Protokoll der Sitzung vom 09.06.2009

Ich sage hier auch, wer sich diesen Forderungen immer weiter widersetzt, bekämpft die Krise nicht wirklich.

Meine Damen und Herren, ein Stück noch deutlicher: Wer dies, wie Sie, Herr Althaus und die Landesregierung, nicht will, der hat offensichtlich den Plan B in Arbeit, nämlich nach dem 30. August und nach dem 27. September weitere Einnahmeeinbrüche zu konstatieren, die Sie dann natürlich selbst nicht zu verantworten haben, was Sie aber sehr wohl tun. Dann wird Ihre Antwort erneut sein, wenn die Wahlgänge erledigt sind: Wir müssen bei den Ausgaben sparen. Das heißt nichts anderes, als den schon über ein Jahrzehnt betriebenen Sozialabbau in noch schärferer Form fortzusetzen und die Kosten der Krise auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Das ist offensichtlich Ihre Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn dies nicht verhindert werden kann und Sie sich nicht eines anderen besinnen, dann wird dieses Land sozial weiter gespalten werden. Wir, und das will ich hier noch einmal deutlich sagen, wollen eine andere Politik, eine Politik, die Löhne und Renten nicht weiter kürzt, sondern stabilisiert und steigert, eine Politik, die die Binnennachfrage ausweitet, eine Politik, die langfristig Hartz IV überwindet und die die Vermögenden an der Finanzierung einer solidarischen und gerechten Gesellschaft in diesem Land beteiligt. Das, meine Damen und Herren, ist Hauptsache für Thüringen, wenn die Krise im Interesse der Menschen überwunden werden soll. Stellen Sie sich dieser Hauptsache und reden Sie nicht nur darüber, dass Thüringen für Sie angeblich Hauptsache ist.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat Abgeordneter Matschie, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Sondersitzung beantragt, damit die Regierung etwas zu den Konsequenzen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise sagt. Es geht nicht darum, Frau Diezel, Statistiken hier zu referieren, sondern es geht um die Frage, welche Konsequenzen sind eigentlich aus dieser Finanz- und Wirtschaftskrise zu ziehen. Da ist, finde ich, der Regierungschef gefragt, zumal es in den letzten Wochen sehr widersprüchliche Ausführungen gab. Sie haben, Herr Althaus, erst vor Steuersenkungen gewarnt, dann haben Sie Steuersenkungen im Programm der CDU

zugestimmt. Herr Althaus, Sie sind seit 50 Tagen wieder im Amt, aber keiner hat den Eindruck, dass Sie wirklich das Ruder wieder in die Hand genommen haben, auch heute nicht.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist ja unverschämt.)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie müssen nur die Augen aufmachen.)

Alle erwarten, dass der Regierungschef in der Krise klare Ansagen macht, aber Sie weigern sich. Sie weigern sich z.B. eine Regierungserklärung abzugeben, nur weil ich Sie dazu aufgefordert habe, das zu tun.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Ganz schön wichtig, Herr Matschie.)

Heute war wieder die Chance, hier an dieser Stelle etwas zu sagen, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, welche Politik diese Landesregierung eigentlich will. Ich verstehe Sie nicht mehr, Herr Althaus. Wenn ein potenzieller Opel-Investor hier nach Thüringen kommt, um mit dem Regierungschef zu reden, nimmt der Ministerpräsident Reißaus. Als Herr zu Guttenberg von der Insolvenz von Opel als dem besten Weg geredet hat, schwieg der Thüringer Ministerpräsident. Herr Althaus, Sie verweigern einen notwendigen Nachtragshaushalt. Aber jetzt liegt plötzlich ein Antrag vor, eine Art Nebenhaushalt gesetzlich durch das Parlament zu bringen. Sie verstecken sich bisher vor einer Lösung bei den Abwasserbeiträgen. Wenn man Sie beobachtet, muss man entweder zu dem Schluss kommen, dass es Ihnen relativ egal ist, was hier im Land passiert oder aber, dass Sie der Aufgabe nicht mehr gewachsen sind.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Köckert, CDU: Erzähl nicht so eine Gülle.)

