Protokoll der Sitzung vom 06.03.2003

auf. Wenn wir es zu mehr Sicherheit in diesem Prozess bringen wollen, müssen wir an einem anderen Punkt ansetzen. Einen Ansatzpunkt, den das TMLNU unmittelbar nach dem Bekanntwerden von dioxinbelasteten Futtermitteln auf den Weg gebracht hat, ist die Verzahnung der Eigenkontrolle der Futtermittelerzeuger mit den staatlichen Überwachungsprozessen der Futtermittelbehörden. Deshalb haben wir am 28. Februar mit der Thüringer Mischfutterindustrie, vertreten durch den Deutschen Verband Tiernahrung, eine Vereinbarung geschlossen, um die Ergebnisse aus der Eigen- und amtlichen Kontrolle gegenseitig auszutauschen. Das bedeutet, dass mit dem Beitritt aller Thüringer Mischfutterproduzenten zu diesem System die Zahl der Kontrollergebnisse bei der TLL von jetzt 1.200 auf über 4.000 im Jahr gesteigert werden kann, und dies ohne zusätzliche Bürokratie und wesentlichen zusätzlichen Aufwand. Damit werden wir das vorsorgende Kontrollmanagement und seine Effizienz in Thüringen deutlich verbessern.

In Medien wurde dieses Vorgehen und das Ergebnis mit dem Begriff "Quantensprung" beschrieben. Nun sollte man aus meiner Sicht mit solchen weit reichenden Begriffen eher vorsichtig sein, aber ich denke dennoch, an dieser Stelle sollte der Begriff "Quantensprung" durchaus einmal erlaubt sein.

Was Thüringen seit dem 1. März 2003 aufbaut, kann mit Fug und Recht als das dichteste Netz von Futtermittelkontrollen in Deutschland bezeichnet werden. Ich denke, dieses Vorgehen sollte Signalwirkung für die anderen Länder als auch für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union entfalten. Ich sage aber auch:

(Beifall bei der CDU)

Noch ist es uns nicht gelungen, alle Futtermittelproduzenten in Thüringen in dieses System einzubinden. Dafür werden wir jedoch in den kommenden Wochen und Monaten mit großem Engagement werben. Ich lade auch die Mitglieder dieses Parlaments dazu ein, uns bei dieser Werbung zu unterstützen. Ich bin überzeugt, die guten Argumente für diesen beiderseitigen Datenaustausch werden auch diejenigen überzeugen, die heute noch zögern. Langfristig muss dieses Konzept jedoch auch auf die so genannten Direktlieferanten, also jene, die keine Mischfutterhersteller sind, ausgedehnt werden.

Ich komme zum Fazit. Verehrte Damen und Herren Abgeordnete, zusammenfassend halte ich fest:

1. Die Genehmigung von Trocknungsanlagen bedarf einer kontinuierlichen Neubewertung möglicher Risiken. Im Interesse einer wirksamen Qualitätssicherung und eines vorsorgenden Verbraucherschutzes sollten Trocknungsverfahren mit direktem Kontakt der Futtermittel mit Rauchgas oder Brennstoffen künftig nicht mehr genutzt werden. Dieses bedarf eines bundeseinheitlichen, besser noch eines europäischen Gesamtkonzepts.

2. Die Regierung des Freistaats Thüringen hat nach Bekanntwerden der Belastung mit Dioxin bei Futtermitteln unverzüglich und entschlossen gehandelt.

3. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die ausstehenden Durchführungs- bzw. Verwaltungsvorschriften für das bestehende Schnellwarnsystem im Futtermittelbereich zeitnah mit den Ländern abschließend zu beraten und unverzüglich zu erlassen.

4. Wir brauchen eine konkretere Bewertung des Risikos bei Belastungen von Futtermitteln bzw. Lebensmitteln. Dazu ist es notwendig, dass unter Federführung des Bundes gemeinsam neue Lösungsansätze in dieser Frage erarbeitet werden.

5. Hersteller von Einzelfuttermitteln mit erhöhtem Risikopotenzial, dazu zählen insbesondere Aufbereitungsanlagen im Recyclingbereich und Trocknungsanlagen, sollten eine Anerkennungs- bzw. Registrierungspflicht analog dem Mischfutter-, Vermischungs- und Zusatzstoffbereich nach Futtermittelrecht unterworfen werden.

