Protokoll der Sitzung vom 08.06.2006

Sie schreiben selber in der Begründung zu Ihrem Antrag, dass Sie am 10.02.2006 schon einen ähnlichen Antrag an den Bundesrat geschickt haben.

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Das ist ein anderer.)

Ja, aber der beschäftigt sich genauso mit der Thematik und der hat bisher zu keinem Ergebnis geführt. Ich glaube nicht, dass die Dringlichkeit für diesen Antrag so besteht, dass - wenn dieser heute nicht beschlossen wird - dann irgendetwas verloren geht. Ich werde nachher auch aus Dokumenten zitieren, die das noch einmal ganz klarlegen. Mir wäre es ganz einfach wichtiger gewesen, wir hätten uns mehr Zeit genommen - und wenn wir uns dabei auch richtig gestritten hätten -, dieses Thema zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Die zweimal fünf Minuten „Aktuelle Stunde“ können in keiner Art und Weise befriedigend sein und ich sehe auch im Alternativantrag von der Linkspartei.PDS schlicht und einfach Ansätze, die sagen, wir sollten dieses miteinander ausdiskutieren und sollten miteinander versuchen, gemeinsame Wege zu beschreiten. Ich habe übrigens auch keine Probleme, wenn das im Streit nicht geht. Das gehört für mich zu einer demokratischen Auseinandersetzung dazu. Ich hätte mir intensivere Gespräche mit der Gauck- und der Birthler-Behörde auch von Thüringen aus gewünscht, denn der aktuelle Stand der Debatte

auf Bundesebene, insbesondere im Bundestag, geht weit über das hinaus, was im CDU-Antrag formuliert ist. Ich hätte mir gewünscht, dass wir diese Gespräche dann in die Partei hineinführen. Um das auch einmal ganz deutlich zu sagen, der Bundesrat kann meinetwegen morgen oder übermorgen beschließen, was er will, es sind die Bundestagsabgeordneten, die wir auf unserer Seite haben müssen, die dann das entsprechende Gesetz novellieren oder nicht oder in der Art und Weise novellieren, wie sie es tun. Das heißt, wir brauchen die Bundestagsabgeordneten, wir brauchen die Mitglieder in unserer Partei und dazu brauchen wir die Debatte. Das hätte ich mir gewünscht. Und dann, wenn es wahrscheinlich Herbst wird, wenn der Bundestag entschieden hat, wie er mit dem Stasiunterlagengesetz in Zukunft umgeht, dann wäre die Zeit reif für die Debatte hier in Thüringen - ich will mal sagen -, welcher Thüringer Weg daraus folgt. Alle neuen Bundesländer haben sich ihre eigenen Wege gesucht aufgrund von Mehrheitsentscheidungen dort in den Parlamenten. Ich glaube, diese Entscheidung, welches der Thüringer Weg ist, hätte einer eingehenden Debatte bedurft. Fest steht für mich, es gibt ein Urteil vom Landesverfassungsgericht und das Verfahren, was wir im Augenblick in Thüringen haben, halte ich für zutiefst unbefriedigend. Die Unwürdigkeit eines Abgeordneten festzustellen, ohne dass dieses Folgen hat, gibt dieses Verfahren meiner Meinung nach außerhalb des Landtags der ganzen Sache ein Stückchen der Lächerlichkeit preis. Wir gerieren uns wie Tiger, die springen und nie zur Landung kommen. Insofern reicht es nicht nur, über das Stasiunterlagengesetz auf Bundesebene zu diskutieren, sondern wir müssen, weil die Vorgaben vom Landesverfassungsgerichtshof nun mal da sind, uns überlegen, wie wir in Thüringen zukünftig mit der Wertung von solchen Fragen umgehen.

