Protokoll der Sitzung vom 16.09.2005

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Ja, die Erwachsenenbildung.)

Wir haben erstmalig in einem Gesetz Leistungen für Familie, für Frauen, für Gewaltschutzmaßnahmen in einem Gesetz fixiert und damit rechtlich normiert. Und diese Maßnahmen können damit in Zukunft gefördert werden und fallen eben nicht mehr dem Rotstift zum Opfer. Dazu zählen z.B. die Förderung von Familienbildung,

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Wie es im Haushalt steht.)

Familienerholung, Familienzentren und Familienverbänden; übrigens auch die Förderung von Frauenhäusern, Frauenschutzwohnungen und Kinderschutzdiensten ist geregelt. Mit der Stiftung Familiensinn können wir viele dieser Maßnahmen finanziell langfristig absichern und das ist eben so einmalig in Deutschland wie die Regelung zum Erziehungsgeld. Entgegen anders lautenden Zeitungsberichten ist die Stiftung finanziell ausgleichend abgesichert, denn wir haben eine Stiftung vorgesehen, eine Stiftung Familiensinn, die diese Finanzierung absichern soll. 34 Mio. € wird das Stiftungskapital betragen. Im Jahr 2006 werden wir 2 Mio. € zur Verfügung stellen, im Jahr 2007 16 Mio. € und im Jahr 2008 wiederum 16 Mio. €. Bis zum vollständigen Aufbau des Stiftungskapitals werden die Leistungen wie bisher auch aus dem Haushalt finanziert. Das wird im Entwurf für den Doppelhaushalt 2006/2007 auch so nachlesbar sein.

(Beifall bei der CDU)

Und, meine Damen und Herren, es gibt einen vierten Grund, warum ich das Gesetz als eines der innovativsten Gesetze der Bundesrepublik Deutschland bezeichne: Wir beschreiten einen neuen Weg der Subventionierung. Dieser Weg wird von Wissenschaftlern und der Fachwelt immer wieder empfohlen. Wir stellen im Alter des Kindes von zwei bis drei Jahren von der objektbezogenen auf die subjektbezogene Förderung im Kindertagesstättenbereich um. Wir geben den Eltern damit mehr Verantwortung und die Eltern werden nun entscheiden, ob sie das Kind im Alter von zwei bis drei Jahren selbst zu Hause erziehen und das Erziehungsgeld von 150 € behalten oder ob sie das Erziehungsgeld für eine Kindertagesstätte nutzen wollen. Damit schaffen wir eine echte Wahlfreiheit für die Eltern. Wir trauen den Eltern diese verantwortliche Entscheidung auch zu.

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD: Sie nehmen einkommensschwachen Eltern das Geld weg!)

Ich wehre mich entschieden gegen die Stigmatisierung der sozial schwächeren Familien, sie würden die Erziehung ihrer Kinder nicht verantwortlich wahrnehmen können. Ich kenne viele sozial schwache Familien, die würden das letzte Hemd für ihre Kinder hergeben. Dass es auch andere Eltern gibt, bestreitet niemand. Solche Eltern gab es früher schon, die gibt es heute und wird es auch in Zukunft geben. Für diese Fälle von Vernachlässigung der Kinder haben wir aber Vorsorge getroffen. Die Jugendämter haben das Recht, wenn das Thüringer Erziehungsgeld erkennbar nicht für das Kindeswohl eingesetzt wird, dann kann es auch einbehalten werden.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, Die Links- partei.PDS: Da hat das Kind aber viel davon.)

Einen fünften Punkt möchte ich nennen, das ist die Umstellung der Finanzierung der Kindertagesstätte auf kindbezogene Pauschalen. Das sind die Zahlungen von 100 € pro Kind je Monat ab dem dritten bis sechseinhalb Jahre für das Kind, was in einer Kommune wohnt, und das ist unabhängig davon, ob es einen Kindergarten besucht oder nicht. Eine weitere Pauschale sind 1.000 €, die als Investitionspauschale einmalig pro neugeborenem Kind an die Kommunen ausgezahlt werden. Dann sind Pauschalen für Behinderte, Auszubildende und die unter Zweijährigen. Eine solche Umstellung fordern seit langen Jahren die vielen Verbände, u.a. hat auch der Gemeinde- und Städtebund die Landesregierung mit den Wahlprüfsteinen von 2004 aufgefordert, dies in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Ich zitiere:

