In einer Beilage der Bundeszentrale für politische Bildung in der Wochenzeitung „Das Parlament“ war am 14. Juli 2003 zu lesen, ich zitiere: „Bisher seien die Landesparlamente zu wenig in die Reformdiskussion einbezogen worden, die einige Ministerpräsidenten gern alleine auf der Ebene der Exekutive führen würden.“ Mit dem Ihnen vorliegenden Antrag will die Fraktion der Linkspartei.PDS erstens, dass die Landesregierung den Thüringer Landtag nicht nur über den Stand der Vorschläge und stattgefundenen Diskussionen informiert, sondern auch darüber berichtet, welche eigenen Positionen sie in diesen Debatten vertritt und welche Entscheidungen gegebenenfalls schon getroffen wurden.
Zweitens wollen wir für die im Reformprozess anstehenden Debatten und Entscheidungen gewisse Mindeststandards festschreiben. Wir wollen, dass die Einbeziehung der Landesparlamente, die Einbeziehung von Kommunen und Organisationen während des gesamten Reformprozesses zum Standard wird. Das ist bisher nicht geschehen. Die Landtage und Kommunen hatten bisher keine Möglichkeit, ihre Positionen einzubringen. Aus unserer Sicht ist dies aber nicht nur während des Prozesses, sondern auch für den Erfolg der Umsetzung der Reform ein wesentliches Element. Im Reformprozess ist mit dem Abbau der Rahmengesetzgebung eine Erhöhung landesrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vorgesehen. Dies kann aus unserer Sicht aber nicht unterschiedslos für alle Bereiche gelten. In solchen Bereichen, wie zum Beispiel der Bildungs- oder der Hochschulpolitik, muss es im Bundesgebiet einheitliche Normen und verbindliche Mindeststandards für alle Länder geben.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Undurchsichtigkeit von Entscheidungen auf dem Weg zwischen Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuss steht schon seit Jahren immer wieder in der Kritik. Immer wieder ist die Rede von parteipolitischen Ränkeschmieden und von Blockadepolitik. Nicht zuletzt diese Erscheidungen der bundesstaatlichen Ordnung sind verantwortlich dafür, dass immer weniger Menschen ihre Interessen durch die parlamentarischen Gremien vertreten sehen und dass die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zunimmt. Wenn wir dies aber ändern wollen, wenn die Reform den Interessen und Vorstellungen von Bürgerinnen und Bürgern gerecht werden soll und wenn das Ziel der Föderalismusreform neben der Entflechtung der politischen Entscheidungen die Stärkung der Demokratie und eine Verbesserung von Transparenz und
Bürgernähe sein soll, dann müssen wir auch den Reformprozess selbst transparent und bürgernah gestalten. Dann sollten sich auch Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU-Fraktion, und auch Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Landesregierung, darauf einlassen, Ihre Positionen und Vorschläge mit den von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Vertreterinnen öffentlich zu diskutieren und so die Bürgerinnen und Bürger in diesem Reformprozess mitzunehmen.
Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung ihres Alternativantrags? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Blechschmidt, Die Linkspartei.PDS.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen, nicht das erste Mal in dieser Legislaturperiode und - ich sage es bewusst - auch hoffentlich nicht das letzte Mal werden und sollten wir uns mit dieser Thematik des Föderalismus und seiner Reform und unserer Mitwirkung in diesem Prozess befassen. Ich gestehe, dass ich nicht geglaubt habe, nach unserer Debatte im Rahmen der 6. Sitzung des Thüringer Landtags und dem Scheitern der Arbeit der Bundesstaatskommission zum Föderalismus unter Leitung von Edmund Stoiber und Franz Müntefering mich so schnell, geschweige denn so konkret mit dieser Frage wieder auseinander setzen zu müssen. Was diesen Eindruck nicht nur meiner Person, sondern auch breiter gesellschaftlicher Kreise und einschließlich deren Kritiker anbetrifft, wurde dies nicht zuletzt durch die Ergebnisse bzw. Nichtergebnisse der Bundesstaatskommission und die Art und Weise des Scheiterns deren Arbeit genährt und gefördert. Nun hat die große Koalition im Rahmen ihrer Gespräche zur Bildung einer Bundesregierung eine Arbeitsgruppe „Föderalismusreform“ tagen lassen und sogar konkrete greifbare Ergebnisse produziert.