Meine Damen und Herren, deshalb sage ich auch, der CDU-Antrag insgesamt überzeugt uns nicht. Er ist oberflächlich, auch in der Art und Weise, wie er den zukünftig zu überprüfenden Personenkreis definiert. Wir sind in unserem SPD-Alternativantrag erstens sehr viel spezifischer; zweitens, wir sind deckungsgleich mit dem, was im Augenblick in der Gauck- bzw. Birthler-Behörde diskutiert wird. Ich will das offen sagen, das ist für uns auch wichtig, dass wir uns mit denen, die sich in den letzten 15 Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigen, im Einklang befinden. Mein Fraktionsvorsitzender hat in der Aktuellen Stunde sehr wohl formuliert, dass wir die Novelle des Stasiunterlagengesetzes aufgrund der Vorschläge der Gauck- bzw. Birthler-Behörde wünschen; übrigens ähnlich der Systematik, die die PDS vorschlägt, nämlich nicht einfach zu verlängern, sondern auslaufen zu lassen und in den §§ 20, 21 den Personenkreis ohne Fristen zu formulieren; das ist deckungsgleich mit dem, was die Gauck- bzw. BirthlerBehörde vorschlagen. Wenn ich das recht - ich habe

die aktuellen Unterlagen da, ich kann Sie Ihnen gern zeigen -

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Ich habe sie auch hier.)

verstehe, ist das auch deckungsgleich mit dem, was die Stasibeauftragte hier in Thüringen fordert, die sich nämlich diesem Verfahren, dieser Verhaltensweise der Gauck- bzw. Birthler-Behörde immer angeschlossen hat. Deshalb, meine Damen und Herren von der CDU, ich verstehe diese große Unschärfe in Ihrem Antrag überhaupt nicht und kann das auch nicht nachvollziehen. Fest steht, dass, wenn man das Gespräch mit Gauck und Birthler sucht, der Alternativantrag der SPD in jedem Fall zielführender, weil konkreter und abgestimmter ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, was die Frage der Rehabilitierung betrifft, sehe ich überhaupt gar keine Probleme. Ich gestehe zu, dass ich den PDS-Alternativantrag heute früh nur einmal überflogen habe, aber so, wie ich das da rauslese, sind wir im Prinzip in allen drei Anträgen deckungsgleich, was die Rehabilitierung betrifft.

Kommen wir zum Thema „Opferrente“. Ich sage es noch einmal: Die Aufarbeitung der SED-Diktatur erscheint mir insgesamt im Wesentlichen nicht dazu angetan, erstens oberflächlich mit dem Thema umzugehen, zweitens Bedürfnisse zu wecken, wo wir nicht wissen, wie wir diese erfüllen können. Es drängt sich insbesondere bei der Frage Opferrente im CDUAntrag so ein bisschen der Eindruck auf, es geht ein bisschen mehr um die politische Aktion als um die Inhalte. Um das klar zu sagen: Zum Thema „Opferrente“ hat die große Koalition in Berlin alles klar und eindeutig geklärt. Es bedarf keiner Bundesratsinitiative in dieser Frage. Und wer das bisher immer noch nicht versteht, auch für den Herrn Sozialminister will ich mal zitieren aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD: „Wir wollen die Situation der Opfer der SED-Diktatur mit geeigneten Maßnahmen verbessern. In Frage kommen hierfür u.a. die Aufstockung der Mittel für die Häftlingshilfestiftung, die Einführung einer Opferpension oder die Einrichtung eines effektiven Verfahrens zur Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Die Stiftung ‚Aufarbeitung der SED-Diktatur’ und der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des ehemaligen MfS der DDR werden durch die Schaffung eines Gesamtkonzeptes unterstützt.“

Meine Damen und Herren von der CDU, wir vertrauen der SPD in den Fragen, die die Einhaltung des Koalitionsvertrags betreffen. Ich muss Sie nach

Ihrem Antrag fragen: Vertrauen Sie eigentlich Ihren Bundestagsabgeordneten überhaupt noch?

