Protokoll der Sitzung vom 12.12.2003

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mit diesem Antrag möchten wir ein Signal für die laufenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses in Berlin setzen. Es geht uns darum, ein im Grundgesetz verankertes Recht und die auch in Thüringen bewährten Aushandlungsprozesse zwischen den Verbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften nicht zu gefährden. Deshalb: Hände weg von der Tarifautomonie und Hände weg von dem, was allein die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen in Tarifverträgen zu regeln haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir verbinden diese Hoffnungen auf den Erhalt bewährter Regularien nicht zuletzt mit der Hoffnung, dass der Thüringer Ministerpräsident in diesem Fall nicht zu den Hardlinern in der CDU zählt. Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur hat am 21. März dieses Jahres ein Symposium zur Zukunft des Flächentarifvertrags in Thüringen durchgeführt. Es gibt eine gemeinsame Erklärung des DGB Thüringen mit dem Verband der Thüringer Wirtschaft zur Zukunft des Flächentarifvertrags in Thüringen. Dort wird eine höhere Tarifbindung als bisher angestrebt und es wird ein Bekenntnis zu Flächentarifverträgen und zur Berücksichtigung spezifischer betrieblicher Belange innerhalb dieser Flächentarifverträge abgegeben. Der neue und der alte Wirtschaftsminister bekennen sich in ihren Vorworten zur Dokumentation des Symposiums zu den genannten Ergebnissen. Es gibt also keinen Grund, sich seitens der Politik in die Tarifautonomie der Verbände einzumischen. Immer wieder haben beide Seiten bewiesen, dass sie in der Lage sind, spezifische betriebliche Belange zu berücksichtigen. Wer von der Bundes-CDU nun meint, immer wieder in diesem Themenbereich zu sticheln, der verkennt die Belange unserer Betriebe in den neuen Ländern. Gerade Frau Merkel müsste das wissen. Längst sind wir aufgrund der gezahlten Niedriglöhne gegenüber den alten Ländern eigentlich außerordentlich konkurrenzfähig, um das einmal sarkastisch auszudrücken. Das alles führt aber offenkundig nicht dazu, dass Betriebsansiedlungen in nennenswertem Umfang erfolgen. Wir hatten ja gestern erst die Meldung mit den nicht ausgegebenen GA-Mitteln. Längst haben wir tarifvertragliche Vereinbarungen, die es in den Betrieben ermöglichen, auf wirtschaftlich schwierige Situationen angepasst zu reagieren. Wenn die Bundes-CDU versucht die Tarifautonomie anzukratzen und die Flächentarifverträge zu diskreditieren, dann erfolgt dies im Westen deshalb, weil dort ein weiterer Abbau der Leistungen für Arbeitnehmer erfolgen soll. Eine derartige Entwicklung würde uns in den neuen Ländern unmittelbar gefährden, sie würde zu einer Abwärtsspirale im Lohndumping führen. Wir alle wissen, was gerade im Baubereich im nicht tarifgebundenen Sektor an Dumping täglich abläuft. Dies hat bisher keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen, eher viele Arbeitsplätze gefährdet.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen im Hinblick auf das Thema "Abwanderung". Unsere Leistungsträger, vor allen Dingen junge Menschen, wandern dorthin ab, wo ihnen im Rahmen einer hohen Tarifbindung und von Flächentarifverträgen ein entsprechend guter Lohn geboten wird. Die florierenden Wirtschaftsräume der Altbundesländer zeichnen sich eben nicht durch eine geringe Tarifbindung, sondern vielmehr durch eine ausgeprägte Tarifbindung aus. Wenn wir also Leistungsträger bei uns behalten wollen oder zurückbekommen wollen, dann wird es nicht gelingen ohne ein entsprechend tariflich abgesichertes Niveau. Dies zu regulieren ist und bleibt die Aufgabe der Tarifpartner. Anregungen zu geben ist durchaus

eine Rolle, welche die Politik wahrnehmen kann; mehr sollte es aber nicht sein. Ich möchte Sie daher bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Wir sollten gemeinsam signalisieren, dass Thüringen keine Gefährdung der Tarifautonomie zulassen wird. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter Kretschmer, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Müller, ich hatte den Eindruck, Sie hatten sich alte Plakate von früher geborgt, so von vor 20 Jahren, die Sie jetzt hier hoch gehalten haben

