Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Werte Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, wachen Sie endlich auf. Machen Sie sich an die Strukturreformen, die dieses Land dringend braucht. Verweigern Sie sich nicht länger einer durchgreifenden Verwaltungs- und Gebietsreform, damit wir endlich aus der Schuldenfalle rauskommen. Die anderen Länder sind uns längst weit voraus. Wir müssen aufholen und nicht weiter auf der Bremse stehen, wie das der Thüringer Ministerpräsident immer wieder tut. Sorgen Sie in den aktuellen Haushaltsberatungen dafür, darum bitte ich Sie, werte Kolleginnen

und Kollegen von der Unionsfraktion, dass das Soziale in unserer Gesellschaft nicht wirklich Schaden nimmt. Sorgen Sie gemeinsam mit uns dafür, dass die schlimmsten Ungerechtigkeiten in diesem Haushaltsentwurf noch einmal korrigiert werden können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Die Fraktionen haben sich vereinbart, abweichend von der Festlegung, dass um 13.00 Uhr die Mittagspause beginnt, die Debatte jetzt mit dem Beitrag der Fraktion der CDU, der Frau Abgeordneten Lieberknecht, fortzusetzen und erst danach die Entscheidung zu treffen, wie wir mit der heutigen Mittagspause umgehen. Bitte, Frau Abgeordnete Lieberknecht.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja wohl zum Ritual geworden, am Anfang erst einmal mit einer handfesten Empörung zu beginnen. „Skandal“ rief Herr Matschie. Wenn es in diesem Zusammenhang und den Beratungen heute einen Skandal gibt, dann ist es der Skandal von sieben Jahren rotgrüner Finanzpolitik in Berlin

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wie origi- nell!)

mit 3,5 Mrd. € Steuerausfällen über die Jahre. Wenn wir diese Einnahmen gehabt hätten, müssten wir über vieles, über das wir heute debattieren, nämlich gar nicht reden.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann nur sagen, ich bin heilfroh, dass wenigstens einer mit Kenntnis der Situation nicht nur aus Thüringen, sondern für die neuen Länder jetzt an der Weichenstellung, die in Berlin geschieht, mitwirkt. Das geschieht natürlich in den Verhandlungen miteinander.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wer soll denn das sein, Frau Lieberknecht?)

Die Frage können Sie sich sparen. Sie wissen genau und das weiß auch Herr Kollege Matschie - das gehört natürlich auch in den eigenen Parteigremien dazu, dass man sich durchsetzen kann, dass auch da die Kenntnis gefragt ist.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Dann hätte er doch da sein können.)

Wenn Kollege Matschie Mitglied des Präsidiums der SPD wäre, wäre er vielleicht dort, aber er ist es ja nicht. Wir können deswegen heilfroh sein, dass wir wenigstens einen haben. Mir wäre wohler, wenn in diesem Zusammenhang auch die SPD-Bank nicht blank wäre, sondern auch da jemand bei der Verhandlungskommission insgesamt dabei wäre.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Sie müs- sen sich mal überlegen, wo die Prioritä- ten sind.)

Eines will ich sagen: Bei einem Landeshaushalt, der rund 50 Prozent abhängig ist von dem, was in Berlin geschieht bzw. wie Berliner Einflussnahme auch in Brüssel aussieht, und wenn hier die Weichen falsch gestellt werden, dann ist nämlich alles Makulatur, was wir heute hier verhandeln. Da wir das nicht wollen, sind wir froh, dass die Entscheidung auch personell heute so getroffen ist, wie sie die Landesregierung und Dieter Althaus getroffen haben.

