Protokoll der Sitzung vom 10.10.2002

Beispielsweise ist zu fragen, ob wir das Nebeneinander von Schulämtern und Schulverwaltungsämtern langfristig brauchen.

(Beifall bei der PDS)

Bei einer solchen Reform gibt es sehr viele praktische Probleme zu lösen, das ist uns bewusst. Sie setzt vor allem das Wollen vieler Akteure im Land voraus, auch das ist klar. Aber die Politik, meine Damen und Herren, muss damit anfangen. Unterlassungen und Verzögerungen wiegen hier schwer. Weil Sie Ihre absoluten Mehrheitsverhältnisse eben wieder gelobt haben, möchte ich Ihnen sagen, unter absoluten Mehrheitsverhältnissen wiegen Unterlassungen und Verzögerungen noch schwerer.

(Beifall bei der PDS)

Die Fraktion der PDS sieht als Mindestforderung für diesen Haushalt die Förderung von freiwilligen Gemeindezusammenschlüssen an, denn wir wollen das fördern, was notwendig ist, effektive und langfristig lebensfähige Strukturen im Land und dabei, wenn möglich, eine Einigung der Akteure vor Ort mit dem Lernen von Kooperation und Gemeinsamkeit.

Meine Damen und Herren, ein wichtiger Punkt gelebter Gesellschaftskritik betrifft die übermächtig gewordene Bürokratie in Deutschland und in Thüringen. Verfahren dauern zu lange, manche gute Idee könnte ohne viel Geld umgesetzt werden, wenn es nicht sinnlose bürokratische Hürden gäbe; wir haben jeden Tag damit zu tun. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich ohnmächtig und allein gelassen, Bürokratie behindert vielerorts nicht nur gemeinwohlorientiertes Arbeiten, sondern auch wirtschaftliche Aktivität. So wird von Bürgerinnen und Bürgern

oftmals beklagt, dass die Ministerien und Ämter nicht übergreifend arbeiten. Das führt zu langen Verfahren, zu Abstimmungsproblemen und zur Verweigerung eigener Zuständigkeit. Wir wollen, dass alle Verwaltungsrichtlinien und Verordnungen zügig durch die Landesregierung geprüft werden. In den halbjährlichen Berichten zur Verwaltungsmodernisierung in Thüringen wird dieses Ziel durch die Landesregierung auch betont. Die Landesregierung im Saarland machte es vor; 1999 wurde ein Prozess begonnen, der die umfassende Überprüfung von 3.500 Verwaltungsrichtlinien und Verordnungen zum Ziel hatte. Im März 2002 konnten davon bereits über 2.000 Richtlinien und Verordnungen aufgehoben werden. Insofern scheint der Beweis erbracht, dass Bürgerorientierung sehr wohl machbar ist. Insofern meine Aufforderung an Sie, endlich an dieser Stelle zu handeln.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat es versäumt, die Weichen in Thüringen auf Zukunft zu stellen. Ihre wirtschaftspolitischen Erfolge sind dünn. Sie sehen der Vernichtung von Arbeitsplätzen im privaten wie im öffentlichen Sektor zu, genauso wie Sie die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Bereich mit geringerem privaten Verwertungsinteresse, aber hohem gesellschaftlichen Nutzen verweigern. Letztlich drängen Sie junge Leute durch Unterlassung aus dem Land.

(Zwischenruf Gnauck, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Aber eigenhändig.)

Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist nichts Neues, er ist die Fortsetzung bisheriger Wurstelei. Ich will hoffen, dass wir in den nächsten Tagen hier keinen Affentanz vorführen, sondern tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes Beratungen zum Haushalt erleben und dass die CDU-Fraktion auch so selbstbewusst ist, eigene Anträge einzubringen.