6. Wir brauchen eine deutliche Verkürzung der Fristen zwischen Probennahme und Vorlage der Analyseergebnisse bei den Futtermittelkontrollen. Dazu ist die TLL beauftragt, entsprechende Vorlagen zu erarbeiten.

7. und letztens: Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Kontrollinstitutionen und den Futtermittelproduzenten. Ein erster und wichtiger Schritt in dieser Frage ist die in Deutschland bisher einmalige Vereinbarung zum Datenaustausch, die zwischen dem Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt und dem Deutschen Verband Tiernahrung am 28. Februar geschlossen wurde. Hiermit haben wir Signale in die richtige Richtung gesetzt.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Möchte jemand die Aussprache zum Bericht beantragen? Frau Abgeordnete Nitzpon.

Die PDS-Fraktion beantragt die Aussprache zum Bericht.

Der Abgeordnete Pidde signalisiert das auch, also die beiden Fraktionen beantragen die Aussprache zum Bericht. Als ersten Redner rufe ich den Abgeordneten Kummer, PDS-Fraktion, auf.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, also irgendeiner meiner beiden Vorredner von der Landesregierung muss die rosarote Brille hier vergessen haben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Aber, ich glaube, sie war auch notwendig, um einige Bereiche, einige Teile dieser Rede so positiv vortragen zu können, u.a. was die Fragen zum Handeln der Landesregierung anbelangte und auch die Fragen zur Risikogestaltung in diesem Fall. Da möchte ich auch gleich auf meinen Vorredner eingehen. Herr Baldus, nehmen Sie es mir nicht übel, aber wenn brisante Briefe in einem Ministerium sind, dann kommt es nicht nur darauf an, ob sie abgeschickt werden, sondern dann ist es auch wichtig, dass man sich versichert, dass sie auch beim Adressaten ankommen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Klaus, SPD: Und gelesen werden!)

Wäre diese Versicherung erfolgt, dann hätten wir eine Woche Zeit gewonnen gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Zu der Frage Risikobewertung und ob es wirklich 150 Bratwürste braucht, um sich hier zu belasten, dazu kommt meine Kollegin Frau Nitzpon nachher noch.

(Zwischenruf Abg. Kretschmer, CDU: 150 Bratwürste ist ganz schön.)

Meine Damen und Herren, ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat beginnen aus der dpa vom Januar 2002: "Ob Dioxinkrise, BSE oder MKS - immer gerieten dabei die Futtermittel in die Schusslinie, und das wohl auch zu Recht. Fette unbekannter Herkunft und zudem noch als Gemisch waren der Auslöser für den Dioxinskandal. Mit unzureichenden Verfahren hergestellte Tiermehle haben höchstwahrscheinlich zur Erkrankung von Hunderttausenden Rindern an BSE geführt. Und auch die MKS-Ausbrüche sind auf unzureichend behandelte Rohstoffe zurückzuführen. Dabei gibt es seit langem futtermittelrechtliche Vorschriften in der EU für eine umfassende Sicherheit bei der Erzeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft. Es hat sich aber gezeigt, dass gerade im Bereich der Rohwaren nicht immer die notwendige Sorgfalt bei der Herstellung und dem Vertrieb sichergestellt war."

Meine Damen und Herren, ein Zitat vom Januar 2002, auch hier war von einer Dioxikrise die Rede, wenn auch von einer anderen. Man sollte eigentlich denken, Politik hätte gelernt. Im November 2000 gab es den ersten BSEFall in Deutschland. Er rief eine Vielzahl politischer Aktivitäten hervor. Der Verbraucherschutz kam zu immer größerer Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung und die damals eingeschätzte Ursache war, wie in dem

Artikel eben auch beschrieben, die Frage der Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer. Tiermehl wurde als Futtermittel generell verboten und anschließend wurden Futtermittel darauf regelmäßig untersucht. Am 27. Mai 2002 stand in der dpa einiges zu der Frage Nitrofenskandal. Auch hieraus möchte ich zwei kurze Zitate vorbringen: "Im bislang größten Skandal der Ökobranche haben staatliche Stellen schon vor Monaten von verseuchten Bioprodukten gewusst. Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert. Die dem Verbraucherministerium in Berlin unterstellte Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach wies Anfang März das verbotene Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen im Putenfleisch aus Niedersachsen nach... Die brisante Information wurde nicht an das Ministerium weitergeleitet. Auch betroffene Biobetriebe informierten die Öffentlichkeit monatelang nicht, obwohl sie Erkenntnisse über Funde des Krebs erregenden Nitrofens im Futterweizen für Geflügel hatten."