Für meine Fraktion kann ich sagen: Mit Blick auf die Wiederaufnahme bzw. Fortführung des Diskussionsprozesses „Föderalismus in Deutschland - wie weiter?“ und der jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschläge wird diese Entwicklung, wird dieser Diskussionsprozess - ich betone ausdrücklich dieser Diskussionsprozess - durch uns begrüßt und mitgetragen. Um bei diesem bundesweiten Prozess seitens des Thüringer Landtags nicht gleich wieder den Anschluss zu verlieren, haben wir diesen Antrag „Reform des Föde
Um es an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen, wir wollen inhaltlich an die stattgefundenen und stattfindenden Gespräche und Beratungen als Landtag, als Legislative angeschlossen sein. Wir wollen, dass Landtag, die Legislative des Landes Thüringen, die repräsentative Vertretung von Bürgerinnen und Bürgern, sich eigene Eckpunkte für diesen Diskussionsprozess hier in diesem Haus gibt und vorab über dies berät, und wir wollen, dass im Zusammenwirken mit Exekutive und Legislative in Thüringen entsprechend konkrete fachliche Positionen erarbeitet und beschlossen und auf der Bundesebene in diesen Reformprozess mit eingebracht werden.
Nicht mehr und nicht weniger soll dieser Antrag bewirken. Dabei sind wir uns auch darüber bewusst, und dies zeigt der Alternativantrag der CDU, dass es neben den prinzipiellen Unterschieden an das Herangehen und die Umsetzung dieses Diskussionsprozesses und deren Vorschläge auch inhaltliche Unterschiede - und hier sei das Stichwort Beteiligungs- oder Wettbewerbsföderalismus zu nennen - gibt.
Meine Damen und Herren, rufen wir uns doch bitte noch einmal einige Prämissen, Sachstände oder Zwänge, Notwendigkeiten, Vorstellungen oder Teilergebnisse der letzten Jahre in Erinnerung, wobei ich all diese Begriffe in die uns betreffende Frage einbetten möchte, die lauten könnte: Befindet sich der deutsche Bundesstaat in einer Krise? Haben die deutschen Landesparlamente noch eine Zukunft? Vielleicht noch auf uns Personen provokativ bezogen, anders gesprochen: Was wird aus uns, welche Aufgaben haben Landtagsabgeordnete in Zukunft? Wer ehrlich von uns ist, mit der Diskussion und mit den Auffassungen, die eine Öffentlichkeit immer wieder hört, mit Inhalten aus Gesprächen im Rahmen von Wahlkampf oder im Alltag der Abgeordnetentätigkeit und dabei nicht Augen und Ohren verschließt vor der Volksmeinung, hat oft schon solche und ähnliche Aussagen zur Kenntnis nehmen müssen, die da lauten: Was nützt uns diese Politik eigentlich noch? Bezogen auf die Frage nach der Krise und der Zukunft der Landesparlamente, meine Damen und Herren, wird der Kenner und Insider diese Fragestellung in einem Aufsatz unseres ehemaligen Landtagsdirektors Dr. Linck wiederentdecken. Er hat sich in diesem Aufsatz intensiv mit der Kompetenz und der politischen Gestaltungsmöglichkeit der Landesparlamente auch und gerade mit Blick in den Haushalts- und Finanzbereich und etwaiger Spannungsfelder und Auswirkungen in Europa befasst. Weil ich weder den Aufsatz kommentieren möchte noch hier
Raum und Zeit ist, um einen weitergehenden Disput zu führen, würde ich nur mein Credo aus diesem Aufsatz anlehnend an die Gedanken des Autors so formulieren wollen: In Sonntagsreden, Koalitionspapieren, Presse- und Medieninformationen werden die hehren Ziele des Föderalismus und die Eigenständigkeit der Länder ausgestaltet und mit allen verfassungsmäßigen Gestaltungsmöglichkeiten gepriesen, aber in den Kungelrunden in den Hinterzimmern der Politik, in Kommissionen und Arbeitsgruppen werden diese Grundsätze selbst im Bildungsbereich immer wieder für sprichwörtlich „billige Münze“ verkauft.