Ich frage mich manchmal, merken Sie nicht, dass das Vertrauen mit jedem Tag schwindet? Spätestens der Einbruch der CDU bei den Kommunalwahlen am Sonntag muss Sie doch wachgerüttelt haben.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das sagt der Richtige, 16 Prozent und da ris- kieren Sie eine dicke Lippe.)

Dann können Sie sich doch heute nicht stumm in den Landtag setzen und nicht die Gelegenheit nutzen, hier zu sagen, was die Regierung in den nächs

ten Wochen vorhat. Sie haben heute wieder eine Chance vertan.

(Beifall SPD)

Gleichzeitig wachsen die Sorgen im Land. Ich habe die Umfragezahlen, die uns Ende Mai erreicht haben, sehr sorgsam gelesen. In diesen Zahlen steckt eine Stimmung, die ich draußen im Lande täglich spüre und die, die unterwegs sind, auch. 70 Prozent der Thüringer machen sich Sorgen in dieser Krise. Bei jedem Fünften ist bereits ein Familienmitglied arbeitslos geworden. Fast genauso viele sind mit dem Thema Kurzarbeit konfrontiert. Jeder Dritte sagt, er spart inzwischen bei den täglichen Einkäufen. Das sind einige Ergebnisse aus dem Thüringentrend, der im „Freien Wort“ am 26. Mai veröffentlicht worden ist.

Ich weiß auch aus vielen Gesprächen, die Thüringerinnen und Thüringer sind schon wetterfest, die lassen sich nicht von schlechten Nachrichten erschrecken. Niemand steckt den Kopf in den Sand, das ist mein Eindruck im Land. Aber viele sind sich sehr wohl bewusst, dass wir in schwierigen Zeiten stecken. Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen haben ein Recht auf eine realistische Lageeinschätzung durch die Landesregierung und auf realistische Antworten.

Frau Finanzministerin, wenn Sie hier sagen, Sie gehen davon aus, dass die Lage sich bessert, weil gerade an den Börsen das Barometer ein bisschen nach oben geht - ich bitte Sie.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das kann morgen schon wieder anders sein.)

Wenn wir eins aus der Finanzkrise gelernt haben, dann vielleicht, dass wir nicht den Börsenspekulationen vertrauen sollen, wenn es um die Einschätzung der Wirtschaftslage geht.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Das von Ihnen, Herr Matschie, ist ja auch …)

Ich kann Sie da überhaupt nicht mehr verstehen.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Das kann passieren.)

Sie können sich auch gleich zu Wort melden.

Vielleicht ist es besser, wenn Sie nicht den Börsenkursen vertrauen bei der Lageeinschätzung, sondern vielleicht mal hier vor Ort bei der IHK nachfra

gen. Ich war vor einigen Tagen bei der IHK in Südthüringen und habe mir dort die Lage der Industrie angeschaut. Die IHK hat dazu auch eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Dunkle Wolken, (ein) wenig Licht“ herausgegeben. Dann heißt es, dass insbesondere Industrie stark betroffen ist von der Krise. 51,8 Prozent der Unternehmen bezeichnen derzeit die Lage als schlecht. Der IHK-Chef kommentiert das folgendermaßen, ich zitiere: „’In dieser Branche entsteht schließlich die gesamte Wertschöpfung. Unsere Zeitreihen zeigen, dass bislang in keiner Umfrage der IHK Südthüringen so pessimistisch geurteilt wurde’, erläutert Pieterwas den Ernst der Lage.“ Denen, die sich damit beschäftigen, ist also der Ernst der Lage wirklich bewusst. Das sind nicht die einzigen Zahlen. Aus dieser Umfrage geht auch hervor, dass nur noch ein Viertel der Unternehmen in der Industrie in Südthüringen mit Gewinn arbeitet, das 32 Prozent der Unternehmen Verluste machen, dass 40 Prozent der Unternehmen Beschäftigte abbauen wollen. Und Sie stellen sich hierhin für diese Regierung und sagen, ja, wir sehen Licht am Horizont, weil die Börsenkurse sich gerade mal wieder ein bisschen nach oben bewegen. Frau Ministerin, Herr Ministerpräsident, ein bisschen mehr Realismus und ein bisschen mehr Vertrauen in die, die hier vor Ort etwas von Wirtschaft verstehen, wünsche ich mir an dieser Stelle schon.

