Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Da muss man doch nicht streiten, da sind wir uns doch einig. Das weiß doch jeder.)

Herr Döring, da sind ganz klare Vorgaben. Wir sagen, es muss mit einer Mindeststundenzahl unterrichtet werden, das könnten z.B. drei Unterrichtsstunden in der Woche sein. Insbesondere in den Klassen 5 und 6 wollen wir, dass das

Klassenlehrerprinzip gestärkt und dass das auch so festgeschrieben wird, meinetwegen in der Schulordnung.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Warum nicht im Schulgesetz? Das haben Sie abge- lehnt.)

Darüber hinaus möchten wir, dass zum Beispiel in der Entscheidungskompetenz der Schulkonferenz, da sind wir auch bei dem Thema "Eigenständige Schule" festgelegt werden kann, dass andere Fächer, andere Stunden zugunsten einer Klassenlehrerstunde gegeben werden können.

Es ist ja richtig, Herr Döring, dass wir Ihren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben, weil es immer auf Systematik ankommt. Wir sind uns doch in der Sache einig, dass es eine Klassenlehrerstunde geben muss, die dem Schüler zugute kommt, nicht dem Lehrer zuerst, dem Schüler zugute kommt. In unserer Gesetzessystematik ist das Gegenstand der Verordnungen und weiterführenden Richtlinien und nicht Sache des Gesetzes. Insofern ist unser Begleitantrag zu verstehen zu diesem Gesetz.

Ein Satz oder mehrere Sätze zu dem Thema "Schulpflicht für Asylbewerber": Die Landesregierung wollte etwas im Gesetz festschreiben, was sie spätestens mit der Verordnung zur Schulpflicht im Jahr 1995 bereits geregelt hat. In dieser Verordnung, und diese Verordnung lautet "Schulpflicht ausländischer Kinder und Jugendlicher, hier: Kindern von Asylbewerbern, Asylberechtigten und Flüchtlingen", ist in § 1 geregelt, dass Schulkinder, also Kinder von Asylberechtigten, das heißt von anerkannten Asylbewerbern, der Schulpflicht unterliegen, des Weiteren Kinder von Ausländern, die im Rahmen humanitärer Hilfsmaßnahmen aufgenommen sind, also sprich Kriegsflüchtlinge, aber auch die Kinder von Asylbewerbern, deren Antrag auf Anerkennung rechtskräftig abgelehnt wurde und deren Aufenthalt jedoch längerfristig trotzdem in Deutschland geduldet ist, oder auch Kinder, wo der Aufnahmeantrag abgelehnt wurde, die aber noch nicht in einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren befindlich sind. Das heißt, die große Masse der Kinder unterliegt in Thüringen einer Schulpflicht und sie besuchen auch die Thüringer Schulen. Insofern, Frau Sojka, müssen Sie uns nicht sagen, dass wir das Ziel im Namen unserer Partei beachten sollen.

(Beifall bei der CDU)

Das wird von uns beachtet. Aktuell sicherlich im Gedächtnis war bei der Erstellung des Regierungsentwurfs die Neuregelung in Bayern. Dort wurde aufgrund einer Klage der Kommunen die Schulpflicht ins Gesetz aufgenommen. Dort war es nämlich so, dass die Kommunen gegen die Schülerbeförderung, die ihnen aufgezwungen war, klagten, weil sie meinten, wenn es hier keine Schulpflicht gibt, müssen wir diese Kinder nicht befördern. Das ist sicherlich in Bayern auch ein Stück weit verständlicher, da dort die Anzahl der Asylbewerber eine wesentlich höhere ist als hier in Thüringen. Wir haben in Thüringen ca. 1 Pro

zent der Kinder, die Asylbewerberkinder sind. Das ist keine große Zahl, insofern hat es den Ärger mit den Kommunen nie gegeben. Dort, wo es mal Unstimmigkeiten gab, sind immer Regelungen zwischen Kultusministerium und Innenministerium und der entsprechenden Kommune gefunden worden. Das heißt, wenn man so will, wir haben in Thüringen auch eine kommunalfreundliche Lösung dieses Problems gefunden.

(Beifall bei der CDU)

Und da bin ich schon bei den Gründen für unsere Fraktion, die sagt, wir wollen gern bei der alten Regelung bleiben. Erstens, Schulpflicht könnte ein einklagbares Hindernis bei der Abschiebung nicht asylberechtigter Ausländer sein. Zweitens stößt natürlich die Durchsetzung der Schulpflicht in der Praxis oft auf Probleme. Und vielleicht für uns der wichtigste Grund ist, es sollte doch wohl in Deutschland auf diesem Gebiet endlich mal eine einheitliche Regelung und Verfahrensweise geben. Denn es kann nicht sein, dass die Dauer der Asylverfahren so langwierig ist und das natürlich oft auf Kosten der entsprechenden Kinder geht. Da sollten wir deutschlandweit Regelungen finden.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Das alles zu- lasten der Kinder.)

