Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Einen Tag vor diesem Interview von Jean-Claude Juncker haben Sie im „Tagesspiegel“ am Sonntag war das, glaube ich, erneut einen flexibleren Kündigungsschutz gefordert. Heute, in Ihrer Regierungserklärung, haben Sie wieder davon gesprochen, Sie wollen Verkrustungen am Arbeitsmarkt aufbrechen. Manchmal frage ich mich, wie Sie eigentlich die Wirklichkeit wahrnehmen hier im Land. Es sind doch in Thüringen massenhaft Menschen entlassen worden und immer wieder erleben wir das. Wo ist denn da die Verkrustung am Arbeitsmarkt? Viele mussten sich umorientieren, neue Arbeit suchen, manche ganz von vorn anfangen. 80 Prozent aller Menschen in Thüringen haben seit der Wende einen neuen Beruf gelernt, mussten sich neu orientieren. Die meisten sind bereit, heute jede Arbeit anzunehmen. Nirgendwo anders in Deutschland nehmen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so weite Wege in Kauf wie in Thüringen. Jeder siebte Thüringer pendelt heute, um zu seinem Job zu gelangen. Und nirgendwo sonst müssen Menschen mit so niedrigen Löhnen leben wie in Thüringen. Ein Thüringer Industriefacharbeiter verdient 700 € im Durchschnitt weniger als Kollegen im Bundesdurchschnitt. Und das alles, Herr Ministerpräsident, nennen Sie Verkrustungen am Arbeitsmarkt. Da kann ich mich nur fragen, wo leben Sie eigentlich? Ich finde, mit solchen Diffamierungen beleidigen Sie viele, die eigentlich Anerkennung verdient hätten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich bin auch der Überzeugung, so wie Jean-Claude Juncker das sagt, Menschen brauchen soziale Schutzrechte. Das gilt im Übrigen auch für die Entlohnung. Ich bin überzeugt, wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Da, wo die Gewerkschaften nicht mehr die Kraft besitzen, über die Tarifautonomie dafür zu sorgen, dass bestimmte Standards gehalten werden können, ist der Staat gefragt, für diese sozialen Schutzrechte zu sorgen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich kann Ihnen nur raten, Herr Ministerpräsident, geben Sie Ihre Denkblockade beim Mindestlohn auf. Mindestlöhne sind kein Teufelszeug, Mindestlöhne sind machbar, es funktioniert. Es funktioniert in Großbritannien, es funktioniert in Frankreich, es funktioniert in den Niederlanden und es funktioniert auch in Luxemburg bei Jean-Claude Juncker. Übrigens hat Luxemburg die höchsten gesetzlichen Mindestlöhne in der Europäischen Union.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Die ha- ben auch ein anderes Sozialsystem.)

Was nicht funktioniert, Herr Althaus, ist Ihr Versuch, Thüringen weiterhin zu einem Niedriglohnland zu machen, das treibt nur noch mehr Menschen aus Thüringen heraus.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Bevölkerungsrückgang in Thüringen hat sich in diesem Jahr wieder beschleunigt. Wir haben allein in den ersten sechs Monaten im Saldo durch Wanderungsbewegungen über 6.000 Menschen verloren, in einem halben Jahr sozusagen eine Kleinstadt. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn über 70 Prozent der Thüringer im Thüringen-Monitor sagen, dass die Abwanderung ein großes Problem ist. Aber erst nach intensivem Drängen der SPD-Fraktion hat die Landesregierung überhaupt einen Demographiebericht vorgelegt. Vorher war die einzige Aussage, die wir dazu von der Landesregierung bekommen konnten, die von Herrn Trautvetter: „Die Thüringer sterben schon nicht aus“. Natürlich sterben die nicht aus, aber wir haben trotzdem ein demographisches Problem, mit dem wir politisch umgehen müssen und in diesem Demographiebericht stehen sogar ganz konkrete Empfehlungen drin. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die mal nachzulesen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Da steht zum Beispiel drin: „Um den Abwanderungsprozess zu stoppen und in ein positives Zuwanderungsgeschehen umzukehren, müssen die Arbeits-, Ausbildungs- und Studienbedingungen an den Thüringer Hochschulen weiter verbessert werden“. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie vielleicht dazu heute etwas sagen, wie Sie diese Empfehlungen aus dem Demographiebericht umsetzen wollen. Stattdessen speisen Sie uns hier mit Allgemeinplätzen ab. Die SPD hat zum Beispiel eine andere Hochschulfinanzierung vorgeschlagen, einen Vorteilsausgleich nach dem Vorbild der Schweizer Hochschulfinanzierung. Jedes Bundesland zahlt für die Studierenden, die aus dem Bundesland kommen, die Studienplätze. Das hätte eine ganze Reihe Vorteile für Thüringen und die anderen ostdeutschen Bundesländer. Wir könnten nämlich dafür sorgen, dass mehr Studierende aus anderen Bundesländern hierherkommen und damit gleichzeitig für eine bessere Finanzierung unserer

