Protokoll der Sitzung vom 13.11.2003

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Haben alles abgebaut....)

Ja, richtig. Wenn aber geprüft wird, ob es weitergeht, dann machen Sie doch niemandem einen Vorwurf, der sich hinstellt und sagt, diese Videoüberwachung ist eigentlich nicht beendet, die ist einfach nur unterbrochen, ist gestoppt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: So ist es, genau.)

Und, Herr Fiedler, ich denke, es hat auch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, wenn man sich um das richtige Maß bemüht. Sie fordern auf der einen Seite praktisch alle Möglichkeiten der Rechtsstaatlichkeit zu nutzen, das erste Beispiel, das Sie anführen, das sind die Graffitischmierereien.

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister: Goetheplatz...)

Da muss ich Ihnen sagen, da zieht dann auch Ihr Mannheimer Vergleich nicht...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, da haben Sie nicht zugehört.)

Doch, ich habe Ihnen zugehört, Herr Fiedler. Das ist eine Eigenart von mir. Die Mannheimer Verhältnisse lassen sich auf Weimar oder auf Erfurt nur formal anwenden. Denn die Kriminalitätsbelastung der jeweiligen Plätze steht in keinem Verhältnis zueinander. Und wenn Sie verlangen, andere sollten Tatsachen nicht in Abrede stellen, dann verlange ich natürlich von Ihnen auch, um die Exaktheit bei Wiedergabe von Kriminalitätsstatistik nicht nur die Jahre 2000 und 2001 zu nennen, sondern dann hätten Sie mindestens 2002 nennen sollen, denn auf den Plätzen ist die Kriminalität in Weimar in der Draufsicht rückläufig und das ohne Videoüberwachung, Herr Fiedler. Wenn überhaupt, sollte Videoüberwachung das allerletzte Mittel sein, bevor alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Das

wäre meines Erachtens tatsächliche Rechtsstaatlichkeit. Insofern gab es keinen Grund die Anträge zurückzuziehen. Denn worum es eigentlich geht, ist, dass die Verhältnisse um Kriminalitätserscheinen und Kriminalitätsbekämpfung in Thüringen im Argen liegen. Das ist auch der Grund, weshalb der Verfassungsrechtler Martin Kutscha unser Polizeiaufgabengesetz im Sommer des letzten Jahres als "Polizeirecht nach Landgrafenart" bezeichnete. Das verschafft nach seiner Auffassung den Behörden eine Reihe von erweiterten und neuen Befugnissen, unter anderem zur verdeckten und offenen Datenerhebung und -speicherung. Auf die traurige Vorreiterrolle Thüringens bei der Verschärfung des Polizeirechts reagierte auch die Verleihung des diesjährigen Big Brother Award im Bereich Politik an das Land Thüringen und seinen Innenminister. In der Laudatio zur Preisverleihung heißt es: "Im CDU-regierten Thüringen ist der Frontalangriff auf elementare Freiheitsrechte bereits im Juni 2002 umgesetzt worden. Insofern erhält die Thüringer Landesregierung den Big Brother Award für eine vollendete Tat."

Es kam, was kommen musste, meine Damen und Herren, es kündigte sich mit der Gesetzesnovelle an. Der Drang, das so kritisierte, aber seit Juni 2002 rechtlich fixierte auch umgehend in der Praxis zu erproben, und eine kritiklose Technikbegeisterung waren wohl die Geburtshelfer der Pilotprojekte zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Das Innenministerium folgte mit seinem Vorhaben einer wohl bekannten, simplen, aber fatalen Prämisse. Alles, was technisch möglich ist, wird für legitim gehalten und auch gemacht. Um es deutlich zu sagen, das Vorhaben, in Erfurt und Weimar öffentliche Plätze per Kamera überwachen zu lassen, wurde im Innenministerium wohl am grünen Tisch ersonnen. Es war nicht Ergebnis einer Abwägung verschiedener polizeilicher Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Die polizeiliche Videoüberwachung sollte um jeden Preis in Thüringen ausprobiert werden. Frühzeitig haben Kritiker des Vorhabens, auch Polizeiangehörige, sicherheitspolitische und praktische Alternativen benannt, Alternativen, die effektiver, bürgernäher und kostengünstiger sind. Die Argumente für eine verstärkte polizeiliche Bestreifung, abendliche und nächtliche Belebung und Beleuchtung der Innenstädte, klientelnahe Jugend- und Sozialarbeit wurden in den Wind geschlagen. Stattdessen setzte man ein fachlich fragwürdiges Verfahren zur Auswahl von Standorten für dieses Projekte in Gang. Polizeidirektionen wurden nach möglichen Standorten abgefragt. Nach welchen Kriterien eigentlich? Auf die Meinung der Stadtverwaltungen und kommunalen Verantwortlichen verzichtete das Innenministerium großzügig.