Im Dezember 2002 erfährt das Thüringer Trockenwerk in Apolda im Rahmen der betrieblichen Eigenkontrolle von Dioxingrenzwertüberschreitungen im Zwieback und weder das Labor noch das Thüringer Trockenwerk meldeten das. Im Januar hatten wir dann den Thüringer Dioxinskandal mit einem volkswirtschaftlichen Schaden in einer Höhe von mehreren Millionen    es zu keiner Sicherheitsgefährdung durch Lebensmittel gekommen zu sein.

Wie konnte das, meine Damen und Herren, nach den bereits aufgeführten Skandalen noch passieren? Man hat den Eindruck, Politik handelt meist in kurzfristigem Aktionismus und schießt dabei auch öfter über das Ziel hinaus. Ich möchte hier nur an zwei Beispiele erinnern: Die Massenvernichtung von Tieren im Bereich MKS, statt hier zu impfen, oder aber die Frage des generellen Tiermehlverbots in Futtermitteln, obwohl es eigentlich gereicht hätte - das ist zumindest meine Überzeugung - sicherzustellen, dass Tiermehl nicht in Futter für Wiederkäuer gelangt. Notwendige Handlungen, die länger dauern als solche kurzfristigen Sachen, die Änderung von Verordnungen oder von Gesetzen, geraten entweder in Vergessenheit oder sie ziehen sich ewig hin. Beispiel Dioxinskandal in Brandenburg 1999: Hier ist es durch den Einsatz belasteter Hölzer in einer Anlage sehr ähnlich wie der hier in Apolda dazu gekommen, dass Dioxin ins Futtermittel gelangte. Und im Ergebnis kommt am 1. März 2003, fast vier Jahre später, als Konsequenz die Altholzverordnung, wie sie der Herr Staatssekretär vorhin ausgeführt hat. Jetzt ist nur noch der Einsatz unbelasteter Hölzer zugelassen und das hätte vielleicht den Thüringer Dioxinskandal verhindern können. Aber wenn es vier Jahre dauert, eine Verordnung zu ändern, dann ist es natürlich nicht möglich, dass hier kurzfristig Gefahren beseitigt werden.

(Beifall bei der PDS)

Und, meine Damen und Herren, zum Verfahren generell der Herr Staatssekretär ist darauf ja schon eingegangen -,

die Landesregierung hat es auch in der Ausschussberatung generell als risikobehaftet dargestellt: Solange es Trocknungsverfahren gibt, wo feuchte Stoffe im Abgas mehr oder weniger geräuchert werden, so lange haben wir natürlich mit Risiken zu leben. Der Grund, dass diese Verfahren angewendet werden, ist ganz einfach: Eine Trocknung nach anderen Verfahren, die es ja gibt, die sich auch bewährt haben, die wesentlich weniger risikobehaftet sind, kostet einfach mehr Geld. Und solange, wie wir es mit einer "Geiz ist geil"-Mentalität im Bereich der Lebensmittelkunden zu tun haben, werden wir natürlich einen freiwilligen Verfahrenswechsel der Futtermittelkonzerne nicht hinbekommen.

(Beifall bei der PDS)

Gerade deshalb ist es notwendig, dass ein europaweites Verbot dieses Verfahrens zustande kommt, auch um eine Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.

Damit bin ich auch gleich bei Punkt 3 unseres Entschließungsantrags. Nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretär gehe ich mal davon aus, dass diesem Punkt im gesamten Haus zugestimmt werden kann.

