Protokoll der Sitzung vom 16.09.2005

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte um Ruhe.

Auch Herr Matschie hat sich eingelassen in die Debatte damals. Ich habe das Zitat jetzt nicht hier, ich habe es noch auf der Bank liegen, aber ich versuche es wiederzugeben. Herr Matschie sagte damals so etwa: Die Bürger werden sehen, was auf sie zukommt, wenn die Meldungen über Gebührenerhöhungen so eintreten. Und wir werden sehr sorgfältig beobachten, was CDU-Abgeordnete vor ihren Wählern vor Ort sagen.

(Zwischenruf Abg. Lemke, Die Linkspar- tei.PDS: Herr Matschie sitzt aber da drü- ben.)

Diese Presseerklärung, Herr Ramelow, entlarvt Sie. Ich will sagen, warum.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, Die Links- partei.PDS: Sie haben...)

Herr Ramelow, Ihr Prinzip nach fünf Jahren Landespolitik ist erstens Angst machen und zweitens drohen. Das ist Ihre Presseerklärung gewesen, Herr Ramelow,

(Beifall bei der CDU)

nämlich Sie machen Angst und Sie drohen als Zweites. Das Schema, Herr Ramelow, haben wir 40 Jahre in der DDR erlebt. Wer mit der Angst der Menschen Politik macht, versündigt sich an diesen Menschen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS, SPD)

(Beifall bei der CDU)

Herr Matschie, auch Sie möchte ich aus der gestrigen Presse zitieren: „Die Regelungen des Landeserziehungsgelds nannte er“ - gemeint ist jetzt Herr Matschie - „unsozial. Es treffe vor allem Eltern mit einem Jahresnettoeinkommen unter 16.000 €, die bislang Erziehungsgeld beziehen. Künftig müssten sie darauf verzichten.“ Also, Herr Kollege Matschie, Sie haben im Bundestag seinerzeit in einem ersten Schritt für die Senkung des Bundeserziehungsgelds gestimmt und Sie haben in einem zweiten Schritt für die Absenkung der Einkommensgrenze gestimmt, so dass in Thüringen statt damals 95 Prozent der Eltern jetzt nur noch unter 60 Prozent der Eltern diese Leistungen erhalten. Sie haben also seinerzeit 35 Prozent der Eltern, das sind ca. 6.000 Elternpaare, diese Leistungen gestrichen. Und Sie werfen uns heute unsoziales Verhalten vor? Herr Matschie, Sie haben für mich die Legitimation verloren, hier überhaupt von sozialen Kategorien zu reden.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben damals im Bundestag diese Leistung gestrichen. Und, Herr Matschie, außerdem: Ihre Aussage stimmt so nicht. Das Kriterium sind nicht 16.000 €, sondern es geht darum, ob jemand zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes das Kind zu Hause erzieht oder es in eine Kindertagesstätte bringt. Außerdem sieht die Rechnung auch völlig anders aus für das zweite, dritte und jedes weitere Kind.

Meine Damen und Herren und Herr Matschie, ich denke, Sie wollen mit solchen falschen Aussagen vor der Wahl doch nur mit Nebelkerzen werfen,

(Beifall bei der CDU)

um von den Tücken des eigenen Elterngelds abzulenken. Ich darf aus dem Programm der SPD zitieren, Ihr Programm, Herr Matschie: „Die Leistung wird für das erste Lebensjahr des Kindes bezahlt und mit dem Mutterschaftsgeld verrechnet.“ Was heißt das? Ein ganzes Jahr, nämlich das zweite Jahr Bundeserziehungsgeld ist damit vollständig gestrichen. Das nennen Sie sozial, Herr Matschie, ein ganzes Jahr lang streichen?

(Unruhe bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Sie müssen alles vorlesen, was da steht.)

Ich kann noch einen zweiten Satz vorlesen, Herr Matschie. Der ist sogar noch bemerkenswerter als der erste: „Allein Erziehende werden dadurch in der Regel nicht mehr vom Arbeitslosengeld II abhängig.“ Was bedeutet das, Herr Matschie? Das Elterngeld wird als Lohnersatzleistung anders als das jetzt geltende Bundeserziehungsgeld auf Arbeitslosengeld II angerechnet. Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger wird mit der Neuregelung unter Umständen weniger Geld erhalten als vorher.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: So ein Unfug.)

Herr Matschie, Sie sollten den Menschen vor der Wahl sagen, was nach der Wahl auf sie zukommt. Wenn Sie ein Geld umstellen und dieses Geld ist eine Lohnersatzleistung, dann wird das natürlich im Arbeitslosengeld II angerechnet und dann haben sie das nicht doppelt, sondern sie haben es nur einmal.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Für Lohnempfänger ist es eine Lohnersatz- leistung, Sie müssen mal richtig lesen.)

Nein, es ist dem Wesen nach eine Lohnersatzleistung.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, Die Links- partei.PDS: Was hat das mit dem Gesetz zu tun?)

Ja, Frau Thierbach, was hat das mit dem Gesetz zu tun? Weil wir unser Landeserziehungsgeld 1 : 1 an das Bundeserziehungsgeld angeknüpft haben. Wenn die Bundesregierung dieses Gesetz ändert, dann müssen wir nahezu das Gesetz ändern.

