Protokoll der Sitzung vom 08.05.2009

(Beifall CDU)

Die Thüringer ESF-Förderung setzt gezielt bei Problemen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung an, wie dem demographischen Wandel, dem Wettbewerbs- und Innovationsdruck, der Deckung des steigenden Fachkräftebedarfs, der Integration Benachteiligter und auch der Chancengleichheit. Die breite Wirkung der ESF-Förderung wird zum Beispiel deutlich, wenn mit 12,6 Mio. € in diesem Jahr die Verbundausbildung in Thüringen unterstützt wird. Die Ausbildungsverbünde schließen thüringenweit 3.189 Mitgliedsunternehmen mit 14.205 Auszubildenden ein. Bereits seit 1996 werden durch Projekte zur beruflichen Qualifizierung von Aussiedlerärzten sowohl eine erfolgreiche Integration erreicht als auch die Versorgung mit Ärzten in Thüringen verbessert. Im Rahmen der Projekte, für die ca. 3 Mio. € ESF-Mittel bereitgestellt wurden, haben bisher ca. 220 Teilnehmer teilgenommen, von denen heute ca. 90 Prozent an Thüringer Kliniken arbeiten.

Die Thüringer Landesregierung nimmt sich auch des Themas Armutsbekämpfung an, vor allem auch bei Kindern. Als EU-Projekt wird unter anderem eine Medienkampagne angestrebt, die mit Start noch im Jahr 2009 über das gesamte Jahr 2010 wirksam werden soll und mit kinderspezifischen Formaten in die Medien, z.B. auch im Kinderkanal, eingehen wird. Mithilfe der europäischen Strukturfonds haben wir in den letzten Jahren viel Positives für Thüringen erreicht. Das Thüringer Bruttoinlandsprodukt pro Kopf erreicht inzwischen 81,6 Prozent des EUDurchschnitts. Wir liegen damit deutlich über der derzeitigen Grenze von 75 Prozent, die für die Zuordnung zu den Höchtsförderregionen maßgeblich ist. Das ist zunächst eine gute Nachricht, ein Erfolg für Thüringen und für die Landesregierung. Andererseits bedeutet das auch, wie die anderen ostdeutschen Länder wird auch Thüringen nach Ende der aktuellen Förderperiode Ende 2013 wie bereits heute über der 75-Prozent-Marke liegen und damit nicht Höchstfördergebiet sein. Wenn aber die Förderung schlagartig wegfallen würde, wäre die Fortsetzung einer kontinuierlichen Regionalpolitik nicht mehr möglich. So würden neue Ansiedlungsprojekte infrage gestellt, die Förderung von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen müsste zurückgefahren, Einschnitte bei der Förderung des Umweltschutzes müssten eingeplant werden. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben daher bereits im November 2007 einen ersten Beschluss zur Zukunft der Kohäsionspolitik gefasst und darin fordern sie, angemessene und gerechte Übergangsregelungen für die Regionen, die nach 2013 aus der Höchstförderung ausscheiden. Unsere Position wurde vom Bund und allen Ländern aufgegriffen und in der gemeinsamen Stellungnahme zum 4. Kohäsionsbericht eingearbeitet.

Meine Damen und Herren, es ist nicht selbstverständlich, dass die alten Länder unsere Forderungen nach einer Übergangsregelung unterstützen. Das ist, glaube ich, auch ein schönes Zeichen föderaler Solidarität, dass die alten Länder uns hierbei unterstützen und dafür sind wir dankbar. Denn wir können unsere Position auf europäischer Ebene nur erfolgreich einbringen, wenn Bund und Länder gemeinsam mit einer Stimme sprechen. Bislang ist die Zukunft der Kohäsionspolitik noch offen. Deshalb müssen wir uns jetzt stark machen, denn 2013 ist es zu spät, wenn wir erst dann reagieren würden. In diesem Sinne habe ich Ende Februar mit meinen Amtskollegen aus Sachsen-Anhalt und Sachsen ein gemeinsames Vorgehen verabredet. Die ostdeutschen Länder werden deshalb gemeinsam und rechtzeitig vor dem Erscheinen des 5. Kohäsionsberichts im Herbst 2010 ihre Vorstellungen der Kommission gegenüber deutlich machen. Ich halte es für wichtig, dass wir für unser Anliegen auch Mitstreiter aus anderen europäischen Ländern gewinnen, denn zahlreiche Regionen sind in einer ähnlichen Situation. Denken Sie nur an unsere Partnerregionen wie die Picardie. Auch die spanischen Regionen gehören dazu.