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Bildung ist Menschenrecht.)

Natürlich ist Bildung Menschenrecht, Frau Sojka, deswegen haben wir auch die Schulpflicht für Asylbewerberkinder in der Verordnung geregelt.

(Unruhe im Hause)

Bisher konnten auch die anderen Fraktionen oder Sprecher ihre Meinung darstellen, jetzt ist Herr Emde derjenige, der das tut.

Im Übrigen muss man sich mal die Regelungen anschauen, die in den anderen deutschen Ländern gelten. Dort ist es so, dass es über die Farbe der Regierung hinweg ganz unterschiedliche Regelungen gibt - Schulpflicht im Gesetz ja, Schulpflicht im Gesetz nein.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das ist völlig wurst, hier geht es um unsere Rege- lung.)

Insofern halten wir es für wichtig, dass man sich an einen Tisch setzt und eine gesamtdeutsche Regelung für dieses Thema findet.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Aber zuguns- ten der Kinder.)

So, wie man es in Brandenburg macht, sollte man es nicht tun. Man schreibt ins Gesetz hinein, es gibt die Schulpflicht und macht dann eine Verordnung und hebelt die Schulpflicht wieder aus. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall Abg. Döring, SPD)

Fazit zu diesem Punkt: Erstens, alle Kinder dieser Asylbewerber, die es wollen und für längere Zeit hier in Thüringen leben, werden von uns beschult.

Zweitens, das Land nimmt bei der Lösung von Problemen nicht nur die Kommunen in die Pflicht, wie es andere Länder tun.

Drittens, die Abschiebung von am Ende asylberechtigten Kindern wird nicht erschwert.

Anderes Thema - inhaltliche Entwicklung von Schule oder Strukturdebatte: Herr Döring meint, wir müssten unbedingt die Strukturdebatte weiterführen und plädiert für ein längeres gemeinsames Lernen.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Wir auch!)

Wir halten die Struktur

(Beifall bei der SPD)

für einen sekundären Faktor. Wer zum Beispiel das längere gemeinsame Lernen, meinetwegen bis Klasse 6 wünscht, der soll uns aber auch mal nachweisen und überhaupt den Nachweis erbringen, welchen Vorteil das denn bringen soll.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Das lassen Sie doch überhaupt nicht zu.)

Nur allein aus dem gemeinsamen Verbleib in einem Klassenverband kommen diese bestimmt nicht. Bisher haben diese Versuche in Deutschland nichts gebracht. Und so schaffen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt die Orientierungsstufe wieder ab.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: So ist es.)

Die inhaltliche Innovation, Herr Döring und auch Frau Sojka, die Sie mit diesem Gedanken verbinden, sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Was werden als Gründe immer wieder genannt? Da ist es die Verschiebung der Entscheidung für die weitere Schullaufbahn. Das kann es aus meiner Sicht nicht sein. Denn auch nach Klasse 6 hätten wir eine gleich hohe Übertrittsquote zum Gymnasium wie bisher. Wer meint, dass ein Schulwechsel im Alter von 12 Jahren sinnvoller ist als im Alter von 10 Jahren, der ist für meine Begriffe auf dem entwicklungspsychologischen Holzweg.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage es hier auch noch einmal: Für mich ist längeres gemeinsames Lernen kein Dogma, wenn es zu besseren Ergebnissen führt, besseren Ergebnissen sowohl bei den Leistungen, bei den Kompetenzen und dabei ist die soziale Kompetenz nur eine dieser Kompetenzen.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Den lassen Sie doch gar nicht zu, den Schulversuch. Der wurde doch abgelehnt. Sie reden von Ver- gleich und lassen den Vergleich nicht zu.)

Bisher überwiegen für mich die Nachteile sowohl aus der Sicht des Kindes als auch aus schulpolitischer Sicht. Denn wie schaffen wir es denn dann noch in den verbleibenden sechs Jahren 35 Prozent der Schüler zu einem vernünftigen Abitur zu bringen. Herr Döring, das sage ich Ihnen auch, oder auch Frau Sojka, Sie wollen ja die totale Veränderung und Revolution im Schulwesen: Wer eine solche Strukturänderung betreibt, nimmt auch in Kauf, dass Thüringer Schule erneut total umgekrempelt wird, das heißt neue Lehrpläne, andere Schulnetze, andere Lehrbücher und, und, und.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Das behaup- ten Sie.)