(Zwischenruf Trautvetter, Innenminister)

Ja, sicher. Herr Minister, entschuldigen Sie bitte, wir haben eine Anfrage gestellt an das Ministerium. Dort haben wir gefragt, ob die kommunale Ebene einbezogen worden ist, und wir haben eine kurze, bündige Antwort bekommen, wie es bei Ihnen üblich ist: Nein.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Haben Sie den Brief des Oberbürgermeister übersehen? Den kennen Sie doch.)

Entschuldigen Sie, Herr Fiedler, ich habe eben festgestellt, dass das Innenministerium die kommunale Ebene nicht einbezogen hat. Dass es Kommunen gegeben hat, die ganz offensichtlich um diese Videoüberwachung auch noch gebeten haben, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Es hat sich gezeigt, wohin so etwas führt, wenn Kommunen unkontrolliert solche Dinge in ihren Bereichen machen lassen. Insgesamt 26 mögliche Standorte kamen in die nähere Auswahl; Erfurter Krämerbrücke und Weimar Theaterplatz und später auch Goetheplatz. Den Ausschlag dafür gab aber nicht eine Prüfung der dortigen Gegebenheiten auf der Grundlage des § 33 Polizeiaufgabengesetz. Die beiden Standorte wurden letztlich ausgewählt, weil dort in der Vergangenheit Touristen auf das gestoßen waren, was es neben Idylle und Kultur in Thüringen auch gibt: Soziale Probleme, Obdachlose, Punker, Skater, Trinker, Fans von Lagerfeuern und lautes Musizieren. Da sich unangepasstes Verhalten...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Brandstifter)

Das waren Lagerfeuer.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Übergriffe auf Reisegruppen usw.)

Da sich angepasstes Verhalten und soziales Elend nicht einfach verbieten oder wegsperren lassen, setzte das Innenministerium auf Verdrängung in andere Stadtgebiete oder Stadtteile. Hauptsache weg von den touristischen Schmuckkästchen. Ganz so, als wären Krämerbrücke oder Theaterplatz Freilichtmuseen, in denen das zahlende Publikum ein Anrecht auf Kostümthüringer hätte.

Was waren die zu erfüllenden Kriterien des § 33 Polizeiaufgabengesetz? Videoüberwachung soll eigentlich ausschließlich der Strafverfolgung dienen und darf nur dort angewandt werden, wo ein Kriminalitätsschwerpunkt vorliegt. Minister Trautvetter konnte bis heute nicht nachweisen, dass Theaterplatz oder Goetheplatz in Weimar Kriminalitätsschwerpunkte sind. Selbst die Frage, ob die beiden Plätze an der Spitze der Straßenkriminalität in Weimar stehen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Sie haben das Gesetz nicht richtig gelesen!)

blieben unbeantwortet. Stattdessen wiederholte der Innenminister bei drei Gelegenheiten, die Einsatzstatistik der Polizei. Nur sagt die Häufigkeit von Einsätzen, Anzeigen oder gar verdachtsunabhängiger Kontrollen noch nichts darüber aus, ob dabei Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten ermittelt wurden. Ob die Anzeigen zur Strafverfolgung führten oder ob bei den Personenkontrollen auch nur ein Straftäter dingfest gemacht wurde. Es be

stehen berechtigte Zweifel, dass die Voraussetzungen des Polizeiaufgabengesetzes überhaupt erfüllt waren. Schon an der Erfurter Krämerbrücke hatte öffentliche Kritik nachgewiesen, dass die Überwachung nicht gerechtfertigt gewesen wäre.

(Beifall bei der PDS)

Einen Vorwurf, meine Damen und Herren, der letzten Wochen, muss ich zurückweisen. Es geht uns nicht um eine Skandalisierung der Polizeiarbeit, ganz im Gegenteil.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wer es glaubt, wird selig.)