(Beifall bei der CDU)

"Hände weg vom Tarifvertrag" und was weiß ich nicht alles. Ich gehe auf die Behauptung, die Tarifpartner hätten bewiesen, dass sie die Sachen schon regeln werden, gleich noch mal ein. Nur Ihre Verknüpfung der Tarifverträge in Westdeutschland möglicherweise mit der Abwanderung, das ist ja aberwitzig. Die Behauptung, dass Leute abwandern, weil hier vielleicht keine Tarifverträge sind, und in Westdeutschland sind Tarifverträge, ist aberwitzig. Die Leute wandern ab aus zwei Ursachen: ganz einfach, sie suchen nach Arbeit. Das ist sehr verständlich. Zum Zweiten wird in Westdeutschland bedauerlicherweise zum Teil bis zu 200 Prozent mehr bezahlt. Da brauche ich mit Heimat und sonst welchen Ausreden gar nicht mehr zu kommen. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Aber mit Tarifautonomie - das ist ein Ding.

Nun, meine Damen und Herren, liegt uns der Antrag der SPD-Fraktion vor, der immer in dieser merkwürdig antiquierten Form kommt. Das ist eine Appellation deklatorischen Charakters - "der Landtag bekräftigt". Das habe ich früher im "Neuen Deutschland" gelesen, solche Anträge Wir stimmen zu.

(Zwischenruf Abg. Dr. Müller, SPD: Das war der Hinweis, dass wir lachen sollen.)

Doch. Diese Formulierung macht mich schon ganz unruhig,

(Unruhe bei der PDS)

und zwar soll der Antrag den Eindruck vermitteln, als ob unmittelbare Gefahr bestanden hat. Herr Buse, da müssen Sie jetzt nicht so ängstlich schauen. Das war früher Pflichtlektüre, ich konnte es leider nicht ändern.

Der Antrag soll den Eindruck vermitteln, als ob unmittelbare Gefahr eines Verfassungsbruchs, nämlich die Abschaf

fung des Artikels 9 des Grundgesetzes, dort im Speziellen des Absatzes 3, besteht, meine Damen und Herren. Wir stellen die von Ihnen konstatierte so genannte hohe Bedeutung der Tarifautonomie nicht in Frage. Das ist weder vom Minister noch von der Fraktion, noch von sonst wem behauptet worden.

(Beifall bei der CDU)

Diesem Eindruck, dass hier eine unmittelbare Gefahr droht, will ich sehr schnell entgegentreten. Was ich noch dazu sagen will, ist die Frage, was soll eigentlich der Antrag? Der Adressat ist in Berlin. Es ist hier überhaupt keine Zuständigkeit im Landtag. Wenn ich mal zu dem Thema rede und da hilft es auch nicht, wenn Sie behaupten, es soll hier aus dem Landtag ein Signal nach Berlin gehen. Das ist schon hochinteressant. Ich könnte Ihnen Felder geben, wo wir sagen, da bräuchten wir Signale nach Berlin. Die sind aber unmittelbar auch an Ihre Regierung gerichtet, nicht so sehr an Frau Merkel,

(Beifall bei der CDU)

die Sie hier in dem Zusammenhang zitieren wollten. Obwohl ich sage, wir sind nicht zuständig, lohnt es sich schon, vielleicht doch mal kurz hineinzuschauen, auf welcher Grundlage denn überhaupt die Tarifautonomie in das Grundgesetz hineingekommen ist - im Grunde genommen die Koalitionsfreiheit. Denn das hat eine Geschichte, das war eine Reaktion auf die negative Erfahrung der totalitären Systeme zuvor, die im Dritten Reich beispielsweise sehr stringent eingegriffen hatten in die Fragen der Lohnbildung usw. Deshalb ist gleich nach Gründung der Bundesrepublik in die Verfassung dieser Artikel hineingekommen, dass eine freie Entwicklung der Löhne entstehen kann.

