Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Kollege Ramelow vor kurzem dem Ministerpräsidenten und uns mangelnde geschichtliche Korrektheit vorgeworfen hat. Herr Ramelow, als Sie ausführten,
dass zwischen dem Dritten Reich und der DDR 6 Mio. Tote standen. Wenn Sie damit die Juden meinen, haben Sie einen Fehler gemacht, wo Sie leider nicht allein stehen,
es waren 6 Mio. tote Juden, das ist richtig, aber jedoch waren das bei weitem nicht alle. Wenn Sie schon diesen Zwischenraum, diesen Abstand dokumentieren wollen, Herr Ramelow, und wenn Sie geschichtlich korrekt sein wollen, dann bitte vergessen Sie oder unterschlagen Sie nicht die Millionen Toten in den besetzten Ländern, unterschlagen Sie nicht die Widerstandskämpfer, die hingemordet wurden, unterschlagen Sie nicht die Sinti und Roma, unterschlagen Sie nicht all diese, die ebenso auf das Konto des Dritten Reiches gehen. Das wollte ich hier noch mal sagen.
Auswirkungen der geplanten Arbeitsmarktreformen auf Thüringen Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/3733 dazu: Entschließungsantrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/3764
Wünscht die beantragende Fraktion eine Begründung? Nicht, dann wird wohl der Bericht der Landesregierung gegeben. Bitte schön, Herr Minister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, grundlegende und nachhaltige Reformen sind dringend notwendig, um mehr Beschäftigung zu erreichen und die viel zu hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen. Allerdings kann dies nicht die Arbeitsmarktpolitik allein leisten, sondern es bedarf insgesamt aufeinander abgestimmter Konzepte der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Landesregierung unterstützt deshalb sinnvolle Ansätze und Reformschritte, damit die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die konjunkturelle Entwicklung besser werden. Die HartzGesetze erfüllen diesen Anspruch aber nur sehr eingeschränkt, wie man auch an den kaum spürbaren Ergebnissen von Hartz I und II sieht. Diese Gesetze sind seit Anfang 2003 in Kraft. Für zwei Drittel von 20.000 befragten Unternehmen spielen diese Gesetze in dem betrieblichen Alltag keine Rolle. In den neuen Bundesländern beträgt der Anteil sogar 71 Prozent, nachzulesen in der heutigen Ausgabe der "Thüringer Allgemeinen".
Die Gesetze Hartz III und IV befinden sich derzeit im Bundesratsverfahren. Am 7. November wurde der Vermittlungsausschuss angerufen, der am 13. November - also gestern - erstmals dazu getagt hat. Es wurden Arbeits
gruppen eingerichtet, die sich mit den Themenbereichen "Steuern/Finanzen und Arbeitsmarkt" befassen. Thüringen ist in der Arbeitsgruppe "Steuern/Finanzen" vertreten. Inhaltliche Ergebnisse gibt es nach dieser ersten Sitzung des Vermittlungsausschusses noch nicht.
Für das Vermittlungsausschussverfahren gibt es keine einzelnen formalen Änderungsanträge wie im eigentlichen Bundesratsverfahren. Die Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat basiert auf der "Auslotung von Positionen und möglichen Kompromissen" sowie den Empfehlungsdrucksachen der Ausschüsse bzw. dem Bundesratsbeschluss.
Die Landesregierung sieht folgende Eckpunkte und Positionen für die Verhandlungen: Zu Hartz III und zu Hartz IV sind wir grundsätzlich kompromissbereit, um dringend notwendige Reformen zu erreichen. Voraussetzung ist es aber, dass notwendige Änderungen besonders zur Finanzierung von Hartz IV und zum weiteren Erhalt der Landesarbeitsämter erfolgen. Kompromisse um jeden Preis, meine Damen und Herren, sind nicht sinnvoll.
Hartz III ist nicht zustimmungsbedürftig, wird aber im Rahmen des Gesamtpakets zum Arbeitsmarkt mit verhandelt.
Hartz IV ist zustimmungsbedürftig und meines Erachtens hinsichtlich der grundlegenden Auswirkungen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II auf Bund, Länder, Kommunen sowie die betroffenen Hilfebdürftigen zentraler Diskussionsgegenstand des Vermittlungsausschussverfahrens zum Arbeitsmarkt. Aus Hartz III wurde der wichtige Ablehnungsgrund der Länder "faktische Abschaffung der Landesarbeitsämter" herausgenommen, allerdings nur in das zustimmungsbedürftige Hartz IV verschoben. Man sollte Hartz III letztlich nicht scheitern lassen, da es deutliche Vereinfachungen und Verbesserungen im Arbeitsförderrecht, der Neustrukturierung der Bundesanstalt und der Arbeitsvermittlung bringt. Auch wenn SAM abgeschafft werden, ist dies tragbar, dass solche Maßnahmen zukünftig durch neu strukturierte ABM-Förderung abgedeckt werden können und sich das Land auch daran wie bei SAM beteiligen wird.