Polizeibeamte vor Ort waren doch für das Ministerium im Grunde genommen nur Spielbälle. Hat jemand die Polizistinnen und Polizisten einmal gefragt, ob sie für die zunächst in den Sand gesetzten 125.000    sere Verwendung gewusst hätten? Wurden denn die Beamten einmal gefragt, ob der Arbeitsalltag vor einem Monitor mit starrem Blick auf den Bildschirm ihren Vorstellungen von Polizeiarbeit entspricht? Wurden die Polizistinnen und Polizisten gefragt, welche Verdrängung von Kleinkriminalität in schon jetzt belastete Stadtteile zu befürchten ist? Ist Abschreckung eigentlich wirklich ein taugliches Instrument der Prävention? Aber solche Fragen spielten kaum eine Rolle, zumindest nicht in der öffentlichen Diskussion, die jenseits der Gegenveranstaltungen der PDS-Fraktion stattgefunden haben. Nein, meine Damen und Herren, der Freilandversuch unter Beteiligung von Bürgern und Polizeibeamten sollte einfach nur anlaufen. Der unbedingte Wille zum Tun ohne vorheriges langes Nachdenken erklärt auch die Inkaufnahme der Verletzung von Grund- und Bürgerrechten. Bis kurz vor dem Start der Videoüberwachung des Goetheplatzes in Weimar war irgendwie niemandem klar, dass von den Kameras Zeitungsredaktionen, Parteibüros und Anwaltskanzleien erfasst sind. Man hat es einfach nicht geprüft. Die Polizeidirektion Jena war es, die kurz vor dem Start der Überwachung darauf aufmerksam machte. Die Konsequenzen und die Reaktionen auf die berechtigte und die öffentliche Kritik an der Überwachung des Pressehauses offenbart eine für Thüringen typische Geringschätzung elementarer Bürgerrechte. Die Sorge der Journalistinnen und Journalisten vor Eingriffen in ihre spezifischen Freiheitsrechte und in die Gewährleistung des Informantenschutzes führte eben nicht dazu, dass die Pressekonferenz abgesagt, das Projekt noch einmal überdacht und das Gespräch mit den Betroffenen gesucht wurde. Nein, eine öffentliche politische und eine rechtliche Debatte wollte man nicht. Unbedarft und verantwortungslos wurde eine technische Spielerei präsentiert. Die oberen Stockwerke des Pressehauses auf dem Monitor durch eine Maske verdeckt, der Eingang weiterhin gut einsehbar, auch die Wege dorthin. Damit war Informantenschutz zu keinem Zeitpunkt gegeben, genauso wenig Mandantenschutz oder Parteienfreiheit, auch wenn diese Maske keine fixe, sondern eine war, die sich bei Heranzoomen vergrößerte. Nach unserer Auffassung ist es

vollkommen unerheblich, ob eine Personenidentifizierung unmittelbar oder nachträglich möglich gewesen wäre. Diese rechtliche und politische Bewertung deckt sich auch mit Ansichten anderer Verfassungsrechtler, auch mit denen des Bundesverfassungsgerichts. Schon die Tatsache, meine Damen und Herren, dass Presseinformanten oder Besucher einer Kanzlei nicht sicher sein können, in welcher Schärfe sie sich im Blickfeld der Kamera wiederfinden, führt dazu, dass sie sich nicht mehr frei und ungehemmt bewegen, sondern ihr Verhalten danach ausrichten. Schon das aber stellt eine Beeinträchtigung des jeweiligen Grundrechts dar. Die Grundrechtseingriffe erfassen aber nicht nur die Schutzinteressen spezieller Personen- und Berufsgruppen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger wird durch die Videoüberwachung tangiert, und das vollkommen unabhängig von der Frage, ob nun mit Portraitaufnahme oder durch Übersichtsbild. Einerseits ist auch bei einer Gesamtaufnahme eine spätere Identifizierung einzelner Personen technisch möglich. Andererseits liegt auch schon dann eine Verletzung des Grundrechts vor, wenn der einzelne Bürger nicht wissen kann, ob er gerade im Detail oder in der Übersicht durch die Polizei aufgezeichnet wird. Gerade im Beobachtetfühlen liegt nach unserer Meinung die Gefahr des Verzichts auf bürgerschaftliche Freiheit, nämlich im Druck, sich bewusst oder unbewusst der Überwachungssituation durch Verhaltensänderungen anzupassen. Folge ist sozial angepasstes, möglichst unauffälliges Verhalten. Sicher, es kommt gelegen, denn es ist doch die Grundlage für Duckmäusertum. Was wir aber gerade hinsichtlich des gesellschaftlichen Umgangs mit Kriminalität brauchen, das ist persönliche Interventionsfähigkeit, das heißt, Mut sich zu zeigen, gegebenenfalls auch aus der stillen Masse herauszutreten. Die Videoüberwachung aber, meine Damen und Herren, bewirkt das Gegenteil. Sie suggeriert einen technischen Ersatz für polizeiliches Eingreifen oder eigenes couragiertes Handeln und verführt zu einem sicherheitspolitischen Irrglauben: Das wachsame Auge des Staates ruht auf seinen Kindern und das wird es schon richten. Das ist eine Haltung, die mich an DDR erinnert,