(Beifall bei der PDS)

Wer behauptet, meine Damen und Herren, dass es zu seiner Politik keine Alternative gäbe, denkt letztlich in totalitären Kategorien. Der ist dann wirklich nur noch von George Bush zu toppen, der vor wenigen Tagen den wunderbaren Satz gesagt hat: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." So ändern sich auch die Zeiten, meine lieben Blockfreunde von der CDU.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zum Zeitplan machen: Gerade Beratungen dieses Doppelhaushalts erfordern ein hohes Maß an Abstimmung und Sensibilität gegenüber externen Akteuren. Auch das Argument, wonach die Kommunen mit einer Beschlussfassung - Minister Trautvetter hat es wieder ge

sagt - im Januar weniger Planungssicherheit hätten, ist eigentlich eine Lachnummer. Schließlich ist eine vernünftige und verlässliche Haushaltsberatung mit ausreichenden Möglichkeiten zur Konsultation und Anhörung eine erste Voraussetzung für die Planungssicherheit der Kommunen. An dieser Stelle müssen Sie mir schon einmal sagen, wo die Planungssicherheit der Kommunen in den letzten beiden Jahren war. Wo war sie angesichts zweier Nachtragshaushalte? Wer konnte bei den Hochschulen und bei den freien Trägern angesichts der Haushaltssperre planen? Das ist einfach purer Unfug, was Sie hier erzählen.

(Beifall bei der PDS)

Es soll der letzte Haushalt vor der nächsten Landtagswahl werden. Wir werden sehen, meine Damen und Herren, ob es tatsächlich der letzte sein wird oder nicht. Der schlechteste Entwurf ist es auf jeden Fall.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, wenn dieser Haushalt schon vor dem 70. Geburtstag unseres Ministerpräsidenten verabschiedet werden soll, dann, Herr Ministerpräsident, seien Sie wenigstens so konsequent und machen Sie im Dezember unverzüglich den Weg für eine inhaltliche und personelle Erneuerung dieses Landes frei, machen Sie den Weg für Neuwahlen frei.

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich an Ihrer Stelle würde nicht so lange warten bis meine Abgeordneten bei meinen Reden einschlafen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Gentzel zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wahlschlacht ist vorüber und langsam verzieht sich der Pulverdampf. Ich hatte gehofft, dass dieses Anlass genug ist, heute mit etwas weniger Polemik und mehr pragmatisch und an der Sache orientiert diese Haushaltsvorlage zu diskutieren. Leider hat Herr Trautvetter in seiner Rede bewiesen, dass er dessen nicht gewillt ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Trautvetter, Ihre Haushaltsrede war in zu großen Teilen sehr polemisch und deshalb eine schlechte Haushaltsrede.

(Beifall bei der SPD)

Man hatte teilweise das Gefühl, hier vorne redet ein Wahlsieger der letzten Bundestagswahl. Weil ich den Eindruck habe, dass Sie es vergessen haben, noch einmal Folgendes: Sie haben mit Ihren Vorschlägen zur Bundespolitik die Bundestagswahlen verloren. Sie haben alle drei Wahlziele verfehlt: Regierung, Regierungsbeteiligung und das Stellen eines Kanzlers. Es hat sich Gott sei Dank ausgestoibert.

(Beifall bei der SPD)

Sie sollten darüber nachdenken,

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Nicht so laut!)

warum die Thüringer CDU bei dieser Wahl das erste Mal unter die 30-Prozent-Marke gerutscht ist.

(Unruhe bei der CDU)

Deshalb, meine Damen und Herren, will ich Ihnen Folgendes ins Stammbuch schreiben: Mit der Art und Weise, wie Sie hier Bundespolitik uminterpretieren, haben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem bei den Thüringern.

(Beifall bei der SPD)

Ich rufe Ihnen an dieser Stelle als Sozialdemokrat zu: Machen Sie weiter so, uns gefällt es, wie Sie bei den letzten Wahlen in Thüringen abgeschlossen haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich will nur an einem Beispiel nachweisen, wie teilweise verlogen die Uminterpretation von bundespolitischen Dingen stattfindet, weil mich das getroffen hat. Deshalb will ich zwei Sätze zum Flutopferhilfegesetz sagen. Die Bundesregierung hat nach diesen schrecklichen Dingen, die vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt passiert sind, schnell und konsequent geholfen. Dieses mündete in dem von mir angesprochenen Gesetz, dem Sie selbst im Bundesrat zugestimmt haben. Wo der Skandal passiert ist? Das ist in Sachsen passiert. Ist es nicht der CDU-Ministerpräsident gewesen, der über Wochen Millionen Euro für die Fluthilfeopfer zurückgehalten hat, um damit Zinsersparnisse zu erzielen?