Hochschulen sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Menschen erst einmal hier sind und hier studieren, wissen wir doch, dass viele auch versuchen, sich im Umfeld ihres Studienortes eine Existenz aufzubauen. Wir hätten damit eine Möglichkeit, junge Menschen, gute Leute hier ins Land zu holen - davon keine Rede. Warum unterstützen Sie einen solchen Finanzierungsvorschlag nicht, wie ihn der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister gemacht hat? Stattdessen gibt es Überlegungen in der Landesregierung, Studienplätze abzubauen. Ich kann das nicht nachvollziehen, Herr Ministerpräsident.

Ich vermisse auch heute wieder Aussagen dazu, wie Sie mit dem trotz allem unvermeidlichen Bevölkerungsrückgang umgehen wollen. Wann kommt endlich eine durchgreifende Verwaltungs- und Gebietsreform, die für mehr Kosteneffizienz sorgt? Alle reden darüber, nur der Ministerpräsident steckt den Kopf in den Sand. Sie haben vorhin in Ihrer Rede gesagt: „Wir müssen uns noch aufgeschlossener dem Strukturwandel stellen.“ Da sage ich, ja, wir müssen uns noch aufgeschlossener dem Strukturwandel stellen. Aber das gilt auch für die Frage einer Verwaltungs- und Gebietsreform. Alle anderen um uns herum sind mitten dabei, nur in Thüringen scheint das alles offensichtlich nicht notwendig zu sein. Ich weiß nicht, wie Sie die Probleme sonst in den Griff bekommen wollen; mit der Umwandlung der Verwaltungsgemeinschaften in Verbandsgemeinden mit Sicherheit nicht, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch einmal zur Familienpolitik zurückkommen. Ich muss schon sagen, was Sie hier vorgetragen haben, war entweder eine Frechheit oder kompletter Realitätsverlust. Ich weiß nicht, wie ich das anders interpretieren soll. Auf die Frage, was besser geeignet ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu garantieren, sagen drei Viertel aller Thüringer, wir wollen lieber, dass das Geld in die Kindergartenplätze fließt, als dass es den Eltern gegeben wird. Sie machen das konkrete Gegenteil von dem mit Ihrer Familienoffensive. Sie verlieren kein Wort zu dem offensichtlichen Widerspruch zu dem, was die Thüringer wollen. Im Gegenteil: Sie suggerieren in Ihrer Rede, die Thüringer würden Ihnen Recht geben im Thüringen-Monitor. Sie ignorieren einfach, was die Mehrheit in diesem Land will, um Ihr konservatives Familienbild durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich an die letzte Umfrage erinnern, dann können Sie sogar feststellen: Der Anteil derjenigen,

die Ihre Art von Familienpolitik ablehnen, ist sogar noch um 10 Prozent gewachsen. Wie lange wollen Sie eigentlich noch Familienpolitik gegen die Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer machen? Ich fordere Sie an dieser Stelle noch einmal auf: Ziehen Sie Ihre Familienoffensive zurück, finanzieren Sie endlich die Kindergärten vernünftig!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit: Thüringen zahlt die meisten Zuschüsse, Herr Matschie.)

Ja, getroffene Hunde bellen, Herr Minister. „Getroffene Hunde bellen“, sagt ein altes Sprichwort.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Thüringen-Monitor zeigt auch in diesem Jahr, wie die Menschen im Land zur Demokratie stehen. Vier von fünf Thüringern bejahen unsere offene Gesellschaft und die demokratische Staatsform. Das ist gut so. Nicht alle sind zufriedene Demokraten, auch das sagt der Thüringen-Monitor. Das muss uns nachdenklich machen. Es gibt im Durchschnitt in Thüringen auch weniger zufriedene Demokraten als im Bundesdurchschnitt; auch das sollte uns nachdenklich machen.