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist eine Frechheit.)

die beklagt und bekämpft wurde und die jetzt eine Konjunktur zu haben scheint.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das hätten Sie so gerne.)

Alle diese Argumente sind nicht neu, auch wir haben uns bei unserer Kritik ihrer bedient, aber sie prallten beim Herrn Innenminister Trautvetter ab wie von einer Wand. Abstimmungen auf Websites, Herr Fiedler, sind eben nicht nur 53 Prozent für Videoüberwachung in Weimar, sondern auch 47 Prozent dagegen. Abstimmungen in Leserbriefspalten

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist Ihre Rechnung.)

oder auf der Straße deckten sich nicht mit der durchgreifenden Selbstsicherheit der Überwachungsapologetik. Erst ein Machtwort des Ministerpräsidenten stoppte das Pilotprojekt. Ich bin nicht sicher, dass der Innenminister inzwischen die Gründe dafür nachvollzogen hat. Es kann auch dahingestellt bleiben. Unsere Fraktion hat seit dem Bekanntwerden der Videospielpläne vor einem Jahr dieses Pilotprojekt kritisiert und dagegen argumentiert.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben im Parlament und auf der Straße, in Anfragen und mit Flugblättern, bei Veranstaltungen und mit Diskussionen dagegen gestritten. Wir haben dabei Zuspruch und Widerspruch geerntet. Das Innenministerium hat sich nie wirklich um eine begleitende öffentliche Debatte bemüht. Wenn die Angaben der Datenschutzbeauftragten stimmen, dann haben sich die Videoüberwachungsaktivisten auch von dieser nicht so richtig in die Karten schauen lassen. Unsere Datenschutzbeauftragte ist allerdings ein ganz eigenes peinliches Kapitel. Man hätte erwarten dürfen, dass sie vom Ministerium fordert, die Karten auf den Tisch gelegt zu bekommen. Ihr parteigetreues Vertrauen in Thüringer Innenpolitik war scheinbar grenzenlos. Datenschutz aber verlangt aktive und offensive Sicherung des Rechts auf den Schutz persönlicher Daten.

(Beifall bei der PDS, SPD)

In ihrer Rolle als Kontrollinstanz im Dienste der Bürgerinnen und Bürger hat sie nach unserer Auffassung unbedarft und antriebslos versagt. Frau Liebaug, Sie haben bedauerlicherweise genau die Rolle gespielt, die man Ihnen zugedacht hat und mit der Sie sehr zufrieden waren, als Sie bei der Ausschussberatung des Polizeiaufgabengesetzes auf ein ernsthaftes Kontrollrecht im Vorfeld verzichteten.

Meine Damen und Herren, eine Vielzahl von Gründen sprach für den Abbruch des Projekts, das eigentlich besser nie gestartet worden wäre. Am Goetheplatz und am Theaterplatz in Weimar wurden die Kameras am 24. Oktober wieder abgebaut - nach einer Woche öffentlichen Protests auf der einen Seite und ministerialer Bockbeinigkeit auf der anderen. Das Innenministerium will nun prüfen, ob diese Überwachung am Theaterplatz wieder aufgenommen werden sollte. Unsere Antwort ist: nein. Die Kriminalitätsbelastung am Theaterplatz erfüllt nach unseren Informationen nicht die Kriterien des Polizeiaufgabengesetzes, rechtfertigt nicht den Einsatz eines solchen Mittels. Nach der Statistik ist die häufigste Straftat der Ladendiebstahl. Dieser vollzieht sich aber gerade nicht in der Öffentlichkeit, sondern im geschlossenen privaten Raum. Andere zur Argumentation herangezogene Delikte liegen teilweise Jahre zurück. Zugleich ist die Kriminalitätsentwicklung auf dem Theaterplatz rückläufig, auch

