Protokoll der Sitzung vom 21.04.2005

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich rufe für die PDS-Fraktion Frau Abgeordnete Berninger auf.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich werde von einem Ereignis vor etwa zwei Wochen sprechen, und zwar von dem Desaster, was in Pößneck passiert ist. Für die aus ganz Deutschland angereisten Neonazis war der 2. April 2005 ein voller Erfolg. Zuerst narrten sie die Polizei an den recht spärlichen Kontrollstellen, dann gab es das Konzert mit der Szenegröße Lunikoff und danach zwangen die Teilnehmer die Polizei dazu, den Versuch der Personalienfeststellung abzubrechen. Doch dieser Tag hatte nicht nur Gewinner auf der braunen Seite, sondern dieser Tag hatte auch Verlierer. Verlierer am 2. April in Pößneck war nicht nur die Thüringer Polizei, die sich von den Neonazis zu Statisten degradieren lassen musste, auch für die Kommune, für die Bürger in Pößneck, ja für ganz

Thüringen war dieser Tag ein schwarzer, nein, eigentlich ein brauner Samstag.

(Beifall bei der PDS, PDS)

Meine Damen und Herren, wie konnte es dazu kommen? Wer ist verantwortlich für das Desaster an diesem 2. April? An erster Stelle müssen die Verantwortlichen für das Desaster ganz offensichtlich beim Landesamt für Verfassungsschutz gesucht werden. Da war zwar bekannt, dass es zu diesem Datum ein Konzert mit dem Sänger und Texter der kriminellen Band „Landser“ geben würde, aber so richtig ernst genommen hat man diese Information offensichtlich nicht.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das machen sie nie.)

Es war auch bekannt, dass der NPD-Landesparteitag schon zweimal aufgrund öffentlichen Drucks abgesagt werden musste. Jetzt hätte man in der logischen Folge, spätestens jetzt, zwei und zwei zusammenzählen können, zusammenzählen müssen beim Landesamt. Wenn die rechtsextreme NPD sichergehen wollte, dass dieser geplante Landesparteitag nicht wieder platzen würde, dann mussten die Nazis auf eigene Räumlichkeiten zurückgreifen. Wenn in Nordrhein-Westfalen und in Sachsen regelmäßig jeweils mehr als 1.000 Neonazis bei Lunikoff-Konzerten zusammenkamen, dann hätte selbst dem Thüringer Verfassungsschutz relativ schnell klar sein können, dass nur das ehemalige Kulturhaus in Pößneck, das sich im Besitz des Drahtziehers im braunen Netz, Jürgen Rieger, befindet, dass nur dieses Schützenhaus in Frage kommt. Aber nein, beim Verfassungsschutz zählt man eben nicht zwei und zwei zusammen, sondern man gibt sich entweder provinziell, borniert oder eben unfähig.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Provinziell war auf jeden Fall die Haltung des Landesamts, nicht über den Thüringer Tellerrand hinauszusehen. Fast schon gebetsmühlenartig gab Herr Sippel immer wieder zu Protokoll, in Thüringen seien es ja bisher immer nur 150 bis 350 Neonazis bei solchen Konzerten gewesen. Von mehr Teilnehmern hätte ja nun wirklich keiner ausgehen können. Damit hat Herr Sippel bewiesen, dass für ihn der Ort Mücka in Sachsen quasi im Ausland liegt. Borniert geht der Verfassungsschutz mit seinen Informationen um, sofern er überhaupt welche hat. Egal, ob CDU-, SPD- oder PDS-Bürgermeister, alle bisher in der Vergangenheit betroffenen Thüringer Bürgermeister können ein Lied davon singen, was passiert, wenn man den Verfassungsschutz um Unterstützung bittet, wenn rechtsextreme Aktivitäten im Ort anstehen. Es passiert nichts. Entweder ist diese Geheimbehörde so

geheim, dass sie auf ihren Informationen sitzen bleibt wie eine Henne oder diese Geheimbehörde ist so geheim, weil niemand merken soll, dass sie eigentlich gar keine verwertbaren Informationen hat.