Unser besonderes Augenmerk gilt auch der Landwirtschaft, denn sie hat in Thüringen einen hohen Stellenwert. Deshalb haben wir uns energisch in die Verhandlungen zum sogenannten Health Check der gemeinsamen Agrarpolitik eingebracht. Health Check, dahinter steckt die Neugewichtung der Agrarbeihilfen. Die ursprünglichen Pläne der Kommission hätten massive Einkommensverluste vor allem für große Agrarunternehmen gebracht, vor allem für in Thüringen ansässige Agrarunternehmen - das sind insgesamt 300, die davon betroffen gewesen wären, die zwei Drittel der Fläche Thüringens bewirtschaften. Das Minus lässt sich klar beziffern, es wären 45 Mio. € gewesen. Dies hätten die Thüringer Landwirte nach den ersten Vorschlägen der Kommission weniger bekommen. Der Agrarrat hat im November 2008 einen Kompromiss erzielt, der das Schlimmste verhindert. Jetzt fließen nur noch knapp 30 Mio. € weniger an die Thüringer Landwirte. Dafür werden aber zusätzliche Mittel für die Entwicklung der ländlichen Räume zur Verfügung gestellt. Thüringen hat seit Juli 2008 den Vorsitz der Europaministerkonferenz inne. Das ist eine Chance, die Thüringer Interessen im besonderen Maße auch in die europäischen Debatten und Entscheidungsprozesse einfließen lassen kann und eine Möglichkeit, die politische Agenda zu beeinflussen. In diesem Sinne hat der Freistaat neben der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Klima- und Energiefragen in den Mittelpunkt gestellt. Aus gutem Grund, denn Umweltverschmutzung macht vor Staatsgrenzen nicht halt. Energieversorgungssicherheit können wir nur, das hat der jüngste Gasstreit wieder gezeigt, zusammen mit den

anderen Mitgliedstaaten gewährleisten. Wenn Russland den sprichwörtlichen Hahn zudreht, dann stehen in Europa viele Räder still. Deswegen muss sich Europa gemeinsam einsetzen, damit dies so nicht geschieht. Die Bundeskanzlerin hat während der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft Europa zum Vorreiter im Kampf gegen die Erderwärmung erklärt. Das geht nicht von selbst. Thüringen leistet durch den hohen Anteil regenerativer Energien am Primärenergieverbrauch und seine hohe Kompetenz im Solarstandort bereits heute wichtige Beiträge zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Da wollen wir weitermachen und werden wir auch weiter fördern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine abschließende Bilanz des Vorsitzes ist es noch etwas zu früh. Thüringen wird den EMK-Vorsitz erst im Juli abgeben, aber ich kann schon heute sagen, wir haben den Vorsitz erfolgreich genutzt und unser wichtigstes Ziel erreicht. Wir haben uns auf wichtige Positionen gegenüber der Kommission und der Bundesregierung einigen können, so z.B. über eine gemeinsame Stellungnahme zum Grünbuch „Territoriale Kohäsion“ - ich sprach vorhin bereits von diesem Punkt.

Im November 2008 hat die Europaministerkonferenz die Schwerpunkte ihrer Öffentlichkeitsarbeit zur Europawahl beschlossen und als EMK-Vorsitz haben wir mit unserer Veranstaltung „7. Juni 2009 - Deutschland wählt Europa“ am 30. April in der Thüringer Landesvertretung in Berlin einen eigenen Akzent bei der Wählermobilisierung gesetzt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage nochmals: So wichtig es ist, Thüringens Stimme in Europa einzubringen, so unverzichtbar ist es, dass die Menschen die europäische Sache mittragen. Deshalb wollen wir die nächsten Wochen für den Endspurt zur Europawahl nutzen; vor allem die Europawoche rund um den Europatag am 9. Mai bietet mit zahlreichen Veranstaltungen jede Menge Gelegenheiten. Das Europäische Informationszentrum - kurz EIZ genannt - in der Thüringer Staatskanzlei ist und bleibt auch das Herzstück der europäischen Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung und es sind noch viele Veranstaltungen geplant.