Meine Damen und Herren, was sind nun die Erfordernisse in diesem Reformprozess, welche schon seit einigen Jahren auf der Agenda stehen? Da ist erstens die Verflechtung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, die Gestaltungsspielräume der Länder und deren Parlamente wieder eindeutig zu erhöhen. Das Konstruktionsprinzip des Grundgesetzes verpflichtet Bund und Länder zu enger Zusammenarbeit bei einer Vielzahl staatlicher Aufgaben und Kompetenzen. In der geschichtlichen Entwicklung der Bundesrepublik hat sich die Kooperation seit den 50er-Jahren zunehmend verstärkt mit der Folge, dass die Entscheidungsebenen zwischen Bund und Ländern immer stärker verflochten und vermischt wurden. Eine markante Zäsur, meine Damen und Herren, in diesem Prozess bildet die Verfassungsreform von 1969. Sie hat dem Bund die Befugnis eingeräumt, die Länder auf eine einheitliche Linie der Konjunktur- und Haushaltspolitik zu verpflichten, sozusagen als Kompensation haben die Länder über den Bundesrat weit reichende Zustimmungsrechte erhalten. So können heute die Länderexekutiven über den Bundesrat, der rund 60 Prozent aller Bundesgesetze zustimmen muss, Kompensationsverluste einigermaßen ausgleichen. Verlierer dieser Verflechtung der Entscheidungsstrukturen sind die Landesparlamente in ihrer Funktion als Gesetzgeber, sind wir als Abgeordnete der Legislative und Institutionen dezentraler politischer Verantwortung in der repräsentativen Demokratie.
Meine Damen und Herren, gerade auch Undurchschaubarkeit ist eine Folge der starken Politikverflechtung. Der hohe Grad der Verflechtung von Aufgaben und Kompetenz auf allen politischen Ebenen, von der Europäischen Union - wir hatten das Thema gerade - über die dort vertretenen Staaten bis hin zu Ländern und Kommunen in der Bundesrepublik ist auch ein Demokratieproblem. Auf allen Ebenen konfrontieren die Regierungsvertreter ihre Parlamente mit politischen Absprachen, an denen sie nicht mitgewirkt haben. Ich erinnere hier nur an unsere berühmt berüchtigten Staatsverträge, die wir mehr oder weniger immer nur abzunicken haben. Das hat auch tief greifende Auswirkungen auf die Wählerinnen und
Wähler, vor allem auf Stadt- und Gemeindevertretungen sowie auch den Landtag. Für die Wähler ist es nicht mehr durchschaubar, welche politische Ebene die Verantwortung für welchen Kompromiss bzw. welche Entscheidung trägt. Der bisherige Verlauf der Reformdebatte in Deutschland trägt dazu bei, dass der Bürger weiter verunsichert wird. Wer welche Entscheidung trifft und wer für welche Entscheidung verantwortlich ist, kann der Bürger heute nicht mehr nachvollziehen. Das Ergebnis, meine Damen und Herren, haben wir mit dem Monitor 2005 zur Kenntnis nehmen müssen. Es ist Misstrauen gegenüber den Politikern und den politischen Parteien, und es kann in noch größeres politisches Desinteresse und noch mehr Geringschätzung der Politik umschlagen.