(Beifall bei der SPD)

Es ist klar und deutlich festgelegt im Koalitionsvertrag und dieser Koalitionsvertrag wird so umgesetzt. Es wird ja mittlerweile zum Hobby, dass sich der eine oder andere immer mal wieder äußert, im Wesentlichen weil er wahrscheinlich der Meinung ist, er ist lange nicht in den Medien gewesen, dass er sich mal anders zu diesem Thema äußert. Aber der Koalitionsvertrag steht, der Koalitionsvertrag ist unterschrieben und deshalb sage ich noch mal deutlich: Bei der Frage Opferrente gibt es keinen Nachholbedarf.

Es bedarf aber auch eines Satzes der Ehrlichkeit: Es gibt einen Grund, warum der Begriff „Opferrente“ so ausformuliert im Koalitionsvertrag nicht vorkommt. Der wesentliche Grund dafür ist, dass die, die sich im juristischen Bereich besser auskennen als der eine oder andere hier im Haus - das betrifft auch mich - sowohl auf SPD- wie auf CDU-Seite, Schwierigkeiten mit dem Begriff Opferrente haben, weil er in der Umsetzung dazu führen kann - es wird so eine Art Präzedenzfall geschaffen -, dass auch andere Opfer anderer Diktaturen dann in der Lage sind, Ansprüche geltend zu machen. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass die Diskussion in den beiden großen Volksparteien geführt wird und noch nicht entschieden ist. Da ist auch ein Bundesratsantrag nicht hilfreich, weil er die Diskussion nicht voranführt, sondern wie in diesem Fall schlicht und einfach ein Schaufensterantrag ist, der nach außen etwas suggerieren soll, der einer bestimmten Partei ein bestimmtes Etikett geben soll. Aber ich sage es noch mal: Ich bin nicht der Meinung, dass man, wenn man über die Opfer der SED-Diktatur spricht, diese politische Etikette in den Vordergrund schieben soll. Wir sollten uns darum bemühen, dass an dieser Stelle noch mehr passiert. Dazu haben sich in der letzten Zeit übrigens auch sehr viele CDU- und SPDBundestagsabgeordnete geäußert. Auch deshalb, meine Damen und Herren, bedarf es dieser Bundesratsinitiative nicht an dieser Stelle. Ich möchte - und ich spreche hier für meine Fraktion - heute keine Beschlussfassung zu diesen Anträgen. Ich möchte, dass diese Anträge an die Ausschüsse gehen und dass wir miteinander darüber reden. Ich möchte nicht, dass wir hier wieder mit Etiketten rauslaufen und dass dann hinterher die Presseinterviews gegeben werden, was wir heute so viel geleistet haben. Wir haben nichts geleistet. Wenn einer dieser Anträge heute verabschiedet wird oder einer dieser Anträge heute eben nicht verabschiedet wird, dann haben wir gar nichts geleistet. Wir sollten uns der Debatte stellen - vor Streit muss ja keiner im Haus Angst haben, wir müssen auch nicht jeden Beschluss einstimmig

fassen, so ist das nun mal in der Demokratie -, aber wir sollten hier nicht anfangen, den Leuten vorzugaukeln, insbesondere den Opfern vorzugaukeln, als hätten wir uns heute nur einen Millimeter bewegt.

Ich will es noch mal deutlich sagen: Wir wollen - und das zum Abschluss von Seiten der Fraktion der SPD -, dass zukünftig auch ein besonderer Personenkreis, die, die im öffentlichen Leben stehen - die im öffentlichen Dienst werden mit der Regelanfrage konfrontiert werden -, dort überprüft wird. Wir wollen, dass dieses auch für Landtagsabgeordnete gilt. Wir wollen über das Stasiunterlagengesetz, über dieses bisherige Thüringer Verfahren reden. Wir wollen die Rehabilitierung und wir wollen eine bessere Entschädigung der Opfer. Wir halten aber den CDU-Antrag für wenig geeignet, da irgendetwas wirklich progressiv nach vorn zu bringen. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Herr Abgeordneter Gentzel, könnten Sie bitte präzisieren, an welche Ausschüsse die Anträge gehen sollen?