Es war, meine Damen und Herren, auch das ist deutlich, ein breiter Konsens zwischen Unternehmern, den Verbänden, Gewerkschaften, Staat und den meisten Bürgern der Republik damals. Das heißt also, mit der Verankerung der Koalitionsfreiheit wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht die Voraussetzungen für einen unbeschränkten Anstieg des allgemeinen Lohnniveaus schaffen und damit nämlich eine inflationäre Entwicklung. Man muss doch an dieser Stelle feststellen, dass die Welt sich weiterentwickelt hat. Wenn Sie nun diese Tagung des Instituts der Wirtschaft vom März zitieren, es hat die Broschüre herausgegeben, da muss ich sagen, Sie waren gar nicht da. Wenn ich mich recht entsinne, Herr Gerstenberger war noch mit da bei dieser Tagung, die sehr interessant war. Für mich war es eine bemerkenswerte Harmonie zwischen den Tarifpartnern und manchmal hatte ich etwas Sorge um Herrn Minister a.D. Schuster, der mit seiner Frage, wie weit man denn auch in der aktuellen Situation noch mit Änderungen in der Frage des Flächentarifs oder einer Flexibilisierung weiterkommen könnte, eher etwas einsam dastand. Diese Harmonie zwischen den Vertretern der Wirtschaft, den Funktionären der Wirtschaft und der Gewerkschaft war schon bemerkenswert. Sie sind

aber meines Erachtens an dieser Stelle vielleicht von unterschiedlichen Blickwinkeln ausgegangen. Was insbesondere bei dieser Tagung als Harmonie angesprochen war, ist die Möglichkeit, im Einzelfall Öffnungsklauseln zu benutzen. Das heißt, wenn ein Unternehmen in einer Notlage ist, dann können sie, wenn existierende Tarifverträge solche Öffnungsklauseln vorsehen - das muss man dazu sagen, wenn sie es vorsehen - bestimmte Regelungen treffen, die vom Tarif abweichend sind.

Diese Harmonie ist auch ziemlich deutlich gewesen, weil man einsieht, wenn ein Betrieb in einer Notsituation ist, dass man - mit dem hohen Verständnis auch der Belegschaft im Übrigen - dort abweichen kann. Das, Herr Müller, hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir neue Firmen ansiedeln wollen. Das ist absoluter Schwachsinn, den Sie hier vortragen. Das hat mit Tarifrecht nichts zu tun, sondern hier ist ein Einsehen von Belegschaften, insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sagen, wenn wir im Interesse unserer Arbeitsplätze und der Firmen etwas tun können, dann machen wir das. Das ist hoch anerkennenswert.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Nehmen Sie jetzt den Schwachsinn zurück?)

Was wir aber feststellen, ist, dass hier nicht nur einzelne Firmen in der Notlage sind. Das ist nämlich der Grund, warum die Situation im Augenblick versucht wird zu regeln, dass das gesamte System Bundesrepublik Deutschland in der Notsituation ist. Da müssen sich Änderungen finden, die sich über das hinaus ergeben, was bisher in möglichen Öffnungsklauseln da ist. Die erste Hoffnung war, dass die Tarifpartner sich darüber einigen würden, dass man eine generelle Öffnungsklausel - darum geht es nun im Einzelnen - finden würde. Das ist misslungen, wenn Sie das richtig sehen. Sie haben sich eben nicht geeinigt. Deshalb ist die Frage, ob man es nicht über eine gesetzliche Änderung ihnen generell auch zulassen kann. Damit ich nicht selber in Schwierigkeiten komme, habe ich mir extra auch ein Zitat von einem Vertreter der Wirtschaft herbeigenommen, der die Situation meines Erachtens sehr treffend darstellt. Ich habe die Pressemitteilung des Präsidenten des Wirtschaftsrats der CDU, des Präsidenten Prof. Dr. Lauk, der da schon sagt, dass solche Notsituationen von Leitung und Mitarbeitern einer Firma besser eingeschätzt werden können, als wenn es zentralistische Funktionäre sind. Er sagt, es gibt keine Einsicht unter den Funktionären auf der Unternehmerseite, der Wirtschaftsseite und der Gewerkschaftsseite, dass man das generell vereinbaren soll. Deshalb müsste die gesetzliche Regelung her. Er spricht dort von einem Tarifkartell, nämlich das Tarifkartell von Funktionärsseite, das insbesondere die Interessen derer verteidigt, die Arbeit haben. Aber die, die keine Arbeit haben, sind in dieser ganzen Sache überhaupt nicht berücksichtigt.