Die Zahlen des Thüringen-Monitors sagen auch: Der Rechtsextremismus bleibt ein dauerhaftes Problem. Deshalb sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich, werte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen die Auseinandersetzung der gesamten Gesellschaft mit dem Rechtsextremismus. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, auch nach der Entwicklung der letzten Jahre, dass die Überlegung, die wir vor weit einem Jahr in den Thüringen Landtag eingebracht haben, nämlich eine Nulltolleranzstrategie gegen Rechtsextremismus zu entwickeln und durchzusetzen, richtig ist. Ich möchte Sie auffordern, lassen Sie uns noch einmal gemeinsam darüber reden, was wir besser machen können, um mit diesem Problem des Rechtsextremismus, was sich weit in die Mitte der Gesellschaft hineingefressen hat, umzugehen. Deshalb habe ich auch die Vorsitzenden der anderen beiden Fraktionen gebeten, dass wir uns noch einmal zusammensetzen, um darüber nachzudenken, wie wir mit den neuen Bundesprogrammen umgehen, die jetzt aufgelegt worden sind. Wie können wir dafür sorgen, dass dieses Geld möglichst effizient und nicht einfach zufällig hier in Thüringen eingesetzt wird?

(Beifall bei der SPD)

Ich will ganz ausdrücklich sagen, Herr Ministerpräsident, Ihre jüngste Entscheidung zur Mitfinanzierung

von Bundesprogrammen ist positiv, die begrüße ich ausdrücklich. Aber wir dürfen auch an diesem Punkt nicht stehen bleiben, sondern müssen darüber reden, was wir mit den neuen Programmen dann machen wollen.

Was mich nicht überzeugt, das sage ich auch ganz deutlich, Herr Althaus, ist Ihre Eierei bei der Frage NPD-Verbot. Warum sagen Sie nicht klar, was Sie wollen? Wollen Sie ein NPD-Verbot anstreben - ja oder nein? Sie haben nur problematisiert, dass es nicht ganz einfach ist. Das wissen wir alle. Es ist nicht ganz einfach. Ein solches Verbot muss auch gut vorbereitet sein. Aber sagen Sie doch bitte einmal, ob Sie es wollen oder nicht. Das würde uns doch interessieren und die Thüringer Öffentlichkeit auch. Sie haben vorhin davon gesprochen und haben Goebbels zitiert, der gesagt hat, die Rechtsextremen bedienen sich im Waffenarsenal der Demokratie. Zu diesem Waffenarsenal der Demokratie gehört aber auch die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die sich gegen das Grundgesetz, gegen unsere Verfassung richten. Ich bin der Überzeugung, wenn eine Partei verfassungsfeindlich ist, dann haben wir verdammt noch mal die Pflicht, alles dafür zu tun, dass ein solches Parteienverbot auch möglich wird. Dazu hätte ich heute gern etwas von Ihnen gehört.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Aber es bleibt bei wolkigen Allgemeinplätzen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mehr für die Demokratie in diesem Land tun, das sagt uns der Thüringen-Monitor in aller Deutlichkeit. Dazu gehört nach meiner Überzeugung zum einen ein klarer Blick für die Realitäten, ein klarer Blick für die Sorgen, aber auch die Wünsche von Menschen in diesem Land. Dazu gehört zum Zweiten eine klare Ansage, was Politik tun kann, um mit diesen Realitäten, mit diesen Sorgen, mit diesen Wünschen umzugehen und was politisch Verantwortliche konkret tun wollen, um bestimmte Probleme in diesem Land anzugehen. Vor diesem Hintergrund, Herr Ministerpräsident, war Ihre Regierungserklärung heute kein Beitrag zu mehr Demokratie.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Lieberknecht zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die Kollegen Herr Hausold und Herr Matschie! Sehr verehrter Herr

Matschie, ich muss bei Ihnen mal anfangen. Beim Beginn Ihrer Rede und auch bei einigen Passagen während Ihrer Rede habe ich nur gedacht, der SPDParteitag ist doch vorbei. Das waren Bausteine, die Sie mit Sicherheit am letzten Wochenende genauso auch Ihren Parteitagsdelegierten gesagt haben. Wir sind aber hier, und da bin ich dem Ministerpräsidenten dankbar, um wirklich aufgrund einer klaren Analyse, einer Bestandsaufnahme Zukunftsperspektiven für Thüringen zu eröffnen und weiter zu diskutieren.