Ja, weil ich da auch ein bisschen betroffen bin, sage ich erst mal unvoreingenommen: Tun wir es doch federführend in den Innenausschuss und ich glaube, gerade in den Fragen Opferrente sollte der Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten auf jeden Fall ein Wörtchen mitzureden haben. Ob wir dann ein anderes Verfahren finden, wo und wie wir das miteinander besprechen, ist dann egal. Also dann beantrage ich, federführend an den Innenausschuss und begleitend an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten zu überweisen. Danke.

Danke schön. Für die Fraktion der CDU hat sich der Abgeordnete Dr. Krause zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Gentzel, Sie haben schon Recht in einigen Dingen, aber es wäre schön gewesen, Ihr Änderungsantrag wäre nicht erst gestern zu uns gekommen, weil man dann über einige Sachen schon hätte reden können,

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Das tut mir leid.)

gerade was die Differenzierung betrifft in der Stasiunterlagensache.

Meine Damen und Herren, in einem Aufruf zur Gründung einer neuen Linken haben vor wenigen Tagen die Herren Lafontaine, Gysi und Bisky das eigene politische Lager zu einem neuen Anlauf aufgefordert, um - ich darf zitieren - „die Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft zu überwinden.“ Man könnte das abtun als verbales Nachtreten auswechslungsreifer Verlierer, die bisher allesamt, wenn ich mich recht erinnere, wenig geneigt waren, die smarten Seiten des Kapitalismus zu verschmähen;

(Beifall bei der CDU)

aber die Sache ist natürlich viel grundsätzlicher. Solche anachronistischen Strategiethesen zeigen, wohin eine unbelehrbare deutsche Linke nach wie vor steuert und wie klassenkämpferisch sie die Welt, die sie verändern möchte, nach wie vor interpretiert. Und weil der Anlauf gegen den Kapitalismus entgegen allen Lippenbekenntnissen einhergehen muss mit einer Rechtfertigung, mit einer Verharmlosung der eigenen Geschichte und weil das Verniedlichen der DDR mittlerweile immer offener und frecher zu Tage tritt

(Beifall bei der CDU)

und weil wir ahnen, was der Änderungsantrag der Linkspartei mit der Forderung nach einer anderen Form der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte, mit der Kritik an einer angeblichen Einseitigkeit der Darstellung der DDR eigentlich meint, deshalb ist so ein Antrag wie der vorliegende der CDU und auch der Änderungsantrag der SPD nötig, deshalb ist die heutige Debatte unverzichtbar.

Meine Damen und Herren, eine noch von der Regierung Schröder eingesetzte Expertenkommission, die Sabrow-Kommission, lobte jüngst sowohl die Dimension als auch die Qualität des wissenschaftlichen Umgangs mit dem SED-Staat, bedauerte aber die nachlassende Vermittlung in den Schulen, das Verblassen des politischen Interesses sowie die Trivialisierung des politischen Systems der DDR in der veröffentlichten Meinung. Freya Klier, Mitglied der Kommission, gab sogar ein Sondervotum ab. Ihr Vorwurf lautet: Die Kommission selbst akzeptiere, dass die DDR wie ein abgeschlossenes historisches Gebilde behandelt werde, und darin liegt ein wirkliches Problem. Sind SED-Diktatur und so genannter DDRAlltag etwas ganz anderes? Und: Wie viel Historisierung verträgt das seltsame politische Gebilde namens DDR und inwiefern ist es politisch tatsächlich untot?

Die Aufarbeitung des Ulbricht- und Honecker-Regimes ist, so meinen wir, alles andere als beendet.

Das große Vergessen kann noch nicht angesagt sein. Es gibt eine demokratische Pflicht, an das trostlose staatliche Gegenteil eines freien und freiheitlichen Gemeinwesens zu erinnern, an die - um im Jargon zu bleiben - barbarischen kommunistischen Experimente am lebenden Menschen. Es gibt eine Selbsterhaltungspflicht des freiheitlichen Rechtsstaats und die warnt uns davor, mit Fukuyamas liberaler These vom Ende der Geschichte im Gepäck in die Historisierungsfalle zu laufen. Also gehört die Unterstützung der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag ganz klar denjenigen, die früh antikommunistischen Widerstand geleistet haben, die in Speziallagern und Zuchthäusern und Gefängnissen der SBZ und DDR aus politischen Gründen gelitten haben, und zwar in aller Regel schwer, und die an erster Stelle dafür zuständig waren,

(Beifall bei der CDU)

dass die Mauer gefallen ist.

