Protokoll der Sitzung vom 14.11.2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr verehrte Mitglieder der Landesregierung, verehrte Besucher auf unserer Besuchertribüne, ich darf Sie herzlich zur heutigen 95. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 14. November 2003 begrüßen, die ich hiermit eröffne. Als Schriftführer haben neben mir Frau Abgeordnete Zitzmann und Herr Abgeordneter Seidel Platz genommen. Frau Abgeordnete Zitzmann wird die Rednerliste führen.

Es haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Minister Trautvetter, Herr Minister Dr. Krapp, Herr Abgeordneter Dr. Botz, Herr Abgeordneter Illing, Herr Abgeordneter von der Krone, Frau Abgeordnete Nitzpon, Herr Abgeordneter Nothnagel, Frau Abgeordnete Sedlacik, Frau Abgeordnete Dr. Stangner, Herr Abgeordneter Dr. Vogel und Frau Abgeordnete Zimmer.

Jetzt komme ich unmittelbar zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1, den wir uns ja für den heutigen Morgen vorbehalten haben

Vierter Bericht der Landesregierung zu Extremismus und Radikalismus im Freistaat Thüringen

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dieter Althaus, uns den Bericht zu geben.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Thüringer Landesverfassung, die vor wenigen Wochen zehn Jahre alt geworden ist, nennt die Fundamente, auf denen wir die Zukunft unseres Landes aufbauen: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat. Ich habe vor wenigen Tagen auf der Wartburg deutlich gemacht, dass wir eine gute Verfassung haben. Ich habe auch deutlich gemacht, dass das Land in einer guten Verfassung ist. Ich denke, wir alle sollten daran arbeiten, dass sich diese gute Verfassung weiter stabilisiert und dass wir diesem Land eine gute Zukunft geben.

Der Anschlag auf die Erfurter Synagoge im April 2000, der den Anstoß für die jährlichen Berichte zu "Radikalismus und Extremismus im Freistaat" gab, und weitere antisemitische oder ausländerfeindliche Straftaten in Thüringen und Deutschland machen aber deutlich: Die freiheitliche Demokratie und die sie tragenden Normen sind keine Selbstverständlichkeit. Demokratie ist verletzlich. Sie auf Dauer zu bewahren, heißt auch, totalitären Ideologien und jeglicher Form von Extremismus entschlossen zu begegnen und vorzubeugen. Der jährliche Bericht

zu "Radikalismus und Extremismus" zieht eine Bilanz der Entwicklung und Bekämpfung extremistischer Straftaten und Aktivitäten in Thüringen. Doch geht der Bericht darüber hinaus: Denn ebenso wie in den vergangenen drei Jahren hat die Landesregierung die Friedrich-Schiller-Universität Jena mit einer Studie beauftragt, die nach der Einstellung der Menschen zur Demokratie und ihren Werten fragt. Die Studie wird heute Nachmittag von den Autoren der Öffentlichkeit erläutert. Noch mehr als in den vergangenen Jahren geben die Ergebnisse Anlass zum Nachdenken, aber auch zum Handeln.

Die bisherigen Untersuchungen haben einerseits zu dem erfreulichen Resultat geführt, dass in Thüringen ein festes Fundament demokratischer Einstellungen besteht. Andererseits waren im letzten Jahr, ich zitiere, "feine Risse" im demokratischen Fundament feststellbar geworden.

Meine sehr verehrte Damen und Herren, dieses Ergebnis haben wir sehr ernst genommen, weil wir es nicht zulassen können, dass sich Tendenzen, die die Stabilität unserer Demokratie beeinträchtigen könnten, verfestigen. Deshalb lautete der Auftrag für die diesjährige Studie vor allem, den Belastungsfaktoren für die freiheitlich-demokratische Ordnung nachzugehen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Extremismus bekämpfen bedeutet, die demokratische Verfassungsordnung frühzeitig vor jeder Aushöhlung zu schützen. Um es mit Theodor Heuss, dem großen Liberalen, unserem ersten Bundespräsidenten, zu sagen: "Keine Freiheit den Feinden der Freiheit!" Das bleibt unser Auftrag.