„Das würde mehr Entbürokratisierung, mehr Transparenz und mehr Effizienz in das Finanzsystem der Kindertagesstätten bringen. Die Betreuungskapazität könne dadurch besser an der tatsächlich vorhandenen Kinderzahl ausgerichtet werden.“

Meine Damen und Herren, dieses neue Finanzierungssystem ist mit dem alten System nicht mehr vergleichbar. Wer versucht, das eine auf das andere abzubilden, der wird unweigerlich in die Irre geführt. „Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege bezeichnet diese Maßnahme gar als ein gefährliches Spiel von Versuch und Irrtum“, so eine Pressemeldung vom 25.08.2005. Das ist natürlich Unsinn. Wir betreten weder theoretisch noch praktisch Neuland. Die Kindertagesstättenfinanzierung ist in einigen europäischen Ländern wie Norwegen, Finnland und Österreich bereits seit Jahren erprobt und der OECDBildungsbericht 2004 dokumentiert dies ebenfalls. Die Erfahrungen in diesen Ländern haben gezeigt, dass die anfänglichen Befürchtungen - die sind überall genauso entstanden wie auch bei uns - gezeigt haben, dass regelmäßig diese Befürchtungen unbegründet waren. Weder ist die Kindergartenlandschaft zusammengebrochen, noch ist in großem Umfang ein Rückzug von berufstätigen Eltern aus der Erwerbsarbeit zu registrieren; weder ist der Standard der Kinderbetreuung stark gesunken, noch sind die Bildungschancen verbaut worden. Das belegen ja auch die PISA-Studien der benannten Länder.

Ich möchte noch einen sechsten Punkt nennen. In Artikel 6 des vorliegenden Gesetzes werden die Schwangerschaftskonfliktberatung und die Schwangerenbetreuung rechtlich geregelt. Die Landesförderung für die Thüringer Stiftung „Hilfe für schwangere Frauen und Familien in Not“ wird ebenso gesetzlich verankert wie Familienbildung durch die Elternakademie. Die Familienbildung erhält durch die Elternakademie ein neues Qualitätssicherungsinstrument und die Elternakademie vernetzt bereits heute in deutschlandweit vorbildlicher Weise die verschiedenen Anbieter von Familienbildungs- und Elternbildungsmaßnahmen. Sie ist Teil einer Neuordnung im Familienbildungssektor geworden. Das Thüringer Familienfördergesetz setzt aber auch finanziell in schwieriger Zeit auf Prävention durch die gesetzliche Verankerung der Familienbildung, aber auch der Maßnahmen zur Verhütung von Gewalt in Familien. Das Gesetz beschreitet auch hier neue Wege. Im Laufe der Debatte um die Familienoffensive ist eines offenkundig geworden: Es prallen - das ist auch natürlich so - auch unterschiedliche Familienbilder aufeinander. Frau Jung meint, keine Gelegenheit auslassen zu müssen, uns ein konservatives Familienbild vorwerfen zu müssen.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das ist aber vollkommen richtig.)

Frau Jung, Sie bedienen damit alle Klischees wie „Frauen wieder an den Herd“ bis zur Verdrängung der Frauen aus dem Erwerbsleben usw. Wissen Sie, wir haben so viele Elemente der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Familienoffensive verankert, dass gerade Frauen die Vorteile dieses Gesetzes nutzen können. Und ich bin sicher, sie werden es auch tun und in keinem anderen Gesetz, wo Sie Verantwortung haben, sei es Mecklenburg oder in Berlin, gibt es solche weit reichende Regelungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in dieser Weise unterstützen.

(Beifall bei der CDU)

Ein völlig verquastes Bild von Familie offenbart die Leiterin eines AWO-Kindergartens aus Bad Salzungen. Sie meint - und ich zitiere hier die Südthüringer Zeitung vom 1.Juni 2005: „Das Familienkonzept" der Union, das ist nämlich gemeint, „sei Ausdruck eines altmodischen Familienbildes, bei dem Frauen zu Hause bleiben und sich selbst um ihre Kinder kümmern. Die Zeche würden die Kitas zahlen.“