Meine Damen und Herren, wir bitten die Landesregierung in unserem Antrag um drei Dinge, nämlich:

Erstens, sie möge sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Stasiüberprüfung, insbesondere von Beschäftigten im öffentlichen Dienst wie Mandatsträgern, auch nach 2006 möglich bleibt und dass deshalb die im Stasiunterlagengesetz geregelte Frist von 15 Jahren für den Zugriff auf die Unterlagen verlängert wird. Wir sehen uns hier durchaus im Einklang mit den Forderungen der Opferverbände. Ende dieses Jahres läuft diese Frist aus, doch die Zeit ist noch nicht reif für einen Schlussstrich. Ullrich Mühe antwortete vor wenigen Tagen auf die Frage, wann Schluss sein müsse mit der Aufarbeitung der Stasiakten: Da könne - ich darf zitieren - „überhaupt nicht Schluss sein; vielleicht in 50 Jahren. Mich wird es beschäftigen, bis ich in die Grube fahre.“

Meine Damen und Herren, wann Schluss ist, sollten tatsächlich diejenigen entscheiden, die Ziel der vielfältigen aggressiven und skrupellosen Maßnahmen der DDR-Staatspolizei waren, und auch nur ihnen steht die Forderung nach einer Neuakzentuierung zu. Es geht uns, um das klarzustellen, nicht nur um die fortdauernde Möglichkeit individueller Klärung eigener Lebensgeschichten, es geht uns erst recht nicht um eine bloße Moralisierung von Historie, aber die tiefen, wirklichen und persönlichen Wunden sind längst nicht geheilt; sie werden sogar jüngst immer unverschämter wieder aufgerissen und das hat nichts mit Selbstverstümmelung zu tun. Wir fordern deshalb unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit die Fortsetzung von Einzelprüfungen.

(Beifall bei der CDU)

Wir wissen, dass Zeit ins Land gegangen ist, aber nicht genug, und selbst genug wird wohl vorerst nicht genügen. Es geht um ein Signal; es geht um mehr als ein Signal. Wir wollen, dass diejenigen, die Gesetze bei uns erlassen und umsetzen, die für Bildung und besonders politische Bildung zuständig sind, schlicht sauber sind und nicht nur sauber erscheinen.

(Beifall bei der CDU)

Der Linkspartei.PDS-Antrag unterstellt, die aktuelle politische Aufarbeitung der DDR fixiere Repressionen und Überwachungen. Richtig ist, dass sich zwar die Forschung, viel weniger jedoch die sinnliche Vermittlung der DDR-Geschichte auf Merkmale des politischen Systems konzentriert, und dieses System bedurfte nun einmal, um als Diktatur an der Macht zu bleiben, wesentlich der staatlichen Repression und einer einzigartigen Überwachungspolizei. Jüngst hatte ich an dieser Stelle die Fokussierung auf das MfS kritisiert, weil diese Betrachtungsweise von den eigentlichen Hierarchiestufen ablenkt, weil sie Befehlende und Ausführende vertauscht. Dass die politische Polizei der DDR, die hemmungslos so genannte Staatsfeinde bekämpfte, „das Leben der anderen“ in krimineller Art zersetzt hat, steht offenbar in der allgemeinen Wahrnehmung nicht zu Unrecht für das gesamte diktatorische System: als hauptamtliche Elite, als Schild und Schwert wie als niederträchtiges Spitzelgeflecht.

