Protokoll der Sitzung vom 09.09.2004

Ziel ist es dabei, den Umbau der Verwaltung von der Dreistufigkeit zur Zweistufigkeit zu vollziehen. Das wäre ein mutiger Schritt, tatsächlich eine Verwaltungsebene komplett herauszulösen und die Aufgabenverhältnisse zwischen Land und Kommune neu und effizient zu regeln. "Bürgernah statt bürokratisch"

muss der Grundsatz für diese Reform sein. Einer solchen Reform muss eine nüchterne, realitätsnahe Analyse selbstverständlich zugrunde liegen. Es stellt sich aber die Frage: Wo liegen die wirklichen regionalen Zusammenhänge Thüringens? Auch hier gilt es, endlich Tabus auszuräumen und im Denken nicht mehr zuzulassen. Also nicht nur weil irgendein Bürgermeister mit dem Parteibuch der CDU meint, er müsste jetzt auch noch ein Städtenetz gründen, muss alles wieder auf den Kopf gestellt werden, sondern die Schwerpunkte des Landes müssen erkennbar sein, damit die Schwerpunkte gefördert werden, meine Damen und Herren. Das Ziel der PDS bleibt, die kommunale Ebene unter strikter Beachtung des Konnexitätsprinzips zu stärken. Das heißt, wer bestellt, der muss auch bezahlen. Im Ergebnis einer Funktional- und Verwaltungsreform muss eine kommunale Gebietsreform bis 2009 stehen. Wir brauchen ein mutiges Bekenntnis, das die teilweise ungeprüft übernommenen Verwaltungsstrukturen endlich prüft, bewertet und bei Bedarf mutig abschafft. Ein flächendeckendes System von Bürgerservicebüros oder das Prinzip von Investorenlotsen wären eine positive Bereicherung für die Bürger und für die Investoren in diesem Land. "Bürgernah statt bürokratisch" heißt unsere Devise.

Meine Damen und Herren, als letzten zentraler Punkt möchte ich das Thema "Demokratie" ansprechen. Die Kantine ist irgendwie sehr attraktiv zurzeit, wenn es um Demokratie geht. Damit sind für mich weitere Kernfragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft verbunden. Es geht um unser Gemeinwesen, um die Regeln, die unser Dasein bestimmen. Im Grunde geht es um die Frage, welchen Staat wollen wir. Obrigkeitsstaatliches Handeln lehnen wir ab. Die PDS ist für einen Zivilstaat, ja, für einen Bürgerstaat. Bürger müssen viel stärker Partner anstatt ausschließlich Adressat staatlichen Handelns sein.

(Beifall bei der PDS)

Der Weg aus der Legitimationskrise der Politik - und ich verweise nur auf die Wahlbeteiligungszahlen kann aus Sicht der PDS nur soziale Gerechtigkeit und mehr demokratische Beteiligung heißen. Die PDS-Fraktion im Thüringer Landtag wird sich auch weiterhin für mehr Möglichkeiten der unmittelbaren demokratischen Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Ihnen muss endlich das zugestanden werden, was ihnen gebührt. Sie, die Bürger, sind der Souverän in diesem Staat.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wir werden deshalb die Vorschläge und Initiativen des Trägerkreises für mehr Demokratie zur Verbesserung der direkten Einflussnahme auf politische Entscheidungen in den Kommunen und den Landkrei

sen bis hin zur Mitentscheidung in Verbandsstrukturen aktiv unterstützen. Mutig, meine Damen und Herren, wäre es wirklich, die Bürger entscheiden zu lassen über ein besseres Müllkonzept. Ich sage nur Zella-Mehlis. Mutig wäre es, die Bürger entscheiden zu lassen über die Schulnetzplanung, über Entsorgungsstrategien oder darüber, ob ein Krankenhaus privatisiert oder optimiert wird. Darüber sollten die Bürger selbst entscheiden können.