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ja, meine Güte, mich erschreckt weniger, was hier der Union unterstellt wird, als viel mehr, was für ein Familienbild in dieser Aussage steckt. Denn hier steckt doch Folgendes - und ich nehme an, tiefste DDR -, denn in diesem Staat haben Eltern gesagt bekommen, was für ihre Kinder gut ist und was für die Kinder das Beste ist und auch welche Verantwortung für das Wohl und Wehe der Kinder wichtig ist. Einen solchen vormundschaftlichen Staat wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal das Familienbild der Union hier kurz skizzieren. Familie ist nicht dort, wo Kinder sind oder wo der gemeinsame Kühlschrank steht, sondern Familie ist dort, wo Eltern und Kinder füreinander Verantwortung haben. In den Familien lernen Kinder Sicherheit und Geborgenheit kennen. Dazu gehört auch die Vermittlung von Werten wie Verantwortung, Achtung und Toleranz, aber auch Solidarität und Gerechtigkeit. In der Familie tun Menschen mehr füreinander, als sie zu tun gezwungen wären. Diese in der Familie entwickelte Grundhaltung ist das, was auch die Gesellschaft letztlich zusammenhält. Ohne Familie gäbe es keine humane Gesellschaft und auch keinen Staat. Diese Funktion können Kindergarten und Schule nicht ersetzen. Im Gegenteil: Damit Kindergarten und Schule gelingen, sind sie auf die Vorleistungen der Eltern in diesen Dingen angewiesen.

(Beifall bei der CDU)

Daher haben wir das Ersterziehungsrecht der Eltern zu achten. Der Staat kann die Eltern bei dieser Aufgabe nur unterstützen. Wenn wir den Eltern diese Aufgabe auch zutrauen, dann werden sie ihre Verantwortung auch wahrnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Die Kassandrarufe der Angstmacher werden verhallen. So wenig wie vor fünf Jahren die Schreckensszenarien eingetreten sind, so wenig werden sie auch jetzt eintreten.

Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine sehr gute Grundlage für die Beratungen im Thüringer Landtag abgibt. Ich bin froh, Ihnen und dem hohen Haus einen solchen Gesetzentwurf namens der Thüringer Landesregierung vorlegen zu können. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Die Fraktion der SPD hat signalisiert, dass sie nicht das Wort zur Begründung ihres Antrags in Drucksache 4/1192 wünscht. Damit eröffne ich die gemeinsame Aussprache und erteile das Wort Herrn Matschie von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Zeh hat uns eben das neue Familienförderungsgesetz gepriesen,

(Beifall bei der CDU)

aber offensichtlich kann die CDU nicht mal die eigenen Leute von der Sinnhaftigkeit dieses Gesetzes überzeugen. Ich darf Ihnen wenige Sätze aus einer Presseerklärung der Landrätinnen und Landräte vom 31. August zitieren. Da hat bekanntlich die CDU mehr Landräte als die anderen

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Noch!)

und in dieser Presseerklärung heißt es z.B.: „Die 17 Thüringer Landrätinnen und Landräte lehnen wesentliche Vorstellungen der Landesregierung zur Umgestaltung des Kindergartenwesens ab. Primär verwerfen sie die vorgesehene staatliche Förderung. Sie halten es für unseriös, zulasten des Kindergartenwesens das neue Thüringer Erziehungsgeld zu finanzieren.“

(Beifall bei der SPD)

Etwas später heißt es: „Den Landrätinnen und Landräten fehlt jegliches Verständnis für ein Projekt, mit dem der Begriff der Wahlfreiheit instrumentalisiert wird, um dem Land Finanzierungsvorteile zu verschaffen.“

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD )

So sieht die Wahrheit aus und das sagen Ihnen selbst die eigenen Leute. Sie haben mit diesem Gesetz eine Abkehr vollzogen von der bisherigen Förderung, auch von einem breiten Konsens über die bisherige Unterstützung der Kindergärten. Herr Althaus, Sie haben bei Ihrer ersten Regierungserklärung versprochen, das war 2003, dass die Landesförderung für den Betrieb und die Förderung von Kindertagesstätten auch unter schwierigen Bedingungen des Haushalts erhalten wird. Sie haben damals auch versprochen, sich die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission so weit wie möglich zu Eigen zu machen. Im September letzten Jahres haben Sie hier erklärt, dass Sie weiter die Kindergartenlandschaft unterstützen. Sie haben damals Thüringen als ein besonders kinder- und familienfreundliches Land gelobt und haben das Thüringer Modell definiert in Ihrer Rede. Nach Ihren eigenen Aussagen bestand dieses Modell in einem nahezu lückenlosen Netz an Kinderbetreuungsangeboten und dem Landeserziehungsgeld. Ich sage es noch mal: einem nahezu lückenlosen Netz an Kinderbetreuungsangeboten. Nahezu lückenlos, das heißt doch nach allgemeinem Sprachgebrauch nichts anderes, als dass es offensichtlich noch zusätzliche, wenn auch geringe zusätzliche Bedarfe gibt. Anders kann man doch „nahezu lückenlos“ nicht interpretieren. Ich sehe, der Bildungsminister nickt. Das heißt, wenn man jetzt zusammenfasst, war die Position der Landesregierung bis vor Kurzem: Die Förderung der Kindertagesstätten muss aufrechterhalten werden; die Empfehlungen der Enquetekommission will sich die Landesregierung, soweit es geht, zu Eigen machen und es gibt noch einen geringen Bedarf, wir haben ein nahezu lückenloses Angebot. Das galt auch noch am 9. April dieses Jahres. Da hat sich Herr Panse im „Freien Wort“ geäußert und hat dort verlautbart, dass Familien nicht länger durch immer weitere Geldzahlungen, sondern über eine Ausweitung der Betreuungsangebote zu unterstützen seien -

(Beifall bei der SPD)

durch nicht immer weitere Geldleistungen, sondern durch eine Ausweitung der Betreuungsangebote. Das entspricht auch der Auffassung sehr vieler Bildungswissenschaftler, übrigens auch der von Ihnen vorhin zitierten OECD, Herr Zeh, die in ihrem Länderbericht zur Bundesrepublik Deutschland 2004 genau vor Ihrem Finanzierungsmodell warnt und Schwächen dieses Finanzierungsmodells aufzeigt, weil sie

sagt, in einem solchen Finanzierungsmodell haben die Träger größere wirtschaftliche Probleme. Es wird schwieriger, Kinder mit zusätzlichem Erziehungs- und Bildungsbedarf in die Gruppen aufzunehmen und deshalb raten die OECD-Experten von Ihrem Modell ab, Herr Zeh. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Aber noch mal zu Herrn Panse, der sich da ein bisschen verrannt hat im April, denn 11 Tage später kam die so genannte Familienoffensive und Sprache ist ja manchmal verräterisch. Es ist ja tatsächlich eine Offensive gegen die Familien geworden, ein Angriff auf die Thüringer Familien, was Sie hier auf den Tisch des Hauses gelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

(Unruhe bei der CDU)

Es wurde in der Tat in den Wochen danach dann etwas kriegerisch. Zuerst wurde unser gutes Kindergartensystem, was einvernehmlich kurz vorher hier noch festgestellt wurde, durch die Unterstellung, es sei überdimensioniert, sturmreif geschossen. Außerdem wurde die Offensive offensichtlich als geheime Kommandosache vorbereitet, denn der zuständige Sprecher, Herr Panse, war nicht in den Plan eingeweiht, sonst hätte er sicher nicht 11 Tage vorher noch das Gegenteil von dem behauptet, was dann als neue Offensive hier verkündet worden ist.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Ich er- kläre Ihnen das gern, Herr Matschie.)

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das wird aber schwierig, Herr Panse.)

Zu dieser Offensive gehört natürlich auch, wie zu jeder militärischen Strategie, dass die tatsächlichen Absichten so weit als möglich vernebelt werden, damit die andere Seite nicht wirklich sehen kann, was da passiert.

(Beifall bei der SPD)

Denn plötzlich gab es nicht mehr ein fast lückenloses Angebot, wie es der Ministerpräsident noch im Herbst letzten Jahres konstatiert hat, sondern ein beträchtliches Überangebot. Das heißt, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, irgendwann zwischen dem September 2004 und dem April 2005 hat sich das fast lückenlose Angebot an Kindertagesstättenplätzen in ein beträchtliches Überangebot verwandelt. Das ist nicht ganz einfach zu erklären. Sie haben es heute auch nicht erklärt, Herr Zeh,

(Zwischenruf Abg. Buse, Die Linkspar- tei.PDS: Das kann er auch nicht erklä- ren.)