ohne Videoüberwachung. Nach Polizeiaufgabengesetz ist eine Videoüberwachung nicht zulässig, wenn sie präventiven Charakter hat. Im Erfurter Gespräch sagte der Innenminister aber: Die Videoüberwachung "dient der rein präventiven Vorsorge, dass an bestimmten öffentlichen Plätzen eben keine Straftaten mehr stattfinden, sondern Straftaten verhindert werden.“ Im Übrigen, Prävention stärken, das heißt, zuerst die Menschen einzubeziehen, bürgerschaftliches Engagement zu stärken, statt alle unter einen Generalverdacht zu stellen. Wir brauchen eine Weiterentwicklung des Systems der kriminalpräventiven Räte, der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Polizei. Denn, Herr Fiedler, es ist eben eine Tatsache, was Sie geschildert haben, dass es Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Polizei gibt und dieses zu Recht, aber eben nicht in Kameras, und das ist der Unterschied. Das ist ein qualitativer Unterschied, Herr Fiedler.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Sie wissen aber, dass Polizisten dahinter sitzen.)

Wir brauchen auch eine Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern und Polizei mit Schule und Familien. Ich weiß, dass hin und wieder Stadtväter und -mütter das gern anders sehen. Aber auch als Mittel zur sozialen Bereinigung von Problemen in den Innenstädten ist das Instrument der Videoüberwachung zumindest offiziell nicht geschaffen worden. Natürlich übt der voraussehbare Verdrängungseffekt eine besondere Faszination auf Sicherheits-, Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker aus, aber der Wunsch danach kann niemals die politisch hinzunehmende und rechtlich zu erlaubende Begründung für den Einsatz von Kameras sein. Eine offene Gesellschaft muss Vielfalt nicht nur aushalten, sondern fördern. Sozialen Problemen muss zuerst mit Sozialpolitik, mit Jugendpolitik, mit Kultur- und Bildungspolitik und nicht mit der Drohung des Ordnungsregimes begegnet werden. Wir fordern deshalb mit unserem Antrag, und insofern ist er nicht hinfällig, die endgültige Einstellung des Pilotprojekts Videoüberwachung. Die Rechtsgrundlagen des Polizeiaufgabengesetzes müssen hinsichtlich der mit ihrer Anwendung einhergehenden Grundrechtsverletzungen und Fragen der Verfassungsmäßigkeit einzelner Vorschriften überprüft werden, denn das war keinesfalls so eindeutig verfassungsgemäß, Herr Fiedler, wie Sie es dargestellt haben. Das kann sowohl durch Anhörung von Experten, aber auch durch Einholen von Gutachten oder durch eine Überprüfung durch das Verfassungsgericht geschehen. Darüber aber sollte der Fachausschuss entscheiden. Das Einholen von Expertenmeinungen dürfte allerdings nicht so verlaufen, dass wieder Ehemalige und Amtierende aus Innenministerien, Polizeiapparaten und Geheimdiensten einer AltenHerren-Runde am Kamin gleichend, den Weg in einen Überwachungsstaat lobpreisen, während die Anhörung von bürgerrechtlich orientierten Verfassungsrechtlern oder kritischen Juristen per Mehrheit abgelehnt wird. Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss.

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, zum Schluss noch einige kurze Bemerkungen zu dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion. Unsere Fraktion hat einen solchen Antrag absichtlich nicht gestellt. Wir glauben nicht, dass die Entlassung des Innenministers an den eigentlichen Problemen, auf die unter anderem Hamburg, Videoüberwachungen oder auch diverse Affären zurückzuführen sind, dass eine Entlassung eines Innenministers an diesen Ursachen etwas ändert. Denn die Ursache für alle diese Dinge ist ein falscher Glaube an die Möglichkeit über Grundrechtseinschränkungen mehr Sicherheit zu gewinnen. Die Eingriffsmöglichkeiten des Polizeiaufgabengesetzes, die Selbstsicherheit des Ordnungsund Sicherheitsapparats, sie sind das Problem.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Was?)