(Beifall bei der PDS)

Zur demokratischen Verfasstheit des Landes muss der entschiedene Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehören. Hier bedarf es größerer Anstrengung auch der Landesregierung. Die Politik der Feindbilder in Deutschland und - heute wieder gehört - in Thüringen zerfrisst Stück für Stück die freiheitlichen Grundlagen der Gesellschaft und produziert feine Risse im Fundament unserer Demokratie. Zuerst wird sie die Situation der Flüchtlinge noch mehr beeinträchtigen. Flüchtlingen wird die letzte Integrationsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt zunehmend verstellt und ihre Abschiebung droht. Angesichts der demographischen Entwicklung brauchen wir aber die Integration von Migrantinnen und Migranten. Staatliche Diskriminierung, gesellschaftliches Wegschauen und soziale Konflikte befördern Rassismus und Rechtsextremismus. Administratives und repressives Vorgehen gegen diese Tendenzen antidemokratischen Denkens und Handelns scheitern, müssen scheitern, wenn gesellschaftliche Ursachen weder gesucht noch erkannt und dann auch nicht angegangen werden.

(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion wird sich weiterhin für eine ernsthafte Verbesserung der Situation und der Möglichkeiten von Migranten einsetzen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, in Thüringen endlich eine Härtefallklauselkommission und die Einführung der Schulpflicht für Flüchtlingskinder. Das wäre mutig.

(Beifall bei der PDS)

Mutig, Herr Ministerpräsident, wäre es, wenn Sie sich auf die Seite der vietnamesischen Kinder Jule, Paul und Don oder gegen die Abschiebung der tschetschenischen Frau Lisa Temursajewa und ihrer Tochter Fatima stellen würden. Das wäre mutig, Herr Ministerpräsident.

Thüringen weiterzuentwickeln, den Bürgerinnen und Bürgern Perspektiven zu geben, erfordert Visionen für die Zukunft. Uns bietet sich ein breites Bild von Veränderungen, die in dieser Legislaturperiode mit Blick weit darüber hinaus angepackt werden müssten und müssen. Für radikale Schritte ist es erfor

derlich. Wir benötigen in Deutschland erstens einen Gesellschaftsvertrag des 21. Jahrhunderts, der die Verantwortung der Gemeinschaft und des Einzelnen neu austariert, der die Verantwortung auch der Besitzenden für das Gemeinwohl deutlich macht und der dem Anspruch des Sozialen in der Marktwirtschaft endlich wieder entspricht, einen Vertrag, der die unternehmerische Freiheit, der Umsetzung von Arbeitsstellen verbindet mit einem verfassungsrechtlichen Status zur Arbeitsmöglichkeit. Gefordert ist ein deutliches Ja zum Recht auf Arbeit, ein Bekenntnis zu einem modernen einheitlichen Dienstrecht, eine solidarische Bürgerversicherung statt 300 Krankenkassen, ein solidarisches Rentensystem, das auch in Zukunft stabil ist, statt "Tanken für die Rente" oder "Rauchen für die Mutterschaft".

(Beifall bei der PDS)

Unsere Gesellschaft muss Armut verhindern.

2. Die Strukturen des Staates sind nicht geeignet, die Zukunftsaufgaben anzupacken. Thüringen braucht einen Masterplan zur radikalen Neubestimmung staatlichen Handelns. Alle Aufgaben des Staates müssen kritisch hinterfragt und evaluiert werden. Alle Aufgaben des Staates müssen kritisch auf den Prüfstand gestellt werden, damit wir Ableitungen daraus ziehen können. Unnötiges gilt es abzuschaffen. Eine Reform der Verwaltung muss sich daran messen lasen, Lebensqualität der Menschen nachhaltig zu verbessern. Es ist zum einen die Frage zu beantworten, welche Aufgaben künftig in der klassischen Verwaltungsstruktur noch direkt wahrzunehmen sind. Zum anderen geht es um die stärkere Rückübertragung von Aufgaben an die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Wahrnahme, damit wird Selbstverwaltung tatsächlich und nachhaltig gestärkt. Was wir anmahnen und fordern, das ist eine umfassende Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform, aber zweistufig, meine Damen und Herren, und nicht "Weiter so".

(Beifall bei der PDS)

Dazu gehört für die Bürgerinnen und Bürger auch ein Informationsfreiheitsgesetz, ich sagte es, eine zweistufige Verwaltung, Investorenlotsen, partizipative Haushalte und direkte Demokratie. Es wäre mutig, die Wahrheit über die Schulden des Landes zu sagen. Es wäre kraftvoll, Weichen zu stellen für Bürgernähe und schlanke Strukturen. Es wäre planvoll, Visionen von einem Innovationslabor Thüringens zu verfolgen. Wir müssen in Thüringen tausend gute Gründe schaffen, damit die Menschen hier bleiben, damit regionale Wirtschaftskraft gestärkt wird, damit Thüringen lebens- und liebenswert ist.