Dabei haben wir vor allem die Erstwähler im Blick, rund 70.000 junge Thüringerinnen und Thüringer wählen in diesem Jahr zum ersten Mal. Die Thüringer Landeszentrale für politische Bildung veranstaltet ein Erstwählerprojekt unter dem Motto: „Du hast 2009 die Wahl“, ein Projekt, das sich nicht nur an junge Leute aus Thüringen wendet, sondern auch Erstwähler unserer Partnerregion Mala Polska mit einbezieht.

Heute in einem Monat - das kann fast zum heutigen Tag gesagt werden - ist Europawahl. Lassen Sie uns die Wochen bis zu diesem kontinentalen Urnengang - wie es Jean-Claude Juncker genannt hat - nutzen, um zu zeigen, Europa ist eine Erfolgsgeschichte, auch wenn es hin und wieder Probleme gibt wie in jeder guten Familie. Thüringen wählt Europa, weil es die beste Alternative ist. Ich bitte Sie, rühren Sie in Ihrem Wahlkreis die Werbetrommel, sagen Sie den Menschen, warum sich Europa lohnt. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung und rufe für die Fraktion DIE LINKE den Abgeordneten Kubitzki auf.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, man kann eigentlich froh sein, dass diese Legislaturperiode bald dem Ende entgegengeht.

(Unruhe CDU)

Na endlich werden Sie munter, meine Damen und Herren, bei der Regierungserklärung waren Sie ja etwas schläfrig.

(Beifall DIE LINKE)

Seit einem Jahr hören wir hier eine Reihe von Regierungserklärungen. Ich muss sagen, die ersten haben stark angefangen, Frau Sozialministerin, Frau Justizministerin, dann nahm natürlich das Niveau der Regierungserklärungen schlagartig ab und, ich glaube, den Tiefpunkt einer Regierungserklärung haben wir am heutigen Tag erlebt. Ihre Regierungserklärung, Herr Minister Zeh, ist ohne Emotion, ohne Vision, ohne Ziele. Sie ist eine buchhalterische Aufzählung von inhaltlosen Thesen, mit denen man niemanden hinter dem Ofen hervorlocken kann, geschweige denn an die Wahlurne. Diese Regierungserklärung ist noch nicht einmal der Versuch, die Bedeutung und Perspektive einer europäischen Einigung den Bürgern nahezubringen. Vor allem fehlen Akzente, wie die Landesregierung auf die Bürger zugehen will, um ihnen dieses Europa nahezubringen.

Sie, Herr Minister, loben Ihre Tätigkeit als Vorsitzender der Europaministerkonferenz. Herr Minister, ich muss Ihnen sagen, wenn Sie mal ins Land gehen, dann sehen Sie, es hat kaum ein Thüringer wahrgenommen, dass Sie den Vorsitz der Europaministerkonferenz hatten und dass davon für Thüringen Impulse ausgegangen oder hervorgegangen sind.

Sie unternehmen mit Ihrer Regierungserklärung einen letzten, verzweifelten Versuch, die Bürgerinnen und Bürger Thüringens zum Gang an die Wahlurne für die Europawahl zu bewegen.

Wenn man den Titel der Regierungserklärung „Thüringen wählt Europa!“ hört, muss man sich die Frage stellen, wodurch ein Thüringer Bürger die Erkenntnis gewinnen soll, er muss zur Europawahl, nachdem er diese Regierungserkläung zur Kenntnis genommen hat. Glücklicherweise müssen wir sagen, es sind am 07.06. nicht nur Europawahlen, sondern auch Kommunalwahlen, was sich, wie wir alle hoffen, positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken wird und wahrscheinlich auch positiver auf die Teilnahme an der Europawahl auswirken wird als vielleicht in Bundesländern, wo nur die Europawahl stattfindet.