(Beifall SPD)

Wir sehen, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise eben keinen Bogen um Thüringen macht, dass es auch keine leichte Delle ist, wie der Wirtschaftsminister noch Anfang des Jahres behauptet hat, sondern dass wir mit dem schwersten Einschnitt konfrontiert sind, den es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher gab. Und in dieser Situation braucht es natürlich einen Staat, der neue Regeln setzt, für klare Verhältnisse an den Finanzmärkten sorgt, damit diese Finanzmärkte nicht wieder außer Kontrolle geraten. Dazu ist einiges vonseiten der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Wir brauchen aber auch eine aktive Industriepolitik und hier sind natürlich auch Landesregierungen gefragt in dieser Situation. Da kann man nicht nur auf das setzen, was der Bund in Bewegung gebracht hat. Deshalb sage ich ganz deutlich, wir müssen auch hier mit Thüringer Möglichkeiten in dieser Wirtschaftskrise dafür sorgen, dass das Wirtschaftssystem als Ganzes stabilisiert wird, dass Arbeitsplätze gesichert werden. Das kostet auch zusätzliches Geld - keine Frage -, das geht nicht anders. Aber ich sage auch, angesichts der öffentlichen Debatte, die wir haben, wird hier zu viel Steuergeld leichtfertig eingesetzt. Die Debatte ist ja im Zusammenhang mit Opel geführt worden. Ich sage, Nein. Ich sage, das Geld ist richtig eingesetzt. Wir müssen bei jedem einzelnen Fall natürlich hinschauen, ob es gerechtfertigt

ist, Steuergelder einzusetzen. Denn es ist nicht unser Geld, was wir hier zur Verfügung stellen müssen, sondern das Geld, was andere hart erarbeitet haben. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein. Aber wir müssen auch die Alternative mit diskutieren. Und die Alternative beim Zusammenbruch großer Unternehmen, die Alternative, wenn ganze Landstriche deindustrialisiert werden, sind eben auch hohe Kosten für die Steuerzahler, für die Beitragszahler, für die Allgemeinheit, die aufgebracht werden müssen, um dann Arbeitslosigkeit zu bezahlen, um dann neue Wirtschaftsförderprogramme zu bezahlen, um mühsam dort wieder wirtschaftliche Belebung hineinzubringen, wo sie weggebrochen ist. Deshalb sage ich, es ist allemal besser - und das sage ich auch in Richtung des Bundeswirtschaftsministers, der ja von der Union kommt -, in Arbeitsplätze zu investieren als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

(Beifall SPD)

Wenn wir sagen, wir müssen verantwortungsvoll mit dem Geld der Steuerzahler umgehen, dann gehört für mich auch dazu Transparenz und Kontrolle. Für diese Transparenz und Kontrolle sind die Parlamente zuständig. Deshalb erwarte ich nach wie vor, dass diese Landesregierung hier einen Nachtragshaushalt vorlegt. Die Bundesregierung hat gehandelt, Ende Mai hat das Kabinett den zweiten Nachtragshaushalt beschlossen, Anfang Juli entscheidet der Bundestag darüber, andere Länder haben auch gehandelt. Was erleben wir hier in Thüringen? - statt Klarheit statistische Hütchenspielertricks.

Frau Finanzministerin, um ganz offen zu sein, bei Ihrer Rede gerade am Ende hatte ich manchmal den Eindruck, Sie können den Zahlenspielereien, die Ihre Beamten da aufgeschrieben haben, selbst nicht mehr folgen, denn es hilft doch nichts, hier Zahlen hin- und herzuschieben. Es ist doch jetzt schon nicht zu übersehen, dass bald Geld in der Kasse fehlt, und das muss doch nicht gesundgebetet werden, sondern wir müssen versuchen, mit einer solchen Situation offen und seriös umzugehen.

