Meine Damen und Herren von der Linkspartei.PDS, ich will ganz offen sagen, bei Ihnen fällt mir das einfach schwerer. Zunächst prinzipiell: Ich unterstelle niemanden von Ihnen -
ich bin überhaupt nicht vorsichtig -, nicht gegen Rechtsradikalismus, gegen Antisemitismus und gegen Faschisten zu sein. Ich höre zu, wenn Sie hier in diesem Haus reden und ich habe auch außerhalb dieses Hauses mit vielen Kollegen in dieser Sache schon zusammengearbeitet und, ich glaube, wir haben gut zusammengearbeitet. Aber es gibt hier in dem Haus ein paar Fragen, die Sie beantworten müssen und um die können Sie sich als demokratische Partei nicht herummogeln.
Erste Frage: Welche Haltung haben Sie zu der Verfassung, die ich für die Sozialdemokraten beschrieben habe? Ich habe in den ganzen Monaten und Jahren und auch in dem Antrag in der Begründung bemerkt, es ist so ein vorsichtiges Abrücken von Ihrem Nein oder das, was Sie damals auf der Wartburg gemacht haben, dass Sie da so langsam und vorsichtig abrücken. Ich will weder das eine noch das andere kritisieren, aber ich sage Ihnen auch, mit einer Verfassung kann man so nicht umgehen. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie damals auf der Wartburg einen Fehler gemacht haben, dann sagen Sie es auch deutlich, dass wir wissen, auf welcher Grundlage wir uns unterhalten. Es ist keine Kleinigkeit, ob man einer Landesverfassung - so wie ich sie beschrieben habe - zustimmt oder nicht. Was mich noch verrückter macht, ich sage das auch ganz offen, das ist noch etwas ganz anderes. Es ist noch nicht lange her, da haben wir in diesem Hause darüber diskutiert, ob wir Rechtsradikalen, Neonazis, Antisemiten, gesetzlich den Zugang nach Buchenwald ver
wehren. Da haben Sie - wenn ich das einmal zusammenfassen darf - zu uns gesagt, wir lehnen eine gesetzliche Regelung ab, weil das nach unserer Ansicht nichts bringt, wir brauchen das gesamtgesellschaftliche Engagement. Ich teile das nicht, aber ich habe das nur zur Kenntnis genommen. Jetzt, nachdem Sie gesagt haben, keine gesetzliche Regelung, wollen Sie die Verfassung ändern. Ich will das einmal ein bisschen volkstümlicher formulieren. Sie beschweren sich erst, dass der kleine Hammer viel zu schwer ist und fordern dann den größeren Hammer.
Wer darin eine kontinuierliche Linie sieht, gesetzliche Regelungen abzulehnen, aber dann eine Veränderung in der Verfassung fordert, es tut mir Leid, ich erkenne die Linie nicht.
Ich will auch ganz offen dazu sagen, Ihre permanente Ablehnung des Verfassungsschutzes - das kommt für mich als vierter Punkt dazu -, dessen Aufgabe es ist, auch Rechtsradikalismus zu bekämpfen... Ich gehöre zu denen, die hier am lautesten die Fehler beim Verfassungsschutz anmelden. Dort sind Fehler gemacht worden, aber grundsätzlich brauchen wir auch deshalb die Institution Verfassungsschutz. Dass er besser arbeiten muss, das ist eine ganz andere Sache. Auch da kann ich Ihre Linie in diesem Bereich nicht nachvollziehen. Ich würde mir wünschen, dass es über einen längeren Zeitraum bei Ihnen eine klarere Handlungslinie gibt.