(Beifall bei der CDU)

Es spricht für die Wirksamkeit unserer Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung, dass sich die Zahl politisch motivierter Straftaten, wie bereits 2002, in den ersten neun Monaten dieses Jahres erneut verringert hat. Insgesamt sind es rund 10 Prozent weniger Delikte als im Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote. Diese erfreuliche Gesamttendenz ist in erster Linie auf den Rückgang von Straftaten aus dem rechtsextremistischen Umfeld zurückzuführen. Die politisch motivierten Straftaten von Linksextremisten sind auf geringem Niveau leicht gestiegen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden 22 Gewalttaten von rechtsextremen Tätern verübt, im Jahr 2002 waren es noch 30. Die fremdenfeindlichen Straftaten sanken von 55 auf 47. Leider erhöhte sich die Anzahl der antisemitischen Delikte von 28 auf 32.

Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass extremistische Organisationen von Ausländern in Thüringen nach wie vor schwach vertreten sind, denn die allgemeine, weltweite Bedrohungslage durch militante Islamisten ist weiterhin vorhanden. Die Bombenanschläge von Djerba und

Bali haben das verdeutlicht. Das heißt, Grund zur Entwarnung besteht insgesamt nicht. Zwar haben die Waffen- und Sprengstofffunde bei Rechtsextremisten in München offenbar ebenso wenig Verbindungslinien nach Thüringen wie die Brandanschläge von Linksextremisten auf Polizeieinrichtungen in Magdeburg, dennoch lässt sich anhand dieser Fälle ermessen, welches Gefahrenpotenzial von extremistischen Gruppen weiterhin ausgehen kann.

Auch in Thüringen hat es leider Beispiele extremer Gewalt der rechtsextremen Szene gegeben. Am 30. Januar 2003, dem 70. Jahrestag der so genannten Machtergreifung, haben neun Tatverdächtige versucht, das Asylbewerberheim in Greiz mit Benzinflaschen in Brand zu setzen; Gott sei Dank ohne Erfolg! Ein Mensch hat dabei allerdings leichte Verletzungen erlitten. Inzwischen ist es bereits zu Verurteilungen gekommen. Ich danke der Justiz und der Polizei für das zügige Handeln.

(Beifall bei der CDU)

Eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft ist weiterhin auch im linksextremen Spektrum vorhanden. So hat das Netzwerk "Autonome Thüringer Antifa-Gruppen" (ATAG) über seine Homepage zur Teilnahme am so genannten "Revolutionären 1. Mai" in Berlin aufgefordert. Dort wurden 175 Polizeibeamte verletzt und es entstand enormer Sachschaden.

Auch die jüngst gemeldeten Übergriffe auf ausländische Studenten in Weimar möchte ich nennen. Verabscheuungswürdige Taten, die dem guten, weltoffenen Ruf Thüringens und Weimars Schaden zufügen. Polizei und Justiz werden mit aller Konsequenz handeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch oder besser gesagt vor dem Hintergrund dieser Taten werden wir unsere Anstrengungen zur Bekämpfung des politischen Extremismus fortsetzen, denn die innere Sicherheit bleibt ein Schwerpunkt der Thüringer Landespolitik. Trotz dramatischer Haushaltslage hat es hier keine Abstriche gegeben, und es wird auch keine Abstriche geben.

Eine zentrale Rolle bei der Extremismusbekämpfung hat nach wie vor das Landesamt für Verfassungsschutz. Es leistet eine unentbehrliche Arbeit.

(Beifall bei der CDU)

Wesentlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die zügige Bestrafung von extremistisch motivierten Tätern. Sie hat Wirkung gezeigt: Die Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften und die beschleunigten Verfahren haben sich hervorragend bewährt.

