Protokoll der Sitzung vom 24.11.2006

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in diesem Haus gilt wohl heute auch, neuer Tag - neues Glück für mich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte, was die Zuverlässigkeit der Linkspartei angeht, auch dem Ministerium bzw. dem Minister seine Zuverlässigkeit nicht absprechen was das Schönreden des Ausbildungsjahres angeht, auch da sind Sie sehr zuverlässig.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für das Protokoll - ich hatte einmal kurz durchgezählt, vielleicht sind es ein oder zwei weniger oder mehr: Ich denke, Jugendliche sollten wissen, dass beim Thema Ausbildung nur zehn oder elf von 45 CDU-Abgeordneten im Saal sind.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf aus der Linkspartei.PDS- Fraktion: Elf.)

Elf Abgeordnete. Okay.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Bilanz des Ausbildungsjahres 2006 ist katastrophal.

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Hier sitzen auch noch welche, dort sitzen welche! Wenn Sie 45 sagen, dann müssen Sie doch ordentlich zählen, ich bin auch Ab- geordneter dieses Landtags, sehr ge- ehrte Kollegin.)

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Fakt ist, dass Ihre Fraktion nicht anwesend ist und sie dieses Thema nicht interessiert.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Unerhört!)

Schauen Sie doch in Ihre Bank; Sie sehen es doch.

(Glocke der Präsidentin)

Fahren Sie fort Abgeordnete Hennig.

Wenn Sie für Ruhe sorgen würden, Frau Präsidentin, dann könnte ich fortfahren.

Also, sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe für Ruhe gesorgt und die Zahlen, die Sie genannt haben, waren nicht richtig.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Bilanz des Ausbildungsjahres 2006 ist katastrophal, egal was der Minister uns anderes glauben machen will. Die Zahl der Bewerber geht leicht zurück, die Zahl der Ausbildungsplätze ebenso. Ich kann mich erinnern, der Ministerpräsident hat in der letzten Woche laut einer Pressenotiz Jugendlichen versprochen, dass sich die Ausbildungsbilanz bessert. Ich weiß nicht wie, vielleicht können Sie mir sagen, wie das funktionieren soll, wenn die bisherige Landespolitik beibehalten wird. Im Übrigen denke ich, wo wir vorhin bei Nachhilfestunden waren,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

dass Sie vielleicht auch dem Redenschreiber des Ministerpräsidenten das ein oder andere Mal eine andere Zuarbeit machen sollten, da ist die Rede von der gestrigen Regierungserklärung - ich lese jetzt aus dem Vorabentwurf: Das Ausbildungsplatzangebot zwischen 2003 und 2005 ist um 0,9 Prozentpunkte gestiegen - sinngemäß. Also ich kann es nicht erkennen. Der Berufsbildungsbericht in Thüringen, angefertigt vom Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Arbeit, besagt: „Betriebliche Ausbildungsplätze 2003 12.623, 2004 12.031, 2005 10.739.“ Selbst wenn man Ihnen jetzt zugute halten würde, wir hätten ja jede Menge Zusatzmaßnahmen usw., hätten wir absolut 2003 18.774, 2004 17.896, 2005 16.177. Es sind Ihre eigenen Zahlen. Ich denke, der Ministerpräsident wurde an dieser Stelle einfach fehlgeleitet.

Mein Kollege von der SPD-Fraktion hat schon relativ viele Sachen gesagt, was die politische Entwicklung und die Zukunft junger Menschen und individuelle Lebensbenachteiligungen betrifft, wenn es um die Ausbildungssituation geht. Ich kann auch der Auffassung des Ministers nicht folgen bzw. vielleicht ist es auch eine Umschreibung, dass es einen positiven Trend auf dem Ausbildungsmarkt gibt, eine Umschreibung für „es geht immer noch abwärts“.

Sehr geehrte Damen und Herren, in Thüringen standen 30.200 Bewerber/-innen 10.500 betriebliche Ausbildungsplätze zum 30.09. dieses Jahres gegenüber und ca. 5.600 außerbetriebliche Ausbildungsplätze; für mich ein Defizit von mindestens 13.000 Lehrstellen allein im Freistaat. Vor zehn Jahren - 1996 - konnten den Jugendlichen noch knapp 23.000 duale Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. 2006 sind es knapp 7.000 Ausbildungsplätze weniger - ein Indiz, werte CDU, wie Sie dieses Land herunterwirtschaften und es junge Menschen ausbaden lassen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Der Ausbildungspakt kann als Erfolg gewertet werden, wenn man die Zahlen, die zugrunde liegen, bzw. die Verträge kennt, weil nur Machbares beschlossen worden ist und nicht das, was wir brauchen. Deswegen teilt die Linkspartei.PDS diese Auffassung nicht.