Ein zweites Erfordernis in diesem Reformprozess ist der weitere Umgang mit der Bundesrahmengesetzgebung. Trotz oder weil bei Kenntnisnahme der Länderkompetenz und der Landesgesetzgebung wieder gestärkt werden soll, wird es aber auch immer Notwendigkeiten geben, bundesstaatliche Regelungen gerade mit Blick auf gleichwertige Lebensverhältnisse in der Zukunft zu streben.
Großer Konfliktstoff, und ich möchte es hier an einem Thema abarbeiten, war und wird auch in Zukunft noch sein die Problematik des Bereiches Bildung. Meine Damen und Herren, im demokratischen Staat geht die Legitimation staatlichen Handelns von den Bürgern aus. Das gilt auch für die Verteilung der Aufgaben im Bundesstaat. Wollen die Bürger einheitliche Leistungsniveaus in allen Regionen ihres Staates oder trauen sie dezentralen Ebenen eine adäquate Antwort aktueller Herausforderung nicht zu? Fehlt der Politik in den Gliedstaaten die eigenständige Legitimation für politisches Handeln? Umgekehrt scheitert der zentrale Staat daran, ihre Kompetenz auch in Regionen umzusetzen, die ihre Angelegenheit selbständig regeln wollen. Die Kompetenzverteilung zwischen zentraler und dezentraler Ebene ist keine technokratische Angelegenheit für Experten, sondern muss für den Bürger legitimiert sein.
Was heißt das konkret, meine Damen und Herren, bezogen auf den Bereich der Bildung? Bislang konnte niemand logisch erklären, warum in Zukunft die Länder allein für Schule und Universität zuständig sein sollen, während der Bund nahezu jeden Einfluss verlieren soll, und in diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass jene Föderalismusreformer noch nicht einmal eine solche Begründung anstreben. Sämtliche Experten von Lehrerverbänden bis hin zum Wissenschaftsrat haben vor solch einer Verschiebung gewarnt. Doch um den auf tönernen Füßen stehenden Föderalismuskompromiss, der jetzt ansteht, auf diesem Politkgebiet nicht zu gefährden, wurden alle Kritiker bislang ignoriert. Auf dem Rücken der einzig echten Alternative in Deutschland, den Schülerinnen
und Schülern, den Studentinnen und Studenten, wird nun eine Staatsreform ausgetragen. Mehr als 50 Jahre haben die Bundesländer Zeit gehabt, ihre Bildungskonzepte unter Beweis zu stellen. Die Bilanz - verheerend wie ernüchternd zugleich und lässt auch für die Zukunft nichts Gutes ahnen. In keinem anderen Industrieland sind die Bildungschancen so ungerecht verteilt wie in Deutschland. Man hat eine zerklüftete Schullandschaft in Deutschland geschaffen mit nahezu anschauungsweise 16 unterschiedlichen Schulsystemen. Gewaltige Qualitätsunterschiede und erstarrt in Kleinstaaterei sind gravierende Folgen dieser Zersplitterung und Besserung ist nicht in Sicht. Wie sonst ist in den Diskussionen immer wieder zu erklären, einerseits wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Mobilität in dieser Gesellschaft abverlangt. Geh der Arbeit nach, die Arbeit kommt nicht zu dir! Aber wenn ich dann sozusagen mein Rucksäckl packe und das Land wechsle, dann kann es den Kindern passieren, dass sie im schlimmsten Fall ein Schuljahr wiederholen müssen. Das kann sich ein Industrieland meiner Meinung nach nicht mehr leisten.
