Protokoll der Sitzung vom 22.11.2002

(Beifall bei der PDS)

Der Ministerpräsident hat sich noch einmal zu Wort gemeldet.

Verehrte Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren Kollegen, ich habe vorhin die Sorge um Ansehensverlust von Politik und Politikern formuliert aufgrund einer Studie, die im August dieses Jahres durchgeführt worden ist und einen anderen Umgang untereinander angemahnt hat. Ich stütze mich dabei auf die Tatsache, dass der Herr Bundespräsident vor wenigen Tagen die Parteien in Deutschland zu einem neuen Denken im Umgang mit den Bürgern aufgefordert hat und dass er Klarheit und Wahrheit verlangt hat. Und Sie sprechen Herrn Kollegen Althaus das Recht ab, zu diesem Thema hier etwas zu sagen. Nein, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der CDU)

es herrscht tiefe Beunruhigung in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe noch nie erlebt, dass alle Presseorgane aller Couleur in einer solchen Einmütigkeit Kritik und Sorge äußern, und dann ist es wohl erlaubt, dass das auch hier im Landtag von Thüringen geschieht.

(Beifall bei der CDU)

Ich hatte Herrn Hahnemann und Frau Pelke nicht gebeten, den Beleg für die Richtigkeit meiner Befürchtungen anzutreten, sie haben es aber leider postwendend getan. Sie haben sich nicht mit der Sache auseinander gesetzt, Herr Hahnemann, sondern Sie haben Schuldige gesucht und das ist meines Erachtens angesichts des Themas, das wir hier behandeln, nicht angemessen. Ich weiß, dass wir uns alle bemühen müssen, die festgestellten Mängel - jetzt meine ich in Fragen Rechtsradikalismus - zu beheben, aber ich spreche Ihnen das Recht ab, der Regierung eine Mitverantwortlichkeit für die Taten von Rechtsradikalen einzuräumen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS: Ich lasse mir das Recht nicht absprechen.)

Ich lasse mich gern fragen, Herr Hahnemann, was könnt ihr noch mehr tun, aber ich lasse mir von Ihnen nicht sagen, die Thüringer Landesregierung trage Mitverantwortung für das, was an Radikalismus in diesem Land geschieht.

(Beifall bei der CDU)

Wir tragen weder Mitverantwortung für Linksradikalismus noch Rechtsradikalismus. Wir bekämpfen ihn, wir verachten ihn, wir bitten um Gemeinsamkeit gegen ihn, aber wir tragen nicht Mitverantwortung, Herr Hahnemann, das weise ich entschieden zurück.

(Beifall bei der CDU)

Und genauso weise ich zurück - und es ist gestern in der Mündlichen Anfrage beantwortet worden, wie man mir sagt, ich habe sie selber nicht gelesen -, wir hätten den Prozess gegen die NPD verzögert. Richtig ist, dass selbstverständlich auch weiterhin Mittel für V-Leute im Haushalt einsetzen werden, weil es sich ja gerade zeigt, dass das notwendig ist.

(Beifall bei der CDU)

Und dann zum Polizeiaufgabengesetz: Das haben Sie als einen gewaltigen Generalverdacht gegen alle Bürger bezeichnet. Herr Hahnemann, sprechen Sie mal bitte mit den Leuten. Was die Leute Ihnen sagen, wenn wieder eine rechtsradikale Demonstration angekündigt ist und wenn

sie sie fragen, gibt es eigentlich wirklich kein Mittel, zu verhindern, dass wieder tausend junge Polizisten ein ganzes Wochenende lang ihren Kopf hinhalten müssen, dass wir wieder aus der mageren Staatskasse Hunderttausende von Mark aufwenden müssen, dass wir wieder nicht in der Lage sind, solche Unsinnigkeiten zu verhindern. Und dann kommen Sie mir nicht damit, dass die Maßnahmen, die dort vorgesehen sind, einen Generalangriff auf die Bürger darstellen.

(Beifall Abg. Althaus, CDU)

Nein, meine Damen und Herren, in der Tat nicht. Wir wollen auch keine grundgesetzfreien Tage und keine ungesetzfreien Orte, sondern wir werben dafür. Aber das haben Sie leider nicht begriffen. Wir wollen lehren, dass man auch Einschränkungen aussprechen muss, um das Ganze zu sichern. Aber das haben Adam und Eva schon nicht begriffen und Sie haben es auch nicht begriffen bis auf den heutigen Tag.