Meine Damen und Herren, ich freue mich insgesamt auf eine spannende Diskussion zu dieser Problematik. Ich hoffe ja, dass Sie in der Mitte nicht so dreist sind und bei Verfassungsfragen, die durchaus diskussionswürdig sind, auch noch die Ausschussüberweisung ablehnen würden. Ich hoffe, dass wir uns im Ausschuss über das eine oder andere dann noch unterhalten können und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich erlaube mir ein historisches Zitat zur Erinnerung: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“ Das ist der Abschluss des Buchenwaldschwurs, des Bekenntnisses der Vertreter vieler Tausend eingesperrter, geschundener und ermordeter Häftlinge auf dem Ettersberg. Er entzieht sich für mich jeder ideologischen Bewertung. Wir sollten uns alle seines Gehaltes stets bewusst sein.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen leider nicht bis nach München schauen, um zu erfahren, vor welcher Art von Problemen wir auch hier in Thüringen stehen. Man kann davon ausgehen, dass die morgige Beratung des neuesten Thüringen-Monitors uns alle daran erinnern wird. Nur Weniges sei hier genannt, teilweise auch wiederholt, nicht aus dem Monitor, sondern aus dem Leben: personeller Zulauf der rechtsextremistischen Szene, verschiedene Kooperationen rechtsextremistischer Kameradschaften mit rechtsextremen Parteien, neue Strukturen und Methoden der rechtsextremistischen Szene und Wahlerfolge bei der letzten Bundestagswahl, wie wir sie vielleicht nicht hätten ahnen mögen. Alle diese und viele weitere Ereignisse und Entwicklungen haben uns am Ende bewogen, uns für den Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf zur Einfügung einer Staatszielbestimmung Antifaschismus zu entscheiden. Der anzufügende Absatz 3 an den derzeitigen Artikel 1 zur Menschenwürde, Gleichheit und Freiheit würde lauten, Frau Berninger hat es bereits einmal vorgestellt: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und rassistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung aller.“
Wir haben uns ganz bewusst zu einer Staatszielregelung entschlossen. Staatszielbestimmungen sind Abwägungs- und Auslegungsmaßstäbe. Bei der Auslegung von Grundrechten können diese in zwei Richtungen wirken: als Schranke für die Grundrechtsausübung und als Verstärkung der Wirkung eines Grundrechts. Mit der Anbindung unserer Verfassungsänderung als neuer Absatz 3 des Artikel 1 wollen wir deutlich machen, dass es uns um einen bisher unbenannten, aber historisch wie politisch zentralen Aspekt des Menschenwürdegebots geht. Damit wird die Wahrung und Verteidigung der Menschenwürdegarantie gerade gegen die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts und gegen rassistische Aktivitäten zu einem überragenden Gemeinwohlinteresse erklärt, dessen Verwirklichung eben nicht nur als Aufgabe des Landes, sondern auch Handlungs- bzw. Unterlassungsverpflichtung gegenüber allen wirkt. Die Gefährdung der Menschenwürde und anderer hochrangiger Rechtsgüter zu verhindern, ist Gegenstand unserer Verfassungsänderung und nicht, wie oft fälschlich angenommen und noch öfter dis
kreditierend behauptet, die Verankerung einer ganz bestimmten politischen Weltanschauung als Grundkonsens.
Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es Einwände, wie könnte es anders sein. Ein Einwand gegen diese Verfassungsänderung erwächst aus der Sorge, mit einer solchen Regelung könnte die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden. Nein, die konsequente Verteidigung von Grund- und Bürgerrechten hat für uns immer Vorrang. Mit dem vorgeschlagenen Staatsziel wird die Verfassungswidrigkeit alter und neuer nationalsozialistischer Überzeugungen und Handlungen festgestellt. Anderen Menschen das Lebensrecht abzusprechen und dazu aufzurufen, sie zu verfolgen oder zu töten, ist keine Meinung wie jede andere politische Überzeugung. Eine solche Idee ist die Negation der Menschenwürde.
Diese Ideologie, meine Damen und Herren, hat materielle Macht in den Gaskammern und Verbrennungsöfen, auf den Schlachtfeldern des Vernichtungskriegs, in den Urteilen der Blutgerichte erlangt. Solche so genannte Überzeugung, nach der es Menschen unterschiedlicher Wertigkeit gibt und die vermeintlich minderwertigen verfolgt oder vernichtet werden müssen oder dürfen, lebt in den Köpfen von Neonazis fort. Und auch heute wird diese Ideologie zu praktischem Terror, wenn Menschen anderer Hautfarbe, Obdachlose, Behinderte, politisch anders Denkende angegriffen, verletzt oder getötet werden. Die Bilanzen sind doch bekannt. Wer auf diese Weise die fundamentale Gleichheit aller Menschen verneint, der negiert das Menschenwürdegebot. Es geht also mit der vorgeschlagenen Regelung gar nicht darum, das bloße Haben von Meinungen zu verbieten, es geht darum, die nach außen gerichteten Aktivitäten zur Verherrlichung und Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankenguts und das Werben für die Wiederherstellung eines solchen Herrschaftssystems als verfassungswidrig zu erklären.