So bastelt beispielsweise bei der Reform der Lehrerausbildung jeder Kultusminister an seiner eigenen Lösung. Unter ähnlichen Versäumnissen leiden auch unsere Hochschulen. Dass die Universitäten seit Jahren mit immer weniger Budget auskommen müssen, gehört schon zum Alltag. Höhepunkt sind die in der letzten Woche getroffenen Entscheidungen zur Exzellenzförderung mit einem recht großen Ost-West- Gefälle, aber auch ebenso einem großen Nord-SüdGefälle. Dass Wünsche von Bürgerinnen und Bürgern zur Vergleichbarkeit, aber auch zur Vereinheitlichung im Bildungsbereich vorhanden sind, zeigt eine aktuelle Befragung durch das Institut für empirische pädagogische Forschung der Uni Koblenz-Landau. Bei Fragen zur Zuständigkeit in bildungspolitischen Angelegenheiten zwischen Bund und Ländern wird mit einer einzigen Ausnahme, die Durchführung von Schulversuchen - und das ist ja relativ logisch, dass man die natürlich vor Ort setzt - dem Bund in allen angesprochenen Bereichen mehr Zuständigkeit als den Ländern zugesprochen: Bildungsinhalt 80 Prozent, Schuldauer 90 Prozent, Lehrbefähigung 60 Prozent, Schulstruktur 60 Prozent, Studiengebühren 70 Prozent, duale Berufsausbildung 70 Prozent, Ausbildungsförderung 70 Prozent. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung - 93 Prozent - wünschen sich mit Blick auf die Rechtschreibreform ein Ende des Hickhacks bzw. des Trauerspiels zu diesem Thema in der Kultusministerkonferenz. Stattdessen wird eine klare bundeseinheitliche Regelung eingefordert.
auch neben der Beseitigung von Bundesgesetzgebungskompetenz über Notwendigkeiten des Erhalts und der Fortführung von Bundesrahmengesetzgebung im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern konkret nachgedacht und diskutiert werden muss.
Drittes Erfordernis, und das möchte ich aus Zeitgründen, aber natürlich ein wenig auch aus Fachgründen nur kurz anschneiden, das ist die Frage innerhalb des Reformprozesses der Neuordnung der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern und Kommunen unter Wahrung auch des Konnexitätsprinzips. Das halten wir für einen wichtigen Ausgangspunkt in diesem Prozess des Finanzausgleichs.
Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Streitpunkt im Rahmen der Föderalismusreform ist die Frage, ob konstruktiver Beteiligungsföderalismus - davon haben wir auch immer wieder gesprochen - oder Wettbewerbsföderalismus. Ich unterstelle beiden Methoden, sie haben Vor- und Nachteile. Aber ich finde es schon lohnenswert, im Rahmen der Diskussion zur Föderalismusreform darüber hinaus nachzudenken, wo eine Balance von Solidarität und freiem und fairem Wettbewerb liegt. Den würde ich hier nicht ausschließen wollen. Wir meinen, Vielfalt, Unterschiedlichkeit und ein gewisses Maß an Wettbewerb gehören zum föderalen System, können Effizienz und Innovation befördern. Wir würden gern über eine Fortschreibung des Föderalismus in Zukunft im Sinne von Einheit und Differenziertheit, von Wettbewerb und Solidarität, von Gerechtigkeit und Ungleichheit, von Eigenverantwortung und Lastenausgleich, von Subsidiarität und gemeinsamer Aufgabenbewältigung sprechen. Für uns bedeutet dieser Wettstreit einen Wettbewerb auf gleicher Augenhöhe oder mit ähnlichen oder vergleichbaren Startbedingungen. Stimmen diese nicht - und ich glaube, wir wissen alle, dass sie gegenwärtig eben nicht stimmen -, ist der Ausgang des Rennens, ist der Ausgang des Wettbewerbs vorhersehbar. Dann werden weitere junge Menschen Thüringen verlassen, dann wird das Problem der Arbeitslosigkeit nicht bewältigt und Städte und Dörfer in Thüringen werden sich nicht weiterentwickeln, im Gegenteil.