Dank gilt insbesondere der Thüringer Polizei. Ohne ihr entschlossenes Eingreifen wäre die Zahl der politisch motivierten Straftaten in den vergangenen beiden Jahren gewiss nicht in diesem Umfang zurückgegangen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der hohe Verfolgungsdruck auf extremistisch motivierte Tätergruppen muss aufrecht erhalten werden.

(Beifall bei der CDU)

Das Paket "Innere Sicherheit" trägt dazu wesentlich bei. Seine vollständige Umsetzung steht im Übrigen kurz bevor: Von den 127 Stellen für die Polizei, den Brand- und Katastrophenschutz sowie den Verfassungsschutz sind nur noch 16 zu besetzen. Dafür suchen wir Spezialisten, die, wie jeder weiß, schwierig zu bekommen sind. Und, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes ist die Polizei noch besser in der Lage, wirksam gegen Kriminalität vorzugehen und präventiv tätig zu werden. Dazu gehört auch die gestern hier diskutierte Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten und die Verhängung von Platzverweisen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Wie das endete, das haben wir ja gesehen.)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Dittes, sei ruhig!)

Alle Maßnahmen sind selbstverständlich rechtsstaatlichen Grundsätzen unterworfen und daran werden wir uns halten.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Hoffentlich in Zukunft immer.)

Im Übrigen gibt es bereits Videoüberwachungen in zahlreichen kleinen und größeren deutschen Städten,

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Ja, das wis- sen wir doch.)

ich nenne Kassel, Dresden, Leipzig, Bernau, Limburg, Potsdam, Frankfurt am Main und es wären weitere zu nennen. Überall zeigt sich, dass die Straftaten in den überwachten Bereichen erheblich zurückgehen.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Und in den unüberwachten Bereichen?)

Es ist für unsere Politik wesentlich: Den Feinden der Demokratie dürfen wir keinen Raum geben.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb, aber auch mit Rücksicht auf die Opfer der deutschen Diktaturen, sind Demonstrationen extremistischer Gruppierungen an symbolträchtigen Orten oder zu symbolträchtigen Daten ein Unding, das es zu verhindern gilt.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb bleiben wir dabei, dass das Versammlungsrecht in diesem Punkt präzisiert werden muss. Thüringen hat, wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Mehrheit der Länder, wiederholt Vorschläge zu einer entsprechenden Gesetzesänderung unterbreitet. Der Bund, der für das Versammlungsrecht zuständig ist, steht nun in der Verantwortung, dass es endlich zu einer substanziellen, rechtsstaatlich vertretbaren Änderung kommt. Angekündigt ist der Gesetzentwurf seit Juni letzten Jahres.

Politischer Extremismus muss mit allen zu Gebote stehenden rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft, die Täter müssen zügig ihrer Strafe zugeführt werden und es muss das rechtsextreme Gedankengut bekämpft werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen darauf achten, dass straffällig gewordene Täter nicht erneut in die rechts- oder linksextremistische Szene abgleiten. Für rechtsextreme Straftäter in der Jugendstrafanstalt Ichtershausen wird ein solches Konzept zurzeit erarbeitet. Ich hoffe, dass wir es bald umsetzen können.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Karl Jaspers hat Recht, so entscheidend die Maßnahmen staatlicher Extremismusbekämpfung auch sind: "... notwendig ist die Sorge aller für die Freiheit.... Sie kann nur bewahrt werden, wo sie zu Bewusstsein gekommen und in die Verantwortung aufgenommen ist." Das heißt, wenn wir Freiheit und Demokratie langfristig sichern wollen, dann geht es stets um die Frage, ob die Werte, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu Grunde liegen, von den Menschen mitgetragen werden.

Die Demokratie ist in Thüringen fest verankert, die Ablehnung von Gewalt und Diktatur ist weiterhin hoch. Zu diesen Gesamtergebnissen kommt die Studie aus Jena auch in diesem Jahr.