(Beifall bei der CDU)

Das war erst einmal der Teil Empörung zum Anfang. Da in diesem Haus - denke ich mal - auch noch Kultur und Anstand gefragt ist, möchte ich die Gelegenheit zumindest nutzen, der Landesregierung und ganz besonders der Finanzministerin Birgit Diezel zu danken, dass sie bei den schwierigsten Rahmenbedingungen es geschafft hat, uns diesen Haushalt vorzulegen, dass der Haushalt verfassungsgemäß ist,

(Beifall bei der CDU)

dass der Haushalt in Einnahme und Ausgabe übereinstimmt, und das war eine Riesenleistung über Wochen und Monate. Die Landesregierung hat es sich alles andere als einfach gemacht. Auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die damit befasst waren, gebührt Dank an dieser Stelle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen sind ja seit Wochen im Gange, nicht zuletzt auch deswegen haben wir die erhitzten Debatten hier im Haus. Der Haushalt ist im Übrigen seit dem 13. September öffentlich. Er ist es ganz bewusst, weil wir uns dem Vorwurf nicht aussetzen wollen, nach der Wahl etwas vorzulegen, was wir vor der Wahl verheimlicht hätten - das haben wir überhaupt nicht nötig. Politik der Ehrlichkeit war unser Stil, mit dem wir in den Wahlkampf gegangen sind -, seit dem 13. September öffentlich, am 18. war bekanntlich die Wahl. Wir werden jetzt bis kurz vor Weihnachten, bis zum

22. Dezember, in allen Fachgremien, auch in unserer Fraktion natürlich darüber sprechen, aber wir können uns keinen Zeitverzug über Monate in diesem Parlament leisten, denn ab 1. Januar brauchen alle Betroffenen auch wieder Planungssicherheit, wie der Haushalt nun konkret aussieht.

Nun wird, liebe Kolleginnen und Kollegen - und auch die beiden Redner der Oppositionsfraktionen, meine Kollegen Herr Matschie und Herr Hausold, haben es auch wieder deutlich gemacht -, die Debatte unter zwei verschiedenen Perspektiven geführt. Die eine, die Neuverschuldung: Richtig, sie ist unerträglich hoch und Sie haben sie auch gegeißelt. Auf der anderen Seite eben die Frage der in Rede stehenden Kürzungen. So wie Sie das gemacht haben, frage ich mich schon, wie das zusammengeht. Entschuldigen Sie, Kollege Hausold, ich war schon erinnert an Klassenkampfrhetorik bei dem, wie Sie hier die Dinge vorgetragen haben, und dann uns vorzuwerfen, wir würden die Gesellschaft spalten.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, man kann Ihre Rede sehr genau im Einzelnen mal durchgehen, wo Spaltungstendenzen von Ihrer Seite aus uns deutlich vorgetragen worden sind. Es heißt also, die Perspektive Neuverschuldung, sie ist unerträglich hoch, auf der anderen Seite aber, wo auch immer Kürzungen anstehen, diese Kürzung ist garantiert falsch. Das ist die Melodie, auf der Sie singen. Bei allem Verständnis für Betroffene, dass die sich äußern, dass die sich auch handfest artikulieren, das kann ich ja nachvollziehen, aber wir haben hier als Abgeordnete eine andere Aufgabe. Wir sind insgesamt dem Gemeinwohl verpflichtet und man kann nun nicht sagen, dass jedes Partikularinteresse automatisch ein Gemeinwohlinteresse ist. Da muss ich sagen, diese Masche ist für uns als Abgeordnete zu billig. Wir sind hier mit unserer Arbeit betraut, den Ausgleich zu finden, Politik, die immer aus Kompromissen am Ende besteht, damit das Ganze auch aufgeht. Nun muss ich sagen, Herr Matschie und auch Herr Hausold, Sie haben beide auf die Verwaltungs-, Gebiets- und Funktionalreform verwiesen, aber dass Sie, Herr Matschie, noch sagen, das sei der einzige strukturelle Ansatz, aus der Finanzmisere herauszukommen, das übersteigt nun doch mein Vorstellungsvermögen.