(Beifall bei der PDS)

Ein wenig Schuld an dem Desaster in Pößneck tragen aber auch politisch Verantwortliche vor Ort. Was ist in Pößneck eigentlich in über einem Jahr passiert, seitdem das Schützenhaus in die Hände von Neonazis gefallen ist? Welche behördlichen Mittel haben Landrat und die Stadt ausgeschöpft, um es Rieger und seinem Gefolge schwer zu machen? Wo waren denn die Veranstaltungen, auf denen Bürgerinnen und Bürger über diesen Herrn Rieger und seine Projekte informiert wurden? Was wurde von Seiten der Verantwortlichen vor Ort überhaupt unternommen gegen dieses braune Nest in Pößneck? Fehlanzeige! Allzu lange hat man allein im politischen Hinterstübchen gesprochen und sich wahrscheinlich gegenseitig beruhigt und versichert, es werde schon nicht so schlimm kommen. Was hat eigentlich eine Polizeiinspektion, die nur ein paar Schritte entfernt vom Schützenhaus liegt, mitbekommen über die Vorbereitungen dieses Nazigroßereignisses? Anscheinend nicht viel. Jedenfalls ist jetzt zumindest die Bürgerschaft in Pößneck wachgerüttelt und das ist gut so. Dem Vernehmen nach prüfen jetzt auch Stadt und Landrat rechtliche Möglichkeiten gegen das braune Haus. Ob der Verfassungsschutz dazugelernt hat, sei dahingestellt. Ob die Polizei dazugelernt hat, das wage ich nach den Ereignissen vom vergangenen Samstag zu bezweifeln.

Was ich mir wünsche, meine Damen und Herren, aus den von mir beschriebenen Ereignissen in Pößneck zu schlussfolgern, ich wünsche Thüringen, dass es erfolgreiche bürgerschaftliche Proteste hat, und zwar im Juni beim Neonazikonzert in Jena, bei den Gegenaktionen dazu und gegen den nächsten Aufmarsch der Rechtsextremen in Erfurt. Dazu braucht die Zivilgesellschaft nicht den Verfassungsschutz, aber sie braucht eine kooperierende Polizei.

(Beifall bei der PDS)

Es ist zu hoffen, dass wir in nächster Zeit die richtigen Zeichen setzen. Fatale Zeichen hat es schon genug gegeben. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich möchte eine Anmerkung zur Geschäftsordnung machen. Aus Ausschussprotokollen geschlossener Ausschuss-Sitzungen darf nicht mit Namen zitiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten Fiedler, CDU-Fraktion, auf.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute das Thema „Nazi-Aufmärsche - Umgang mit rechtsextremistischen Aktivitäten in Thüringen“. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass der Tagesordnungspunkt 7 vorher behandelt worden wäre, weil man das dort im Gesamtzusammenhang hätte abhandeln können.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Dann hätten Sie heute Morgen zustimmen müssen!)

Ich kann Ihnen doch meine Wünsche, Frau Kollegin Becker, sagen. Ich hätte mir gewünscht, nachdem wir den Antrag extra auf die Tagesordnung gebracht haben, dass die Landesregierung entsprechend informiert,

(Unruhe bei der PDS, SPD)

was überhaupt abgelaufen ist und sich das Parlament dann entsprechend damit befassen kann. Wir haben ja auch noch den Punkt 11 heute auf der Tagesordnung, wo auch noch einige Dinge zu bereden sind. Aber nichtsdestotrotz sind ja einige Dinge hier angesprochen worden. Ich möchte vorausschicken, damit das jetzt schon gesagt wird und wir werden uns auch weiter damit auseinander setzen, wir von der CDU-Fraktion sind der Meinung, dass unsere Thüringer Polizei eine ganz hervorragende Arbeit leistet und verdient hat, dass wir ihr den Rücken stärken.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, gerade die Polizei hat es nicht einfach, wenn auf der einen Seite Rechtsextremisten sind, auf der anderen Seite Linksextremisten und dazwischen ganz normale Bürger, dass man diese Dinge dann im Griff behält. Denn der Polizist, der weder zu der einen Gruppe noch zu der anderen Gruppe gehört, muss das Neutrum sein, der die entsprechenden Dinge - und die Demonstrationserfahrenen wissen ja, was die Polizei zu machen hat und was dort alles im Zusammenhang steht. Ich will aber eins auch gleich am Anfang klar und deutlich sagen: Wir müssen alle gemeinsam in dem Hause - wir haben das heute früh schon einmal gehabt, da waren wir uns zwar nicht einig, als es um Buchenwald und Mittelbau-Dora ging, dass man hier bestimmte Dinge einsetzen kann - dafür Sorge tragen - und da setze ich immer das bürgerschaftliche Engagement voraus -,