Ein Kernpunkt der Reformvorstellungen im Föderalismus für die Linkspartei ist und bleibt die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland, wie sie in Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz festgeschrieben sind. Damit man uns auch hier nicht falsch versteht: Auch für die Linkspartei bedeutet Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht natürliche Uniformität, aber aus unserer Sicht ist es notwendig, gerade im Zusammenhang mit dem europäischen Einigungsprozess und auf der Grundlage der fünfzigjährigen Erfahrung mit dem kooperativen Föderalismus in Deutschland neu zu bestimmen, was sind gleichwertige Lebensverhältnisse, die für Bürge
rinnen und Bürger in allen 16 Bundesländern im 21. Jahrhundert gelten und dementsprechend gemeinsam und solidarisch vor allem über den Bund organisiert, strukturell und finanziell auch abgesichert werden. Wir erwarten im Ergebnis der Föderalismusreformdiskussion, dass der Stellenwert der Städte, Gemeinden und Kreise gestärkt wird und die Reform der Kommunalfinanzen als eine Voraussetzung für die Verlagerung der finanziellen Kompetenzen in die Länder durchgesetzt wird. Gleichzeitig erwarten wir, dass alle Veränderungen im Grundgesetz gründlich überprüft werden, ob sie tatsächlich zu einer höheren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit der Länder und Kommunen und damit zu mehr Möglichkeit für soziale Gerechtigkeit und für die Entwicklung der Region führt.
Meine Damen und Herren der CDU, ich ahne, warum Sie Ihren Alternativantrag gestellt haben und dabei nicht nur gestellt, sondern so allgemein gefasst haben.
Ich gehe davon aus - ich habe ja gesagt, ich ahne, hellseherisch, um Gottes willen -, dass Sie gesagt haben, wir lassen uns doch das wichtige Politikfeld, wir lassen uns doch die Föderalismusdebatte nicht so und schon gar nicht von der Linkspartei bestimmen - akzeptiert. Ich gehe weiter davon aus, dass Sie gesagt haben, wir formulieren das einmal so allgemein, da müssen ja die anderen Fraktionen das verstehen und es auch mittragen. Auch das ist akzeptiert. Aber Sie haben einen gravierenden Fehler in Ihrem Antrag, das nicht im Vorspann und das auch nicht in den Beschlusspunkten, sondern, meine Damen und Herren der CDU, in der Überschrift „Reform des Föderalismus unter Mitwirkung der Bundesländer und Landesparlamente“ ist der Fehler. Wo kommt in Ihrem Antrag die Mitwirkung der Landesparlamente zum Ausdruck? Meine Wahrnehmung dieses Antrags: Der Thüringer Landtag ist nur Zuhörer gegenüber einem Bericht der Landesregierung bei der Darstellung des Diskussionsprozesses und sonst gibt es keine weiteren Mitwirkungs-, geschweige denn Gestaltungsrechte, die Sie beschreiben oder festschreiben. Und wenn denn das so ist, dann haben Sie den Mut und formulieren Sie den Antrag um. Ich habe da zwei Vorschläge, die ich Ihnen geben kann. Entweder „Reform des Föderalismus unter Mitwirkung der Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten“ - dann wäre das auch relativ eindeutig - oder „Reform des Föderalismus unter Ausschluss des Thüringer Landtags“. Dann, meine Damen und Herren der CDU, sollte und könnte die Präsidentin prüfen lassen, ob das dann noch ein Alternativantrag ist.
Meine Damen und Herren der CDU, Ihr Antrag ist entweder ein fahrlässiger Umgang mit Worten oder gar eine gezielte Veralberung der anderen Fraktionen, zumindest aber aus unserer Sicht eine Täuschung der Öffentlichkeit. Wir lassen sie hier nicht durchgehen.
Meine Damen und Herren, ich höre schon Ihre Argumente aus der Mitte des Hauses im Zusammenhang mit unseren Positionen „Bundesstaatsregelungen“, „gleichwertige Lebensverhältnisse“, „Bildungsstandard“ - ja, wieder hellseherische Fähigkeiten -, „staatliche Versorgungsmentalität“, „zentraler Dirigismus“, „rückgewandte DDR“ usw. und so fort.
