Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

(Unruhe bei der CDU)

Schließlich haben wir dazu in den Landtag seit der 2. Legislatur mehrere Gesetzesinitiativen eingebracht. Für die Beratungen im Innenausschuss lagen allein 600 Einzelanträge - Änderungsanträge unsererseits - vor. Leider haben sich nur die wenigsten davon erledigt.

Wir legen dem Landtag heute 16 Anträge vor, die fünf Schwerpunkte betreffen. Damit wird das Anliegen der PDS überschaubar und hoffentlich auch nachvollziehbar. Ich will die fünf Schwerpunkte einmal kurz benennen:

- Verstärkte Einbeziehung gesellschaftlich bedeutsamer Gruppen,

- die Verbesserung der Möglichkeiten direkter Demokratie,

- die Stärkung der Ortschaftsverfassung,

- Veränderung der Wahlverfahren für Bürgermeister, Beigeordnete und auch VG-Vorsitzende und

- Flexibilisierung des Haushaltsrechts.

Meine Damen und Herren, die vergleichbar lange Beratungsdauer von nunmehr 10 Monaten ist einerseits ein Beweis für die Komplexität der beabsichtigten Neuregelungen, andererseits aber auch Ausdruck eines umfassenden, umfangreichen Diskussionsbedarfs. Immer wieder hat unsere Fraktion deutlich gemacht, dass Thüringen eine moderne Kommunalverfassung braucht, weil die bisherige diesem Anspruch nicht gerecht wurde. Wir haben in den Ausführungen des Vorsitzenden gehört, dass die Landesregierung und auch die CDU-Fraktion hier eine andere

Auffassung vertreten. Hier wird eigentlich das Spannungsfeld, möchte ich sagen, der Diskussion zum Gesetzentwurf, der uns in den letzten Monaten bewegt hat, deutlich. Was ist aus unserer Sicht kommunalrechtlich tatsächlich notwendig? Sieben Punkte möchte ich kurz nennen:

Erstens: Thüringen braucht zur weiteren Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung ein neues, modernes Kommunalrecht, das die veränderten gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Bedingungen berücksichtigt und den Kommunen ermöglicht, sich den Herausforderungen zu stellen. Solche Herausforderungen sind z.B. die Krise der öffentlichen Haushalte, dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, Rückgang der Bevölkerung, zunehmende Lebenserwartung, neue Medienkommunikationsmöglichkeiten, um nur einige zu nennen.

Zweitens: Wir halten den Ausbau der kommunalen Demokratie durch eine weitere Ausgestaltung der plebiszitären Elemente auch auf Landkreisebene für erforderlich. Ebenso gilt es, das Ehrenamt auf kommunaler Ebene zu stärken. Ohne umfassende Bürgerbeteiligung ist die kommunale Selbstverwaltung nicht gestaltbar. Dies hat nichts mit einer Räterepublik oder Ähnlichem zu tun, was mir vom Mittelblock hier mehrfach unterstellt wurde. Wenn aber Bürger weitgehend von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden, wird kaum Verständnis für die Grundzüge der Kommunalpolitik entstehen und die Bereitschaft zur Teilnahme an der Umsetzung von Politik wird schwinden. Wir sehen dies unter anderem im Bereich Kommunalabgaben sehr deutlich. Kommunalpolitik muss mit den Bürgern und nicht über sie gestaltet werden. Politik mit den Menschen und nicht ausschließlich für die Menschen, dies ist der neue Anspruch.

Drittens: Notwendig ist eine ausgeglichenere Gestaltung des Verhältnisses zwischen den Organen der Gemeinde bzw. des Landkreises. Hierzu muss z.B. die Stellung des Gemeinderats und des Kreistags gestärkt werden. Thüringen darf sich nicht zu einer Bürgermeister- und Landräterepublik entwickeln. Der Gemeinderat bzw. der Kreistag muss gleichberechtigt zur Verwaltungsspitze handeln können.

Viertens: Mit Hinblick auf unbestritten notwendige weitere Gemeindeneugliederungsmaßnahmen gilt es, die Ortschaftsverfassung auszubauen. Die völlig unzureichende Ortschaftsverfassung ist in unseren Augen ein Grund für die Vorbehalte gegen weitere Gemeindeneugliederungsmaßnahmen.

Fünftens: Die Konstruktionsfehler der Verwaltungsgemeinschaft sind zu beheben oder dieses Rechtsinstitut wird zu einem Auslaufmodell werden.

Sechstens: Das kommunale Haushaltsrecht ist zu flexibilisieren, weil anders die Leistungsfähigkeit der Kommunen nicht wiederherzustellen ist.

Siebentens: Die kommunalen Unternehmen brauchen gleiche Wettbewerbschancen, ohne dass die Risiken der wirtschaftlichen Betätigungen der Kommunen unkalkulierbar werden. Ohne kommunale Unternehmen können sich die Gemeinden und Landkreise nicht weiterentwickeln.