Der Anteil der Bewerber/-innen ohne Schulabschluss hat sich auf 6,3 Prozent reduziert. Gleichzeitig ist die Zahl der Altnachfrager auf 48 Prozent Anteil an Bewerber/-innen gestiegen. Über die Hälfte der nicht vermittelten Bewerber/-innen sind Altnachfrager. Herr Pilger hat das schon ausgeführt. Das heißt, einmal in den Strudel geraten, gibt es für die Betroffenen so schnell keinen Ausweg aus ihrer eigenen Ausbildungsmisere. Dass sich das die Landesregierung still mit ansieht bzw. solche Möglichkeiten überhaupt schafft, ist nicht zu rechtfertigen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dass alles Schönreden der Ausbildungssituation und das Schieben des Schwarzen Peter auf die schlechten Auszubildenden jeder Grundlage entbehrt, zeigt unter anderem, dass unter den 1.310 nicht vermittelten Bewerber/-innen zum 30.09. dieses Jahres fast 70 Prozent der Jugendlichen den Realschulabschluss, die Fachhochschulreife oder das Abitur in der Tasche haben. Wo es keine Ausbildungsplätze gibt, muss man nicht die Schuld bei den Bewerber/-innen suchen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, der zu erwartende Fachkräftemangel ist schon zu den unterschiedlichsten Anlässen, unter anderem von der Linkspartei.PDS, im Thüringer Landtag thematisiert worden. Ich glaube, es besteht Einigkeit darin, dass wir einen Fachkräftemangel zu erwarten haben. Anders als es der Minister sieht, denke ich, dass es eines Fachkräftekonzepts dieses Freistaats bedarf. Wenn die Bundesagentur für Arbeit konstatiert, dass sich die beruflichen Vorstellungen der Ausbildungssuchenden verstärkt an den Entwicklungen des Arbeits- und Aus

bildungsmarkts ausrichten, scheint es auch möglich zu sein, mit entsprechender Werbung und Angeboten in den Bereichen, in denen Fachkräfte verstärkt gesucht werden, dem Fachkräftemangel mit einer positiven Steuerung der Bewerber/-innen entgegenzuwirken.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das desaströse Lehrstellenangebot in Thüringen treibt in den unterschiedlichen Bereichen von Ausbildungen katastrophale Blüten. Das Bundesinstitut für berufliche Bildung veröffentlichte erst vor Kurzem die gezahlten Ausbildungsvergütungen - ein Punkt unseres Antrags. Angehende Frisöre erhalten im Osten 260 €, Bäckerlehrlinge 351 € und die IHK empfiehlt ihren Unternehmen, zur Schaffung eines zusätzlichen Ausbildungsplatzes auch die Möglichkeit zu nutzen, unter 20 Prozent des Tarifs zu zahlen. In Ostdeutschland liegt die Ausbildungsvergütung bei 85 Prozent des Westniveaus. 50 Prozent der Vergütungen kommen nicht über 500 € hinaus. Wenn der Minister die durchschnittliche Zahl von 529 € in Ostdeutschland rühmt, ist das in Ordnung, nur vergisst er dabei, dass da nicht die Jugendlichen inbegriffen sind, die auch noch Geld zu ihrer Ausbildung tragen. Selbstständiges Leben, die Sicherung der eigenen Existenz ist damit nicht möglich und das hat natürlich erhebliche Folgen für die Sozialsysteme. Ausbildungsbeihilfen, Hilfe zu Fahrtkosten, Unterstützung zum Lebensunterhalt bzw. das Verbleiben bei den Eltern sind nur die letzten Rettungsmöglichkeiten für diese Jugendlichen. Das schafft Abhängigkeit, aber keine Unabhängigkeit.

Ein großes Thema unseres Antrags, sehr geehrte Damen und Herren, ist das Berufsvorbereitungsjahr. Es ist ein bisschen schade, dass der Minister zu diesem Punkt des Berichts keine Auskunft geben konnte, da ich denke, wenn man Maßnahmen ins Leben ruft, sollte man auch wissen, wie sie wirken.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Berufsvorbereitungsjahr an berufsbildenden Schulen in Thüringen ist als eine der größten Warteschleifen konstruiert worden. Eigentlich konzipiert für Schüler/-innen ohne Schulabschluss und ohne Lehrvertrag, finden sich immer häufiger Schüler/-innen mit Real- und Hauptschulabschluss in diesen Klassen wieder, während der Anteil der Schüler/innen ohne Abschluss in diesen Klassen sinkt.

Eine kurze Darstellung meiner Anfrage, die ich dazu gemacht habe: Im Schuljahr 2005/2006 waren von etwa 4.200 Schüler/-innen im BVJ ganze 2.800 ohne Abschluss. Im gleichen Jahr gab es etwa 1.200 Wiederholer/-innen des BVJ aus berufsbildenden Schulen. Etwas weniger als die Hälfte der BVJler

erhielt überhaupt ein Abschlusszeugnis; 47 Prozent von diesen den Hauptschulabschluss. Das sind absolut 873 von 4.185. Im Übrigen ist der Anteil der Schulabschlussnachholenden im BVJ seit 2001 massiv gesunken. Das BVJ ist als gescheitert zu erklären und aufgrund seiner negativen Folgen für seine Zwangsbesucher/-innen aus dem Verkehr zu ziehen.