Eine deutlichere Entrümpelung des komplizierten Leistungs- und Förderrechts im SGB III und eine umfassendere Reform der Bundesanstalt wäre aus Thüringer Sicht dennoch wünschenswert. Wir werden versuchen, im Vermittlungsverfahren weitere Verbesserungen in dieser Hinsicht zu erreichen.
Nun zu Hartz IV: Grundsätzlich ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Rahmen
eines neuen einheitlichen Leistungsrechts richtig und sinnvoll. Dies muss zu einer Verbesserung der Integration der Hilfebedürftigen in Beschäftigung führen und gleichzeitig zu einer Vereinfachung und besseren Transparenz der Leistungsverwaltung. Die Landesregierung hatte bereits in der Plenarsitzung am 3. April 2003 zur Aktuellen Stunde Stellung genommen. Insoweit möchte ich auch auf diese Ausführungen verweisen.
Nach wie vor wird die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Kommunen im neuen Leistungssystem gesehen. Verschiebebahnhöfe, meine Damen und Herren, müssen verhindert werden.
Die Reform muss zudem im Zusammenhang mit der Gemeindefinanzreform betrachtet werden. Insgesamt darf es zu keiner Mehrbelastung der Länder und Kommunen kommen und die Leistungsfähigkeit der Kommunen in den neuen Ländern muss besonders beachtet werden. Im Ergebnis muss die Entlastung der Kommunen stehen, damit diese mehr investieren und dadurch Beschäftigung sichern können. Dies war auch der Grundgedanke von Herrn Hartz, der in dieser Konsequenz leider nicht mehr in den Gesetzen zu erkennen ist.
Wir haben etwa viermal so viele Arbeitslosenhilfeempfänger wie erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger in Thüringen und in den anderen neuen Ländern. Das ist ein wesentlich ungünstigeres Verhältnis als in den alten Ländern. Eine Berücksichtigung dieser besonderen ostdeutschen Bedingungen hat Thüringen auch mit seiner Protokollerklärung zum Existenzgrundlagengesetz im Bundesrat eingefordert. So haben wir darauf hingewiesen, dass eine Beschäftigungspflicht in den neuen Ländern mittelfristig nicht umsetzbar ist und dass angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage eine besonders enge Kooperation zwischen den Arbeitsämtern und Kommunen verbindlich geregelt werden muss. Die besondere ostdeutsche Situation muss bei der Entscheidung über die Trägerschaft und die notwendige Kooperation vor Ort beachtet werden. Die Landesregierung ist im Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden Thüringens und auch offen für eine Trägerschaft des Bundes bzw. der Arbeitsämter für die neue Leistung.
Die von der Bundesregierung vorgesehene Umverteilung der Umsatzsteuer zu Lasten der Länder und zu Gunsten des Bundes in erheblicher Größenordnung zur Finanzierung von Hartz IV kann aber nicht mitgetragen werden.
Es muss eine deutlich bessere Finanzierungsregelung, möglichst auch durch gesonderte Kompensationsmaßnahmen für die Länder, erreicht werden. Wie Sie auch
den Medien entnehmen konnten, sind sich die Ostministerpräsidenten darin einig. Kaufkraftverluste, die besonders die neuen Länder betreffen, müssen so gering wie möglich gehalten und vom Bund größtenteils ausgeglichen werden. Hierzu gibt es auch konkrete Vorschläge. Die Finanzministerkonferenz Ost hat im Oktober vergangenen Jahres bereits die Übernahme von Finanzierungsleistungen für die DDR-Zusatzversorgungssysteme durch den Bund gefordert. Ferner hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November vorigen Jahres auf Initiative aller neuen Länder den Bund aufgefordert, eine kommunale Infrastrukturinitiative in den neuen Ländern im Umfang von 1 Mrd. finanzieren. Dies resultiert zudem aus den Hartz-Vorschlägen. Der Bund hat dies bislang nicht eingelöst.
Hartz IV, meine Damen und Herren, muss meines Erachtens zudem durch ein Förderprogramm des Bundes für mehr Jobs im Niedriglohnbereich ergänzt werden, um bessere Möglichkeiten der Vermittlung zu erreichen.
Konstruktive Vorschläge dazu enthält das hessische Existenzgrundlagengesetz, das vom Bundesrat eingebracht wurde. Diese Forderung steht im Einklang mit Vorschlägen aus Sachsen-Anhalt und Sachsen. Es gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu Hartz IV, die heute schon tagt und insbesondere Positionen aus Sicht der neuen Länder für das jetzt begonnene Vermittlungsverfahren entwickelt.
Derzeit, meine Damen und Herren, ist es aber zu früh, um konkrete Ergebnisse und Auswirkungen der Bundesgesetze zu diskutieren. Die Gesetze befinden sich erst am Anfang des Vermittlungsverfahrens und sollen - mit Übergangsvorschriften - im kommenden Jahr in Kraft treten. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum die PDS bereits jetzt einen solchen Antrag stellt
und die Diskussionen zu Auswirkungen von Hartz III und IV, also zu Auswirkungen von noch nicht in Kraft befindlichen und noch der Veränderung unterliegenden Gesetzen, führen will, es sei denn, meine Damen und Herren, man will ganz bewusst Ängste schüren und politische Stimmung machen gegen jegliche Reformen.