Meine Damen und Herren, jede Gesetzesinitiative fußt neben allgemeinen politischen und juristischen Überlegungen auch auf der Betrachtung konkreter gesellschaftlicher Entwicklungen. Im Jahr 2005 gibt es entgegen der öffentlichen Wahrnehmung mehr Neonazis und mehr rassistische Gewalt als in den Vorjahren. Von Januar bis September 2005 verzeichneten Behörden bundesweit 7.574 rechtsextreme Straftaten, das sind 1.838 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Der in Berlin erscheinende Tagesspiegel sprach dieser Tage von einem enormen Anstieg der rechten Kriminalität. Auch in Thüringen sind im ersten Halbjahr gegenüber den vergleichbaren Zeiträumen der Vorjahre die Zahlen der Straftaten deutlich angestiegen; aber das neonazistische
Agieren in Wort und Tat darf niemals zur vermeintlichen Normalität werden. Wir dürfen uns an diese Prozesse nicht gewöhnen.
Wir sollten genau hinhören, wenn der Generalsekretär und die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Notwendigkeit und Anlass sehen, ihre Besorgnis über zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland zum Ausdruck zu bringen. Die Knesseth, das israelische Parlament, schrieb dem Bundespräsidenten bei seinem Antrittsbesuch in Israel ins Stammbuch: Die Verantwortungsträger in Deutschland müssen politisch und gesetzgeberisch aktiv werden. Die Erwartungen an die Bevölkerung, die Parlamente, den Staat sind leider berechtigt. Die Antworten, die bisher auf diese Anforderungen gegeben wurden, waren halbherzig und hilflos. Das Herumgebastel am Straf- und Versammlungsrecht hat neben einer gefährlichen Einschränkung der Freiheitsrechte seine vorgebliche Funktion nicht erfüllt. Das so genannte Heldengedenken der Nazis in Halbe, mit dem der Verbrecher und der Verbrechen von SS und Wehrmacht gehuldigt wird, konnte nicht verboten werden. In Wunsiedel scheint dieses Jahr ein Erfolg der Gegner des jährlichen Naziaufmarsches am Heß-Grab durch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bedroht.
Nach unserer Auffassung ist jetzt Politik gefordert, den Ort zu bestimmen, an dem die Verantwortung des Landes und jedes Bürgers und jeder Bürgerin benannt wird, dass und wie solchen neofaschistischen Provokationen zu begegnen ist. Es ist an der Zeit, dass in einem höchstrangigen Gesetz klar und unzweideutig zum Ausdruck kommt, dass eigene Haltung und tägliches Tun gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus eine allgemeine Anerkennung in allen Teilen der Gesellschaft finden.
Die Mehrheit dieser Gesellschaft betrachtet nämlich Neonazismus nicht als normalen Bestandteil des politischen Meinungsspektrums, sondern als Ideologie, die den demokratischen und verfassungsrechtlichen Grundgütern wie Menschenwürde und Freiheit diametral gegenübersteht und diese versucht auszuhebeln. Das Leugnen des Holocausts und aller anderen Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus, die Verherrlichung des Nationalismus, die Verhöhnung der Opfer sollen von Verfassungs wegen geächtet werden. Das ist der Sinn der von uns vorgeschlagenen Regelung, denn die Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankenguts ist nach unserer Auffassung eine der schlimmsten Beleidigungen der Menschenwürde.
Die Fraktionen in diesem Hause haben bei verschiedenen Gedenktagen und zu anderen Anlässen ihre gemeinsame Verantwortung für eine gesellschaftliche Intervention gegen Rechtsextremismus bekräftigt. Die Orte für dieses Engagement sind vielfältig, die Schule, der Betrieb, der Sportverein, die Straße oder aber auch der Abendbrotstisch zu Hause. Ein Ort für dieses Haus - für uns - ist unter anderem die Verfassung.