Erklärtermaßen - und mit „erklärtermaßen“ meine ich eine Antwort der Bundesregierung auf eine Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP; ich glaube, es war in der letzten Legislatur - ist die Chance für Jugendliche nach einer vollzeitschulischen Ausbildung eine Arbeitsstelle zu bekommen, wesentlich geringer als nach einer betrieblichen bzw. außerbetrieblichen Ausbildung. Sie liegt bei etwa 8 Prozent. Dass wir dort eine erhöhte Verantwortung haben, dürfte spätestens an diesem Punkt jedem klar sein. Mit der bisherigen Ausbildungspolitik hat die Landesregierung Realitäten geschaffen, die die Bewerber/-innen knebeln und in ihrer persönlichen Entwicklung hemmen. Mit dem Thüringer Ausbildungspakt findet Unternehmerschutz statt, und zwar von solchen, die Ausbildung für einen verzichtbaren Luxus halten, während die Zukunft junger Menschen so gut wie keine Rolle spielt.

Spätestens das hinter uns liegende Ausbildungsjahr müsste sich in der Ausbildungspolitik der Landesregierung wiederfinden. Die Linkspartei hat nichts gegen freiwillige Vereinbarungen, auch nichts gegen Ausbildungspakte, solange sie etwas taugen. Genau da liegt der Maßstab.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deswegen sind in unserem Antrag in Punkt 2 Forderungen formuliert, die es möglich machen, einen Ausbildungspakt tatsächlich zu unterzeichnen, um uns hier auch selbst hinterher in die Augen schauen zu können. Die Landesregierung hat mit ihrer Zusage im Ausbildungspakt zu berufsvorbereitenden Maßnahmen etwa 7 Mio. € mehr zur Verfügung gestellt als im vergangenen Jahr. Der eigentliche Ansatzpunkt in der Berufsorientierung in der allgemeinbildenden Schule ist weniger berührt. Zum Beispiel sollte ein Projekt wie „Berufsstart“ zum Regelinstrument gehören. Der beschlossene Berufswahlpass muss flächendeckend zuverlässig eingesetzt werden und nicht urplötzlich, wie geschehen - und das dürfte für den Kultusminister interessant sein, Herr Prof. Goebel -, an einigen Thüringer Schulen überhaupt nicht zur Auslage kam bzw. zurückgezogen wurde.

Grundlage für einen fundierten, ausreichenden Pakt, den sich die Linkspartei-Fraktion vorstellen kann zu unterzeichnen, ist die Schaffung von Lehrstellen über ein branchen- und regionenspezifisches Fachkräf

tebedarfskonzept. Nur so können Bewerber/-innen breit und sinnvoll vermittelt werden. Der DGB hat bereits zum vergangenen Ausbildungspakt diese Forderungen aufgemacht. Wir denken, ein Ausbildungspakt muss, wenn er diesen Namen auch verdienen will und Sinn machen soll, den Anteil der zur Verfügung gestellten betrieblichen Ausbildungsplätze in jedem folgenden Jahr um 20 Prozent erhöhen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sie kennen unsere Forderungen. Von mir aus könnte der sofort angeglichen werden an die Zahl der Bewerber/-innen; denn nur dann wäre es ein realistischer Pakt. Aber um Ihnen entgegenzukommen, gehen wir davon aus, dass mit 20 Prozent jeweils erhöht in den nächsten drei bis vier Jahren es doch schaffbar sein sollte, Ausbildungsplätze, die angeboten werden, an die Bewerber/-innenzahl anzupassen. Ich denke, es besteht Einigkeit darin, dass Ziel sein muss, dass so viel wie möglich Jugendliche eine duale Ausbildung erhalten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Linkspartei.PDS akzeptiert die Tarifhoheit der Sozialpartner. Sie akzeptiert es aber nicht, wenn Jugendliche in ihrer Ausbildungsqualität leiden, wenn ihre Arbeitsleistung nicht als solche anerkannt wird und sie mit einem Taschengeld nach Hause gehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Existenzsichernde Ausbildungsvergütung heißt, jungen Menschen den Lebensunterhalt und die Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen. Mit der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung, die ich vorhin genannt habe bzw. die auch der Minister genannt hat, ist das nicht möglich. Es muss für die Ausbildungsvergütung generell der BAföG-Höchstsatz angestrebt werden. Besondere Ausbildungssituationen müssen angemessen berücksichtigt sein. Wir haben, weil wir die Tarifhoheit der Sozialpartner akzeptieren, in unserem Antrag formuliert, dass sich die Partner verpflichten, sich im Zuge dessen - gemeint ist die Unterzeichnung des Ausbildungspakts - auch für eine existenzsichernde Ausbildungsvergütung für alle Auszubildenden einzusetzen. Darum ging es, es ging nicht um eine Festschreibung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)