(Beifall bei der CDU)

Er spricht auch davon - das ist sehr bemerkenswert, wir merken das am eigenen Leibe auch -, dass manchmal nicht die Linie gehalten wird, wenn man sich mit Funktionären der Wirtschaft an einen Tisch setzt. Er spricht von Kartellbrüdern, die voneinander abhängig sind. Das finde ich sehr bemerkenswert und ich denke, nur darum geht es. Ich habe mir diesen Exkurs in die Geschichte und in die aktuelle Situation schon geleistet, dass Sie nicht sagen können, wir beschäftigen uns gar nicht mit Ihrem Antrag. Ich betone noch mal, wir sind nicht zuständig für diesen Antrag. Wenn Sie es nicht glauben, dann könnte ich Ihnen eine vergleichbare Situation schaffen. Ich könnte mir also vorstellen, dass meine Fraktion einen Antrag einbringt, der sagt, der Verkauf der Atomfabrik an China, das ist ganz was Abscheuliches und das müssen wir verurteilen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kollegen der PDS auch zustimmen, weil für Anträge, die gegen etwas sind, sind sie schnell zu motivieren.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Auch bei den Chinesen.)

Ja, ja. Ich sage es noch mal deutlich: Wir werden Ihren Antrag ablehnen und wir bleiben, das ist, glaube ich, die inhaltliche Aussage, auch dafür, dass wir die Weiterentwicklung betrieblicher Bündnisse unterstützen, und zwar unter grundsätzlicher Beibehaltung des Flächentarifvertrags.

(Beifall bei der CDU)

Das ist, glaube ich, die Formulierung, Herr Müller, die Sie nicht korrekt wiedergegeben haben, die auch im Papier des IWT steht. Der Verband der Wirtschaft, die Pressesprecherin Frau Dr. Schubert, hat gerade noch mal konkretisiert, es geht um eine generelle Öffnungsklausel, nicht die einzelnen, die jetzt schon vorhanden sind. Ablehnung Ihres Antrags.

Nun kommt noch, weil ich gerade in Richtung Herrn Ramelow gesehen habe, der Entschließungsantrag der PDS. Ich habe mir aufgeschrieben, erst mal ist es die absolute Unkenntnis der Zuständigkeiten. Wir haben es oft genug gehabt, wir können nicht auffordern den Bundestag, den Bundesrat und was weiß ich, nicht die Landesregierung und wen auch immer unter irgendwelche Handlungszwänge zu setzen. Das ist die Methode, und dass es jetzt heute früh gleich noch kommt auf einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, schnell noch so einen Entschließungsantrag hinterherzuschieben. Ich habe mir einfach mal den Spaß erlaubt, die Methode mit Ihren Parteibuchstaben zu definieren: PDS - plump, dreist und schwach.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Kretschmer. Ich denke, Sie sollten in Zukunft mit Ihrer Wortwahl etwas vorsichtiger sein.