dass man sich wie in Jena, in anderen Städten, in Erfurt und wo auch immer, in Weimar, die haben das hervorragend schon mehrfach vorgemacht, und, und, und, dass man dieses weiter stärkt und weiter unterstützt. Ich glaube, das ist und bleibt der Weg, der vornan stehen muss. Aber, da kommt das Aber, wenn es aus bestimmten Gründen nicht funktioniert und man diese Horden hat, die eingeflogen werden oder auch herankommen, und ich will auch ganz klar sagen, wenn wir, wir hatten ja mehrere, leider mehrere solcher Aufmärsche in den letzten Tagen, Wochen, Monaten, die im Land stattgefunden haben, davon sind viele hervorragend von der Polizei in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz abgearbeitet worden. Ich sage nur als Letztes, was in Gotha passiert ist auf dieser Industriebrache, wo sich eine Bürgerin mit eingebracht hat, aber auch der Verfassungsschutz Informationen hatte und ordnungsgemäß informiert hat. Es sind in den letzten Tagen durch die Presse mehrere Aktivitäten gegangen. Ich will an der Stelle nochmals verweisen, ich komme auch noch auf die Fehler, auf die Gedenkveranstaltung, die in Buchenwald stattgefunden hat, wo weit angereiste Opfer, der Bundeskanzler und viele andere da waren, ich will darauf verweisen, dass hier auch in Zusammenarbeit Polizei, Verfassungsschutz eine hervorragende Arbeit geleistet wurde. Auch dort wurden in Größenordnungen einige herausgefiltert, die versucht haben auch dort ihre Dinge abzulassen. Dort ist eine sehr gute Arbeit geleistet worden. Und ich möchte dem Polizeiführer und dem Innenministerium recht herzlich danken, dass solche Dinge hervorragend klappen können.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch auf zwei Dinge eingehen. Das eine ist der Aufmarsch in Pößneck. Es ist mehr als bedauerlich und es ist durch viele in dem Hause auch festgestellt worden, dass leider an dieser Stelle unser Verfassungsschutz - ich möchte mich vornehm ausdrücken - bessere Arbeit hätte leisten können im Vorfeld. Das ist durch den Innenminister deutlich gemacht worden, dass entsprechender Nachholbedarf da ist. Ich möchte weiterhin darauf verweisen - ja, wenn Dinge schiefgegangen sind, muss man sie auch benennen, das hilft niemandem, wenn man es unter den Teppich kehrt, sondern das muss in Zukunft abgestellt werden, muss besser werden und in diesem Fall ist das so und da muss man es auch benennen können; es hilft nichts, irgendetwas wegzuräumen.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Gilt das auch für Erfurt, dass man es besser machen muss?)

Herr Kollege Matschie, das gilt auch für Erfurt, aber da muss man erst mal feststellen, ob man es hätte

besser machen können. Ich komme dann auch noch darauf.

Ich will noch mal zu Pößneck sprechen. Wir müssen einfach feststellen, in den letzten Jahren sind die Rechtsextremen leider - oh, Redezeitende, jetzt muss ich mich beeilen, jetzt habe ich nicht aufgepasst, verdammt und zugenäht.

(Heiterkeit im Hause)

Herr Abgeordneter Fiedler, einen Satz können Sie schon noch sagen, aber das, was Sie für nachher angekündigt haben, das geht nicht mehr.

Jetzt muss ich den Brief zu Erfurt und was ich mir vorgenommen habe, unter Punkt 7 abarbeiten. Ich möchte sagen, dass wir Nazi-Aufmärsche nicht in Thüringen wollen. Wir werden mit allen Mitteln dagegenhalten. Wo Fehler gemacht wurden im Verfassungsschutz, müssen sie abgestellt werden. Der Innenminister hat berichtet, was an neuer Sicherheitslage jetzt dort passiert, und wir werden gemeinsam dagegen vorgehen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Wo ist informiert worden?)