(Beifall bei der CDU)

Und es übersteigt nicht nur mein Vorstellungsvermögen, sondern ich habe es auch einmal handfest an dem, was wir an verfügbarem Material haben, nachgesehen. Ich weiß nicht, ob Sie sich der Mühe unterzogen haben, die Kreisgebietsreform, die wir ja gemacht haben, und das war ja nicht wenig, von 35 Kreisen auf 17 Kreise herunter im Jahre 1993 und

dann noch einmal die Gemeindegebietsreform aus der Zeit der großen Koalition 1996/97, wie sich das auf die Landesfinanzen, und die müssen ja wohl gemessen werden am Kommunalen Finanzausgleich, ausgewirkt hat. Da muss ich sagen, zumindest nach dem, was wir den Kommunen zugewiesen haben, Einspareffekt für das Land gleich null. Ich weiß nicht, ob

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: So ist es.)

das bei einer kommenden - wir werden uns unterhalten, ich bin dankbar, dass die Enquetekommission ja in Kürze eingesetzt werden wird, im Übrigen ist auch bei uns das Personaltableau klar und wir haben auch über Zeitschienen geredet und haben uns unter den Fraktionen verständigt, dass wir das nach dem 18. September machen wollten, also von daher …

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Da haben Sie aber das Prinzip einer Reform nicht verstanden, Frau Lieberknecht.)

Ich wollte nur sagen, das, was wir an Zahlen haben, und dann kann man das ja jetzt vielleicht anders machen, wenn man das will. Aber dann kann sich Ihr Kollege Pilger nicht draußen hinstellen vor den ver.di-Leuten und ganz klar fordern: Arbeitsplatzsicherheit, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, geringere Arbeitszeiten, das bei Westtarif.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Popu- listisch.)

Ja, das ist der blanke Populismus und da muss ich mich schon fragen, wo da Einsparungen am Ende herkommen sollen, jedem alles an jedem Punkt zu versprechen, aber am Ende geht das Ganze nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Von daher hilft uns das für den Haushalt, um den es jetzt geht, um den Doppelhaushalt 2006/2007, das wissen Sie aber genauso gut wie ich, überhaupt nicht weiter im Blick auf die aktuellen Zahlen, über alles, was mit Zukunft zusammenhängt. Gut, dann werden wir uns verständigen. Es gibt aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ja klare, übliche und bewährte Kriterien zur Einordnung eines Haushalts und dazu möchte ich auch einiges sagen. Das ist zum einen die Mittelfristige Finanzplanung, die ja auf den Steuerschätzungen des Landes oder der Länder und des Bundes gemeinsam erfolgt, also ein objektives Kriterium zwischen 16 Ländern und dem Bund. 11 Mal hintereinander, und das muss ich hier schon sagen, sind die Steuerschätzungen des Bundes nach unten korrigiert worden, was, ich nannte es bereits, zu einem Einnah

meausfall für uns von 3,5 Mrd. € geführt hat, die letzte Mindereinnahme allein 331 Mio. € für das nächste Jahr und weitere 418 Mio. € für das Jahr 2007 im Vergleich zur Finanzplanung und das zeigt noch einmal,

(Zwischenruf aus der SPD-Fraktion)

(Zwischenruf Abg. Primas CDU: Die ha- ben nichts zu verantworten.)

welche gewaltige Leistung durch die Landesregierung, durch die Finanzministerin im wirklich harten Ringen erbracht worden ist. Für die Ursachen, das kann ich hier nicht ersparen, das muss ich noch einmal sagen, ich werde dann auch einiges selbstkritisch zu Thüringen sagen, aber die Ursachen liegen nun eindeutig in bundespolitisch zu verantwortenden Rahmenbedingungen: Steuergesetzgebung, nur sehr zögerlich, unvollständig durchgesetzte soziale Reformen der Sicherungssysteme, Steuerrecht, Arbeitspolitik. Alles das haben wir ja über Wochen und Monate deutlich miteinander ausgestritten.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Mit ihrer Reform wären ja die Einbrüche noch hö- her gewesen.)

Ich nenne ja nur die objektiven Rahmenbedingungen. 400.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weniger, das ist auch wieder ein spürbarer Einbruch und eben kein Naturgesetz und das Wahlkampfmärchen von den 1.500 neuen Arbeitsplätzen täglich ist ja nun auch wieder verstummt.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Das Argument bleibt Ihnen ja nicht mehr lange.)