(Beifall bei der CDU)

Die Überschrift, unter der die Regierungserklärung von unserem Ministerpräsidenten Dieter Althaus steht - Thüringer Zukunftsfähigkeit sichern -, ist durch die Rede, durch die Analyse, und da bin ich dankbar, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, eingelöst. Es ist ein wichtiger Beitrag, den Dieter Althaus hier noch einmal gegeben hat, der eine klare Richtungsansage ist - wenn Sie das nicht gehört haben, vielleicht weil Sie das gar nicht hören wollen oder wie auch immer, dann kann ich das nicht ändern. Für uns jedenfalls ist die Ausrichtung der Regierungspolitik sehr klar geworden - eine Bestätigung des Kurses, auf dem sich die Landesregierung in dieser Legislaturperiode befindet, mit weiteren Akzenten und weiteren Ausrichtungen in Richtung Reform, in Richtung völliger Neuansätze, auch dafür gab es Beispiele, in Richtung Innovation, Schwerpunkte, die unser Land braucht.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ThüringenMonitor 2006 ist in der Tat ein Schwerpunkt, eine Bestandsanalyse zu den Themen, die die Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf ihre eigene Zukunft und die Zukunft des Landes bewegen. Deswegen verdient das eine genaue Analyse unsererseits, um darauf auch entsprechend einzugehen, nicht in dem Sinne, dass man in jedem Punkt dem Mainstream folgen sollte, sondern Politik heißt eben auch, Führung zu übernehmen und manchmal vielleicht auch ganz bewusst gegen den Zeitgeist, gegen den Mainstream, wenn man anderer Meinung ist.

(Beifall bei der CDU)

Der Thüringen-Monitor, und das stand auch am Anfang dieser kontinuierlichen Berichterstattung, geht zugleich der Frage nach, wie stabil unsere Demokratie - ich sage mal der Baum der Demokratie - im Boden der politischen Kultur verankert ist und wie er den Menschen erscheint. Schließlich wird untersucht, wie sich die Selbst- und Problemwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger auf die Stabilität der parlamentarischen Demokratie auswirkt. Auch hier hat Dieter Althaus die wesentlichen Konturen ja noch

einmal deutlich nachgezeigt. Auch dafür möchte ich herzlich danken. So wie ich es überhaupt bemerkenswert und einen wirklichen Dank wert finde, auf diese Kontinuität blicken zu können. Wir erinnern uns an den Ursprung dieser Thüringen-Monitore, das will ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal erwähnen, weil das vielleicht nicht allen im Haus - einige waren ja damals nicht dabei - nicht mehr so präsent ist. Ausgangspunkt war in der Tat die rechtsextremistische Tat des Brandanschlags auf die Erfurter Synagoge im Jahr 2000, wo wir in einer großen Gemeinsamkeit hier im Parlament und damals mit Ministerpräsident Vogel mit der Landesregierung gesagt haben, wir müssen etwas tiefer in die Befindlichkeiten, in das politische Denken, in die Strukturen auch dieses Denkens in Thüringen einsteigen. So ist dieser erste Thüringen-Monitor entstanden. Ich finde es wichtig und alles andere als selbstverständlich, wenn man mal durch die deutschen Länder geht, dass wir das in Thüringen jetzt nun zum siebten Mal haben und damit auch ein Pfund haben, was weit über die politische Kultur hinaus auch im Blick auf die Forschung, auf die Wissenschaft, auf die Soziologie, beispielsweise Sozialwissenschaftler, mit großem Interesse wahrgenommen wird, denn vergleichbare Befunde über einen solchen Zeitraum gibt es in keinem anderen Land. Ich denke, es zeigt auch etwas von der Ernsthaftigkeit, mit der wir im Thüringer Landtag und federführend durch die Landesregierung diesen Themen nachgegangen sind. In diesem Sinne ist das Anliegen der heutigen Debatte, dass wir sie in einer entsprechenden Kultur pflegen.

Der Bericht enthält, es ist zum Teil schon deutlich geworden, eine ganze Reihe von Nachrichten. Ich will hier einmal mit den ermutigenden Nachrichten beginnen. Dazu gehört, dass die rechtsextremen Einstellungen, jedenfalls was die allgemeinen Aussagen zu Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antisemitismus betrifft, nicht weiter angestiegen sind, sondern dass wir hier einen leichten Rückgang verzeichnen können, was nicht Entwarnung heißt, das will ich ganz deutlich sagen. Aber was doch heißt, dass wir mit einem kühlen Kopf, mit klarem Verstand, nicht mit vordergründigem Aktionismus hier eine kontinuierliche Arbeit aufgebaut haben und auch weiter in diesem Sinne denken und handeln müssen. Dass wir diesen Befund haben, ist nach den Wahlergebnissen von Mecklenburg-Vorpommern nicht unbedingt so zu erwarten gewesen und deswegen aber doch wichtig, zur Kenntnis zu nehmen.