(Unruhe bei der CDU)

Er hat es im Bundesrat zugegeben. Er hat zugegeben, dass diese Summe, die für die Opfer bereit lag, tagelang auf dem Konto geschmort hat und dass damit Zinsgewinne erzielt worden sind. So verhält sich die Sache richtig. Nicht die Bundesregierung ist diejenige, die an dieser Stelle bremst, es ist nachweislich ein CDU-Ministerpräsident gewesen, dem das Hemd näher war als die Hilfe bei den Opfern.

(Beifall bei der SPD)

Und, Herr Trautvetter, ich hätte Ihnen ehrlich gesagt, auch eine größere Wahrnehmungsfähigkeit zugetraut. Sie gehörten ja in die glorreiche Wahlmannschaft von Frau Lengsfeld, die in Jena so überzeugend den Wahlkampf abgeschlossen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was Sie hier erzählt haben, das ist, was Sie in diesem Wahlkampf von den Bürgern gehört haben. Diese wirklich nur einseitige, immer nur in eine Richtung gehende Kritik, die Unfähigkeit zur Selbstkritik oder an einer Stelle auch einmal zu sagen, wir haben da etwas nicht richtig auf die Reihe bekommen, das ist doch das, was Sie hier in dieser Landespolitik behindert.

(Beifall bei der SPD)

Herr Trautvetter, um mit dem Kapitel abzuschließen: Sie sind mit Ihrer Rede gestartet, Sie sind losgelaufen in den Bundestagswahlkampf 2006. Aber auch da gilt: Es kommt nicht darauf an, wer zuerst losläuft, sondern es kommt darauf an, wer zuerst im Ziel ist. Und machen Sie weiter so, werden Sie noch mehr als ein Mal stolpern und straucheln.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die alte und neue Bundesregierung beginnt sich zu formieren. Gut ist, dass dies so schnell passiert, ein Zeichen dafür, dass man gewillt ist, Sachfragen zu klären. Es gibt nach wie vor viel zu tun, 16 Jahre Reformstau macht man nicht in vier Jahren weg. Ich bin sehr optimistisch, dass die rotgrüne Bundesregierung im Hinblick auf die notwendige Durchsetzung wichtiger Reformen in dieser Legislaturperiode viele Kritiker verstummen lassen wird. Bei der Einkommenssteuerreform ist das ja in der vergangenen Wahlperiode eindrucksvoll gelungen. Selbst der Thüringer CDU-Spitzenkandidat war ja vor seiner Ernennung ins Kompetenzteam voll des Lobes für diese Reform, die er danach aufs Heftigste kritisieren musste. Und so war es sicherlich auch ein Glaubwürdigkeitsproblem, weshalb Ihr Joker nicht zu stechen vermochte, nicht einmal in Jena. Parteinehmer gegen die rotgrüne Bundesregierung beginnen nun langsam ihre Aussagen zu relativieren. Es war ja alles gar nicht so gemeint. Mancher Verbandsfunktionär rudert mittlerweile so stark zurück, dass er auch als Ventilator durchgehen könnte. Bestimmte Branchen, die um ihre Existenz bangen mussten, weil ein Roll-back ohnegleichen geplant war, wie in der mittelständischen Getränkeindustrie oder in der Windund Solarenergiebranche, atmen auf wegen der für ihre Entwicklung günstigen Wahlentscheidung. Aber es wird auch manch einer in diesem Land noch hadern mit der Entscheidung der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler. Ich bin mir sicher, dass es der neuen Bundesregierung durch entschlossenes Handeln gelingt, viele dieser Zweifler in den nächsten Jahren zu überzeugen.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Ihre Hoffnungen!)

Ich komme doch noch zu Ihnen, seien Sie doch nicht so aufgeregt. Mensch, wenn ich eine absolute Mehrheit hätte, ich wäre hier viel souveräner in dem Haus.

(Heiterkeit bei der CDU)

Was ist denn nur los mit Ihnen, was ist denn nur los?