(Unruhe im Hause)

Ich erinnere an das Wort "Schwachsinn", Herr Abgeordneter Kretschmer, unter anderem. Herr Abgeordneter Ramelow, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Kretschmer, ich habe mir die Mühe gemacht, die Frage der Deklaration, die Sie beim SPD-Antrag kritisiert haben, noch einmal zu prüfen mit dem Tagesordnungspunkt, der gleich kommt. Herr Kollege, wenn ich Sie kurz stören darf. 86. Sitzung dieses hohen Hauses am 5. Juni 2003: Der Landtag begrüßt die bisherigen Initiativen der Landesregierung zur Deregulierung usw. und fordert auf zu beschleunigen. Also die Frage der Deklaration in dem Sprachstil des "Neuen Deutschlands", das Sie anmerken, beherrschen Sie selbst sehr gut. Das war nämlich ein CDU-Antrag,

(Beifall bei der PDS, SPD)

der auf diese Art und Weise angenommen worden ist. Ich will es nur der Klarstellung halber sagen.

Die zweite Geschichte: Sie haben mit Ihrem Hinweis auf das Grundgesetz völlig Recht. Auf das wollte ich hinweisen, dass es eben nicht nur um die Frage der Tarifautonomie als Tarifautonomie geht und auch nicht um das Tarifvertragsgesetz. Ich bedaure, dass Sie unseren Antrag, der der Versuch ist, den SPD-Antrag wenigstens ein bisschen zu qualifizieren, nicht einmal gelesen haben.

(Beifall bei der PDS)

Ich möchte jetzt die drei Buchstaben CDU nicht versuchen zu übersetzen. Aber zumindest kann ich feststellen, dass Sie den Text nicht gelesen haben. Wir haben geschrieben: "Der Landtag fordert die Landesregierung auf...". Wen sollen wir sonst auffordern? Wir fordern die Landesregierung auf, in den Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Bundestag im Vermittlungsverfahren alle Versuche, die grundgesetzlich verankerte Tarifautonomie auszuhöhlen, abzulehnen. Sie hätten jetzt nur sagen müssen, das macht unser Ministerpräsident und wir haben keine Sorge. Wenn er das macht, ist es gut. Aber er hat im ZDF etwas anderes erklärt. Deswegen kann ich nur sagen, er hat sich selbst öffentlich entäußert und darauf hingewiesen, dass man die vorgezogene Steuerreform im Vermittlungsausschuss kompensieren müsste mit dem Eingriff in die Tarifautonomie und mit arbeitsrechtlichen Dingen bis hin zum Kündigungsschutz. Also, die Worte hat er selbst gewählt und ich glaube nicht, dass ich den Ministerpräsidenten jetzt öffentlich der Lüge bezichtigen soll. Er hat es im ZDF gesagt, er hat es für alle hörbar gesagt. Von daher haben wir Veranlassung als Landtag, unseren Landesvater aufzufordern, sich am Grundgesetz zu orientieren, was Sie zu Recht angemahnt haben.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, Tarifautonomie hat Verfassungsrang. Es ist, wie Sie richtig gesagt haben, nach 1945 als Lehre aus dem Hitlerfaschismus, aber auch als Lehre der Weimarer Republik von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes so aufgeschrieben worden, dass die Tarifautonomie, also die Koalitionsfreiheit der Arbeitgebervertreter gegenübergestellt wird der Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmervertreter. Und, meine Damen und Herren, es war Konrad Adenauer, der das noch weiter prinzipiell hat herausarbeiten lassen. Dass die Tarifautonomie sich verteilt auf die Funktionäre - Herr Kretschmer, wenn ich Sie denn stören darf mit dem Altministerpräsidenten im Gespräch, der wird sich daran sehr gut erinnern, weil er Zeitzeuge ist -, dass man ganz klar gesagt hat, die Tarifparteien sollen den Flächentarifvertrag regeln und die Betriebsparteien im Tarifvertragsgesetz und im Betriebsverfassungsgesetz haben Friedenspflicht - ausdrücklich Friedenspflicht.