Meine Damen und Herren, Politik muss endlich anfangen, angemessen, konsequent und zeitnah zu handeln. Dazu ist eine gründliche Analyse des Vorgefallenen, und das ohne die rosarote Brille, notwendig und anschließend muss nach dieser Analyse auch gehandelt werden. Unser Entschließungsantrag ist aufgrund der Analyse, die wir nach den Ausschussberatungen angestellt haben, entstanden. Ich komme zum 1. Punkt, den Bundesratsinitiativen. Hier fordern wir zuerst eine Meldepflicht von Grenzwertüberschreitungen durch Labore. Das Problem, ich habe es vorhin schon kurz angesprochen, in mindestens einem Fall der Eigenkontrolle im Betrieb in Apolda, wo Zwieback deutlich über dem Grenzwert belastet war, ist nach Aussage der Landesregierung die Überwachungsbehörde nicht informiert worden, obwohl das Unternehmen dazu verpflichtet gewesen wäre. Und, meine Damen und Herren, dieses Problem kann ich im Rahmen jeder Eigenkontrolle oder auch Selbstverpflichtung haben. Auch das, was die Landesregierung angeregt oder jetzt als Vertrag unterzeichnet hat, birgt dieses Problem in sich, denn wenn ich als Futtermittelbetrieb mein Analyseergebnis bekomme und darin steht, es kam zu einer Grenzwertüberschreitung, und ich gebe dieses Analyseergebnis bekannt, habe ich natürlich immer die Gefahr, dass mir ein wirtschaftlicher Schaden entsteht, und ich habe auch die Gefahr, dass mein Betrieb in der Öffentlichkeit negativ in die Schlagzeilen gerät. Dementsprechend versuchen einige Betriebe, einige wenige schwarze Schafe, diese Probleme zu umgehen, indem sie einfach nicht melden. Das kann uns auch mit dieser Selbstverpflichtung passieren. Deshalb müssen in Zukunft unserer Meinung nach die Labore melden, denn die sind davon unabhängig und das muss gesetzlich geregelt werden.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das müssen sie jetzt schon. Natürlich, das steht doch im Futtermittelgesetz drin - Artikel 17.)

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, dass die Landesregierung eine Meldung der Labore und eine entsprechende Gesetzesänderung für nicht notwendig hält, halte ich schon für skandalös. Ich bitte, dass hierüber doch noch einmal nachgedacht wird, diesem Punkt in unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, um gerade diese Gefahren vom Verbraucher abzuwenden.

Dazu vielleicht gleich noch zum zweiten Teil unseres Entschließungsantrags: Da ja solche Gesetzesänderungen ziemlich lange dauern, möchten wir, dass im Rahmen der Selbstverpflichtung der Futtermittelunternehmen diese die Labore ermächtigen, Grenzwertüberschreitungen sofort an die Behörden zu melden. Wenn das ermöglicht wird, haben wir es mit einer Zeitverkürzung zu tun und wir können sicher sein, dass, noch bevor die Betriebe erfahren, dass es eine Grenzwertüberschreitung gegeben hat, die Meldung an die Behörden ergangen ist und wir nicht davon abhängig sind, dass die Betriebe uns freiwillig dann die Daten überlassen.

Nun zum zweiten Teil unserer Bundesratsinitiative: Am 31. Januar 2003 hat die Landesregierung aus den Ergebnissen der Fleischbeprobung gewusst, dass es mehr als 20 t dioxinbelastetes Futtermittel gewesen sein müssen, die am Standort Hermstedt eingesetzt wurden und dass dementsprechend eine größere Charge Futtermittel belastet war als vom Betrieb in Apolda angegeben. Und, Herr Baldus, wenn Sie jetzt sagen, wenn wir Gefahr im Verzug gesehen hätten, dann hätten wir ja handeln können, dann frage ich Sie: Warum haben Sie denn am 31. Januar nicht eine Gefahr im Verzug gesehen, wo Sie diese konkrete Erkenntnis hatten?

(Beifall bei der PDS, SPD)

Und warum wird denn dann in der Ausschussberatung gesagt, dass man erst einen amtlichen Prüfwert braucht, um ordnungsrechtlich tätig zu werden? Reicht es denn nicht, wenn ich durch eine Fleischprobe die Erkenntnis gewonnen habe, dass mehr dioxinbelastetes Futtermittel da gewesen sein muss als angegeben, um dann entsprechend vorzugehen, die Unterlagen zu beschlagnahmen? Wir hätten das Problem innerhalb von einem Tag aufgelöst gehabt und hätten am 1. Februar bereits die entsprechenden Betriebe benachrichtigen können.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wie viel belastetes Fleisch hätte in der Zeit in Verkehr kommen können. Es ist nicht in den Verkehr gekommen, aber es hätte in den Verkehr kommen können. Diese Sicherheit unserer Verbraucher hätte uns doch hier behördli

ches Handeln wert sein müssen.

Meine Damen und Herren, aus diesem Grund erwarte ich auch in diesem Punkt, dass unserem Antrag zugestimmt wird und dass wir uns endlich zu einem angemessenen konsequenten und zeitnahen behördlichen Handeln und auch Handeln der Legislative durchringen können,

(Beifall Abg. Becker, SPD)