Meine Damen und Herren, was bietet nun die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf und was bietet die CDU-Fraktion mit ihren ca. 40 Änderungsanträgen, die innerhalb weniger Wochen mehrfach präzisiert wurden.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist ernst zu nehmen. Wir sind eben gut!)

Wir finden das ja erstmal gut, dass Sie überhaupt Änderungsanträge eingebracht haben, aber dass Sie sie von heute auf übermorgen dann wieder umgeworfen haben, das ist bedenklich.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Flexibel, das ist schon verdächtig.)

Zum Beispiel will die Landesregierung das Ortsrecht neu ordnen, was begrüßenswert ist, doch der Wille war nur sehr schwach. Nicht einmal bei der Wahl des Ortschaftsrates bietet die Landesregierung eine akzeptable Lösung, eine für uns akzeptable Lösung. Das Wahlverfahren soll in der Hauptsatzung der Gemeinde geregelt werden, was kaum die Stellung des Ortschaftsrates stärken wird. Die CDU-Fraktion wollte sogar die Ortschaftsbürgermeister als Ortsvorsteher bezeichnet wissen.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Kommen Sie zurück zur Kommunalordnung!)

Eine Ungeheuerlichkeit, die Sie offenbar selbst erkannt haben. Ja, das müssen Sie sich gefallen lassen,

(Unruhe bei der CDU)

(Glocke der Präsidentin)

wenn Sie schon so etwas einbringen, müssen Sie sich gefallen lassen, dass wir das auch noch einmal benennen. Anstatt über die Umbenennung des Ortschaftsbürgermeisters nachzudenken, ist eine Stärkung des Ortschaftsrates notwendig. Ein erster Schritt hierzu wäre ein analoges Wahlverfahren zur Wahl des Gemeinderates. Notwendig sind zudem erweiterte Rechte des Ortsbürgermeisters und des Ortschaftsrates, die sich in das Interessengefüge der Gesamtgemeinde einordnen lassen.

Meine Damen und Herren, bei den Verwaltungsgemeinschaften soll die Rolle des Gemeinschaftsvorsitzenden weiter gestärkt werden. Damit werden die Konstruktionsfehler dieses Rechtsinstituts wieder verstärkt. Der Gemeinschaftsvorsitzende soll volles Stimmrecht in der VG-Versammlung erhalten, an allen Sitzungen der Ge

meinderäte und der Ausschüsse der Mitgliedsgemeinden mit beratender Stimme teilnehmen können und ein Beanstandungsrecht gegenüber den Bürgermeistern erhalten und zudem soll er nun für sechs Jahre gewählt werden. Wir lehnen dies aus unserer Sicht ab, weil damit die Stellung der Verwaltungsgemeinschaften als Verwaltungsbehörde und Dienstleister zu Ungunsten der Mitgliedsgemeinden verändert wird.

Die Position der Mitgliedsgemeinden und ihrer Bürgermeister wird geschwächt. Dies wird neue Konfliktpunkte erzeugen und damit die Zukunft der Verwaltungsgemeinschaften insgesamt in Frage stellen. Auch die mehrfach geänderte Regelung der so genannten hauptamtlichen Doppelspitze in den Verwaltungsgemeinschaften, von denen es zurzeit in Thüringen 25 Fälle gibt, halten wir für nicht geglückt.

Schließlich wird dieses Verfahren auch dadurch erschwert, dass der hauptamtliche Bürgermeister, der die Verwaltungsgemeinschaft ehrenamtlich führt, von der betreffenden Gemeinde selbst bezahlt werden muss.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Ja, kommu- nale Selbstverwaltung!)

Hier denke ich aber, Frau Groß, dass es Widerstände geben wird.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das kön- nen die doch selbst entscheiden, wie sie es machen!)

Die Gemeinde des hauptamtlichen Bürgermeisters trägt dessen Kosten und zahlt zudem noch die Verbandsumlage und dies, obwohl zum erheblichen Teil Leistungen für alle Mitgliedsgemeinden erbracht werden. Das gesamte Verfahren wird nicht das Problem der Doppelspitze lösen.

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion übt nicht nur Kritik am Regierungsentwurf, wir werten diesen schon recht differenziert, auch wenn ich hier nicht auf alles eingehen kann. So finden wir zum Beispiel den Vorschlag zur Vermögensverwaltung von Unternehmen, deren öffentlicher Auftrag entfallen ist, einen richtigen Ansatz, um so genannte Notprivatisierungen zu verhindern. Letztlich wird mit diesem Vorschlag auch signalisiert, dass die Erzielung von Einnahmen für den kommunalen Haushalt durchaus ein Element der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen sein kann. Bisher wurde diese Sichtweise, die unsere Fraktion eigentlich immer wieder eingefordert hat, abgelehnt.