Mit Ihrer Regierungserklärung, Herr Minister Zeh, unternehmen Sie den Versuch, die jahrelang bewusst vernachlässigte Beteiligung und Einbeziehung der Thüringer Bürgerinnen und Bürger in die europäische Politik durch die Landesregierung zu verschleiern und ihnen jetzt den Weg an die Wahlurnen zu weisen. Schon zu Beginn Ihrer Regierungserklärung dokumentieren Sie Ihre Demokratieauffassung, indem Sie richtigerweise feststellen, dass die Bürger zur Europawahl die Möglichkeit haben, über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu entscheiden. Mit dem nächsten Satz, ich zitiere: „Das ist die wichtigste direkte Einflussmöglichkeit.“, dokumentieren Sie, dass nach der Wahl der Wähler von weiteren Einflussmöglichkeiten so gut wie ausgegrenzt ist. Genau das praktizieren Sie, Herr Minister, und die gesamte Landesregierung seit Jahren. Genau das ist der Punkt, meine Damen und Herren, der bei den Menschen Politikverdrossenheit erzeugt.

(Beifall DIE LINKE)

Zweifelsfrei widerspiegelt Ihre Regierungserklärung auch positive Aspekte, die wir nicht unter den Tisch kehren wollen. Es gibt in Thüringen in Bezug auf die Entwicklung des Europagedankens durchaus Fortschritte, was sich besonders bei jungen Menschen in diesem Land bemerkbar macht. Fragen des gegenseiten Kennenlernens der europäischen Länder, der Studentenaustausch innerhalb der Europäischen Union, die Tätigkeit des Europäischen Informationszentrums, die Durchführung von Informationsveranstaltungen an Thüringer Schulen und an Berufsbildungseinrichtungen und die Vergabe des Titels „Europaschule“ sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Jawohl, auch wir sagen, das sind wichtige Schritte, um junge Menschen an europäische Themen heranzuführen und sie zu motivieren, sich mit europäischen Themen auseinanderzusetzen.

Aber auch hierzu müssen wir kritisch anmerken, dass Wort und Tat der Landesregierung oft keine Einheit bilden. Wer die von der Landesregierung eingeplanten EU-Mittel zur Kofinanzierung der Hochschulen sukzessive kürzt, entspricht bei Weitem nicht dem europäischen Standard, weicht das doch vom europäischen Gedanken ab. Von den im Rahmen der Lissabon-Strategie angestrebten Anteil der Forschungsinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt von 3 Prozent ist Deutschland mit einem aktuellen Anteil von rund 2,5 Prozent noch weit entfernt. In Thüringen lagen die FuE-Ausgaben laut der aktuellen Veröffentlichung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Jahr 2005 bei 805 Mio. €. Gemessen am gesamten Bruttoinlandsprodukt Thüringens betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Thüringen somit 1,81 Prozent. Das sind Zahlen, die wir Ihrer europapolitischen Strategie der Landesregierung auf der Seite 24 entnommen haben. Damit werden europäische Standards nicht erfüllt. Wer die Einführung und Umsetzung von Richtlinien zur Technologieförderung und zur Förderung von wissenschaftlich-technischem Personal an Hochschulen nur sehr schleppend voranbringt und wer die Umsetzung transnationaler Projekte sehr zurückhaltend behandelt, der setzt ebenfalls nicht europäische Maßstäbe um. So wurden gerade für die transnationalen Projekte seit Inkrafttreten der Richtlinie von 2007 bislang nur drei Projekte mit einem Fördervolumen in Höhe von 2 Mio. € bewilligt; sieben Projekte sollen erst im Jahr 2009 beginnen. Dann muss man sich nicht wundern, dass das Vertrauen junger Menschen in die Europapolitik dieser Landesregierung gelassen ist.