Meine Damen und Herren, mit der vorgeschlagenen Verfassungsänderung zielen wir auf ein parlamentarisches Bekenntnis, einen Gesetzgebungsakt im Sinne einer Konkretisierung des Menschenwürdegebots. Als Staatzielbestimmung würde diese Norm, wenn sie Aufnahme fände, auch durchaus rechtsinterpretierende Wirkung entfalten. Deswegen, Herr Schröter, kann ich Ihren Einwand, dass von unserer Regelung die Ewigkeitsgarantie berührt wäre, nicht nachvollziehen. Ich glaube nicht, dass das Menschenwürdegebot tangiert ist. Das Menschenwürdeprinzip wird nicht eingeschränkt, sondern es wird ergänzend verstärkt.
Wir stehen übrigens mit unserer Initiative nicht etwa allein. Auch die Gewerkschaft der Polizei unterstützt die Forderungen nach Aufnahme einer Klausel gegen Nationalsozialismus und Neonazismus in die Verfassung. Viele Polizeiangehörige stehen nämlich Tag für Tag in direkter Konfrontation mit neonazistischen Provokationen. Wohl gerade dadurch wuchs die Einsicht, dass Reichweite und Wirkungskraft einfacher gesetzlicher Regelungen bei der Zurückdrängung des Neonazismus nicht ausreichen. Bürgerinnen und Bürger haben zunehmend kein Verständnis dafür, dass Polizistinnen und Polizisten Wochenende für Wochenende in ein Dilemma geschickt werden: Sie müssen diejenigen gewähren lassen und schützen, die ganz offensichtlich und ganz offen Demokratie und Verfassung bekämpfen oder den Nationalsozialismus z.B. durch die Ehrung von Kriegsverbrechern verherrlichen und deren Opfer verhöhnen. Eine Staatszielbestimmung Antifaschismus könnte Behörden, Polizei und Gerichten aus dieser zynischen Situation heraushelfen. Die Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankenguts wäre dann nicht länger eine von den Grundrechten gedeckte politische Betätigung. Eine verfassungswidrige Handlung ist nun einmal keine Verwirklichung von Grundrechten.
Hierin sehen wir eine politische und juristische Alternative zu den fatalen und nachweislich wirkungslosen Verschärfungen im Straf- und Versammlungsrecht, die mit ihrer generellen Stoßrichtung unter
schiedslos Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und andere Bürgerrechte einschränken. Genau an dieser Stelle, Herr Gentzel, halte ich Ihren Einwand gegen die von uns mit der Ablehnung des Versammlungsrechts bezogenen Positionen für ausreichend widerlegt.
Meine Damen und Herren, wer glaubt, Demokratie durch Einschränkung von Demokratie retten zu können, der erliegt einem verheerenden Irrtum.
Eine andere Einwendung behauptet die Notwendigkeit einer Erweiterung des vorgestellten Ansinnens auf ein Wiederbelebungsverbot sozialistischer oder kommunistischer Weltanschauungen. Dazu einige Bemerkungen: Das undemokratische Herrschaftssystem der ehemals real existierenden sozialistischen Staaten hat Verbrechen begangen und gegen das Menschenwürdegebot verstoßen. Alle Versuche, für diese Taten politische Begründungen oder gar Notwendigkeiten ins Feld zu führen, entspringen einer nicht zu akzeptierenden grundlegenden Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten. Auch wenn die beiden Systeme miteinander nicht vergleichbar sind, hat die Landesverfassung den Geist einer Ablehnung auch dieses politischen Systems. Im Zuge der Zweiplus-vier-Gespräche, im Einigungsvertrag und in den neuen Verfassungen verlor sich dagegen ein Aspekt der deutschen Verfassungsgeschichte, der den Müttern und Vätern des bundesdeutschen Grundgesetzes noch essentiell war. Das Grundgesetz hat nicht nur einen antiextremistischen Charakter, es hat einen klaren antifaschistischen Impetus. Das erklärt sich nach unserer Auffassung aus der Aufnahme der Geltung des Entnazifizierungsrechts der Alliierten in Form des Artikels 139. Dieser Verfassungsgeschichte und der historischen Verpflichtung sollten wir Rechnung tragen. Die Vorschriften aus Artikel 139 gelten seit 15 Jahren als unwirksam. Dem Gedanken aber, der diesem Artikel zugrunde lag, heute wieder Wirkung zu verleihen, das spiegelte sich in den verschiedenen Versuchen wider, im Grundgesetz ein entsprechendes Bekenntnis zu verankern.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, darf ich mich gleich gegen den Vorwurf verwahren, mit einer so genannten antifaschistischen Klausel würde DDR-Staatsdoktrin in die Verfassung einfließen. Unser Vorschlag hat weitaus mehr mit dem Gründungsgedanken des bundesdeutschen Grundgesetzes zu tun, als mit einer herbeigeredeten Wiederbelebung von DDR-Doktrinen.
