in Deutschland angehen oder gar erledigen. Die Kommission hatte nicht den Auftrag, Vorschläge für die wirtschaftliche Angleichung des Ostens an den Westen vorzulegen und schon gar nicht die aktuellen Konjunkturfragen der deutschen Wirtschaft zu lösen. Das könnte im Übrigen eine solche staatliche Kommission im Rahmen der Marktwirtschaft vom Ansatz gar nicht leisten.