Meine Damen und Herren, angesichts der Prognosen und Schlussfolgerungen des Eurobarometers 69.2, welches vom Europäischen Parlament in Auftrag gegeben wurde und im September 2008, als sich die ersten Anzeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise zeigten, veröffentlicht wurden, gaben 51 Prozent der Befragten an, kein Interesse an den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 zu haben. Sie haben eine Zahl für Deutschland genannt. Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten EU-Bürgerinnen und -Bürger haben kein Interesse an der Wahl zur Europäischen Union. Das sollte uns wirklich allen zu denken geben. In Deutschland beträgt die Zahl 52 Prozent, die uninteressiert an der Europawahl sind. Erfragt wurde ebenfalls die Wahrscheinlichkeit zur Wahl zu gehen. Im EU-Durchschnitt liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Bürgerinnen und Bürger an der Wahl zur Europäischen Union beteiligen, bei 30 Prozent, in Deutschland bei 40 Prozent. Auf den ersten Blick ist Deutschland zwar besser als der europäische Durchschnitt, aber uns sollte das trotzdem bedenklich stimmen. Lediglich 22 Prozent der Wahlberechtigten bis 24 Jahre gaben an, dass sie auf jeden Fall zur Wahl gehen wer

den. Bei den 25 bis 39-Jährigen waren es 26 Prozent, bei den 40 bis 54-Jährigen 32 Prozent und bei den Wahlberechtigten im Alter 55 plus waren es 35 Prozent. Eine analoge Befragung in Thüringen würde mit aller Wahrscheinlichkeit ähnliche Werte hervorrufen, das belegt die Wahlbeteiligung der Thüringerinnen und Thüringer an Europawahlen der letzten Jahre. 1994 lag die Wahlbeteiligung noch bei 71,9 Prozent, 1999 waren es nur noch 58,1 Prozent und 2004 53,7 Prozent. Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung reflektiert und ebenfalls eingeschätzt, das ist nicht zufriedenstellend. In Ihrer Regierungserklärung, Herr Minister, benennen Sie keine Ursachen dafür, was deutlich macht, dass Sie überhaupt nicht nachgedacht haben, warum die Menschen nicht zur Europawahl gehen. Herr Minister, dabei möchte ich Ihnen etwas nachhelfen. Ebenfalls beziehe ich mich auf das Eurobarometer. Gefragt nach den Gründen, nicht wählen zu gehen, gaben 68 Prozent an, sie denken, dass ihre Stimme nichts ändern wird. 60 Prozent wissen nicht genug über das Europäische Parlament. 59 Prozent interessieren sich nicht für Europawahlen. 58 Prozent denken, dass sie nicht ausreichend informiert sind, um wählen zu gehen. 57 Prozent denken, dass sich das Europäische Parlament nicht ausreichend um ihre Probleme kümmert. 53 Prozent fühlen sich von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht ausreichend vertreten. Diese Ergebnisse, Herr Minister, sind Beleg dafür, dass die Forderungen meiner Fraktion, die Thüringer Bürgerinnen und Bürger sowie diesen Landtag unmittelbar in den Entscheidungsprozess der Europäischen Union einzubeziehen, kein sinnloses Unterfangen, keine Luftblasen oder keine heiße Luft sind, sondern es wäre der einzige richtige Weg, wenn man die Menschen für den Europagedanken interessieren will, dass man sie motiviert, dass man sie in die Entscheidungsprozesse im Hinblick auf die Europäische Politik mit einbezieht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Menschen in Thüringen, Herr Minister, möchten mitentscheiden und sie möchten mehr Einblick darüber erhalten, was denn nun tatsächlich in der Europastadt Brüssel verhandelt und beschlossen wird.