Ob uns das in der Schulentwicklung weiterbringt, das möchte ich bezweifeln. Frau Sojka, da komme ich gleich zu Ihrer DDR-Nostalgie. Im MDR ist ja auch ein schöner Text zu lesen, also Finnland hat in den 70er-Jahren die Schule von der DDR abgeguckt und jetzt ist dort alles fantastisch. Es gibt eine Studie über regionale Unterschiede von Intelligenzleistung und Basisfertigkeiten im Rechnen und Schreiben. Das ist eine 10-Jahres-Studie an Musterungskandidaten. Und hier heißt es: "Seitdem auch junge Männer aus den neuen Bundesländern untersucht werden, gab es in den wichtigsten Leistungsbereichen auffallend hohe Defizite. Dies hat sich allerdings bis zu den Jahren 95, 96 im Wesentlichen aufgelöst." So viel zum Thema, die DDR-Schule war besser. Und jetzt muss man aber schauen, wie geht es weiter? Seit 95, 96 gibt es auch noch große Unterschiede, aber die bestehen jetzt nicht mehr zwischen Ost und West, sondern es gibt ein Süd-Nord-Gefälle. Das heißt, dass hier andere Länder wesentlich schlechter abschneiden als zum Beispiel Thüringen und Sachsen. Wir stehen dort sehr gut da und das ist eine Bestätigung eben genau auch der PISA-Ergebnisse, dass es dieses Gefälle zwischen einzelnen Bundesländern gibt.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Was ist Ihre Messlatte?)

Da gibt es keine Messlatte, Frau Sojka, das ist eine einfache Feststellung von Tatsachen, wo eben Intelligenzleistungen dieser Untersuchungsgruppe liegen.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Unter den Blinden ist der Einäugige König.)

Da komme ich jetzt gleich mal zu Ihren finnischen Träumen, Frau Sojka. Wenn Sie sagen, der Blinde ist König, Einäugige ist König, also das sind für mich finnische Träume. Sie fahren nach Finnland, kommen hierher und sagen, wir machen das jetzt wie in Finnland. Von Finnland lernen, heißt siegen lernen. Aber, wenn wir es so machen, kommen wir keinen Schritt weiter. Denn die finnischen Verhältnisse sind auf unsere überhaupt nicht übertragbar. 40 Prozent der Schulen dort haben - und die haben ja 9 Klassen, dort lernen sie 9 Klassen lang zusammen weniger als 50 Schüler.

(Zwischenruf Abg. Sojka, PDS: Ist das etwa schlecht?)

Das heißt, es sind fünf bis sechs Schüler in einem Jahrgang. Wollen Sie das mit unseren Verhältnissen hier vergleichen? Das können Sie überhaupt nicht herunterziehen. Nur 3 Prozent aller Schulen haben über 500 Schüler in Finnland. Und in den Ballungsgebieten, wo es für finnische Verhältnisse große Schulen gibt, funktioniert das dann eben nicht so. Es gibt in Finnland freie Schulwahl, ganz freie Schulwahl und da gibt es auch nicht die Fragen, die Schülerbeförderung durch den Staat zu finanzieren usw., es gibt eine freie Schulwahl. Die Schülerströme sortieren sich dort aufgrund der curricularen Profilierung dieser Schulen, so dass manche Schulen unseren Gymnasien in etwa entsprechen und andere Schulen eher einer Hauptschule. Da kann man sagen, das Schulwesen gliedert sich dort durch Abstimmung der Schüler mit den Füßen und nach Auswahl der profilierten Schule. So viel zu diesem Thema. Man darf nicht einfach irgendwo hinschauen und sagen, das ist es, das machen wir auch so, man muss immer die konkreten Bedingungen berücksichtigen und beachten. Ich komme dann noch mal bei dem Thema "eigenständige Schule" darauf zurück.

Was sind die Punkte, an denen aus unserer Sicht künftig verstärkt gearbeitet werden muss in Thüringen, um zu Bildungsergebnissen zu kommen, die Thüringen auf internationales Niveau heben? Ich sage es noch mal: Wir sagen nicht, dass wir nichts zu tun haben. Wir sehen sehr wohl die PISA-Ergebnisse und ordnen uns weltweit ein, aber es muss auch erlaubt sein, zu sagen, wo wir innerhalb Deutschlands stehen und dort stehen wir nicht schlecht.

(Beifall bei der CDU)

Was sind Punkte, wo wir glauben, dass sie sich weiterentwickeln müssen? Die Eigenverantwortlichkeit und die Fähigkeit zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben bei der Erziehung ihrer Kinder ist bei den Eltern zu stärken. Dem könnten z.B. Elternakademien dienen, dem könnten auch Angebote zur Familienbildung, Erziehungsberatung an Kindertagesstätten oder Grundschulen nachkommen. Auch die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und