2050 wird das Schicksalsjahr sein, ob dieses Land flächendeckend prosperierend sein wird oder ob ganze Regionen zum FFH-Gebiet für zurückkehrende Wölfe sein werden. Im Bärenpark in Worbis finde ich eine solche Vision gut, aber für Altenburg und Artern brauchen wir einen Aufbruch - jetzt, denn 2050 wird es zu spät sein. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Matschie zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede an den Brand in Weimar erinnert. Auch ich möchte mich dem Dank an alle anschließen, die mitgeholfen haben und weiter mithelfen zu retten, was zu retten ist. Wir werden alle Initiativen unterstützen, die dazu beitragen, diese Bibliothek wieder erstehen zu lassen und die Kulturgüter, die noch zu retten sind, in einen vernünftigen Zustand zu bringen. Ich bin froh, dass Bund und Land sehr schnell finanzielle Hilfe zugesagt haben.

Sie haben an den Brand erinnert, Herr Ministerpräsident. Ich möchte an dieser Stelle an Anna Amalia erinnern. Dass dieser Name noch heute einen guten Klang besitzt, hat einen guten Grund. Anna Amalia hat in ihrer Zeit erkannt, dass der Staat öffentliche Verantwortung übernehmen muss. Sie hat eine öffentliche Bibliothek geschaffen, sie hat auch, welche Ironie der Geschichte an dieser Stelle, eine allgemeine Feuerversicherung eingeführt und sie hat die Universität Jena mit Freiheit ausgestattet und mit ausreichenden Finanzmitteln, um dieser Universität den Weg zu ebnen, Höchstleistungen zu bringen, und zu wachsendem Ruhm dieser Universität beigetragen. Die Bibliothek von Anna Amalia ist abgebrannt, aber die Idee, dass der Staat Verantwortung übernimmt, die sollten wir deshalb nicht beiseite legen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Sie haben heute hier viel von Verantwortung und schlankem Staat gesprochen, Herr Ministerpräsident. Wenn ich mir Ihre Rede insgesamt anschaue, dann bleibt am Ende nicht sehr viel übrig, denn Sie reden zwar vom schlanken Staat, aber letztendlich machen Sie sich einen schlanken Fuß, und zwar auf Kosten vor allem der Städte und Gemeinden. Das werden wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Sie haben hier wortreich erklärt, was Sie alles vorhaben in den nächsten Jahren. Aber Politik muss sich an Taten messen lassen. Das gilt auch für Sie, Herr Ministerpräsident. Gerade in einer Zeit tief greifender Veränderungen brauchen die Menschen ein Stück Verlässlichkeit, ein Stück Berechenbarkeit. Ankündigungen haben Sie in Ihrer kurzen Regierungszeit schon viele gemacht. Heute haben Sie weitere Ankündigungen hinzugefügt. Ich sage Ihnen sehr offen, wir haben wenig Vertrauen in das, was Sie sagen. Ich will Ihnen das auch an Beispielen begründen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Worte aus der ersten Regierungserklärung? Da haben Sie hier vor dem Thüringer Landtag gesagt - ich zitiere: "Wir werden nicht sparen auf Kosten anderer. Wir stehen zu unserer Zusage, den Beitrag zum Kommunalen Finanzausgleich nicht entsprechend der Steuerausfälle zu reduzieren." Auf Thüringens Stärken setzen, das war damals das Motto Ihrer Regierungserklärung.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das hat er doch gemacht.)

Sie haben uns damals erzählt: Wir wissen, dass die Stärke Thüringens auch im Besonderen auf der Stärke der Kommunen beruht, sie müssen investieren können. Was ist Ihr Wort eigentlich Wert, was Sie vor

(Zwischenruf Abg. Lieberknecht, CDU: In der 3. Legislaturperiode.)

einem Jahr an dieser Stelle gegeben haben?

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Erinnern Sie sich mal.)