(Beifall bei der CDU)

Demokratie, meine Damen und Herren, ist eben keine einfache Sache und deswegen feiert Frau Pelke in Thüringen die Monarchie. Frau Pelke, was wollen Sie eigentlich damit sagen? Wollen Sie damit sagen, dass die Zustimmung zur Landesregierung, zum Ministerpräsidenten und zu der sie tragenden Partei in Thüringen wächst - stört Sie das? Wollen Sie damit sagen, dass die Leute insgesamt mit der Regierung überwiegend zufrieden sind - stört Sie das, das würde ich verstehen. Dass Sie Erbfolge sichern wollen innerhalb einer Familie, das werden Sie sich in der Monarchie bei mir nicht vorstellen können - das wäre ja nicht möglich, verehrte Frau Pelke.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Ich kritisiere an Ihren Ausführungen und an den Ausführungen von Frau Nitzpon - Frau Nitzpon sprach von Alleinherrschaft und Sie von Monarchie - Ihre permanente Wählerschelte, Frau Pelke.

(Beifall bei der CDU)

In einer freien Wahl hat uns die Wählerschaft eine Mehrheit gegeben und die haben wir nicht als Herrschaft verstanden. Wir haben allerdings im Gegensatz zu anderen auch vor, die Gründe, weswegen wir gewählt worden sind, in die Tat umzusetzen, und das tun wir, beispielsweise gestern beim Schulgesetz, und nicht auf irgendwelche Torheiten zu verfallen. Dann möchte ich Sie bitten, wenn Sie sich mit Jugend treffen wollen, Frau Pelke, Sie gehören ja fast noch ein bisschen dazu, dann treffen Sie sich doch auf dem Thüringen-Tag mit der Jugend, da brauchen Sie mich doch nicht dazu. Aber mischen Sie sich doch nicht ein, wenn ich mich mit Jugendlichen treffen will.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin doch nicht dazu da, Ihnen den vollen Saal zu beschaffen, damit Sie sich mit Jugend treffen. Laden Sie die Jugend ein und dann kommen die, die zu Ihnen kommen wollen, Frau Pelke.

Jetzt noch etwas zur Sache: Also, sowohl Frau Pelke wie Frau Nitzpon haben gesagt, sie wollten - Frau Pelke hat gesagt, in der nächsten Landtagssitzung anhand der Haushaltsberatung - überprüfen, wie wir es mit der Familie hielten. Sehen Sie, Frau Pelke, Klarheit und Wahrheit und Umgang miteinander, machen Sie sich doch einmal die Mühe und nehmen Sie den Haushalt in die Hand. Das, was ich vorhin zur Familie referiert habe, schlägt sich doch seit Jahren in unserem Landeshaushalt nieder. Nennen Sie mir irgendeinen Landeshaushalt Deutschlands, wo für die Familie mehr aufgewendet wird als in Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

Nennen Sie mir irgendeinen Landeshaushalt, wo wir uns mit dem Sicherheitspaket - Inhalt der heutigen Regierungserklärung - nicht gut messen können.

(Beifall bei der CDU)

Geben Sie mir irgendein Beispiel, dass wir in Sachen Jugend nicht Schwerpunkte gesetzt haben und beispielsweise bei der Jugendpauschale unter der verzweifelten, der Situation des Haushalts sogar noch zugelegt haben. Wir setzen doch das, was dort steht, um. Ich finde eben, es ist vor den Wählern nicht zu verantworten, dass hier nicht Wahrheit und Klarheit herrscht und gesagt wird, dieses Land - das ist ja nicht die Landesregierung -, der Steuerzahler dieses Landes setzt die Priorität Jugend und Familie ganz vorne. Wir geben am meisten.

(Beifall bei der CDU)

Wie Sie ganz genau wissen, Frau Pelke, wir geben im Schnitt der Bundesrepublik Deutschland für den Schüler in Thüringen mehr aus als Bayern und Baden-Württemberg. Wir haben eine bessere Lehrer-Schüler-Relation als die allermeisten Länder. Da kommen Sie doch nicht hierher und sagen uns, wir müssen das nächste Mal einmal nachschauen, ob sie auch dazu stehen.

(Beifall bei der CDU)

Dann muss ich sagen, Frau Nitzpon, Ihre Bemerkung zur Armutsgrenze hätten Sie bitte erst machen sollen, nachdem die afghanischen Frauen hier nicht mehr unsere Gäste sind. Das passt nicht in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei der CDU)

Herr Ramelow, was ich meine mit der Kritik, die ich vorhin in der Auseinandersetzung geübt habe, ich will Ihnen das an zwei Beispielen klar machen. Ich meine beispielsweise, dass man nicht eine Hetzjagd gegen einen amtierenden