Unser Antrag hier im Landtag, zum Reformvertrag ein Referendum in Deutschland durchzuführen, haben Sie in Ihrer Überheblichkeit und Arroganz abgelehnt. Die Gefahr der Ablehnung durch das Volk, durch die Thüringer und Thüringerinnen, wie in Frankreich, in den Niederlanden oder in Irland geschehen, haben Sie damit gebannt. Es ist auch falsch, wenn nur immer behauptet wird, die Ablehnung der Franzosen und der Niederländer erfolgte nur aus innenpolitischen Problemen heraus.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist einfach falsch, weil Sie die Lage verkennen. Die Irländer, vor allem aber die Franzosen und die Niederländer haben auch den Reformvertrag abgelehnt, weil soziale Rechte beschnitten wurden, weil sie in ihren politischen Möglichkeiten eingeschränkt wurden und weil sie vor allem erkannt haben, im Reformvertrag, im Inhalt steckt eine neoliberale Wirtschaftspolitik.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie sagen, im Entwurf wird das Europäische Parlament gestärkt, das ist richtig, aber man muss trotzdem betonen, dass nach wie vor das Europäische Parlament in vielen Fragen nicht das beschließende Organ in der Europäischen Union ist, sondern dass das nach wie vor der Europäische Rat ist, der nicht demokratisch direkt von den europäischen Bürgern gewählt wurde, weil die Regierungschefs, die dort drin sind, über die jeweiligen Parlamente gewählt wurden. Auch wir als LINKE - das betone ich noch einmal - haben diesen Entwurf des Lissabon-Vertrages aus folgenden Gründen abgelehnt:

1. wegen seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik,

2. wegen eingeschränkter sozialer Rechte. Die Menschen haben Angst vor gravierenden sozialen Einschnitten. Es wurden keine sozialen Rechte und Standards konkret definiert.

3. Wir wollen kein aufgerüstetes Europa, wo man politische Konflikte

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Das sagt da vorn ein Offizier...)

mit militärischen Mitteln löst.

Sie können sich nachher hier an das Rednerpult begeben und Ihre Meinung dazu äußern.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Das ist der Gipfel. Überlegen Sie mal, was Sie erzählen.)

(Glocke der Präsidentin)

Auch darüber können wir diskutieren. Ich weiß nicht, ob das die richtige Stelle ist, Herr Wehner.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU)

Ja, ja, Herr Wehner, alles klar.

Ich möchte jetzt darauf hinweisen, dass wir in der Aussprache zur Regierungserklärung sind und dass Abgeordneter Kubitzki das Wort am Rednerpult hat.

Ich bedanke mich, Frau Präsidentin.

Wir wollen auch keine ungerechte Handelspolitik gegenüber der Dritten Welt. Wir wollen keine Festung Europa, wir wollen, dass die Ursachen für die Flüchtlingswellen in den Ländern beseitigt werden, wo die Flüchtlinge herkommen. Dazu sollte die Europäische Union einen Beitrag leisten. Was wir wollen, wir wollen mehr Bürgerbeteiligung und mehr Bürgerentscheide.

(Beifall DIE LINKE)

Die direkte Einmischung der europäischen Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäischen Union kann durchaus zu Erfolgen führen. Das ist in der letzten Zeit bewiesen worden. Ich denke nur, durch LINKE und gewerkschaftliche Einflussnahme ist es gelungen, die unsozialen Maßnahmen wie die arbeitsplatzvernichtende Hafendienstleistungsrichtlinie und die arbeitnehmerfeindliche Arbeitszeitrichtlinie zu verhindern. Die von Ihnen, Herr Minister, gelobte Dienstleistungsrichtlinie wird auch in Thüringen noch genug Probleme mit sich bringen. Wir werden dazu hier allerdings im Parlament noch Gelegenheit haben zu reden, aber klar muss festgestellt werden, dass die Dienstleistungsrichtlinie nur entschärft werden konnte, weil Hunderttausende Menschen europaweit auf die Straße gegangen sind. Klar ist auch, dass viele unklare Formulierungen in dieser Dienstleistungsrichtlinie zukünftig vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt werden müssen.

Ein weiterer Beweis dafür, dass man die Reden von unmittelbarer Bürgerbeteiligung ernst meint, wäre gewesen, das Volk an der Entscheidung zum Reformvertrag teilhaben zu lassen. Wie viel Vertrauen hat die Landesregierung eigentlich zu ihren Thüringer Bürgern? Sind diese nur dann mündig, wenn es um deren Stimmen zur Wahl geht? Sie haben es versäumt, die Menschen auf den Weg nach Europa mitzunehmen, sie in europäische Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihnen den europäischen Gedanken näherzubringen. Auch wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung ein anderes Bild zeichnen wollen, die Menschen können Sie damit nicht vom Europa der Zukunft begeistern, schon gar nicht an die Wahlurne rufen.