Politische Begriffe sind bekanntermaßen polemische Begriffe. Wir streiten über den politischen Weg unserer Gesellschaft, unserer Nation, unseres Landes. Wir sagen, nicht zuletzt mit dem Verweisen auf das Gewesene und Überholte, was wir nicht mehr und nie wieder wollen. Wir stellen uns also mit unserem Antrag der retrospektiven Relativierung einer politischen Idee entgegen, und zwar in der Trennung dieser Idee von der Wirklichkeit, der einsetzenden Verklärung des SED-Staates, der zunehmenden Dominanz des Lächerlichen und Lustigen und Mittelmäßigen in der Darstellung der DDR, als sei die DDR ein großer „Kessel Buntes“ gewesen mit viel Freiraum für „Außenseiter und Spitzenreiter“.

Meine Damen und Herren, der so genannte Alltag lässt sich ganz und gar nicht trennen von der politischen Wirklichkeit in einer durchherrschten, geschlossenen Gesellschaft. Sicher, unter einem repressiven, allgegenwärtigen Regime muss man, um zu überleben, um überhaupt zu leben, Kompromisse schließen, auch faule, aber diese Einsicht reicht nicht, um alles zu nivellieren, um Täter und Opfer, um Bonzen, Mitläufer, Oppositionelle, um Anständige und Zuträger im Alltagsgrau einer Gesellschaft ununterscheidbar werden zu lassen. Die Rede der Linkspartei.PDS vom neuen Blick auf die Gesamtverantwortung der DDR ist nichts weniger als ein ebenso kläg

licher wie dreister Versuch, den eigentlichen Charakter des SED-Staates zu verschleiern.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich benötigt die DDR-Aufarbeitung Perspektiverweiterung, wie die Sabrow-Kommission vorschlägt. Aber das heißt nicht, den politischen Brennpunkt aufzugeben. Weg von der Stasi darf nur heißen: hin zum ganzen Staatsgebilde DDR, und nichts spricht gegen den Wesensbegriff „totalitär“. Die im Änderungsantrag von der Linkspartei.PDS geforderte Öffnung westdeutscher Archive ist übrigens ein typisches Indiz der Kenntnislosigkeit und ein Indiz für die zugrunde liegende geschichtsrevisionistische Neigung, für die Gleichsetzung von offenen und geschlossenen Gesellschaften, für die Vermischung von bürgerlichen Rechtsstaatsprinzipien mit Prämissen einer so genannten Diktatur des Proletariats. Was aber sowohl an der historischen Forschung wie der öffentlichen und unveröffentlichten Auseinandersetzung mit der DDR wirklich zu beklagen ist, ist die stiefmütterliche Behandlung der Gegner der SED, historisch wie aktuell. Diese Menschen passen offenbar mit ihrem Freiheitsbegehren nicht in ein schiefes geschichtsphilosophisches Bild, dass sich auch ein großer Teil der westdeutschen Linken zu eigen gemacht hat, und zwar nachhaltig. Die Notwendigkeit, meine Damen und Herren, unseres Antrags begründet sich schon dadurch, dass die Fraktion der Linkspartei.PDS nicht den Willen gezeigt hat, sich von parlamentsunwürdigen Mitgliedern aus eigener Kraft zu trennen.

(Beifall bei der CDU)

Wir verfallen im Übrigen nicht dem Wahn, eine perfekte Bewältigung der Geschichte zu suchen. Geschichte ist stets erinnernde Selektion und selektive Erinnerung, ist Interpretation. Es gibt für uns eine Pflicht, diese Geschichte aus demokratischer und freiheitlicher Perspektive zu interpretieren und all unsere Vorurteile dieser Interpretation zu Grunde zu legen. Diese Vorurteile resultieren aus unserem politischen Glauben an das freie Individuum, den mündigen Bürger, die offene Gesellschaft, den Rechtsstaat. Aus dieser demokratischen Sicht war die DDR eben das, als was sie 1989 unterging, ein Staat ohne Recht und ohne Freiheit und ohne wirtschaftliche und ohne soziale Perspektive. Es ist, ich bekräftige das, zu früh für eine Historisierung der DDR. Wir müssen dagegen die Opfer des Kommunismus viel stärker politisieren, deutlich politisch historisch rehabilitieren.