Innenminister entfacht, eine Sondersitzung veranlasst, weil angeblich Holland oder Thüringen in Not sei, und wenn der Minister mitteilt, das er zurücktrete, dann überhaupt nichts mehr zum Thema zu sagen weiß. Das meine ich beispielsweise. Ich meine aus den letzten Tagen, das führe ich genauso als Beispiel an, wenn ärgerlicherweise und von mir auch ausdrücklich kritisierterweise in einem von dutzenden von Fällen, Herr Kollege Gentzel, die Information über einen Staatsvertrag nicht in Ordnung war und ich von vornherein gesagt und erklärt habe, als ich das festgestellt habe, das muss selbstverständlich aufgearbeitet und bereinigt werden. Wenn dann der Eindruck erweckt wird, als ob in diesem liederlichen, verkommenen Bananenstaat Thüringen eine verfassungsbruchtreibende Regierung ihr Unwesen treibe, dann werfe ich Ihnen vor, das ist nicht Wahrheit und Klarheit, sondern ist der Versuch, uns gegenseitig in einen schlechten Ruf zu versetzen und um die vernünftige Position zu bringen.

(Beifall bei der CDU)

Das waren so zwei Beispiele aus den jüngsten Tagen, leider kann ich viele andere Beispiele noch nachliefern.

Herr Ramelow, ich habe diesen Artikel, Sie merken es an der Tatsache - ich wusste ja nicht, dass Sie ihn ansprechen -, dass ich ihn dabeihabe, gelesen. Herr Baring in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Überschrift: "Bürger auf die Barrikaden", Untertitel: "Deutschland auf den Weg zu einer westlichen DDR", das haben Sie nicht zitiert. Herr Ramelow, ich will ausdrücklich sagen, ich habe den Artikel gelesen, aber ich mache ihn mir nicht zu Eigen. Ich bin ja auch nicht als Zensor für Artikel von Herrn Baring hergekommen. Wir kennen Herrn Baring, der sagt Richtiges und er sagt Falsches. Was Sie da angesprochen haben, das wissen Sie, das ist nicht meine Meinung, das halte ich auch nicht für richtig. Nur, dass er sagt: "Dieser Umgang mit dem Staatsvolk erbost. Wofür halten uns die Leute, die uns repräsentieren, selbst Unmündige darf man nicht hinters Licht führen." - wo er Recht hat, hat er Recht.

(Beifall bei der CDU)

Weil er Recht hat, hat auch Herr Althaus Recht gehabt, meine Damen und Herren, denn nichts anderes hat er ja getan, darzulegen, dass wir hier im Landtag von Thüringen keine Unmündigen sind. Jetzt als Schlussbemerkung: Jugend, Frau Nitzpon, das ist weder der Tenor des Monitors noch gar der Tenor der Shell-Studie, die sich ja sehr viel intensiver mit der Jugend auseinander setzt - nichts liegt der heutigen jungen Generation in Deutschland ferner als Pessimismus und Beklagen von Benachteiligung. Überhaupt nichts liegt ihr ferner. Sie ist keine skeptische Generation mehr, sie ist auch keine pessimistische Generation mehr, sondern sie ist in überraschender Weise eine sehr, sehr realistische Generation und sie hat begriffen, auch das sage ich in Anwesenheit von afghanischen Frauen, dass die Chancen junger Menschen in Deutschland in den letzten Jahrhunderten nie größer waren als heute, weil ihnen

die ganze Welt offen steht, weil, meine Damen und Herren, sie eine Sicherheit haben im Gegensatz zur Generation von mir und meinen Eltern: die Hälfte von ihnen wird nicht auf Schlachtfeldern in Europa liegen. Aus diesem Grund sage ich: Die Chancen dieser jungen Generation sind in der Tat erfreulich.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen lohnt es sich nach der Lektüre des Monitors, bitte nicht beruhigt zu sein, nicht Zufriedenheit zu äußern, nicht zu sagen, es ist in Ordnung; nein, es ist vieles nicht in Ordnung; aber doch auch ganz eindeutig festzustellen, für Klagelieder besteht nun, weiß Gott, kein Anlass, es sei denn, man hat ein Lustgewinn, wenn viele Leute weinen. Es besteht kein Anlass zu klagen, sondern es besteht Anlass, diese Fakten zur Kenntnis zu nehmen und gemeinsam zu überlegen, nicht wie man sich gegenseitig die Schuld zuschiebt, sondern gemeinsam zu überlegen, was man tun kann, dass es besser wird.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt noch eine Redeanmeldung des Abgeordneten Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, manches kann ich nicht auf mir sitzen lassen; manches tut schon lange nicht mehr weh.

Herr Ministerpräsident, es hat sich doch ganz klar herausgestellt: Es waren die Länder Thüringen und NordrheinWestfalen, die die Turbulenzen im NPD-Verfahren wegen der Angelegenheiten mit den V-Leuten verursacht haben. Das ist ganz klar, Thüringen ist permanent Mode gewesen in Karlsruhe. Sie können sich heute nicht hinstellen und so tun, als wüssten Sie das nicht und als wäre das kein Problem gewesen.