Zu den guten Nachrichten gehört zweifellos auch die wachsende Zustimmung zur Demokratie als Staatsidee, zu ihrer Verfassung, eine parlamentarische Demokratie, die bei immerhin fast 80 Prozent der Bürger, was ihre ideellen Grundlagen betrifft und fast genauso viele ihren verfassungsrechtlichen Strukturprin

zipien und -verfahren zustimmen, meine ich, ist auch eine Basis, wo wir die Auseinandersetzung mit Extremisten nicht zu scheuen brauchen, sondern wo wir ganz selbstbewusst auf eine breite Bürgerschaft unseres Landes setzen können, die sagt, wir wollen keine dumpfe, keine braune, keine nationalsozialistische Einfalt, aber wir wollen auch keine Steinewerfer, keine Chaoten, keine Autonomen der linksextremistischen Szene. In beiden Richtungen eine klare Verankerung, eine klare Aussage von Bürgerinnen und Bürgern.

(Beifall bei der CDU)

Aus der Hand legen sollte man - ich denke, das ist auch schon deutlich geworden - den Bericht damit natürlich nicht. Denn auf der anderen Seite zeigt er, dass die Thüringerinnen und Thüringer mit Blick auf die Zukunft eine ganze Reihe gravierender Herausforderungen sehen, Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben. Er zeigt ferner, dass sie die Parteien und den Staat schlecht gerüstet sehen, diese Herausforderung angemessen zu lösen; umso größer die Aufforderung an uns.

Das Gefühl, das ganze System sei ungerecht, ist nach wie vor sehr weit verbreitet - besonders bei politiknahen Institutionen, den Parteien zumal wird am wenigsten Vertrauen entgegengebracht. Abwendung ist bei Teilen der Bevölkerung die ungute Reaktion darauf. Völlig zu Recht muss man darin Potenziale sehen, die sich mittel- und langfristig gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten könnten - „könnten“ sage ich, nicht „müssen“ -, denn in den letzten Jahren haben wir auch erlebt, dass die Bürgerinnen und Bürger durchaus bereit sind, Realitäten anzuerkennen und auch einen Sinn für das Machbare zu entwickeln, wenn diese Realitäten klar ausgesprochen und die Bürgerinnen und Bürger auch klar angesprochen werden, um - das ist sicher ein ganz wichtiger Punkt - immer auch diese Dialogbereitschaft zu haben und im Gespräch zu sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Realismus spricht schon aus dem Problemhaushalt, der in der Studie skizziert wird. Es ist nach wie vor die Arbeitslosigkeit ohne Zweifel Thema Nummer 1, es ist aber auch Abwanderung und Kindermangel, es ist die Zukunftstauglichkeit der sozialen Sicherungssysteme, die man für nicht mehr gegeben hält. Bei der Lektüre des Berichts habe ich mich wiederholt gefragt, ob es eigentlich gut oder schlecht ist, wenn die Leute bei diesen Themen sagen, die Politik kann diese Probleme nicht allein stemmen. Das sagen sie inzwischen trotz aller Erwartungen an den Staat. Ich meine, recht haben sie natürlich mit dieser Einsicht, dass Politik dies nicht allein kann. Daran schließt sich dann auch gleich die Folgefrage an: Ist es sinnvoll,

nun zu behaupten, die Politik könne das doch, wenn man nur könnte wie man wollte? Oder ist es nicht sinnvoller, zu erklären, wo die Grenzen politischer Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich verlaufen und wo Gesellschaft als Summe eigenverantwortlicher Bürgerinnen und Bürger stärker gefragt ist? Das muss dann natürlich auch wahrgenommen werden. Ich denke, die Antwort hängt davon ab, wie der lange Ablösungsprozess vom vormundschaftlichen DDR-Staat insbesondere bei uns beurteilt und wie er vorangetrieben werden soll. Der Thüringen-Monitor ist in diesem Prozess eine politik- und sozialwissenschaftliche Momentaufnahme.