Gut, dann rufe ich als ersten Redner Herrn Abgeordneten Gerstenberger ans Rednerpult. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn ein Gefühl zurzeit im ganzen Land herrscht, dann ist das, denke ich, tiefe Verunsicherung.
Kein Mensch weiß mehr so genau, was eigentlich als Nächstes kommt, welche Änderungen an dem sozialen Sicherungssystem vorgenommen werden und wie sie oder er selbst davon betroffen sein wird. Inzwischen halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass dieser kaum auflösbare Wirrwarr von Ankündigungen und Dementis, von Indiskretionen und Halbwahrheiten in Berlin bewusst inszeniert wird. Es ist eine einzige Desinformationskampagne. Kaschieren will man damit, was immer mehr sichtbar wird. Diese Gesetzgebungsmaschine der Bundesregierung entpuppt sich als Reißwolf, der zu großen Teilen das in Generationen erkämpfte Sozial- und Arbeitsrecht vernichtet, ohne dass manche der Betroffenen auch nur ahnen, was ihnen alles zugemutet werden soll und zugemutet werden wird. Und dann stellt sich vor ein paar Tagen der frühere SPD-Spitzenpolitiker Professor Glotz hin und behauptet in einer Thüringer Tageszeitung, die SPD brauche ihr Vorhaben der Öffentlichkeit nur besser zu erklären, dann werde schon alles gut. Wie das aussieht, meine Damen und Herren, wenn Verantwortliche, wie Herr Clement, seines Zeichens Arbeits- und Wirtschaftsminister, und Herr Gerster als Chef der Bundesanstalt für Arbeit das tun, das war am Montag auf einer Veranstaltung in Berlin zu erleben. Mir sind bei dieser Veranstaltung kalte Schauer über den Rücken gelaufen und ich will nicht das wiederholen, was am Dienstag dazu im Arbeitslosenparlament besprochen wurde. Wie weltfremd sind diese Leute eigentlich, meine Damen und Herren, so viel Realitätsverlust kann einem fast schon Leid tun. Fast symptomatisch ist übrigens, dass sich mit Herrn Glotz jemand ein Urteil anmaßt, der sich völlig sicher sein kann, niemals von den Beschlüssen, um die es geht, persönlich betroffen zu sein. Dazu sagt der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach am 1. November in einem Interview mit der TAZ, ich darf zitieren: "Es ist ironisch, wenn die Professoren die angebliche Inflexibilität bedauern, dann reflektieren sie eigentlich nur ihre eigene Situation. Professoren, Akademikern, Beamten, Managern wurde bisher tatsächlich wenig zugemutet, deswegen scheinen sie zu denken, dass man auch Arbeitslosen ruhig noch
mehr zumuten kann und muss." Ich möchte das um eine Berufsgruppe ergänzen, meine Damen und Herren, die der Politiker einiger Parteien.
Nein, meine Damen und Herren, es geht längst nicht mehr darum, irgendetwas den Menschen besser zu verkaufen, es geht um die Notwendigkeit grundsätzlicher Änderungen an einem zutiefst falschen, an einem für Thüringen und seine Bürger schädlichen Konzept. Das betrifft sowohl die Mär von der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, auf die Herr Ministerpräsident so gern eingeht, als auch die Mär von der Notwendigkeit der Erhöhung der Verantwortung des Einzelnen, der Umsetzung des Forderns und Förderns gegenüber den Arbeitslosen. All das sei zur Lösung des Beschäftigungsdesasters in der Bundesrepublik Deutschland nötig, wird uns suggeriert.
Kurz zum Fakt 1: Die deutsche Wirtschaft ist im Prozess der zunehmenden Globalisierung durchaus wettbewerbsfähig.
Das wird allein dadurch belegt, meine Damen und Herren, dass sie inzwischen wieder zum Exportweltmeister geworden ist. Andere Länder, die dieses erreicht haben, feiern das mit Erfolgsmeldungen. In Deutschland wird weiter gebärmelt und gejammert von eben dieser Seite, die Exportweltmeister geworden ist. Dabei geht es nicht um die Berechnung von statistischen Größen, meine Damen und Herren, es sind absolute Zahlen. Und wenn man die absoluten Zahlen umrechnet auf die Pro-Kopf-Exportleistung, dann käme heraus, dass in Deutschland dreimal mehr pro Kopf an Waren exportiert wird als in den USA, das heißt, die deutsche Wirtschaft dreimal so leistungsfähig ist wie die amerikanische und die liegt immerhin auf Platz 2 in dieser Statistik. Das heißt, meine Damen und Herren, das Problem liegt im Inneren,
im Binnenmarkt und seiner fehlenden Kaufkraft und der fehlenden Nachfrage. Und eben um dieses Problem, was im Inneren liegt, zu beseitigen, tragen die Hartz-III und Hartz-IV-Gesetze nicht bei,