Solange in solchen Gesetzen weit reichende Eingriffsmöglichkeiten, gepaart mit niedrigen und nebulösen Eingriffsschwellen, sich verbinden mit einem immer wieder zu erkennenden Generalverdacht gegen Bürgerinnen und Bürger, haben wir ein Problem, das weder mit Rücktritt, noch mit Missbilligung oder Entlassung zu beheben wäre. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Als nächsten Redner rufe ich Herrn Abgeordneten Pohl auf. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Fakt ist, die SPD will mehr Sicherheit für die Bürger, und wer das will, muss auch den verantwortlichen Stellen die geeigneten Mittel an die Hand geben, aber eben nicht ohne Kontrolle durch das Parlament und unter Umständen durch die Gerichte.

Meine Damen und Herren, alle Maßnahmen stehen im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Menschen nach mehr Sicherheit, der Verpflichtung des Landes Sicherheit zu gewährleisten und die durch das Grundgesetz und die Thüringer Verfassung garantierten Grundrechte. Wir haben in der Diskussion um die Erweiterung des Polizei- und Sicherheitsrechts alle von der Landesregierung vorgeschlagenen Gesetzesveränderungen eben an diesen Grundsätzen gemessen. Einige dieser neuen Regelungen konnten wir mittragen, aber es gab auch einiges Bedenkliches, und dies war auch der Grund, dieses Artikelgesetz insgesamt abzulehnen. Ich erinnere nur, wir konnten damals nicht mittragen zum Beispiel die Telekommunikationsüberwachung zu präventiven Zwecken, oder ich denke auch an diese erhebliche Ausweitung der Anwendungsgebiete der Rasterfahndung. Diesen Regelungen haftete an, dass sie rechtlich umstritten, wenn nicht sogar manchmal rechtlich recht bedenklich waren.

Wir haben bei der Gesetzesberatung im vergangenen Jahr immer wieder umfangreiche Kontrollrechte des Parlaments und auch der Thüringer Datenschutzbeauftragten eingefordert. Der Vorgang, über den wir heute zu befinden haben, zeigt doch eigentlich, wie nötig der Innenminister solche Gremien gehabt hätte, damit diese Grundrechte, über die wir uns heute immer wieder unterhalten, hätten gewahrt werden können. Zur verdachtsunabhängigen Videoüberwachung habe ich damals im Parlament gesagt, punktuell ja, aber nicht nur der oder die Datenschutzverantwortliche, sondern auch der Innenausschuss sollte bei der Vorbereitung und Durchführung mit eingebunden werden. Aber auch die Einschränkung von Grundrechten darf nur bei einer wirklichen Gefahr erfolgen. Diese unsere Vorschläge wurden damals und auch heute immer wieder in den Wind geschlagen.

Meine Damen und Herren, was passiert, wenn die neuen erweiterten Vorschriften des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes quasi ungebremst angewendet und wie sie angewendet werden, das haben eben auch die letzten Tage gezeigt. Experimentieren im Umgang mit den Grundrechten darf es einfach nicht geben, und bekanntlich erst nach Intervention durch den Ministerpräsidenten wurde der Innenminister in seinem Tun gestoppt. Unrechtsbewusstsein hat er aber bis zum heutigen Tag nicht gezeigt. Auch wenn der Ministerpräsident gesagt hat Frau Präsidentin, ich zitiere: "Jeder Minister muss mit dem, was er sagt und wie er es sagt deutlich ausdrücken, dass er seine Politik am Rechtsstaat orientiert. Dem Ziel der Kriminalitätsbekämpfung sei kein guter Dienst erwiesen." Der Innenminister Trautvetter glaubt sich aber auch heute noch auf der rechtlich sicheren Seite. Ich bin einfach auch der Überzeugung, hier hat noch kein gründliches Nachdenken eingesetzt. Denn bevor man entscheidet, eine polizeiliche Maßnahme durchzuführen, muss doch konkret geprüft werden, ob diese Maßnahme rechtmäßig ist, wenn in Grundrechte eingegriffen wird. Auch bei diesem Pilotprojekt handelt es sich um eine Polizeimaßnahme und das war kein Spiel. Hier wurde die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht gewahrt. Ich erinnere, schon das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Wechselwirkungstheorie festgestellt, dass die Einschränkung des Grundrechts geeignet und erforderlich sein muss, den Schutz bewirken, den das allgemeine Gesetz sichern soll. Und auch hier ist das Grundrecht, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dies alles wurde eben nicht oder nicht gehörig auf dem Goetheplatz und auf dem Theaterplatz in Weimar beachtet.