Auf der anderen Seite, Kollege Matschie sprach das Stichwort auch an, die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme. Sie belasten uns natürlich gewaltig im Haushalt, inzwischen fast 370 Mio. €, und, auch an der Stelle ist es schon entscheidend, es war immer eine Thüringer Forderung und es war ja auch im Vermittlungsausschuss einmal zugesagt, dass hier der Bund mitfinanziert, weil es eben keine spezifische Thüringer Leistung ist, sondern eine Leistung in nationaler Verantwortung. Auch da ist es wichtig, Weichenstellungen zu haben, die uns am Ende hier wieder ein Stück Entlastung bringen. Natürlich stimmt auch, ich will nicht nur auf andere zeigen, ich will schon auch sagen, wir sind in Thüringen mit dem, was wir in den vergangenen Jahren, vor allem in den 90er-Jahren getan haben, bis in die jüngste Vergangenheit hinein, großzügig verfahren. Das sind wir, man sieht es ja auch. Unsere Dörfer und Städte, die Fassaden, sie sind bunt, sie sind freundlich - es ist ein einladendes Land für den Tourismus, für den Fremdenverkehrsstandort Thüringen. Es hat auch Lebenswirklichkeit

positiv beeinflusst, wenn ich sehe, wie stolz Menschen ihre Höfe inzwischen öffnen, wie schön Volksfeste, wirklich Feiern dieses Landes bei den Menschen ankommen, wie Lebensqualität dadurch auch gesteigert wird, Kreativität geweckt wird in einem großen ehrenamtlichen Bereich, den man überhaupt nicht finanziell darstellen kann, wo Menschen sich mit diesem Land identifizieren - großzügig.

Ich meine, wir haben es zu Recht gemacht auch für die Lebenswirklichkeit, für das Gefühl der Menschen in diesem Land. Aber natürlich kann man fragen: Waren wir vielleicht zu großzügig? Da kann man überlegen, kann man vielleicht auch verschiedene Antworten geben. Aber eine Antwort steht fest: Wenn die Opposition das Sagen gehabt hätte in den vergangenen Jahren mit all ihren Wünschen einmal aufsummiert, sie wäre großzügig ohne Ende gewesen - das muss man doch sagen - und die Verschuldungssituation des Landes wäre in ganz anderen Dimensionen noch, als wir sie heute haben,

(Beifall bei der CDU)

jedenfalls nach dem, was angemeldet war, wenn wir unterstellen, es war auch tatsächliche Absicht, wenn man es hätte umsetzen können, es umzusetzen, ansonsten wären es reine populistische Anträge. Natürlich hat uns auch vieles Geld gekostet. Ich denke nur an den 2. Arbeitsmarkt in der Zeit der großen Koalition - 1,3 Mrd. € reiner Landesmittel, die wir damals finanziert hatten, von denen wir uns ja schon lange verabschiedet haben, weil es einfach nicht mehr geht und weil wir insgesamt auch - und da schließe ich an an das, was Birgit Diezel sagte - wirklich grundsätzlich neu über eine Aufgabenverteilung zwischen Staat und Bürger nicht nur bei uns, sondern überhaupt in Deutschland nachdenken. Darum geht ja auch das Ringen bei den Verhandlungen, die jetzt in Berlin für eine Koalition, für eine tragfähige Regierungsmehrheit stehen. Wir müssen, denke ich, auch darüber nachdenken, eben nicht nur in dem Sinne, es war alles richtig, was wir getan haben, sondern auch intellektuelle Blockaden aufbrechen. Wir stehen nämlich mitten in einem Umsteuerungsprozess, gar nicht mehr am Anfang, sondern ein Umsteuerungsprozess, der eben auch ein Prozess des Umdenkens sein muss. In diesem Sinne steht der Doppelhaushalt jetzt 2006/2007 in Kontinuität des ersten Reformhaushalts 2005, aber ist natürlich noch lange nicht der Schlusspunkt.

Die CDU hat auf die sich abzeichnende Lage bereits reagiert, das Haushaltsvolumen, was 2006 trotz vieler, vieler zusätzlicher Belastungen, aber trotzdem sinkt gegenüber 2005, nämlich um 0,6 Prozent, und 2007 gegenüber 2006 um 3,3 Prozent. Die Gesamtausgaben werden im Vergleich, um mal nur eine Zahl zu nennen, zu 1998 in dem kommenden Jahr 2006