(Beifall bei der CDU)

Frau Thierbach, wenn Sie nicht einmal diese Zusammenhänge kennen, sollten Sie an der Stelle doch etwas ruhiger sein. Das ist doch eine der Begründungen der Notwendigkeiten der Neuordnung der Familienleistung im Thüringer Familiengesetz. Durch die Koppelung des Landeserziehungsgeldes an die Regeln des Bundeserziehungsgeldes sind unsere familienpolitischen Vorstellungen so nicht mehr umsetzbar. Bevor das Landeserziehungsgeld dem Wegfall des Bundeserziehungsgeldes nachlaufen muss, ist es sinnvoll, dass wir dies generell neu ordnen.

Es gibt eine weitere wichtige Begründung für die Familienoffensive. In den letzten drei Jahren ist der Haushaltstitel zur Finanzierung der Kindertagesstätten jährlich um etwa ca. 10 Mio. € gewachsen. Das ist geschehen, ohne dass sich die Zahl der Kinder erhöht hat und ohne dass große Tarifsteigerungen dies begründet hätte. Es wäre ja gut, wenn es wenigstens mehr Kinder gegeben hätte oder wenn jemand durch eine Tarifsteigerung davon etwas gehabt hätte. Wenn wir also in einem System die Ausgaben um 30 Mio. € steigern, ohne dass ein erkennbarer zusätzlicher Nutzen daraus entsteht, dann können wir als verantwortliche Politiker dies nicht tatenlos hinnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, im Vergleich zur Debatte, diese Steigerung um 30 Mio. € entspricht dem Eineinhalbfachen des Betrages des Blindengeldes und dem Viereinhalbfachen der Jugendpauschale. Wir müssen als verantwortliche Politiker reagieren, sonst werden früher oder später bei weiter sinkenden Einnahmen und steigenden Ausgaben in diesem Bereich noch härtere Sparmaßnahmen notwendig. Im bisherigen System führte dies unweigerlich zum Kollaps des Systems. Deshalb müssen wir rechtzeitig mit einem neuen und einem modernen System umsteuern. Die Thüringer Familienoffensive ist ein solches modernes System, das in anderen Staaten mit Erfolg realisiert wird.

Ich will das begründen: Wir haben in mehreren Punkten sehr innovative Elemente, die den Vergleich mit anderen Ländern, vor allem mit den deutschen Ländern, nicht zu scheuen brauchen.

Erstens: Mit dem Recht auf Bereitstellung eines Kindertagesstättenplatzes ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes haben wir in Thüringen eine wesentliche Verbesserung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht, einer Forderung übrigens des Landesbündnisses für Familie, des Familienbeirates beim Ministerpräsidenten und des Arbeitskreises der Familien in Thüringen. Darüber hin

aus haben wir bei Neueinstellungen im Landesdienst eine Einstiegserleichterung geregelt. Bei Bewerbern mit gleichen Eignungen und Befähigungen und nach vorrangiger Beachtung der bereits gegebenen gesetzlichen Kriterien für Frauen und Behinderte wird positiv berücksichtigt, wenn jemand Kinder erzieht. Das dient auch der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Meine Damen und Herren, Frauen werden damit nicht - wie uns ständig von der umbenannten PDS und der SPD unterstellt wird - aus dem Erwerbsleben herausgedrängt.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Das genaue Gegenteil ist richtig, denn Frauen und Männer, die Kinder erziehen, erhalten mit der Familienoffensive gerade einen besseren Berufseinstieg. Das ist gesetzlich in keinem anderen Landesgesetz so geregelt.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Das glauben Sie doch selber nicht, was Sie hier erzählen. Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Herr Matschie, in dem Gesetz steht drin, dass bei gleicher Eignung ein Bürger, der Kinder erzieht, im Landesdienst bessere Einstellungschancen hat als ein anderer. Das ist ein Einstieg für bessere Berufschancen.

Zweitens: Es gibt in Deutschland nur vier Länder, die Erziehungsgeld entsprechend des Bundeserziehungsgeldes zahlen, erstaunlicherweise alles CDULänder: Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen. Auch hier haben wir in Thüringen wesentliche Änderungen vorgenommen. Und angesichts unserer finanziellen Situation hätten sicher viele verstanden, wenn wir diese Leistung nicht mehr gewähren könnten, aber wir setzen hier ganz bewusst ein Zeichen und wollen das Thüringer Erziehungsgeld erhalten.

(Beifall bei der CDU)

Erziehungsarbeit ist genau wie Erwerbsarbeit eine Leistung für die Gesellschaft und diese Leistung gilt es zu würdigen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb will die Landesregierung die Leistung zum Erziehungsgeld deutlich verbessern. Das Thüringer Erziehungsgeld wird statt einem halben Jahr nunmehr ein Jahr gezahlt. Es wird nicht mehr einkom

mensabhängig gewährt, sondern jeder kann das Erziehungsgeld erhalten.

(Beifall bei der CDU)

Für das erste Kind sind das 150 €, für das zweite Kind 200 €, für das dritte Kind 250 € und ab dem vierten Kind 300 €. Das ist uns nicht leicht gefallen, weil die finanzielle Last schwer zu schultern ist. Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinen Kollegen im Kabinett und den Fraktionsmitgliedern für die Unterstützung in dieser Frage. Dass wir nunmehr mit dieser verbesserten Leistung in Deutschland einzig sind, brauche ich nicht extra noch einmal zu betonen.

(Heiterkeit bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD: Dann brauchen Sie es nicht auf der anderen Seite wieder wegzunehmen. Das ist doch peinlich.)

Ein dritter Grund, warum dieses Gesetz eines der innovativsten Gesetze in Deutschland ist:

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Ja, die Erwachsenenbildung.)