Nicht nur, dass Sie in Zukunft in die kommunale Kasse greifen wollen, Sie gehen sogar rückwirkend für dieses Jahr an das Geld der Städte und Gemeinden und obendrein schieben Sie noch - das haben Sie heute erklärt - jede Menge Aufgaben den Städten und Gemeinden zu. Ich erwähne nur die Horterzieherinnen oder die Umweltämter. Was Sie mit den Kommunen machen, Herr Althaus, das ist glatter Wortbruch.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist noch mehr. Sie verschlechtern mit dem Griff in die kommunalen Kassen Lebensqualität in Thüringen. Wer den Kommunen Geld wegnimmt, der raubt ihnen die Möglichkeit zu investieren, Schulen auf Vordermann zu bringen, Schwimmbäder zu erhalten, Bibliotheken zu erhalten, Straßen zu reparieren. Die Bürgermeister, die Landräte und die vielen

Ehrenamtlichen in der Kommunalpolitik haben in den letzten Jahren wirklich Anstrengungen unternommen, um einzusparen, und sie haben ihren Kopf für unbequeme Entscheidungen vor Ort hingehalten. Sie haben sich vor ihre Bürger hingestellt und notwendige Einschnitte durchgesetzt. Sie dagegen, Herr Althaus, haben in den letzten Jahren den bequemen Weg gewählt. Sie haben Schulden auf Schulden getürmt in den letzten Jahren und jetzt greifen Sie in die kommunale Kasse,

(Beifall bei der PDS, SPD)

jetzt wollen Sie absahnen, was sich die Kommunalpolitiker an finanziellen Spielräumen für die nächsten Jahre erarbeitet haben. Das ist unanständig und das wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben zu Beginn Ihrer Rede davon gesprochen, dass man die schwierige Finanzsituation als Chance begreifen soll, das Land zu modernisieren. Aber je länger ich Ihnen zugehört habe, desto mehr habe ich begriffen, dass es Ihnen nur um die Chance geht, Verantwortung und Finanzlasten auf andere abzuschieben. Überhaupt musste man ja bei Ihrer Rede den Eindruck gewinnen, die CDU sei ganz plötzlich und überraschend in die Regierung gekommen. Denn wer hat denn all die Strukturen, die Sie jetzt als verkrustet bezeichnen und die so veränderungsbedürftig sind, aufgebaut in den letzten Jahren?

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das war auch Ihre Truppe.)

Wir haben vor der Wahl, Herr Althaus, gesagt, dass grundsätzliche Strukturänderungen notwendig sind. Ich bin sehr für eine Modernisierung unseres Landes. Ich bin sehr für eine Modernisierung, aber hier gilt wirklich der Satz: In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod. Sie versuchen hier wieder einen Mittelweg, einen Zickzackkurs an den wirklichen Notwendigkeiten vorbei. Wenn Sie sich hier hingestellt hätten und eine wirkliche Reform angekündigt hätten, den Übergang zu einer zweistufigen Verwaltung, die intensive Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern, um Kosten zu sparen, dann würde ich Ihnen sagen: Wir sind zur Zusammenarbeit bereit. Aber den Griff in die kommunale Kasse, das werden wir nicht mitmachen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Umstrukturierung finden sich übrigens jede Menge alte Bekannte, z.B. die Zusammenlegung der Denkmalpflege, die haben Sie bereits in den

Haushaltsverhandlungen für den Doppelhaushalt 2001/2002 angekündigt. Passiert ist aber überhaupt nichts. Viele Ihrer Vorschläge, die sind schon vor Jahren auch von anderen empfohlen worden. Ich kann Ihnen nur raten, noch mal die Vorschläge von Werner Pidde vorzulesen, die er bereits vor sieben Jahren gemacht hat, wo Sie sich damals hingestellt und all diese Vorschläge abgelehnt haben. Sie haben selbst noch im letzten Jahr behauptet, die Landesgesellschaften seien jetzt reformiert. Jetzt kommen Sie ein Jahr später und sagen, es muss alles umgeschmissen werden. Ja, wo ist denn da Verlässlichkeit? Wo sind denn die langen Linien in Ihrer Politik?

Oder nehmen wir die Hortnerinnen. Vor einem Jahr haben Sie hier im Landtag erklärt, ich zitiere Sie: "Wir werden auch nichts daran ändern, dass Hortnerinnen, anders als in anderen Ländern, im Landesdienst stehen."