Der Antifaschismus der DDR stand für unser Vorhaben nicht Pate. Unser Begriff des Antifaschismus schließt Demokratie und deren Schutz, Antimilitarismus und Toleranz ein.
Meine Damen und Herren, ein Hauptargument für die Ablehnung unseres Vorschlags fußt auf der Feststellung, die Landesverfassung trüge schon jetzt einen ausreichend antiextremistischen Charakter. Das ist aber kein ausreichender Beleg für die Überflüssigkeit einer Ergänzung, wie der von uns vorgeschlagenen.
Erstens sollte diese gelobte Grundrichtung der Verfassung eigentlich die Zustimmung zu einer antifaschistischen Klausel erleichtern.
Zweitens bietet sich nun die Chance, unscharfe Formulierungen in der Verfassung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu präzisieren. Denn standen wir in den Jahren 1993/94 noch unter dem direkten Eindruck der Ereignisse, die zum Sturz des DDR-Regimes geführt hatten, und gingen diese Erfahrungen in die Verfassungserarbeitung direkt ein, so müssen wir heute, mehr als zehn Jahre danach, feststellen, dass ein Aspekt bundesdeutscher Verfassungsgeschichte und politischer Wertesetzung nicht explizit genug gewürdigt wurde.
Und nicht zuletzt, meine Damen und Herren, Verfassungen reflektieren immer auch politische Entwicklungen. Denken Sie an die Aufnahme des Staatsziels Umweltschutz ins Grundgesetz. Auch hier hat man einer politischen wie tatsächlichen Entwicklung in der Gesellschaft Rechnung getragen und eine besondere Verpflichtung in Verfassungsrang erhoben.
Es geht, meine Damen und Herren, zuvörderst um das tägliche praktische Handeln aller: des Staates, der Parteien und der Bürgerinnen und Bürger. Dabei bleiben wir bei der Betonung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Netzwerke, der Bündnisse und der Einzelpersonen. Aber wir haben auch immer deutlich gesagt, die so genannten Zuständigen dürfen nicht aus der Verantwortung entlassen werden, noch mehr - und da gebe ich Ihnen Recht, Herr Gentzel - Anständige und Zuständige zusammen - in Bündnissen so breit als möglich - könnten eine umfassende und nachhaltige Zurückdrängung des Rechtsextremismus bewirken. Eine Seite allein verliert sich allzu oft in Aktionismus oder verbleibt in Symptombehandlung.
In diesem Sinne könnte man die vorgeschlagene Verfassungsänderung als Zeichen eines entschlossenen Widerstandes des Gesetzgebers verstehen, als Signal in die Gesellschaft hinein. Und was soll das Argument, es handle sich um einen symbolischen Akt, das man manchmal hört? Was wäre schlimm an einem solchen symbolischen Akt? Was ist schlecht an Bekenntnissen, gesellschaftlichen
Übereinkünften oder aber auch an Staatszielen, die sagen, jeder soll Arbeit haben, jeder soll Wohnung haben oder auch das, was Enkel von Buchenwaldhäftlingen anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers bekannt haben?
Bevor ich ende, würde ich gern noch auf einige Einwendungen aus dieser Beratung eingehen: Herr Schröter, ich kann Ihre Abwehr, den Gesetzentwurf einen Tag nach dem 9. November in diesen Landtag einzubringen, nicht verstehen.
Ich kenne kein würdigeres Gedenken für ein Parlament, als - statt Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse - einen Gesetzentwurf einzubringen, der versucht, die verschieden denkenden Teile dieser Gesellschaft auf die Ächtung eines die Menschenwürde gefährdenden Denkens und Tuns zu vereinigen.