Ich will noch einmal eindeutig sagen, wir sind für die Stärkung der Landesparlamente, das heißt, deren Mitwirkungsrechte in diesem Diskussionsprozess zum Föderalismus. Wir sind für die Mitnahme in diesem Prozess und die Stärkung der Kommunen als Lebensort von Bürgerinnen und Bürgern. Wir sind für den Wettstreit in politisch und gesellschaftlichen Ideen und Alternativen auch zwischen den Ländern, aber auf dem Prinzip der Solidarität. Wir sind für die Beibehaltung des Solidarpakts II. Dies alles, meine Damen und Herren, bei einer Transparenz für Bürgerinnen und Bürger, die Ihren Vorstellungen gerecht werden kann. Dafür wird die Linkspartei im Diskussionsprozess zum Föderalismus über das Land Thüringen hinaus stehen.
Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung beider Anträge an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Danke.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass wir zu diesem Antrag der Linkspartei.PDS-Frakion durchaus, wenn auch einen kurzen, aber doch einen Diskurs in die jüngere Historie zum Thema „Föderalismuskommission“ unbedingt unternehmen müssen, weil ich der Meinung bin, dass der Antrag, den Sie zumindest in der Ziffer 2 formuliert haben, den tatsächlichen Stand
zum Thema Föderalismusreform in keiner Weise widerspiegelt. Klar ist, dass wir uns noch lange nicht am Ende dieses Prozesses befinden. Aber, wie gesagt, ich denke, er ist wesentlich weiter vorangeschritten, als das, was Sie mit Ihrem Antrag uns glauben machen wollen.
Meine Damen und Herren, Stichwort „Münte“. Gutes Stichwort, Herr Kollege Buse. Wir haben alle noch die Bilder vor Augen, als Edmund und Franz voller Stolz und Freude verkündeten, eine Einigung in der Föderalismuskommission, die ja bekanntlich aus Vertretern des Bundestages, des Bundesrates unter Mitwirkung der Bundesregierung bestanden hat, stehe kurz bevor. Das war im Spätherbst 2004. Ganz kurze Zeit später, kurz vor Weihnachten 2004, geschah das, was kaum noch jemand für möglich gehalten hatte, die Kommission scheiterte. Das große Ziel der Entflechtungen der Beziehungen zwischen Bund und den Ländern wurde - so wurde es zumindest in einigen großen Zeitungen kommentiert - auf dem Altar der Parteipolitik geopfert. Gegenseitige - ich betone ausdrücklich „gegenseitige“ - Schuldzuweisungen waren die Folge. Ich als Sozialdemokrat, ich mache keinen Hehl daraus, habe zwar eine klare Meinung über das Wirken der Kochs und Wulffs, doch das wollen wir jetzt hier an dieser Stelle nicht vertiefen. Obwohl das Thema „Zuständigkeit für Bildung“ eigentlich (leider) aus dem Verhandlungskatalog ausgeklammert war - jedenfalls damals -, musste dieses Thema nun zur Begründung in der Hauptsache für das Scheitern dienen.