(Beifall bei der PDS)

Das steht in dem Gesetz, das Konrad Adenauer eingebracht hat und das Sie, meine Damen und Herren, in der Nachfolge oder in der Zuordnung Ihrer eigenen Partei zu verantworten haben, nämlich die Trennung zwischen Betriebsräten einerseits und den Tarifverhandlungen und dem Streikrecht andererseits. Das eine ist innerbetriebliche Konfliktlösung und das andere ist branchenmäßige Konfliktlösung. Die ist fein säuberlich getrennt worden, weil man nämlich nicht wollte, die Mütter und Väter des Grundgesetzes, dass in jedem Betrieb der eine Mitarbeiter dem anderen Mitarbeiter sein Teufel wird und dass der Betriebsrat tatsächlich zur Lösung von Konflikten auf den vorgegebenen Bahnen beitragen soll. Und wenn er sich nicht daran hält, läuft er sogar Gefahr, nach §§ 121 und 119 Betriebsverfassungsgesetz strafrechtlich relevant Ahndung zu bekommen oder sogar Strafe zahlen zu müssen, Ordnungsgeld. Das steht ausdrücklich am Ende des Betriebsverfassungsgesetzes drin. Und am Anfang steht, der Betriebsrat ist nicht Träger tariflicher Auseinandersetzungen.

Meine Damen und Herren, wenn Herr Kretschmer hier schon geschichtlich richtig auf die Umstände hinweist, dann darf er den Hinweis auf die dauerhafte Friedenspflicht der Betriebsräte nicht verschweigen.

(Beifall bei der PDS)

Sie müssen sich überlegen, wann soll sich Politik eigentlich einmischen. Da gehe ich auf etwas ein, das aktuell passiert ist. Ich habe als Fraktionsvorsitzender einen Brief bekommen - offenkundig ein Serienbrief - eines Verbands, der sich Zweckverband ostdeutscher Baubetriebe nennt. Ich glaube ZVOB. Da werde ich aufgefordert, Einspruch zu erheben als Politiker gegen die Allgemeinverbindlichkeitsverhandlungen der Mindestlöhne am Bau. Die Allgemeinverbindlichkeitsverhandlungen sind im Tarifvertragsge

setz geregelt. In Thüringen ist das im Wirtschaftsministerium angesiedelt und der Allgemeinverbindlichkeitsausschuss wird ausschließlich von den Verbandsvertretern auf beiden Seiten beschickt und die Politik hält sich in der Regel aus den Allgemeinverbindlichkeitsverhandlungen heraus, weil es ausschließliche Angelegenheit der Träger der Tarifverträge und des Tarifvertragsrechts ist. Jetzt fordert mich ein Zweckverband auf, als Politiker soll ich Einspruch erheben, damit die Mindestlohnbedingungen am Bau kaputtgemacht werden. Das bedeutet, der mühsam ausgehandelte Kompromiss, der ja auf den Baustellen - und das wissen wir alle - versuchen soll, wenigstens einen Rest an Anstand und Würde der Menschen, die noch auf dem Bau tätig sind, zu wahren, dieser Kompromiss soll kaputtgemacht werden zugunsten einer Entwicklung, die zum Schluss zur Selbstausbeutung der Beschäftigten führt. Sie haben hier ein Zerrbild von den Funktionären gezeichnet, die das Tarifkartell bilden, Herr Kretschmer. Das ist ein Zerrbild. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland rund 60.000 Tarifverträge, differenzierte, höchst unterschiedliche Tarifverträge und auch in Thüringen haben wir die Situation, dass in 24 Prozent aller Betriebe ein Tarifvertrag vorliegt, die aber über 55 Prozent aller Mitarbeiter des ganzen Freistaats abdecken. Das heißt, für eine Mehrzahl der Beschäftigten in Thüringen gelten Tarifverträge und wir sehen, wo es hinführt, wenn diese Tarifverträge nicht mehr gelten, wenn sie durchlöchert werden wie ein Schweizer Käse. Es führt dazu, dass jeder sich anbietet, auch für weniger Geld arbeiten zu wollen. Das ist ein Zustand, ein Rückfall ins vergangene Jahrhundert.