Für die Landesregierung hat sich Innenminister Dr. Gasser zu Wort gemeldet.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Bei der PKK oder wo? Deshalb halten Sie uns da raus!)

Da müssen Sie sehen, dass Sie jemanden reinbekommen, Herr Ramelow.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Das finde ich als eine Verhöhnung oben- drein.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, seit meinem Amtsantritt als Thüringer Innenminister im Juli 2004 hat es rund 90 rechtsextremistische Aktivitäten in Thüringen gegeben. In einer ganzen Reihe von Fällen hat der Verfassungsschutz hier natürlich Informationen geliefert und die Aktivitäten blieben meist

ohne jegliche Wirkung. Diese Aktivitäten reichen von diversen Flugblattaktionen über eigene Demonstrationen und Beteiligung an Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV bis hin zu einfachen Treffen und Saalveranstaltungen sowie Parteitagen und Skinhead-Konzerten. Dabei ist es der Polizei und dem Verfassungsschutz in den meisten Fällen gelungen, angemessen auf die jeweilige Situation zu reagieren. Im Vorfeld des Skinhead-Konzerts vom 2. April in Pößneck war dies nicht der Fall, so dass es zu einer Fehleinschätzung der Lage und aufgrund dessen zu einem unzureichenden Einsatz von Polizeikräften gekommen ist, was ich bereits mehrfach erklärt habe, insbesondere auch gegenüber dem Innenausschuss des Landtags. Ich möchte dabei in keiner Weise etwas beschönigen. Die Öffentlichkeit erwartet, dass die Sicherheitsbehörden schon im Vorfeld Erkenntnisse über derartige Aktivitäten gewinnen und richtig bewerten. Das ist, wie ich ausdrücklich betonen will, eine berechtigte, aber auch eine nicht immer leicht zu erfüllende Erwartung.

Im Fall Pößneck konnte ein frühzeitiger Erkenntnisgewinn durch die konspirative Vorbereitung des Konzerts einerseits und eine Vermischung mit dem NPD-Parteitag andererseits nicht in dem erforderlichem Maße stattfinden. Dieser diente, jedenfalls der NPD-Parteitag, als verfassungsrechtlich geschützter Deckmantel und daraus wird man auch seine Folgerungen in Zukunft zu ziehen haben. Allerdings hat die NPD die gleiche Rechtsstellung wie jede andere Partei. Sie ist von dem Bundesverfassungsgericht nicht verboten worden. In dem Verbotsverfahren hat sich, wie Sie alle wissen, die Sperrminorität des zuständiges Senats gegen eine Fortführung des Verfahrens ausgesprochen. Sie hat damit allerdings nicht entschieden, dass sich die NPD auf dem Boden unserer Verfassung bewegt, das Gegenteil hat die NPD durch das vom Parteitag getarnte Skinhead-Konzert einmal mehr belegt.

Meine Damen und Herren, ich habe bereits mehrfach betont und ich möchte auch Ihnen versichern, dass das Thüringer Innenministerium aus den Vorfällen von Pößneck seine Lehren ziehen wird. Es hat für mich höchste Priorität, den Rechtsextremen, sei es der NPD, sei es der Neonazi-Szene, ihre Grenzen aufzuzeigen. Wie Sie bereits wissen, habe ich gleichsam als eine Art operative Sofortmaßnahme die Leitung der wöchentlich stattfindenden Sicherheitslage dem Innenstaatssekretär übertragen und überdies die Teilnahme aller maßgeblichen Behörden- sowie Abteilungsleiter angeordnet. Die wirkungsvolle Bekämpfung des rechtsradikalen Übels erfordert aber vor allem große Anstrengungen im analytischen und präventiven Bereich. Wir müssen die Ursachen erkennen und bekämpfen. Hier wurde und wird bereits eine Menge getan. Mit Rücksicht auf den Tagesordnungspunkt 11 möchte ich darauf aber

nur ganz kurz eingehen.

Zunächst leistet hier natürlich die Koordinierungsstelle Gewaltprävention einen wichtigen Beitrag. Sodann sei namentlich die Polizeidirektion Gotha genannt, die im Rahmen ihrer Präventionstage extremistische Phänomene thematisiert und beispielsweise am 24. Mai dieses Jahres eine Veranstaltung zum Rechtsextremismus plant.

(Beifall bei der CDU)