Meine Damen und Herren, vollziehen wir einen weiteren zeitlichen Sprung. Die Neuwahlen zum 16. Deutschen Bundestag waren vorbei und für fast alle Beteiligten mit ziemlich überraschenden Ergebnissen. Ich muss das sicherlich nicht näher erläutern. Wenig überraschend dann eine logische Folge aus dem Wahlergebnis: die Bildung einer großen Koalition. Jetzt standen plötzlich die gleichen Matadoren in der Arena wie knapp ein Jahr zuvor und mussten untereinander vereinbaren, wie man ein ganzes Land mit dem politischen und wirtschaftlichen Anspruch Deutschlands nun gemeinsam regieren möchte. Was lag also näher, als die schon einmal von den gleichen Partnern vereinbarten Ergebnisse aus der Föderalismuskommission nicht nur wieder zu beleben, sondern gleich zum Bestandteil des Koalitionsvertrags zu erheben, sozusagen der Kompromiss im Kompromiss. Herr Arentz verzeiht mir das jetzt, sozusagen ein embedding-compromise. Nun wissen wir alle mit den Vorteilen, aber auch mit den Nachteilen von Kompromissen an sich umzugehen. Eins, meine Damen und Herren, steht auch fest: Kritiker von Kompromissen gibt es ungefähr so viele wie selbst er
nannte Fußballbundestrainer. Jeder, aber wirklich jeder, der sich äußert, weiß es auch besser. Aber nun ganz ernsthaft, es ist ja nun beileibe nicht so, dass es aus den unterschiedlichen Blickwinkeln - und ich betone -, aus den unterschiedlichen Blickwinkeln nicht einigen Anlass zur besorgten Nachfrage über Auswirkungen verschiedener Änderungen gäbe. Wie heißt es doch so schön? Sie müssten das kennen: Man soll die Dinge vom Ende her denken. Nun denke ich mal aus der Sicht eines ostdeutschen Bundeslands über die Frage einer Öffnungsklausel im Beamtenrecht vom Ende her nach. Öffentliches Dienstrecht inklusive Laufbahnrecht in Länderhoheit. Ich kann zwar verstehen, dass einige Länderfinanzminister sich hin und wieder über die Tarifabschlüsse des Bundesinnenministers geärgert haben. Erstaunlicherweise haben die sich aber am meisten geärgert, die sich die Abschlüsse eigentlich leisten könnten. Sie wollen sie aber nicht mehr leisten, weil sie es denen, die sich das eigentlich nicht leisten können, auch noch mitfinanzieren sollen. Jetzt sollen die Länder sich ihre Beamten so finanzieren, wie sie es sich leisten können. Aber was passiert dann in Thüringen, meine Damen und Herren?
Wir haben eigentlich viel zu viele Beamte, die wir uns nicht leisten können - eigentlich. Also müssten wir die Besoldung der Beamten unserem Leistungsstand anpassen - eigentlich. Das heißt, sie kriegen entweder weniger oder zumindest auf mittlere Sicht erst mal nicht mehr. Damit können die sich nun wieder weniger angesichts steigender Kosten leisten, was dazu führen kann, dass die guten Köpfe uns den Rücken kehren. Das ist eine Sicht vom Ende her gedacht.
Meine Damen und Herren, denken wir einen anderen Punkt aus dem Papier zur Föderalismuskommission aus der Sicht vieler, ich kann mit Fug und Recht sagen, Fachminister bzw. Fachleute auch mal vom Ende her. Stichwort Strafvollzug: Ich habe mir sagen lassen, erst in den 70er-Jahren wurde der Bund dafür allein zuständig, vor allem wegen der Einheitlichkeit von Strafrecht und Strafvollzug. Sicher gibt es jetzt in dieser Frage schon Unterschiede in den einzelnen Ländern und vor allem für Thüringen einigen Nachholbedarf, wenn ich da an Hohenleuben oder Untermaßfeld denke. Es gibt bundesweite Standards für die Unterbringung. Was passiert aber mit diesen Standards, wenn der Vollzug allein den Ländern obliegt, wenn sie noch mehr als jetzt haushalterischen Zwängen unterliegen? Ich sage es ganz deutlich, meine Damen und Herren, die Versuchung ist groß, bei denen zuerst zu sparen, die die Normen unserer Gesellschaft verlassen haben, und zwar genau mit dieser Begründung.
Es ist wohl auch nicht ausgeschlossen, dass künftig ein Wettbewerb zum Beispiel um die härtesten Bedingungen im Strafvollzug entstehen könnte zwi
schen den Ländern. Diese Gefahr hat selbst der Herr Minister im letzten Ausschuss nicht ausschließen wollen. Wollen wir das wirklich?