Jetzt nehme ich noch einmal Ihre Zahlen. Steuermindereinnahmen nach der Mai-Steuerschätzung von 450 Mio. €, Kofinanzierung für Konjunkturpaket 33 Mio. €, 60 Mio. € für Pflichtverbeamtungen, die jetzt zusätzlich aufgebracht werden mussten, das macht zusammen etwa 550 Mio. €. Wenn ich die Rücklage von 320 Mio. € dagegensetze und die EUZuschüsse oder -Vorschüsse, die ja dann in den nächsten Jahren nicht mehr bzw. weniger zur Verfügung stehen, komme ich auf 420 Mio. €. Dann klafft immer noch eine Lücke von weit über 100 Mio. €. Herr Althaus, einem Mathe- und Physiklehrer müsste eigentlich auffallen, dass die Zahlen da nicht zueinander passen.

Ihnen fällt manchmal nicht mehr auf, wenn Sie sich selbst widersprechen. Wir haben seit Wochen einen Nachtragshaushalt gefordert, Sie, Herr Althaus, haben einen solchen Nachtragshaushalt seit Wochen abgelehnt. Jetzt liegt plötzlich ein Gesetz vor, mit dem Sie versuchen, den Haushalt nachträglich zu ändern. Das verstehe jetzt, wer will. Sie sind gegen einen Nachtragshaushalt, aber jetzt sind Sie unbedingt dafür, den Haushalt nachträglich zu ändern. Wie wollen Sie das eigentlich noch irgendjemandem erklären? Haben Sie den Eindruck, dass auf diese Art und Weise Glaubwürdigkeit entstehen kann, mal abgesehen von den verfassungsrechtlichen Fragen, die Uwe Höhn hier schon angeschnitten hat, ob man einfach neben das Haushaltsgesetz ein weiteres Ausgabengesetz stellen kann oder ob das dann nicht innerhalb des Haushaltsgesetzes mit einem Nachtragshaushalt geklärt werden muss. Aber völlig unverständlich ist es, wenn Sie ein solches Gesetz schon erstellt und versucht haben, es vorab an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen, damit es möglichst schnell, nämlich in der nächsten Woche, verabschiedet werden kann, und wenn die SPD-Fraktion Ihnen zu Hilfe kommt und sagt, dann lassen Sie uns das Gesetz doch heute in erster Lesung beraten, dann haben wir eine Woche Zeit bis nächste Woche, können uns mit den Zahlen auseinandersetzen und in der nächsten Woche dieses Gesetz verabschieden, dann sagen Sie plötzlich: Nein, wir wollen das Gesetz gar nicht auf die Tagesordnung bringen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist doch gar nicht wahr.)

Herr Althaus, können Sie mal versuchen, mir zu erläutern, wie das ganze Ding noch irgendeinen Sinn ergeben soll?

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wie alt ist denn diese Rede? Die ist doch Wo- chen alt. Lassen Sie sich doch mal eine ordentliche Rede aufschreiben.)

(Unruhe im Hause)

(Glocke der Präsidentin)

Ich bitte um Ruhe.

Herr Mohring, war das jetzt das Angebot, dass Sie mir die nächste Rede aufschreiben? Ich fürchte, die wird sehr viel schlechter werden als die, die ich gerade halte.

(Beifall SPD)

Nein, das passt wirklich nicht zusammen, einen Nachtragshaushalt abzulehnen und gleichzeitig ein Gesetz vorzulegen, was den Haushalt nachträglich ändern soll.

Ich frage mich immer wieder: Warum drücken Sie sich eigentlich davor, hier vor dem Parlament Rede und Antwort zu stehen über die Situation im Land, über das, was Sie noch bis zur Landtagswahl vorhaben? Sie sind Ministerpräsident dieses Landes und Sie haben eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber diesem Landtag, Rechenschaft über Ihre Politik vor dem Landtag abzulegen, so steht es in der Verfassung. Aber Sie drücken sich davor, Sie reisen durch das Land, Sie schneiden Bändchen durch - das reicht nicht. Dafür braucht man in Thüringen keinen Ministerpräsidenten, das geht auch ohne Sie.