(Beifall bei der CDU)

77 Prozent der Befragten halten die Demokratie für die beste aller Staatsideen.

(Beifall bei der CDU)

Daneben, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es aber auch ein bedenkliches Fazit: Dass sich die Zufriedenheit mit der Demokratie, das heißt, mit der Erfahrung in der Demokratie deutlich verschlechtert hat. Ich zitiere: "Die unzufriedenen Demokraten stellen die relative Mehrheit und dies ist gewiss mehr, als nur ein 'feiner Riss' im demokratischen Fundament", so die Autoren der Studie. Besorgnis erregend ist darüber hinaus, dass die Forscher eine tendenziell wachsende Verbreitung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Anschauungen sowie eine zunehmende Verharmlosung der DDR-Diktatur registriert haben. Ich zitiere: "Das Liebäugeln mit einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung

und mit national motivierter Diktatur stellen im Ansatz durchaus Gefährdungspotenziale für die Stabilität des demokratischen Systems dar." Alle Demokraten müssen sich durch diese Einschätzung herausgefordert fühlen.

Einige bedenkliche Umfrageergebnisse im Einzelnen: Die Zahl derer, die mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden sind, ist zwischen 2001 und 2003 von 48 auf 38 Prozent gesunken. Neun von zehn Thüringern meinen, dass in der Politik zu viel geredet und nichts geleistet wird. Zwei Drittel der Thüringerinnen und Thüringer haben vor allem eine ergebnisorientierte Erwartung an die Demokratie. Ihr Wert misst sich in den Augen der Befragten zunächst an den sozialstaatlichen Leistungen (87 Prozent). Pluralismus wird dagegen mit großer Skepsis betrachtet: Mehr als zwei Drittel halten Auseinandersetzungen zwischen Interessengruppen für schädlich und erwarten von der Opposition, die Regierung zu unterstützen statt sie zu kritisieren. Ich zitiere: "Aufgabe der politischen Opposition ist es nicht, die Regierung zu kritisieren, sondern sie in ihrer Arbeit zu unterstützen"; Zustimmung 77 Prozent. Erfreulich ist: Gewaltanwendung zur Durchsetzung von politischen Zielen wird weiterhin von 90 Prozent der Befragten abgelehnt. Eine wachsende Verbreitung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Orientierungen lässt sich aber an der Frage festmachen, ob "im nationalen Interesse unter Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform" sei. Statt 17 Prozent im letzten Jahr teilen heute 20 Prozent der Befragten diese Ansicht. Auch die Zahl derer, die Ausländern unterstellen, nur nach Deutschland zu kommen, um den Sozialstaat auszunutzen, ist innerhalb des zurückliegenden Jahres gestiegen von 48 auf nun 53 Prozent. Diese Entwicklung, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht einher mit einer Verharmlosung der DDR, denn, so die Studie wörtlich: "Von Nostalgikern der realsozialistischen Ordnung weist fast jeder zweite rechtsextreme Einstellungen auf." Zwar lehnen 79 Prozent der Befragten die These ab, dass die Diktatur die bessere Staatsform sei, aber 57 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die DDR mehr gute als schlechte Seiten gehabt habe. Natürlich, die Forscher sind den Ursachen dieser - so meine ich - Besorgnis erregenden Entwicklungen nachgegangen. Für sie macht die diesjährige Untersuchung deutlich, so wörtlich: "wie sensibel die Thüringer auf soziale Verunsicherungen reagieren."

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Wahrnehmung der allgemeinen ökonomischen Lage unmittelbare Auswirkungen auf die Demokratiezufriedenheit hat, hatte sich bereits bei den letzten Umfragen erwiesen. Für mich ist es eindeutig: Anhand der Studie wird die Gefahr offenbar, dass die anhaltende Wachstumsschwäche in Deutschland und damit die Krise auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen in eine Destabilisierung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung umschlagen kann. Die Forscher sprechen von "sozioökonomischen Stressfaktoren", die "begünstigen rechtsextreme Orientierungen", so wörtlich. Diese These wird in