Meine Damen und Herren, die Finanzkrise der Kommunen ist unübersehbar und wie reagieren Sie? Sie schreiben die Erstellung von Haushaltssicherungsgesetzen gesetzlich vor. Es ist Ihnen doch hoffentlich bewusst, dass damit nicht ein Problem gelöst wird. Was besser wird, ist eine bürokratische Verwaltung von Problemen. Das kann man ja

machen, nur innovativ ist das nicht. Die Änderung der Kommunalordnung allein bietet sicherlich keinen Ausweg aus der Finanzkrise der Kommunen.

Durch eine Flexibilisierung des kommunalen Haushaltsrechts, so wie es die PDS-Fraktion vorgeschlagen hat, könnte ein Beitrag zur Bewältigung der Finanzmisere der Kommunen geleistet werden. Dies wäre aus Sicht der Kommunen Hilfe zur Selbsthilfe. Die Jährlichkeit des kommunalen Haushalts muss durchbrochen werden. Dies ist schon wegen der Dynamik der fiskalischen Entwicklung erforderlich. Die Regelungen zur vorläufigen Haushaltsführung bedürfen einer Modifizierung, so dass Investitionen nicht verzögert und Zuweisungen an Dritte nicht behindert werden. Schließlich brauchen die Kommunen aus vielen Gründen eine Investitionsoffensive. Neben der verstärkten Bereitstellung von Landesmitteln, die dringend geboten und gerechtfertigt ist, müssen die Kriterien für die Kreditgenehmigung flexibilisiert werden. Dass dies geht, wenn es das Land will, zeigt das Verfahren zur Umsetzung des Landesprogramms zur Sanierung der Plattenbauschulen. Wir haben darauf bereits in der ersten Lesung zur Kommunalordnung hingewiesen.

Was unsere Fraktion will, ist, dass ein solches Verfahren auch in anderen Bereichen zur Anwendung kommt. Wir haben dies vorgeschlagen. Unverständlich ist dabei jedoch die ablehnende Haltung der Landesregierung und der CDU-Fraktion. Rational ist diese Haltung schwer erklärbar. Deshalb will ich noch einmal in drei Punkten sagen, was wir mit der Flexibilisierung des Haushaltsrechts wollen, was wir damit meinen.

1. Durchbrechen der Jährlichkeit des Haushalts,

2. Finanzierung rentierlicher Investitionen über eine zusätzlich befristete Kreditaufnahme, also wie am Beispiel des Plattenbauschulenprogramms,

3. eine Neuregelung in der vorläufigen Haushaltsführung bezüglich der Auslösung von Investitionen und der Ausreichung von Zuschüssen an Dritte.

Es gibt auch Vorschläge vom Gemeinde- und Städtebund, nicht mehr an der Jährlichkeit des Finanzausgleichs festzuhalten, um letztendlich Steuerschwankungen auszugleichen. Unser Vorschlag zur Flexibilisierung des Haushaltsrechts will eigentlich nichts anderes.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich mit dem Gesetzentwurf viel Zeit gelassen. Die Diskussion des Gesetzentwurfs hat ebenfalls viel Zeit in Anspruch genommen. Die damit verbundene Hoffnung, dass mit dem Gesetzentwurf tatsächlich ein moderner Rechtsrahmen zur Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung geschaffen wird, hat sich in unseren Augen nicht erfüllt.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Fragen Sie einmal die Spitzenverbände, auf die beziehen Sie sich doch so gern.)

Der vorliegende Gesetzentwurf einschließlich der CDUÄnderungsanträge sind für uns enttäuschend, sie sind einfach nicht weit gehend genug.

(Beifall bei der PDS)

Grundlegende Probleme der rechtlichen Ausgestaltung kommunalen Handelns werden nicht gelöst. Kommunale Demokratie wird trotz der Änderungen weiter erschwert. Die Ortschaftsverfassung bleibt lückenhaft. Die kommunalen Unternehmen haben keine gleichen Wettbewerbschancen. Das kommunale Haushaltsrecht bleibt unflexibel. Die Rechte des Gemeinderates werden weiter eingeschränkt. Ein Signal geht von diesem Gesetzentwurf nicht aus. Alle Vorschläge der Oppositionsfraktionen fanden keine Zustimmung. Ähnlich wurde mit den vielen sachlichen Hinweisen aus der öffentlichen Anhörung verfahren. Kaum einer der Vorschläge wurde aufgegriffen. Dies wird bei den Verbänden, insbesondere bei den kommunalen Spitzenverbänden, Herr Böck, auch auf Unverständnis stoßen und sicher auch Enttäuschung zur Folge haben.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Das stimmt doch gar nicht, was Sie sagen!)

Mit dieser neuen Kommunalordnung bleiben die Thüringer Kommunen in unseren Augen wieder einmal die Verlierer der Landespolitik. Die berechtigten Forderungen der kommunalen Seite wurden parteipolitischen Erwägungen geopfert.